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Moni dreht durch



Jeder denkt doch sofort, dass die gute Moni nun verrückt geworden wäre aber dem ist nicht so. Also gut, vielleicht doch ein bisschen. Ein Bisschen ist immer erlaubt. Sie möchte ja bloß endlich einmal wissen, was es mit dieser Redewendung wirklich auf sich hat.

Jeder weiß doch, dass die Sache absolut negativ belegt ist. Man muss nur kurz nachlesen, obwohl man hierbei dieses sicher nicht braucht, denn jeder glaubt natürlich zu wissen, was gemeint ist:
Nämlich vor Wut ohne Überlegung handgreiflich werden; die Kontrolle über sich selbst, die Beherrschung verlieren. Umgangssprachlich nennt man das eben „durchdrehen“. Das kann sich darin äußern, dass auch mit den gerade in der Nähe befindlichen Gegenständen geworfen wird. Frauen schmeißen ja angeblich ganz gerne mit Tassen oder Blumentöpfen durch die Wohnung oder aus dem Fenster. Man meint in der Regel nicht, etwas durch eine Maschine zu drehen und dabei zu zerkleinern, zum Beispiel Fleisch, Kartoffeln usw durchzudrehen.
Ist schon klar, aber wie wir alle wissen, vollführt der Körper dabei keinerlei drehende Bewegungen, durch etwas hindurch schon gar nicht. Vielleicht muss oder kann man das auch gar nicht sehen, was da durchdreht. Es passiert innen. In unserem Kopfe gerät etwas durcheinander und dreht durch die Synapsen wilde Runden. Ohne weiteres Zutun fliegen dann auch die Tassen oder Bierseidel.
Wir können nichts dafür. Dieses wird ja auch immer vehement beteuert, wenn sich danach irgendwann der Katzenjammer einstellt.
Moni ist nicht so hitzig und sie hat auch Mitleid mit den armen Tassen. Nach dem Tassenwurf hätte man womöglich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Moni findet das ungleich schlimmer.
Dennoch geschah es, dass die arme Moni einst durchdreh-
te. Nur eben anders.

Zur Erklärung:
Schaut man in andere Kulturen bekommt das Durchdrehen einen völlig anderen Anstrich. Jeder hörte vielleicht schon einmal von den tanzenden, sich ständig drehenden Derwischen. Gut, nichts wissend, könnte man auch zu dem Schluss kommen, die hätten nun durchgedreht. Aber das haben sie nicht. Ganz und gar nicht.
Der Ausdruck Derwisch bezeichnet vor allem in den europäischen Sprachen einen Sufi, einen Angehörigen einer muslimischen asketisch-religiösen Ordensgemein-
schaft (tariqa), die im Allgemeinen für ihre Bescheidenheit und Disziplin bekannt ist.
Derwische praktizieren den Sufismus und gelten als Quelle der Klugheit, der Heilkunst, der Poesie, der Erleuchtung und der Weisheit. Zum Beispiel wurde Nasreddin (Mulla Nasrudin, Hodscha Nasreddin) zu einer Legende im Orient und Indien (nicht nur für Muslime).

Die genannten Eigenschaften mittels drehenden Bewe-
gungen zu vertiefen oder gar zu erzeugen, das hört sich verdammt gut an. Moni ist begeistert. Das gefällt ihr wesentlich besser als das Durchdrehen, welches sie so kannte und offensichtlich die Menschen hin und wieder ertragen müssen.

Moni war früher einmal Bauherrin. Wer jemals ein Haus gebaut hat, weiß was hier für seltsame und Nerven zerfetzende Dinge geschehen können. Einfach so.
Nun, Moni hatte im Baugeschehen vielfältige Aufgaben neben ihrem Beruf, den Kindern, Oma und Opa, und dem Hund. Früher musste man die Maurer zum Beispiel auch beköstigen, man musste sie bei Laune halten, ihnen immer einen Kasten Bier hinstellen und am Abend das Geld auszahlen.
Monis damaliger Gatte, der Bauherr, hatte die Maurer-
brigade ausfindig gemacht. Die wären so gut und so preiswert. Dass sie absolut verfressen und am Abend mehr als nur angetütert waren, wusste er vorher auch nicht. „Das ist normal“, meinte er aber erklärend, als Moni leise zu mosern begann. Sie müsse das doch verstehen. Moni verstand es nicht. Sie war sowieso schon ziemlich am Ende.



„Ich dreh hier noch durch“, dachte Moni grimmig. Sie war aber so müde, dass kein Durchdrehen mehr möglich war. Es war schon spät und Moni saß im Sessel, war gerade ein wenig eingenickt als sich die Zimmertür schwungvoll auftat und einer der fetten Maurerkerle ächzend im Raume stand. Er rüttelte Moni unsanft und fragte mit schwerer Stimme, wo er hier mal ein Ei legen könne. Wirklich, genauso drückte er sich aus und er fand das sehr elegant formuliert. Moni sah ihn entsetzt mit weit aufgerissenen Augen an und schrie: „Hier nicht!“
Der Mann wich verdutzt zurück und zog die Tür hinter sich zu. Er war sich eigentlich keiner Schuld bewusst. Maurer haben kein ausgeprägtes Schuldgefühl, Handwerker eigentlich nie. Schuld sind immer die anderen Gewerke. Welche Laus der sonst immer so freundlichen und friedlichen Hausfrau wohl über die Leber gelaufen ist, fragte er sich verwundert.
Moni indes machte sich Sorgen über ihren unkontrollierten Ausbruch. Sie hatte einen Mann angeschrieen, der scheinbar nur ein harmloses menschliches Bedürfnis hatte. Nein, Moni wollte nicht durchdrehen. Sie vermeinte allerdings, es würde nun damit losgehen. Man muss etwas tun, dachte die besorgte Moni und urplötzlich fiel ihr ein, was sie über die tanzenden, sich drehenden Derwische gelesen hatte. Sie begab sich also in den hinteren Teil des großen Gartens, um es damit auch einmal zu versuchen. Drehen gegen Durchdrehen!
Und schon drehte sich Moni auf der Wiese wie ein Kreisel, erst langsam, dann immer schneller. Die erstaunte Schäferhündin eilte herbei und hoffte offensichtlich auf ein neues unterhaltsames Spiel. Sie umkreiste Moni kläffend. Moni drehte sich immer weiter. Auf einmal fiel sie einfach um und lag fast atemlos auf der Wiese, über ihr der Mond und die Sterne. Ein wundervoller Anblick. Der Hund, schwer beunruhigt, leckte ihr einmal quer übers Gesicht, das brachte Moni wieder auf die Beine. Sie sah sich vorsichtig um, ob ihren Veitstanz jemand beobachtet haben könnte. Keiner war zu sehen, nur der Hund saß erwartungsvoll vor ihr.
Moni hatte sich gedreht, nicht durchgedreht, nur gedreht. Na gut, die unendliche Weisheit war dabei nicht über sie gekommen, aber ein wenig Poesie und Erleuchtung schon, denn sie hatte für einen Augenblick den Mond und die Sterne betrachtet, was sie sich schließlich lange nicht gegönnt hatte. Und sie würde nie wieder einen Maurer anschreien, wenn der nur Eierlegen will. Moni musste nun grinsen und begab sich langsam ins Haus. Der nächste Tag würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Nein, Durchdrehen würde Moni gewiss nicht. Sie hatte eine Alternative entdeckt, wahrlich ein bisschen verrückt ausschauend, falls es denn zufällig jemand beobachten würde, aber man kommt paradoxerweise so ganz gut zur Besinnung und die Hunde freuen sich sogar darüber.

Impressum

Texte: Titelblattcover und Zeichnung von Helga Siebecke
Tag der Veröffentlichung: 20.03.2009

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