Der Mittelpunkt
Moni denkt heute schon ein wenig verzweifelt darüber nach, worum geht es denn eigentlich in ihrem Leben? Was ist der verdammte Mittelpunkt? Nur das große Arbeiten, notwendiges Essen, das wenige Schlafen? Kein Urlaub, nie Freizeit, nie Selbstbesinnung! Wo bleibt dafür endlich ausreichend Zeitraum? Und was ist ausreichend?
Der Mensch muss regenerieren, um wieder voller Energie in den Kreislauf des Alltags zu tauchen. Moni weiß nicht, wie lange sie brauchen würde, um die Akkus wieder völlig aufzuladen. Sie war fast zehn Jahre eingespannt, fand keine Zeit Urlaub zu machen. Die Firma, so glaubte Moni, die Firma würde es nicht überleben, wenn sie nicht anwesend sei.
Moni grübelt und grübelt. Ihre Tage vergehen, immer angefüllt mit atemloser Hektik, in unverständlicher Schnelligkeit. Sie nimmt kaum den Wechsel der Stunden wahr und ehe sie es sich versieht, bricht die Nacht herein. Die Gedanken rekapitulieren die sich überschlagenden Ereignisse eines turbulenten Tages und ordnen neu für den nächsten.
Bestürzt stellt die arme Moni fest, dass nur ein Bruchteil dessen, was angeblich nötig wäre, geschafft ist und sinkt in einen traumlosen wenig erquickenden Schlaf, der sie für auch nicht merkbare Zeit aus der Wirklichkeit entführt. Tag für Tag! Woche für Woche!
Ja, sie hat keine finanzielle Not zu erleiden, muss die Mark nicht umdrehen, fürs Alter ist auch etwas angelegt aber das ist wohl noch weit weg, denkt Moni. „Wo bleibt die Gegenwart? Wo bleibe ich? Sie rinnt durch die Finger wie lockerer, feiner Sand. Ach, ja, die See, da müsste man mal hin.“ Moni runzelt die Stirn. Da hatte sie nun das Meer vor der Nase, aber sich am Strand aalen, ist nicht drin. Irgendetwas scheint nicht zu stimmen in diesem ihrem Leben.
Was ist falsch gelaufen? Die Gründung der Firma schien damals die einzige Möglichkeit zu sein, der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Man würde eine Existenz haben. Das war das Wichtigste. Die Familie muss leben. Die Kinder sollen nichts entbehren müssen. Der Junge ein Motorrad, das Mädchen ein kleines Auto, das Haus eine moderne Heizung, eine neue Ledercouch, endlich ein schönes Schlafzimmer. Geld für Urlaub wäre auch da. Nein, Urlaub geht nicht. Die Firma, die Firma, die Firma… „Mutti, es gibt noch mehr im Leben als die beknackte Firma!“ Moni nickt, doch sie hatte keine Zeit für das Andere. „Aber die Kinder haben recht“, denkt Moni laut.
Moni war nun Mitte vierzig aber sie kannte das Leben nicht. Sie wusste, was es heißt eine Firma zu leiten, nahm sie auch mit in den Schlaf. Das war ein Vierundzwanzig-
Stunden-Job, zwischendurch schnell zum Einkaufen, Wäsche, Garten, Opa und Oma, der Hund. Irgendetwas schleift dabei immer. Moni wird nicht mehr fertig, die Wellen beginnen über den Kopf zu schlagen.
„Ist es das, was man unter Leben versteht?“ Moni möchte diese Frage heraus schreien aber Moni schreit nie. Sie erfüllt leise alle Pflichten und funktioniert nur noch. Sie ist eine Moni-Maschine geworden.
So vergehen in unruhiger Rastlosigkeit die schönsten und kostbarsten Jahre im Hand umdrehen.
Moni überlegt fast zu spät und ein bisschen wehmütig werdend, was sie wohl in den Zeiten, in den unendlichen Jahren, die ein Opfer der Gedankenlosigkeit, der krank-
haften Hast des Alltages wurden, wohl versäumt haben mag.
Den Kreis zu verlassen, scheint unmöglich. Ein unsicht-
bares aber gnadenlos fesselndes und schier unzerreiß-
bares Band bindet an den grausamen Mittelpunkt, den wir Geldverdienen nennen…..
Nur ein paar Schritte...ach, ja schön wär es...
Texte: Bilder von Helga Siebecke
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2009
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