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Wenn man sich so liebte, dann war doch die Welt in Ordnung.
Man kann sich entwickeln und ändern. Jeder kann solide werden.
Jawohl! Menschen ändern sich. Anne glaubte vorbehaltlos an das Gute.
Es wurde also geheiratet. Die Familie war dabei. Die Eltern hatten sich über die Kosten geeinigt. Dies war nicht ganz einfach, aber schließlich war auch hier alles abge-
sprochen. Es gab einige Ungereimtheiten, Bitternisse, ungeplante Abweichungen.

Die Schwiegereltern wollten auf einmal noch einen Polterabend.

Das war nicht abgesprochen, Annes Eltern willigten notgedrungen ein. Anne hatte absolut keine Lust dabei zu sein, sollten doch die Alten feiern, zumal der Bräutigam unterwegs war, wo er war wusste niemand, auch Anne nicht. Das war peinlich. Die geladenen Gäste, Arbeits-
kollegen des Schwiegervaters, kannte Anne sowieso nicht. Was die nicht hinderte, ihre Tassen und Teller vor der Haustür zu zertöppern. Draußen regnete es und es war kalt. Anne saß in ihrer Wohnung und wartete auf ihren lieben Mann, der verschollen war. Schwiegermutter klopfte ans Fenster.
„Komm, mach dich endlich hübsch. Die Gäste wollen die Braut sehen.
Du musst kommen. Wir sind sonst blamiert. Deine Eltern sind doch auch da. Wolfgang wird schon noch auftauchen.“
Anne war wohlerzogen, wollte nicht unhöflich erscheinen. Also schlüpfte sie in einen schwarzen Rock und einen festlichen Pullover, fand sich so schön genug für diese ganze fremde Meute, und begab sich zu dieser schreck-
lichen Polterabendfeierlichkeit.
Die Schwiegermutter zog einen Handwagen mit vier Kästen Bier hinter sich her, scheinbar wollte man sich besaufen. Das kann ja heiter werden, dachte Anne und half beim Ziehen des Handwagens im strömenden Regen. Sie fragte sich, warum nun ausgerechnet diese arme Frau an
diesem Abend das Bier holen musste. Der Vater hätte es so gewollt, lautete die Antwort. Der könne nicht weg, er müsse schließlich die Gäste unterhalten. Es wären ja nur seine Arbeitskollegen, die ihn dazu genötigt hätten, einen Polterabend durchzuführen.
„Er will sich nicht lumpen lassen, weißt du. Der Vater mag es nicht, wenn man ihm Geiz nachsagt. Also haben wir alles schnell improvisiert, ein paar Schnittchen gemacht und auch deine Eltern mit hinzu geholt. Wir machen ja alles nur für euch.“
Anne dachte nur:
„Oh Gott, wie schrecklich, Mutti und Papa würden die Sippe nun noch mehr ablehnen. Sie sind aber gewiss nach außen ebenso höflich wie freundlich und würden es über sich ergehen lassen. Wolfgangs Fernbleiben würde mit Sicherheit hochgradig mit ihrer Missbilligung bedacht werden.“

Anne sagte aber lieber nichts und räumte bei der Woh-
nung der Schwiegereltern angelangt, zähneknirschend das zerschlagene Geschirr weg.
Die Schwiegermutter half nicht, das bringe Unglück, meinte sie. Dieses müsse das Brautpaar schon alleine verrichten.
„OK“, sagte Anne „dann muss Wolfgang den Rest
beseitigen.“ Sie war allmählich wirklich sehr verärgert.
„Die Bierkästen können die Männer hoch schleppen“,
verkündete sie etwas spitz. Die Schwiegermutter
seufzte. Man wohnte in der vierten Etage, sie würde es
alleine nicht schaffen, der Vater würde mit ihr
schimpfen und nur vor den Leuten freundlich tun, so
war es immer. Hinterher hätte sie nichts zu lachen. So
klingelte die arme, eingeschüchterte Frau bei den
Nachbarn und erhielt Hilfe. Sie würde später zum Dank
zum Kaffee einladen.

Anne war schon ungerührt nach oben gestiegen. In der Wohnung war es laut, überall standen rauchende Männer mit Bierflaschen in den Händen herum und unterhielten sich lebhaft, ein paar Flaschen Schnaps standen auf einem Tisch, sie waren bereits halbleer, man war schon ziemlich angetütert.
Ein kaltes Büfett war im Flur sehr schön aufgebaut, ihm war offensichtlich schon fleißig zugesprochen worden.

Von Anne nahm niemand Notiz, man kannte sich nicht und Schwiegervater war irgendwie in der Menge der Leute
nicht zu sehen. Anne begab sich in das Wohnzimmer
und sah zwischen den Menschen, hochrot und scheinbar
angespannt, nicht sehr glücklich ausschauend, ihre
Mutter und ihre Oma sitzen. Der Vater war mit einem
Mann in ein Gespräch vertieft. „Endlich kommst du“,
stöhnte Annes Mutter. Sie glaubte Fieber zu haben und
fühlte sich augenscheinlich scheußlich. Die Oma nahm
es gelassener. Allerdings fragte sie lautstark nach dem
Bräutigam, den würde sie doch endlich auch einmal
kennen lernen wollen.
„Der wird doch wohl etwa sein Junggesellendasein
nicht irgendwo an anderer Stelle mehr oder weniger
würdevoll beenden?“ unkte sie laut und vernehmlich.

Schwiegermutter war inzwischen schwer atmend
erschienen, hatte aber vernommen, wonach die Oma
verlangte und was sie vermutete.
„Nein, nein, der muss selbst heute noch arbeiten, der
Ärmste, aber vielleicht kommt er noch etwas später“,
sagte sie etwas künstlich lachend. Morgen sehen wir uns
ja alle auf dem Standesamt und bei der anschließenden
Feier. Jeder kann meinen überglücklichen Sohn als
Ehemann dann noch genügend und ausgiebig
bewundern. Aber die nette, hübsche Braut, die ist doch
hier. Sie ist doch die Wichtigste.“
Und sie zeigte auf Anne. Der war dies furchtbar
unangenehm, denn nun begannen alle Männer sie ins
Visier zu nehmen. Sie lächelte etwas hilflos, wäre am
liebsten im Boden versunken. Man schüttelte ihr die
Hand und begann so idiotische Sachen wie: „Hoch soll
sie leben“ zu singen. Zum Glück wandte man sich dann
wieder dem Bier zu. Anne setzte sich zu ihren Eltern,
wusste aber auch nicht recht, was sie zu ihnen sagen
sollte. Alles war so peinlich.
„Morgen wird alles sicher schöner“, sagte sie
entschuldigend, die sind ja wohl alle zum Glück nicht
dabei und erkundigte sich nach der Unterbringung.
„Wir wohnen gar nicht im Hotel“, klagte die Mutter.
„Dein künftiger Schwiegervater hat uns, allerdings
kostenlos, im Studentenwohnheim untergebracht. Die
Zimmer kennst du ja. Oma war ein wenig pikiert, denn
sie würde mit ihrem Schwiegersohn in einem Zimmer
nächtigen müssen. Na ja, sie wird es überleben und dein
Vater hoffentlich auch. Aber der wird eh nicht viel
merken. Du siehst ja, er ist ja wenigstens guter
Stimmung.“
Die Mutter seufzte.
Anne sagte, dass sie gerne mitkommen, sie ins Quartier
begleiten würde, wenn hier dieser Polterabend zu Ende
sein würde. Man saß und stand noch eine Weile herum,
dann meinte die Mutter, dass es jetzt nicht mehr als
unhöflich gelten könne, wenn man sich schon
verabschiedete. Sie würde sich elend fühlen. Der Vater
wäre bestimmt noch geblieben, er feierte gerne. Er war
gesellig. Nun, er fügte sich wie immer.
„So ist das in der heiligen Ehe“, sagte er zu Anne
gewandt und erhob den Zeigefinger, man muss sich
fügen. Einer muss sich immer fügen.“ Aber er lachte
dabei.
Man brach also auf. Der künftige Schwiegersohn war
nicht erschienen. Anne ärgerte sich ohne dies zu zeigen.
Sie brachte ihre Eltern und die Oma in ihre Unterkunft
und fand diese in Ordnung und durchaus zumutbar,
auch für die Oma aus dem Westen, schließlich kostete
die Übernachtung nichts. Es war sauber und warm, die
Betten frisch bezogen, zwei geräumige Zimmer und es
war ruhig. Die Studenten waren ja am Wochenende
nicht anwesend.
„Wird es gehen Oma?“ fragte Anne sehr freundlich. Ja,
es ginge schon, die Oma beklagte sich Anne gegenüber
nicht. Na denn, bis morgen.

Anne war alles in allem froh, dem Polterabend, ihrem Polterabend, entkommen zu sein.

Wolfgang kam in der Nacht um drei, er hatte eine leichte Fahne.
Er hätte mit seinen Kollegen ein wenig feiern müssen, sagte er mit schwerer Zunge. Das wäre er denen unbedingt schuldig. Anne solle ihm das
bloß nicht übel nehmen.

Ab morgen würde sowieso alles anders werden. Man wäre ja dann verheiratet.

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Tag der Veröffentlichung: 27.07.2010

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