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Moni und die Ränder

Es heißt ja immer, dass man unbedingt auch einmal über seinen Tellerrand hinwegschauen sollte. Moni möchte einen Versuch starten und hofft so einiges dabei zu entdecken.
Zunächst heißt es doch die Schreibtischkante zu über-
winden und über den eigenen Gartenzaun zu springen, womit die ersten schwierigen Ränder schon genommen wären. Es gibt zahlreiche Menschen, die diesen Versuch gar nicht erst wagen. Sie halten dies schlicht für unnütz. Was könne das schon bringen, wenn man die Risiken bedenkt? Außerdem wird der Rand als Rand nicht immer erkannt. Ähnlich den Brettern am Kopf, die nicht bemerkt werden. Es ist ein Phänomen, keiner scheint Ränder zu sehen, somit gibt es auch kein Bemühen über sie hinaus zu kommen.
Moni dachte über das Nichts, über Löcher und kürzlich über Zwischenräume nach, immer in medias res, über den Rand derselben nie ein Wort, dabei steht er so oft im Mittelpunkt des Geschehens.

Nehmen wir einmal den Tellerrand. Man achtet verbissen darauf, dass alles randvoll ist. Manche bringen auch zuweilen ein Fass zum Überlaufen, wenn man zum Beispiel sparen muss, Geschenke gleichzeitig verteilen möchte und zu diesem Zwecke Schulden macht. Das bringt viele Menschen an den Rand der Verzweiflung, einige finden das wiederum in Ordnung, da sie vermeinen, man müsse Randgruppen noch mehr an den Rand drücken, wenn man das Große in Raum und Zeit erreichen möchte.

Ein anderes Beispiel: Moni springt über den Gartenzaun und wirft einen Blick auf die Straße. Menschen stehen am Straßenrand, warten nicht ab, bis grünes Licht gegeben wird, rennen einfach bei rot los. Wer sich an den Rändern aufhält, muss aufpassen, rechts und links schauen, Zeichen beachten und nicht einfach so mir nichts, dir nichts losstürmen. Komischerweise neigt der Mensch zur Ignoranz. Die Ränder werden nicht wahrgenommen. Die Folgen sind täglich sichtbar, für jeden. Moni seufzt. Entweder werden Ränder ohne nachzudenken überschritten oder man hockt zitternd in seinem Mief und hält sich dabei noch für furchtbar clever.

Alles, was am Rande verläuft, wird kaum beachtet. So ist es doch. Wer liest schon aufmerksam die Randnotizen. Richtig Randale in den großen Räumen sind die Knaller. So halten es die Mächte der Länder. Moni findet allerdings, dass verdächtig oft, ganz am Rande des Geschehens, furchtbar heimlich die wirklich großen Geschäfte abgewickelt werden. Der Rand hat hier eine unverkennbare Bedeutung für Geheimes. Im Schatten des Randes ist viel los, findet Moni. Natürlich ist dabei auch klar, dass man gegebe-
nenfalls auch vom Rand unmittelbar ins Rampenlicht stürzen kann. Meist wird dann irgendetwas oder irgend-
einer geopfert, damit die Menge Ruhe gibt. Dickfellig wird am Rand allerdings munter weiter gemauschelt.

Dann gibt es noch die Gilde der Randbeobachter. In der Regel sind es die Träumer, die Phantasten, kurz liebe Menschen, die keiner Fliege etwas zu leide tun. Es sind die Genießer. Sie sitzen am Strand und warten geduldig auf den Sonnenuntergang. Sie schauen stumm und voller Inbrunst auf den Horizont, Himmels- und Meeresrand berühren sich, die Sonne versinkt. Das ist ihnen einen Beifall wert, Abend für Abend und das auf der ganzen Welt. Man muss dafür nichts tun, alles ist völlig kostenfrei, es passiert einfach. Die Menschen sind einige Minuten absolut glücklich und vermeinen, ihnen könne nichts passieren. Alles ist momentan einfach zu schön bis eben die Erde bebt oder schwarz/gelb regiert. Jeder ist nun dringend mit sich beschäftigt, obwohl man ganz nötig und unbedingt in letzteren Fällen etwas tun muss. Ganz im ernst.

Ränder können Glück bringen, erkennt Moni aber kaum sind sie aus dem Gesichtsfeld verschwunden, wird man wieder mürrisch, weil der Urlaub zu ende ist, weil man wieder in die Mitte muss.

Moni ist sich bewusst, dass sie so allmählich auf den Rand des Lebens zumarschiert, eigentlich geschieht dieses immer, seit der Geburt und gänzlich ohne schubsen und priviligieren. Der Körper entwickelt sich losgelöst von allen Willensanstrengungen und Wünschen in Richtung Rand. Dann wird es irgendwann dunkel. Ränder sind für den Einzelnen bedeutungslos geworden, auch alles was am Rande geschah.
Das Nachsehen haben die Nachkommen. Sie dürfen sich mit den Rändern plagen, denn sie können auch als unschön angesehen werden.

Moni nimmt ihre randlose Brille ab und findet, dass sie jetzt zu dem Thema endlich den Rand halten sollte, denn es beginnt auszuufern.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.01.2010

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