Monis Bücher
Moni hat schon manchmal darüber nachdenken müssen, was ihr persönliche Dinge bedeuten könnten, die sie eventuell im Fall einer Katastrophe verlieren würde. Muss man im Ernstfall sein Haus oder seine Wohnung verlassen, was würde sie wohl mitnehmen. Was hat wohl so viel Bedeutung, dass sie sich neben dem Allernotwendigsten damit abschleppen würde?
Moni liebte ihre Bücher, ihre Bilder, ihr Klavier. Doch davon kann man kaum etwas zusätzlich unter den Arm nehmen. Also das Klavier würde auf alle Fälle den Heldentod sterben müssen. Das arme Klavier! Nie kann man es mitnehmen und wenn, dann stöhnen alle, wollen extra belohnt werden und schütteln den Kopf. Man muss doch heutzutage wirklich kein Klavier haben. Es nimmt soviel Platz weg und stört vermutlich auch noch die Nachbarn, wenn einer darauf spielt.
Die vielen Bücher, Moni sah sich um, ja welches Buch wäre es wert mitgenommen zu werden? Jedes hatte eine eigene kleine Geschichte, manche sogar eine größere, manche waren besonders schön, andere besonders selten und dann gab es die, die wundervoll zu lesen waren, die pikanten und die zahlreichen Wissensbringer, von den eigenen, selbstverfassten Werken ganz zu schweigen. Sie waren die besonderen Lieblinge, denn in ihnen steckt mehr als Zeit.
In ihnen war Monis Leben verborgen, ihre Einstellungen zum Leben, fast alle Gedanken, die es wert waren, notiert zu werden, kurz der komplette Geist wohnte mit der guten Moniseele vereint in diesen Büchern. Das, was der Nachkommenschaft, der Nachwelt zu treuen Händen übergeben werden sollte, ob sie es nun wollten oder nicht.
Moni hatte in einem Forum lesen müssen, dass es Autoren gibt, die keinen Bezug zu ihren Werken haben. Die einfach so, etwas zu Papier bringen, ohne dass der Verfasser ein Gefühl dabei verschwendet. Sie stellen dieses Etwas in ein Forum, damit man es zerhacke. Bloß so, einfach weil’s spannend ist. Moni schüttelt sich. Das kam einem Tier-
versuch gleich.
Die Masse stürzt sich auf den Text und findet das eine Wort zu antiquiert, das andere völlig unpassend, kann mit dem Versmaß nichts anfangen, vermag nicht zwischen den Zeilen zu lesen, versteht nicht den kleinsten Gedanken des Poeten, kurz das Werk ist wenig oder gar nicht lesenswert, meint ein ganz Schlauer.
Der Autor gibt sich cool und verkündet, dass er’s wundervoll findet und die öffentliche Hinrichtung wäre sowieso gewollt. Er hätte schließlich mit dem Werk nichts gemein. Er schrieb es nur, was ja nichts zu bedeuten hätte.
Moni fasst sich an den Kopf und begreift es nicht. Wenn der Autor wenigstens dieses Werk unter Zwang geschrie-
ben hätte, so als Auftragswerk, um sein Leben damit zu finanzieren, dann würde Moni es verstehen. Aber völlig freiwillig seelenloses Zeug zu verfassen, um es anderen zum Fraße vorzuwerfen, das war zuviel für Moni. Lustig schwatzend gehen fast alle Forumteilnehmer darüber hinweg. Nein, einer hinterfragte schüchtern, die Antwort befriedigte kaum. Moni machte sich davon.
Sie streifte aufs Neue ihre Lieblinge mit einem sanften Blick und der Moni-Geist nebst Moni-Seele unternahmen wieder einen Ausflug. Man sah sie mit leuchtenden Augen Hand in Hand in den zahlreichen Bildern lustwandeln, die Moni in den letzten neun Jahren malte.
Was wird wohl aus ihnen? Moni musste seufzen, denn sie konnte sich gut vorstellen, was aus ihnen werden würde.
Die Riesenbilder, auch die kleinen, würden in der Kata-
strophe untergehen. Allesamt! Nicht eines würde Moni retten können. Ja, die Kinder, die Freundin hatten irgend-
wann einmal das eine oder andere zum Geschenk erhalten. Die würden überleben. Moni fand das nicht trostreich genug.
Und überhaupt, es wäre gar keine Katastrophe nötig, um sich ein schreckliches Ende ihrer Lieblinge auszumalen. Moni würde eines Tages sterben und dann käme alles ratzfatz in den Sperrmüll, in den Riesenreißwolf. Jawohl!
Moni musste plötzlich daran denken, wie sie ihre Ordner aus zehn Jahren Selbständigkeit zu entsorgen hatte. Es waren hunderte dicker, prall gefüllter Ordner, in denen 10 Jahre schwerster Arbeit steckten. Nein, der Inhalt war nicht erbaulich, alles andere als wunderschön, es waren Geschäftspapiere, Rechnungen, Kontoauszüge, das Übliche halt. Moni hatte zehn Jahre ihres Lebens zerschreddert. Bernd half ihr dabei, so war alles halb so schlimm. Aber schlimm war es.
Um die Bücher und Bilder werden sich die Kinder später kümmern müssen, ob sie dabei weinen würden, das weiß Moni nicht.
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Die Bücher würde man vielleicht aufteilen und die Familie würde sie im günstigsten Fall übernehmen. Aber lieben, nein lieben würde sie wahrscheinlich niemand. Ihr Geist würde verkümmern und sich ohne Monis Seele zu Tode langweilen. Ausflüge in die Bilderwelt wären ja nie mehr möglich. Moni schluckte, das war schon sehr traurig.
Aber vielleicht bliebe ein Restchen von Seele in dem einen oder anderen Buch erhalten und ein Urururenkel würde sie entdecken. Moni lächelte, das wäre wundervoll.
Tag der Veröffentlichung: 16.02.2009
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