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Die Maul- und Klauenseuche



Sie ist für Tierproduktionsbetriebe eine existenzbe-
drohende gefährliche Krankheit.
Die Maul- und Klauenseuche (MKS) ist eine hoch ansteck-
ende Viruserkrankung bei Rindern und Schweinen und ist eine anzeigepflichtige Tierseuche. Auch andere Paarhufer wie Rehe, Ziegen und Schafe, aber auch Elefanten, Ratten und Igel können sich infizieren. Pferde sind nicht für MKS anfällig. Eine Infektion des Menschen tritt gelegentlich auf.

Genau diese Seuche hatte das Dorf, also einige Tiere in den Stallungen, heimgesucht. Man musste sich schützen. Das bedeutete, das gesamte Dorf wurde unter Quarantäne gestellt. Keiner durfte hinaus und keiner hinein, es sei denn man unterwarf sich einer ausgiebigen Desinfektion. Für Tierärzte war das eine Selbstverständlichkeit.

Es gab überall Schlagbäume, Seuchenmatten und Gräben oder Mulden, die mit Desinfektionslösungen angefüllt waren, durch die dann in Ausnahmefällen Fahrzeuge fuhren. So war es offiziell festgelegt. Die Lebensmittel wurden am Schlagbaum abgestellt. Das Ganze ging wochenlang so.

Die armen Viecher wurden inzwischen gekeult und im viel zu kleinen Kadaverhäuschen zwischengelagert. Man würde sie unmittelbar nach dem Vorgang verbrennen, hieß es und manchmal stank es auch mörderisch im Dorf. Dann ereignete sich wochenlang nichts. Das Dorf blieb abge-
schottet.

Allerdings waren des Nachts seltsame Bewegungen festzustellen. Man schlüpfte durch Hecken, umging die Schlagbäume, um aus den verschiedensten Gründen einmal wieder in die „Welt“ zu gelangen. Die Kinder fanden alles meist ziemlich witzig, denn sie durften ja auch nicht in die Schule, die in einem anderen Dorf war. Sie hatten quasi Dauerferien.

Man munkelte nach einigen Wochen der absoluten Sperre, dass die MKS –Quarantäne überall längst aufgehoben war und das Dörfchen nur dabei vergessen wurde. Die Leiter des volkseigenen Gutes stapften mit finsteren Mienen durchs Dorf und gaben keine Auskunft. Der Pastor predigte Geduld.

Das Mädchen war in einer benachbarten Kleinstadt im Internat als die Seuche ausbrach. Sie ging dort auf die erweiterte Oberschule, in die 11. Klasse.. Sie dufte nicht nach Hause.
Die großen Ferien standen nun unmittelbar bevor, die Taschen waren gepackt, alle fuhren Nachhause als die Nachricht ihr vom Schuldirektor übermittelt wurde. Es hieß:
„Fräulein K., sie dürfen nicht heimfahren. Die MKS ist immer noch im Gange und ihr Dorf ist dicht. Allerdings wird in den Sommerferien das Internat geschlossen. Sie können nicht hier wohnen. Es tut uns Leid. Bestimmt kennen sie jemanden, der sie vorübergehend aufnimmt.“

Das Mädchen kannte niemanden in der Stadt. Die anderen Internatsschüler waren schon zum Bahnhof gegangen, um in ihre Heimatorte in die Ferien zu fahren. Alle waren weg. Es war Sonnabend. Die Post war zu, das Telefon in der Zelle defekt. Die Eltern hatten sowieso kein Telefon und im Büro des Vaters wäre um die Zeit niemand. Anrufen entfiel somit, um sich Rat zu holen. Geld hatte sie keines, nur eine Wochenendkarte für die Bahnfahrt, die nunmehr sinnlos war, denn es fuhr kein Zug mehr, auch kein Bus. Am nächsten Morgen würde erst wieder eine Möglichkeit bestehen.

Jetzt war guter Rat teuer. Das Mädchen entschloss sich zu Fuß zu ihrem Heimatdörfchen zu wandern, immerhin etwas über vierzig Kilometer Landstraße waren zu überwinden. Für sie ein Mordsknochen, dazu die unmögliche Reise-
tasche und ziemlich ungeeignete Trittchen an den untrainierten Füßen. Aber die Sonne schien noch ein wenig und es war Sommer. Sie wusste nicht, wie sie in das Dorf, welches ja dicht sein sollte, hineinkommen würde. Vielleicht würde man sie verhaften und einsperren. Sie machte sich dennoch auf den Weg, wenn auch mit gemischten Gefühlen.

Anfangs kam sie zügig voran. Nach einigen Kilometern musste sie eine kleine Rast einschieben, an den Hacken zeigten sich beachtliche Blasen und die Tasche wurde scheinbar immer schwerer und unhandlicher. Sie setzte sich also am Waldesrand auf den Rasen, um auszuruhen und war plötzlich ein wenig eingenickt. Als sie aufwachte, war es stockdunkel. Der Rasen war kühl, die Luft auch, irgendwie schien der Himmel wolkenverhangen, kein Mond war zu sehen. Sie zog den Anorak mit Kapuze aus der Tasche und begab sich auf die Straße, um weiter zu wandern. Ein leichter Nieselregen machte das Wandern nicht gerade leichter. Die Blasen an den Füßen taten auch weh. Links war der schwarze Wald, rechts ein Riesen-
kornfeld und vor ihr eine leere nicht enden wollende Landstraße.

Kein Auto, welches man anhalten könnte, ließ sich blicken. Jetzt würde sie sogar d a s wagen, obwohl die Eltern davor immer gewarnt haben. Warum bloß? Egal, es kam kein Auto, nicht einmal ein lausiger Traktor. Es war eben Sonnabend.

Stumpfsinnig wanderte sie, die Füße mechanisch setzend. Der Regen hatte sich zu einem ausgewachsenen Landre-
gen entwickelt. Ihre Gestalt war kaum wahrnehmbar. Sie ging auf der falschen Straßenseite, ein Auto streifte sie leicht. Sie landete im Straßengraben.

Der Fahrer setzte zurück und stieg aus dem Fahrzeug.

Die Tasche stand auf der Straße

Das Mädchen lag bewegungslos auf dem Rücken im nassen Gras, die Augen weit geöffnet.

Der Mann trug sie ins Auto und fuhr so schnell er konnte zurück in die Stadt zum Krankenhaus.

Anschließend setzte er seine wichtige Fahrt fort.

Er war der Überbringer einer guten Nachricht, nämlich dass für IHR Dorf die Quarantäne wegen der Maul- und Klauenseuche endlich aufgehoben wurde. Jeder würde nun wieder ins Dorf kommen können, alle Schlagbäume dürften sogleich entfernt werden.

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Tag der Veröffentlichung: 14.10.2010

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