Cover

Vorwort



Dieses Buch schrieb ich für Bernd. Er ist mein Partner, mein Mann. Wir leben jetzt zusammen. Bernd hat mich angeregt, über diese Zeit meines Lebens zu schreiben. So ist das vorliegende Werk entstanden. Es ist authentisch, zumin-
dest aus meiner Sicht, denn ich bin der Mittelpunkt. Das klingt nicht sehr bescheiden, aber es ist mein Leben und mein Blickwinkel. Ich habe die Geschehnisse so in meiner Erinnerung und versuche sie einigermaßen objektiv wiederzugeben. Das war ein schwieriges Unterfangen, denn ich bin mit vielen Emotionen involviert. Es sind oft nur Streifzüge, Gedankenfetzen, Episoden, die an mir während des Schreibprozesses vorüber zogen. Immer wieder erfassten mich Gefühle wie Wut, Hass, Verzweiflung, Enttäuschung aber auch Mitleid, deshalb ist ein Buch entstanden, welches Fragen aufwerfen könnte. Ich hatte viele und fand leider nicht immer eine plausible Antwort. Man darf natürlich nicht vergessen, dass auch vor diesem Jahrzehnt ein Leben stattfand, selbstverständlich und zum Glück auch eines danach. So ist die beschriebene Etappe nur ein Meilenstein in der Mitte des Weges, allerdings ein bedeutender, ein prägender. Die Ereignisse sind durch ihre folgenschweren Konsequenzen weder locker noch leicht zu beschreiben gewesen. Es war Arbeit, schwere Arbeit, dennoch fühle ich mich nun, da ich es geschafft habe dieses Buch zu vollenden, seltsam erleichtert.



1. Auszug


Die Wende hat jeden bewegt, ob er wollte oder nicht. Jedes Mal wenn ich früher einen Anfang finden musste, ihn schließlich auch fand, entwickelte sich allmählich der Alltag wieder wie gewohnt, zumindest der berufliche. Alles geordnet, gelenkt und überschaubar. Der Beruf, die Arbeit, auch der Feierabend war stets beherrschbar, eindeutig und klar, wiederkehrend, unspektakulär. Leidenschaftslos verrichtete ich die notwendigen Tätigkeiten, die meinem Stellenprofil zukamen und ebenso emotionslos versuchte ich als Hausfrau und Mutter meine Pflichten zu erfüllen. Was nicht bedeutete, dass ich meine beiden Kinder nicht liebte. Sie waren das Einzige, was ich wirklich liebte. Doch mehr als die allumfassende Pflichterfüllung war nicht drin, mehr war von mir nicht zu erwarten, mehr stand auch nicht auf dem Plan. Es war offensichtlich auch nicht mehr herauszuholen. Ich hatte das Gefühl, damit hätte ich allen alles gegeben. Doch ich hatte etwas ganz Wesentliches vergessen: mich. Ich wusste es bloß noch nicht. Die Familie schien über Jahre zufrieden gestellt zu sein. Nein, Vorwürfe gab es nicht. Alles schien vordergründig normal zu sein. So wie in allen Familien halt. So lebt man, dachte ich. So ist es in Ordnung.
Es gab aber dennoch hin und wieder seltene, seltsame Momente, in denen ich nachsann, ob es nun immer so weiterginge und ob ich auch so grau und gleichgültig irgendwann mein Leben beschließen würde. Ich kam dann immer zu dem bedrückenden Ergebnis, dass dies mit Sicherheit so käme und somit mein Dasein eigentlich komplett sinnlos wäre. Ich tröstete mich aber meist rasch wieder, erinnerte mich daran, dass da ja noch meine Kinder seien, sie würden der Sinn des Lebens sein; der einzige Sinn meines beschissenen Lebens. Mein Ehemann bedeutet mir nichts, unsere Seelen hatten sich nie berührt. Ich bin nur aus heute unverständlichen und schwer nachvollziehbaren so genannten Vernunftgründen in diesen Ehestand getreten. Ich wollte einen Vater für mein Kind aus erster Ehe und strebte nach erduldetem Leid, geordnete Verhältnisse an. Die hatte ich nun. Es gab kein Leid, keine Not, keine Aufregung (nur die übliche, stink-
normale). Es herrschten Frieden, Ruhe, Ordnung, gesicherte Verhältnisse…offensichtlich lebte ich in einer heilen Welt. Was will man mehr? Ich hatte viel Arbeit und es waren Menschen um mich, aber mein Herz war einsam und meine Seele langweilte sich fast zu Tode, denn sie war nicht von Träumen umfangen, fand keinerlei Beachtung. Kein Wunsch klopfte in dieser Zeit an ihre Tür. Irgendwann nehmen Seelen eine derartige Missachtung übel, ich war mir dessen nicht bewusst. Mein Stumpfsinn war mir nur in diesen spärlichen Augenblicken klar, die mich über meine Situation und vor allem über die Perspektiven nachdenken ließen. Meine Gedanken gerieten hier stets in einen lächerlichen Kreistanz. Resignierend bin ich somit schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen, sie lenkte perfekt von den kleinen, armseligen Versuchen meines Unterbewusstseins, mich aufrütteln zu wollen, ab. Alle erbärmlichen diesbezüglichen Versuche misslangen gründlich. Ich hielt aus, wegen der Kinder, wegen der ordentlichen Verhältnisse, aus Trägheit, eventuell auch aus Furcht vor erneuter Veränderung. Ich weiß nicht warum noch. Vielleicht auch weil ich mich nicht durchgängig unglücklich fühlte, der Leidensdruck nicht hoch genug war, mir schien bloß manchmal, dass etwas Entscheidendes fehlen würde. Was es allerdings sein könnte, war für mich damals nicht erkennbar und ich bemühte mich leider nicht, es herauszufinden. Das war ein schwerer Fehler. Ich schob vor, keine Zeit für derlei Grillen zu haben. Vielleicht war ich zu jung, um über mich selbst tiefgründig nach zu denken oder mir fehlte die dafür erforderliche Reife. Ich dachte nicht viel über mich nach, eigentlich fast nie. Ich nahm die Entwicklungen einfach an und versuchte das Beste daraus zu machen, arrangierte mich und ließ mich mit Pflichterfüllung betäuben. Die Politik interessierte mich nur am Rande, die wirtschaftliche Lage des Landes bewegte mich nur im Rahmen der notwendigen Beschaffungsmaßnahmen für die Familie und da gab es viele. Alles war unabänderlich, nichts beeinflussbar und da ich mit einem früher gestellten, zwar schon lange zurückgezogenen Ausreiseantrag im Rucksack leben musste, stand ich mit Sicherheit unter strammer Beobachtung. Man wusste das irgendwie, versuchte es aber zu ignorieren. Wer auch immer diese Aufgabe zu übernehmen hatte, ist mir bis zum heutigen Tag nicht bekannt. Es ist mir im Übrigen auch sehr egal.
Ich hatte mich also zurück zu halten, musste unauffällig leben, um niemandem zu schaden. Das wusste ich und genau dies tat ich. Ich hielt dies nicht für ein Opfer. Ich äußerte also in der Öffentlichkeit keine Meinungen, widmete mich nur den unverfänglichen Alltagsaufgaben. Ich wollte kein Revoluzzer sein und nur in Ruhe gelassen werden.
Wahrscheinlich wusste ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht, was ich wollte, was mir tatsächlich Erfüllung geben könnte, was meine Gefühlswelt positiv inspirieren würde. Dafür fehlte der geeignete Partner aber ich kam nicht drauf. Ich war wohl schon irgendwie tot oder lag zumindest im geistigen Koma. Nur ich merkte nichts und alle Menschen um mich herum scheinbar eben sowenig. Jedenfalls sprachen wir zum Beispiel nie über den Sinn des Lebens. Wir redeten über das Wetter, den Garten, das Haus und den Hund. Wir fragten uns, was wir essen wollen und welche Zensuren dieses Jahr die Zeugnisse der Kinder zieren würden. Wir sprachen nie über die Träume im Leben, über die fehlende Liebe, über die Dinge außerhalb von Arbeit und Haushalt; als wenn es sie nicht gäbe. Über heimliche Wünsche fiel kein Wort. Hatten wir keine? Die scheinbar endlose Zeit der Gleichgültigkeit hielt uns gefangen. Das Perfide war nur, dass wir uns nicht als gleichgültig oder abgestumpft empfanden, jedenfalls nicht immer, denn der Alltag hatte große Macht.
Der Gleichgültigkeit haftet ein sehr unangenehmer und damit furchtbar negativer Touch an, wer will dies schon bewusst für sich in Anspruch nehmen. Gewöhnlich weist man dies weit von sich.
In freien Minuten saß ich mitunter ganz still da und starrte die sprichwörtlichen Löcher in die Luft. Merkwürdiger Weise befiel mich kein Gedanke, an meiner emotionslosen Situation etwas zu ändern. Ich weiß nicht mehr, was mir in diesen Momenten durch den Kopf ging. Wahrscheinlich nichts, eine Leere, die man als berufstätige Frau und Mutter in den wenigen arbeitsfreien Zeiten als Erholung empfindet. Man versucht sich zu entspannen, zu regenerieren und dann geht es weiter, denn die Familie schreit Hunger. Manchmal freute ich mich über frisch gemähte Rasenflächen, lachte oder schimpfte über die kleinen Streiche der Kinder und über den Hund. Der Hund brachte mich oft zum Lachen oder aber auch in Rage. Er kam an, legte seinen Kopf auf meinen Schoß und sah mich an, war glücklich gestreichelt zu werden. Tiere sind so unbekümmert und genügsam, sie sind imstande zu genießen, selbst die allerkleinste Streicheleinheit.
Die Nachrichten über politische Unruhen in Sachsen und Auswanderungsströme über Ungarn häuften sich. Man munkelte eine Menge und schaute ungläubig den Fernsehübertragungen zu, bis es hieß, die Grenzen seien geöffnet. Die Wende nahm ihren Lauf. Ich war weder euphorisch noch anderweitig hysterisch, ich lies die Dinge auf mich zu kommen, fast in Ruhe. Es klingt unglaublich, aber ich verrichtete mein Tagwerk wie immer, bis ich entlassen wurde, was meinen Lebensrhythmus erheblich veränderte….


2. Auszug


Mein Mann entschloss sich, nun auch mit Autos handeln zu wollen, zunächst auf Kommissionsbasis. Das Taxigeschäft könne man so nebenbei weiter betreiben, meinte er. So ganz nebenbei hatte ich ihm bis dato auch die Buchführung erledigt, eine Steuerberaterin zeigte mir die Vorschriften. Ein Entgelt für diese Tätigkeit räumte ich mir nicht ein. Mein Mann war immer der Auffassung, dass ich alles so nebenbei bewältigen könne. Ich würde für das Kleine und für das bisschen Haushalt zuständig sein und er halt für das Große. Er wäre der Planer, der Initiator, der Mann, der die Weichen stellt. Das wäre so im Geschäftsleben, schließlich hätte er sich selbständig gemacht und er würde als Unternehmer nun im Handelsregister eingetragen sein. Das war absolut richtig. Ich glaube, er fühlte sich in dieser Rolle sehr wohl und erhielt dadurch einen gewaltigen Auftrieb. Anfangs hielt ich seine Euphorie durchaus für positiv und ohne seine Initiativen hätte sich alles ganz bestimmt in andere Richtungen bewegt. Somit bestimmte er auch gewissermaßen meine Entfaltung, auf diesem Gebiet zumindest. Zunächst schickte ich mich in die Rolle der kleinen Ameise, die nur ausführt und nicht mitbestimmt, die mühsam jedoch aufmerksam lernt und dies auch so ganz nebenbei. Wir hatten genug Geld zum Leben, unsere Konten waren gut gefüllt. Doch ich wachte misstrauisch über alle Ausgaben, wir gönnten uns keinen Urlaub mehr und auch andere Extravaganzen nicht. Es wurde gearbeitet, das kannte ich. Es gab keine Theaterbesuche, kein Kino, keine neue Garderobe oder gar Schmuck, keine Restau-
rantbesuche. Nichts. Die Kinder erhielten, was sie benötigten. Sie sollten nichts entbehren. Zeit hatte ich für sie höchst selten, wenn ich mich auch bemühte, für sie Ansprechpartner und Vertrauensperson zu bleiben. Die Kinder lebten ihr Leben, erhielten Klavierunterricht, hatten Freunde, nahmen an Tanzstunden teil, gingen zum Sport. Dann waren noch Opa und Oma im Haus. Sie hatten für meinen Sohn und meine Tochter bei Bedarf Zeit.
Ich widmete mich den Ideen meines Mannes, denn alles was behördenseitig, verwaltungstechnisch zu regeln war, lag bei mir. Versicherungen, Banken, Genehmigungen, Werbemaßnahmen, Meldungen, Fördermittel, da gab es viel und täglich flatterten neue Anregungen und Hinweise ins Haus. Ich wollte alles richtig machen. Mein Mann vermittelte den Verkauf von Gebrauchtwagen, die nun zugweise (immer acht Stück auf einem Transporter) geliefert wurden. Für die Taxifahrerei war keine Zeit mehr, wir stellten eine Taxifahrerin ein. Meine ehemalige Arbeitskollegin von der LPG bewarb sich um diese Stelle, denn sie war inzwischen auch gefeuert. Christine war eine gute und resolute Mitarbeiterin, verlässlich und ehrlich und sie kannte sich in der Region aus, fuhr Auto wie ein Mann, konnte sich auch notfalls zur Wehr setzen. Das war sogar mitunter nötig.
Wir hatten in unserem Haus unten im ausgebauten Keller ein Büro eingerichtet. Dort saß ich nun viele Stunden und brütete über den Büchern, studierte die zahlreichen Formulare, telefonierte mit Gott und der Welt, um Antworten zu erhalten. Wir hatten uns inzwischen eine kleine Telefonanlage kaufen müssen, eine Funkanlage für das Auto und ich brauchte eine Schreibmaschine, Rechner, Kopierer und immer mehr Ordner. Mit dem Beginn des Autohandels, schon kurz nach der Währungsunion ging es los, änderte sich schlagartig alles.
Mir wurde nun vom Arbeitsamt eine Stelle in einer Versicherung angeboten, ich konnte sie nicht annehmen, denn dann wäre meine Mitarbeit beim Autohandel zeitlich nicht mehr drin. Damit war klar, dass ich mich ebenfalls als Angestellte im Autohandel meines Mannes registrieren lassen musste und zwar mit allen Konsequenzen, die da Arbeitsvertrag und Gehaltsabrechnung heißen. Es ging nicht anders, ich musste mich so einbringen, sonst würde ziemlich schnell alles wieder den Bach hinunter laufen, dachte ich. Mein Mann würde es ohne mich nicht packen, es würde ihm unweigerlich aus dem Ruder laufen, denn seine kaufmännischen Fähigkeiten waren sehr bescheiden, eigentlich hatte er gar keine. Ich fühlte mich verpflichtet aber dies nicht nur, es begann mich zu interessieren und mir auch Spaß zu machen. Alles entwickelte sich rasant, langes Grübeln und Abwägen, ein sich Konsultieren (mit wem auch, es gab niemanden) war kaum oder gar nicht möglich. Wir waren im Strudel und mussten gegenhalten, Halbherzigkeiten oder das Aufhalten von Hintertüren, lagen nicht im Bereich der Realität. Es hieß gnadenlos: Alles oder Nichts! Mein Mann hatte für sich sowie schon entschieden, diesen Weg zu gehen, ich hätte vorher noch eine Chance gehabt, auszuscheren und hätte die Stelle bei der Versicherung annehmen können. Das wäre durchaus vernünftig und hätte mir viel Leid erspart. Ich habe mich aber für den Autohandel entschieden, für den Familien-
betrieb, für das Abenteuer, wider jegliche Vernunft. Vermutlich wollte ich nicht mehr nur vernünftig sein, ich wollte Schwung in mein Leben bringen, wollte frische Luft schnuppern, zu viele Jahre war alles vorhersehbar und mehr als langweilig, grau und unansehnlich. Meine Ehe war eine völlige Farce. Ich hatte viel zu lange keine Höhe-
punkte mehr zu erwarten. So war der Zeitpunkt auch für eine persönliche ganz private Wende gekommen. Natürlich beabsichtigte ich weder Fremdzugehen noch die Gesetze zu verletzen, ich wollte nur die ausgetretenen Pfade verlas-
sen, etwas wagen und vielleicht auch gewinnen, was auch immer. Ich wollte mir beweisen, dass ich das kann. Meine Kinder sollten stolz auf ihre mutige Mutter sein, die es wagte, unbekanntes Pflaster zu betreten, die sich auch durchzusetzen vermag und dies mit Kompetenz und Fleiß. Ja, diesen Ehrgeiz hatte ich nun, was für mich auch neu war. Ich hatte nämlich über viele Jahre keinerlei Ehrgeiz mehr. Plötzlich war da wieder etwas, ich entwickelte Gefühle und sie sprachen sich deutlich für den geschäftlichen Weg aus. Sie warnten mich nicht, nein sie beflügelten meine Entscheidungen, sie begleiteten nun mein Handeln. Ich brachte Gefühle in das Geschäftsleben. …


3. Auszug


So, dachte ich, da verkündet er also meine Ideen als die seinen. Das fing ja gut an. Ich werde wieder untergebuttert. Bei nächster Gelegenheit sprach ich dieses Thema an und äußerte meinen Unmut…mit wenig Erfolg. Wir stritten uns, mehr nicht. Das Sprechen mit den Leuten wäre sehr wichtig und er wüsste, was man sagen dürfe und was nicht und im Übrigen solle ich mich da raushalten. Dies wäre nicht meine Aufgabe. Mach deine Buchhaltung und spar dir deine Einschätzungen, ich wäre nicht der Unternehmer, er würde die Verantwortung tragen. So, damit hatte ich mein Fett weg. Gut gebrüllt Löwe, dachte ich und verlies das Zimmer. Denkt er vielleicht, wir wären hier auf dem Kasernenhof und ich würde stramm stehen, wenn mir lautstark die Wacht angesagt wird. Ich wollte außerdem keinen Zoff und in Ruhe die Probleme klären und arbeiten. Natürlich stellte ich mir vor, dass mein Partner ähnlich denkt und sich entsprechend verhält. Mein Mann war immer sehr selbstbewusst und von sich furchtbar eingenommen. Er glaubte stets alles richtig zu machen. Fehler gestand er nie ein. Er war die Respektsperson und setzte sich entsprechend lautstark in Szene, schob sich gerne in den Vordergrund. Man erwarte dies von einem Unternehmer.
Ja, ja aber die Kompetenz darf niemals fehlen. Das war immer mein Anliegen und Streben. Schaumschlagen hilft nie auf Dauer…

4. Auszug


Es war entwürdigend und in dem Moment hasste ich ihn, weil ich mich seinetwegen so mies fühlte. Immer drehte er den Spieß um, immer war ich der eigentliche Sündenbock und unfähig mit meinem Leben fertig zu werden. Dabei war es doch unser Leben, unsere Probleme und unsere Familie. Offensichtlich betrachtete er sich als nicht zugehörig. Irgendwie schien er damit nicht ganz unrecht zu haben. Er hatte sich über die Jahre selber ins Abseits manövriert. Das Autohaus konnte daran nichts ändern. Vielleicht glaubte er anfangs, es würden auch die Familienprobleme zu lösen sein, wenn denn die Geschäfte so gut liefen. Man würde ihn nun plötzlich deshalb anerkennen und lieben, ja fast verehren wie einen König. Nein, das gemeinsame Geschäft rettete rein gar nichts. Es fesselte mich und ihn immer mehr in ganz subtiler Weise, denn wir waren erfolgreich, unverschämt erfolgreich und wir sahen dieses Autohaus als einzige Möglichkeit nach der Wende unsere Existenz auf Dauer zu sichern, jeder für sich. Nur schweißte es uns als Paar nicht zusammen. Es zeigte jeden Tag drastischer wie weit wir voneinander entfernt waren. Ich hätte fliehen sollen, aber wohin? Da war mein stures Wesen, mein Pflichtbewusstsein, meine Ängstlichkeit, mich privat zu verändern. Ja, und eigentlich machte mir die Arbeit im Autohaus immer großen Spaß. Die Kinder waren noch nicht selbständig, sie brauchten mich, sagte ich mir und mit dem Kredit würde ich mich sowieso nie davonstehlen können. Ich musste einfach durch und kämpfen auch wenn das Leben privat versaut war. Zu diesem Schluss kam ich….


5. Auszug


Wir sprachen nie über unser Inneres, wir waren nicht daran interessiert. Alles wurde verdrängt, ignoriert, dem Tagesproblem untergeordnet und das Tagesproblem war immer riesig. Es lies keinerlei Raum und ein Wille dagegen anzugehen war bei uns beiden nicht vorhanden. Wir hatten die Partnerschaft, die Ehe, die normale Familie schon lange aufgegeben. Es gab nur eines, immer nur eines: Das Autohaus. Nun würde ein zweiter Moloch dazukommen. Er war verrückt und ich war es auch. Die Intensität dieser Verrücktheit sollte noch zunehmen. Das Leben ging an uns vorüber, wir waren im Strudel und versuchten uns in diesem rasenden Kreis zurechtzufinden, jeder auf seine Weise. Man hätte sich aneinander festhalten können, aber das wollten wir ja nicht. Es funktionierte nicht, also kämpfte jeder allein. Man sagt, jeder wäre sich selbst der Nächste. Das ist ein Spruch, er klingt hässlich und sehr egoistisch. Aber er ist wahr. Ach, hätte ich mich doch noch viel mehr daran gehalten. Ich hatte Möglichkeiten, Vorsorge zu treffen, ganz legal wäre es mir gelungen, für Notzeiten vorzubeugen. Die aller einfachste Regel berücksichtigte ich nicht. Ich beutete mich nur ständig aus, räumte mir kein angemessenes Gehalt ein, sparte um neu zu investieren. Unmöglich. Das ist eine Mentalität, die vielleicht normal sein mag, wahrscheinlich halten es viele so und gehen dann aber auch irgendwann baden. Doch sie zeugt von wenig Klugheit, von wenig Professionalität. Sie ist gefährlich in ihrer Kurzsichtigkeit und offenbart nur naiven Zweckoptimismus, was das künftige Wohlergehen der eigenen Firma anbelangt. Über diese Dinge denkt man aber immer erst nach, wenn es zu spät ist….

6. Auszug


Mein Mann hatte sich mit der gesamten Familie entzweit und nahm kaum teil, an dem was zu Hause geschah. Er war wie ein Fremder im eigenen Haus, obwohl ihm niemand etwas zu leide tat. Im Sommer fuhr er zumeist mit seinem Boot auf den See und schlief vermutlich auch auf ihm in der Kajüte. Im Herbst und Winter saß er nur vor dem Fernseher oder kam zwei bis dreimal in der Woche, später fast jeden Tag, in der Nacht heim. Ich hörte dies und bemerkte auch seinen Zustand. Er trank.
Als ich ihn einmal fragte, ob alles in Ordnung sei, ob ihm die Arbeit in Greifswald noch Spaß machen würde oder ob es Sorgen gäbe, sagte er nur, dass ich nicht schon wieder beginnen solle, mich einzumischen, alles würde gut laufen. Ich zuckte zurück und sagte nur, dass es mich nur interessieren würde, weil ich ja sehe, dass er fast täglich erst nachts nach Hause käme. Vielleicht könne ich irgendwie helfen. Nein, er brauche meine Hilfe nicht. Es hätte alles seine Ordnung. Also gut, dachte ich, dann eben nicht. Kommunikation ist nicht gewünscht, beschloss aber mich doch vorsichtig mit Herrn Eichstädt zu unterhalten. Mir ist auch aufgefallen, dass der Firmensekt stark abgenommen hatte….

6. Auszug


„Hoffentlich kann ich das auch immer und hoffentlich bleibe ich gesund?“, fragte ich mich unsicher. Lange an mir zweifeln konnte ich nicht, denn ich war in der Mühle und es kam mir so vor, als würde ich zwischen den Mühlsteinen ganz langsam, quasi im Zeitlupentempo zerrieben werden. Nur sehen und erkennen durfte dies kein anderer. Meine verdammte Aufgabe war es, Zuversicht auszustrahlen, immer die ruhige, besonnene und wenn es geht auch clevere Geschäftsfrau zu sein. Ich musste mit meinem Vorbild, alle bei Laune halten, stets die Mannschaft mit Autorität und Feingefühl nach vorne treiben, keinen Schlendrian zulassen aber auch für ein angenehmes Betriebsklima sorgen. Kurz, ich musste unbedingt erreichen, dass das Team auf meiner Seite war und in meinem Sinne handelte. Und in meinem Sinn stand nur und einzig allein: die Firma. Allerdings wollte ich dabei Mensch bleiben und nicht buchstäblich über Leichen gehen und ich würde Gesetzwidriges niemals zulassen. Ehrlich sollte alles zugehen. Wer nicht mitzog, würde auf der Strecke bleiben. Das heißt genauer, eine Trennung wäre unvermeidbar. Jeder wusste das und jeder respektierte mich und meine Firmenphilosophie. Nur mein Mann nicht, natürlich nicht. Sein Aufflackern oder Aufbegehren hatte keinen Erfolg oder allmählich immer weniger. Sicher sah er dies innerlich ein und trat nicht zuletzt deshalb den Rückzug an. Er erschien nur noch stundenweise am Arbeitsplatz, schlief wieder in seinem Büro am Schreibtisch sein Mittagsschläfchen, machte Rundgänge, trank Kaffee und schwatzte ein wenig mit den Leuten, dann verduftete er. Das war früher so und in Neubrandenburg wiederholte sich alles. Ich triezte ihn noch ein wenig mit der Vermietung des Obergeschosses und schließlich zog tatsächlich der Anglermensch mit seinem Shop ein. Zuvor mussten wir allerdings noch etliche Umbauten veranlassen, die von Manni beaufsichtigt wurden. Danach kam nicht mehr viel. Mein Mann zog sich aus dem Geschäft fast gänzlich zurück. Er erschien zum Geld fassen und zu den Events oder ganz sporadisch, um einmal nach dem Rechten zu schauen, wie er sagte. Mit den Verkäufern, die er stets selber einstellte, stritt er sich meistens, oft mit Recht. Doch er konnte den Leuten nichts beibringen, was man schnell mitbekam, somit wurde er nur belächelt. Das brachte meinen Mann zur Weißglut, gewöhnlich wurde er dann laut und unsachlich….

7. Auszug


Ich war heilfroh, dass mein Mann nun nicht mehr mit mir in einer Wohnung wohnte. Jetzt fühlte ich mich frei und in meiner Wohnung nach langer, langer Zeit wieder wohl. Das erste, was ich tat, war Putzen. Ich desinfizierte die ganze Wohnung, schäumte die Teppiche ein, putzte die Fenster, wusch die Gardinen und scheuerte im Bad die Fliesen, Toilette, Waschbecken. Ich wienerte wie geisteskrank die ganze Nacht, dann schlief ich am Sonntag wie eine Tote, um dann am Montag mit undurchdringlichem Gesicht wie immer und nach außen gänzlich unbeeindruckt wirkend, im Autohaus zu erscheinen.
Mein Mann hatte sich einen LKW gemietet und war mit einigen unserer Leute bei uns zu Hause aufgetaucht. Ich war ja zur Arbeit und nicht dabei…

8. Auszug


Eigentlich kamen wir nun allmählich aus der Ecke. Dachte ich. Falsch gedacht. Die Bank rief mich zum Gespräch und eröffnete mir, dass eine Krankenkasse, der ich für einen Monat die Beiträge schuldete, (ich hatte mich für dringende Materialeinkäufe entschieden und wollte die Beiträge nach den nächsten Fahrzeugverkäufen zahlen), unser Konto pfänden wollte. Das Konto wurde also gesperrt. Eine schreckliche Sache, denn dies war der Anfang vom Ende. Lange vorher hatte ich schon an den Grenzen meines Limits operiert und immer gerade so alle Hürden nehmen können. Jetzt war es passiert. Wir waren nicht mehr liquide. Es kam zu Rücklastschriften bei fälligen Fahrzeugen. Damit hatte ich den Händlervertrag verletzt und die Gegenseite war berechtigt, den Händlervertrag fristlos zu kündigen. Damit wäre alles aus. Man würde die Autos gnadenlos abholen. Ich musste Konkurs anmelden. Nichts half. Liquide muss eine Firma nun einmal bleiben. Da nützte eine Immobilie, deren Verkauf bevorstand, gar nichts. Man brachte keine Geduld mehr auf. Ich erhielt kein Vertrauen, der Prozess der betrieblichen Sanierung dauerte zu lange. Wenn die Bank auf Grund dessen die Kreditlinie auch nicht mehr aufstocken will und die Gläubiger nicht befriedigt werden können, dann ist nichts zu machen. Ich redete mit Engelszungen und bat um eine lächerliche Erhöhung. Ich wusste, dass nach dem Verkauf unseres Stammhauses alles ausgeglichen werden konnte. Nein, es ginge nicht. Der Vorstand hätte dazu einen eindeutigen Beschluss gefasst, sagte der Leiter der Kreditabteilung bedauernd und achselzuckend. Er könne nichts dafür. Ich hatte keine Chance mehr. Ich wollte dennoch einen letzten Versuch starten und bat deswegen um zwei Tage Aufschub…

8. Auszug


Erst nach mehr als einem Jahr erhielt ich das bewusste Schreiben, ich hatte die Geschichte fast vergessen. Es wurde also gegen mich Anklage erhoben, die Gerichtsverhandlung war anberaumt. Ich musste antreten und wurde verurteilt. Nein, einen Rechtsanwalt hatte ich nicht. Wozu? Ich würde für mich sprechen können. Mein Mann war auch geladen. Sein Rechtsanwalt wartete nervös auf seinen Mandanten. Der erschien nicht, warum wusste keiner. Ich wurde befragt, aber wir lebten nicht zusammen. Ich wusste nichts, kannte seine Anschrift nicht. Der Anwalt tuschelte mit der Richterin und verschwand. Nun, man würde die Verhandlung trotzdem führen. Ich wäre ja voll verantwortlich. Man verdonnerte mich, standrechtlich gewissermaßen. Ich erhielt ein Bußgeld von 3.600,-DM und die Kasse müsse ihre Forderungen zu pfänden versuchen. Die Schuld bleibe bis zur endgültigen Tilgung auf alle Fälle bestehen. Ja, ich könne auf Antrag die Strafe in kleinen Raten tilgen. Das ginge. Damit war ich entlassen. Das Urteil würde man mir zustellen. Die Verhandlung ist geschlossen. Die Richterin entschwand samt ihren Beisitzern. Auch der Staatsanwalt schwebte davon. Die nächste Verhandlung war in einer halben Stunde. Man konnte dies auf einer großen Tafel im Flur lesen. Bedrückt und betreten begab ich mich auf den Heimweg. Den Kopf hatte es ja nicht gekostet. Dennoch mit den Staatsgewalten wollte ich lieber nichts zu tun haben, wer will das schon. Ich fühlte mich erniedrigt, hatte ich doch wissentlich nichts Böses getan, wollte so lange wie es ginge den Leuten und natürlich auch mir nur den Arbeitsplatz erhalten. Nun, das zählt nicht. Wozu gibt es Gesetze? Man muss sie respektieren, wenn nicht und man lässt sich erwischen, dann heißt es bluten. Irgendwie kam ich mir wieder sehr dämlich vor. Andere sind immer schlauer, sie kommen davon. Na ja, nicht alle, wenn man dem Kommissar glauben darf. Ich zahlte also brav von meinem mageren Einkommen, welches ja glücklicherweise nicht gepfändet wurde, die Raten…


9. Auszug


Das Gute bestand darin, dass der neue Eigentümer unsere Marke übernehmen wollte und vielleicht sogar auch alle Mitarbeiter. Man möge sich bewerben, hieß es. In einem Gespräch unter vier Augen sagte er mir, dieser neue große Chef, der Stern aller Banken und Stadtväter, dass ich selbstverständlich als Geschäftsführerin mit einem vernünftigen Gehalt nach Geschäftseröffnung übernommen werde, wenn ich denn will. Ich wollte. Was blieb mir, ich hätte keine andere Anstellung bekommen und eine bessere sicher auch nicht. Ich würde derselben Tätigkeit nur im Angestelltenverhältnis nachgehen, ohne die Verantwortung eines selbständigen Unternehmers, was eigentlich ein Segen war, denn zuvor hatte ich bereits Albträume, oder konnte nur ganz sporadisch ganz wenig Schlaf finden. An normales Essen war auch nicht mehr zu denken. Ich war fix und fertig und total überdreht, ich stand kurz vor dem Burnout. Eine gefährliche Situation, das erkannte ich, So war ich froh, dass der Neue mich übernahm, auch wenn er mich und meine Firma wahrscheinlich mit List und Tücke, Kraft seiner Wassersuppe gerade gefressen hatte. Ich würde ihm noch schwer im Magen liegen. Aber das wusste ich damals noch nicht.
Er saß mir als junger, dynamischer Wessiunternehmer strahlend und selbstsicher gegenüber und zeigte mir nach unserem Gespräch und meiner vorbehaltlich gegebenen Zusage (schließlich wollte ich ja erst einmal den Arbeitsvertrag sehen), seine Geschäftsräume und seinen neuen gewaltigen Recyclingbetrieb. Er hatte ihn für einen Appel und dem sprichwörtlichen Ei erstanden. Das konnte ich mir lebhaft vorstellen. Diese Gebäude und Hallen, waren ganz früher mein ehemaliger Betrieb, in dem ich allerdings unter ganz anderer Herrschaft meinem Job nachging. Die Firma war nun platt und stand dementsprechend günstig zum Verkauf, tausende Menschen hatten ihre Arbeit verloren….

10. Auszug


Ich fühlte mich elend, sehr elend und schrecklich hilflos, meine Ängste wuchsen und wuchsen. Der Ort schien verflucht und gab sich doch so harmlos. Ich wanderte durch den großen Garten. Meine Bäume hatten sich gut entwickelt, in meinem kleinen Teich schwammen munter die roten Goldfische umher. Unsere Senta, meine gute Schäferhündin, trottete neben mir, ab und an streichelte ich ihr Fell. Die Katze beobachtete uns aus sicherer Entfernung. Sie schien in der Sonne zu blinzeln. Alles sah so friedvoll aus, so normal und schön. Die Dahlien waren dieses Jahr fast mannshoch und wundervoll in ihrer Blüte.
Eigentlich hätten wir hier alle so ruhig und fast unbeschwert leben können. Aber immer kam etwas dazwischen. Etwas Grausames.

Ich bin davongelaufen, oder besser gesagt, ich bin aufgebrochen, bin wieder aufgestanden, meine Mutter nahm ich mit. Nach uns die Sintflut.

Das Imperium meines letzten, ach so cleveren Chefs, ist irgendwann auch zusammengebrochen. Meine Conny ist in einem anderen Autohaus untergekommen. Sie ist eine starke, selbstbewusste und kluge Frau geworden. Meine vereinbarten Tantiemen musste ich mir aus der Ferne erkämpfen. Ich hatte aber einen rechtsverbindlichen Vertrag. Man zahlte zähneknirschend. Wenigstens dies hatte ich noch mitnehmen können. Ich muss leben.

Wir werden nun eine neue, viel bessere Welt erleben. Ich hatte ja so vieles gelernt, war gewappnet. Das dachte ich jedenfalls.
Unter dem Rasen ist oft Sand, selten gutes Bauland oder nur ertragreicher Mutterboden. Meistens Sand. Man muss besser aufpassen. Das ist schwierig. Nichts ist leicht. Das ist völlig normal.
Einfach nur Suchen.
Es gibt keine neue, bessere Welt. Es gibt nur die Hoffnung, nicht wieder alles nur auf Sand zu bauen.
Was aber geschehen wird, weiß keiner. Ich glaube, das ist verdammt gut.


Nachwort zu "Auf Sand gebaut"



Lame Deer, Medizinmann der Sioux, in seinem Buch TAHCA USHTE:
„Aber die wirkliche Vision kommt aus deinen eigenen Säften, und sie ist kein Traum, sie ist wirklich. Sie trifft dich scharf und klar wie ein Elektroschock. Du bist völlig wach und plötzlich steht eine Person neben dir, von der du sicher bist, dass sie nicht neben dir sein kann. Und trotzdem träumst Du nicht; deine Augen sind offen… Dafür musst du arbeiten und dein Gehirn leer machen.“
Helga Degner, 1950 in Berlin geboren, studierte nach unbeschwerter, elterlicher Erziehung Ingenieurökonomie in Freiberg in Sachsen und schloss ihr Studium als Dipl.-Ing.oec. mit herausragender Bewertung erfolgreich ab. Dort lernte sie auch - noch als Studentin - ihren ersten Mann und Vater ihrer Tochter kennen, von dem sie sich bald trennte. Sie übte dann die verschiedensten Berufe wie wissenschaftliche Assistentin, Disponentin, Gruppenleiterin in der Industrie und LPG-Angestellte aus. Lernte dann ihren zweiten Ehemann kennen, es folgte ein zweites Kind, ein Sohn. Scheinbar war alles im Lot, doch diese Idylle war jäh zu Ende…
Man muss schon hinter die Katastrophen blicken, um sich ihrer Persönlichkeit zu nähern.
Mit ihrem Buch „Auf Sand gebaut“ veröffentlicht sie nicht zum ersten Male Autobiographisches. Hier liefert sie nun eine faszinierende Lebensgeschichte, die ihre Zeit beschreibt und somit selbst ein Stück Zeitgeschichte geworden ist: Die Zeit nach der Wende ist gemeint, die Zeit des Aufbaus der optimistischen Bürger der ehemaligen DDR. Und Helga Degner ist mittendrin, denn die folgenden Jahre brachten große Veränderungen für sie, man kann schon von einer Revolution sprechen.
Ihre neu gefundene Heimat, ihre Ehe mit ihrem zweiten Mann, entsprach ihrer Liebe zum Leben. Sie war verheiratet, hatte zwei Kinder und war wie selbstverständlich berufstätig, stand ihre Frau als leitende Angestellte in der Industrie der DDR, nicht unbedingt im Fach ihres Studiums. Es galt eine Arbeit zu finden und Geld zu verdienen. Es war ihr selbstverständlich ihren pekuniären Teil zum Haushalt beizutragen. Doch dann kam die Wende, sie bedeutete im eigentlichen Sinne des Wortes einen völlig neuen Weg zu gehen. Und sie ging ihn, zusammen mit ihrem Mann und den Kindern und mit Verzicht auf Sicherheit und Bequemlichkeit, ignorierte alle Familienzwänge; sie stand auch in der neuen Herausforderung ihre Frau.
Helga Degner beschreibt in ungewöhnlich direkter, oft witziger Sprache ihr Leben. Erzählt eine Lebensgeschichte, die beispielhaft gerade für diese Zeit, gerade für diese Menschen und natürlich auch außergewöhnlich zugleich ist. Mit der Beschreibung der Anfänge, dem erfolgreichen Wachsen, der von ihr und ihrem Mann gegründeten Autofirma wird deutlich, wie aus einem Lachen angesichts der Apokalypse, ein Lachen jenseits der Verzweiflung, Erniedrigung und Niederlagen wird, wie einem Menschen seine verzweifelten und wenig tauglichen Befreiungsversuche in immer neue Konflikte münden. Denn wie programmiert, führt der Weg des gemeinsamen Unternehmens in ein Desaster. Doch der aufmerksame Leser kann nachvollziehen und begreifen wie die Dinge sich entwickeln, wie Dinge nach bestimmten Regeln ticken…
Schreibbesessen berichtet sie über ihre Rolle, die Rolle der Frau zu ihrer Zeit und versucht dem Leser verständlich zu machen, was passierte, wie sich etwas ereignen kann – scheinbar ohne eigenes Zutun. Und ihre selbst gemachten Erfahrungen, waren immer auch die Erfahrungen einer Gesellschaft in der ehemaligen DDR.
Wir betreten die Bühne verwirrt und wir verlassen sie am Ende verwirrt und doch aufgeklärt, wir haben etwas über den Menschen Helga Degner gelernt, der heilige Kreis ist nicht gebrochen; die Flamme brennt weiter. Sie beschreibt ihre Situation und verfällt niemals in Kälte oder Zynismus. Sie zeigt ihren großem Hunger nach immer mehr Leben.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.02.2009

Alle Rechte vorbehalten

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