Moni denkt über Schuld und Vergebung nach
Fängt man an zu philosophieren, kommt man sehr schnell vom Hundertsten ins Tausendste. Löcher, Ränder, Zwischenräume, Wahrheit und nun noch das: Schuld und Vergebung!
Ist es aber nicht so, dass auch bei diesen Themen sich die Geister scheiden?
Sicher muss man hier zunächst unterscheiden auf welches Terrain man sich begibt. Das gesellschaftliche Pflaster ist ein ganz heißes, denn hier wird es kompliziert mit der direkten Schuldzuweisung. Als Teil des Ganzen trägt man ohne Zweifel Schuld. Die Größe oder Schwere mag unterschiedlich sein. Wer will da schon eine objektive Wertung vornehmen. Der Einzelne sieht es immer aus seiner Perspektive, was nachvollziehbar ist. Auf alle Fälle sind immer die Anderen schuld, man selber nur ein wenig, eigentlich eher nicht, wofür zahlreiche Begründungen hervorgeholt werden, quasi zum Selbstschutz. Wie könnte man sonst leben?
Es gibt wohl keinen Menschen, der sich frei von irgend-
einer Schuld sprechen kann, denkt Moni, auch wenn man eigentlich nicht schuld sein will. Die bloße Geburt kann schon Ursache sein, dass eine Schuld damit verbunden werden kann.
Die Schuld ist eine gewissensbelastende Angelegenheit, es sei denn man gehört zu den skrupellosen Typen. Moni seufzt, denn diese scheinen täglich mehr zu werden. Komischerweise sitzen die gerade an den Hebeln der Macht. Manche holen sich für ihr Tun, für ihre Schuld, die daraus entsteht, schon einmal im Vorab den Segen der Kirche. Außerdem wird gerne die Möglichkeit angenom-
men, nach der Missetat zu beichten, um eine, wie es Moni scheint, fragwürdige Vergebung zu erhaschen.
Nun ist Moni bei der Vergebung angekommen.
Sicher muss man verzeihen, vergeben, das dürfte unbe-
stritten sein, natürlich den ganz großen Kriegsverbrechern nicht, den Vergewaltigern von Natur und Mensch nicht, und vieles mehr. Moni kommt ins Schleudern. Wem darf man vergeben und wem nicht? Und wer darf vergeben? Und ist mit der Vergebung alles in Ordnung gebracht? Das sind viele Fragen. Die Vergebung richtet sich zumindest nach der Schwere der Schuld. Dahinter steckt ganz sicher auch, ob mit Absicht oder ein Ereignis, welches aus Versehen geschah. Die Rechtsprechung versucht das zu berücksichtigen. Geht mit der Bestrafung auch die Vergebung einher. Moni glaubt nicht ganz daran. Die Schuld bleibt auch.
Die Bestrafung ist mit vielerlei Erwartung verbunden. Der Täter soll bereuen und nie wieder schuldig werden, man will ihn erziehen. Oh, je. Schön, wenn es so wäre.
Wenig kann erreicht werden. Wiederholungen der schlimmen Taten sind an der Tagesordnung. Die Reli-
gionen können nichts ausrichten, die Gerichtsbarkeiten ebenso wenig. Die Menschen laden immer wieder ähnliche Schuld auf sich, im Großen und im Kleinen. Moni könnte deswegen laut schreien aber das nützt überhaupt nichts.
Nach wie vor regiert das Kapital, die Gier nach Profit und Macht treibt die Menschheit in Kriege, lässt sie enthemmt morden, die Welt verwüsten und der kleine Mann soll daran schuld sein?
Ein bisschen schon, denkt Moni, wenn sie daran denkt, wer so alles vertrauensvoll gewählt wird, um das Geschick eines Landes zu lenken. Die Politik wird nicht ernst genommen, Wissenschaftler geben falsche Gutachten wegen ein paar Kröten, entwickeln Kriegsmaschinen, Religionen, Sektengurus manipulieren Leute, um sie hörig zu bekommen, die Reichen hinterziehen die Steuer, die Kleinen beklauen andere Kleine und müssen sofort hängen wegen ihrer Schuld, andere bekommen mit ihrer Pension einen neuen Sitz im Aufsichtsrat, wenn sie sich in ihrer Schuld nicht mehr ganz der Öffentlichkeit stellen können. Moni kann nicht mehr. Das ist einfach zuviel.
Sie hat den Eindruck, dass auf dem Gebiet der Schuld und Vergebung blanke Willkür an der Tagesordnung ist. Gläubige Menschen erhoffen Vergebung und wenn ein Geistlicher diese gnädig erteilt, dann ist ihnen ein wenig wohler und auf geht’s zu neuen Taten.
Moni schüttelt sich entsetzt. Kann man so leben, fragt sie sich nun verstört?
Das Erstaunliche ist, dass man danach kaum fragt und es würde ja auch kaum Sinn machen, denn man muss damit leben. Was ist die Alternative, die Lösung? Soll man sich vor lauter Schuld und Teilschuld das Leben nehmen? Wem würde das denn nützen?
Jeder entscheide, was er tun kann, wie er lebt, wie er seine Kinder erzieht. Man kann mit permanenten Schuldgefühlen nicht leben, auch nicht Geschehenes wieder gutmachen. Nur achtsam sein, dass sich nichts wiederholt, sich darum wenigstens bemühen, das ginge. Ohne Optimismus geht aber gar nichts, denkt Moni und ihr Gesicht hellt sich auf. Sie will ihre Schuld, welche auch immer, in Grenzen halten und jeden Tag bewusst leben, ihr Leben dennoch lieben. Das lässt sich, was sie betrifft, zum großen Glück einrichten.
Man möge ihr vergeben.
Texte: Deckblattcover Helga Siebecke
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2010
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