Moni ist eine reife Frau. Also sie ist in dem entsprechenden Alter. Großzügig gesagt: zwischen 40 und 60. Sie wäre nun nicht mehr ganz jung aber auch noch nicht ganz alt, heißt es. Man darf also fast annehmen, dass so eine Frau noch zu allerhand nütze sein könnte und man sie schon deshalb noch braucht. Schön! Sehr schön! Nützlich zu sein ist gewiss nichts Schlechtes.
Nützlich sind auch ein Staublappen und ein Fußabtreter. Reife Frauen wollen allerdings weder das Eine noch das Andere mehr sein. Sie wünschten sich nun ganz andere Inhalte. Die Kinder meinten, sie wäre doch Oma. Das sei eigentlich das Größte. Moni verzieht bei derartigen Gesprächswendungen keine Miene.
Sie hat anderes im Sinn und verfasst etwas später ein kleines Gedicht zum Thema:
Das Muttertier
Es hüpft von Ast zu Ast
Schleppt geduldig jede Last
Ist mal Tiger, Affe und auch Gans
Immer Kopf und auch mal Schwanz
Und wenn ein Kindlein lauthals brüllt,
ist es da mit seiner Brust und stillt.
Das Muttertier Ist dort und hier
Für alles da, auch für das Bier
Bis dass die Brut das Weite sucht,
was es als Erfolg verbucht.
Hoch die Beine, jetzt komm ich
Denkt es freudig so für sich,
doch schon klopft’s wieder an die Tür
die Kindeskinder woll’n ein Omatier
Doch Muttertier ganz ungeniert
ist plötzlich hin zum Mensch mutiert.
Aber was könnte dieses Reifsein sonst noch so zu bedeuten haben?
Moni ist ein wenig besorgt, denn wenn man sich als „reife Frau“ so mit reifem Obst vergleicht, was sicher immer gerne als Vergleich hergenommen wird, dann scheint die Sache brenzlig werden zu können. Das reife Obst, wenn es denn nicht sorgsam gepflückt wird, fällt ja irgendwann, des Hängens müde, plötzlich vom Baum und das ist schmerzhaft, stellt sich Moni vor. Es bekommt ganz bestimmt Stellen und der Fäulnisprozess setzt unmittelbar ein. Die Maden kommen. Moni schüttelt sich.
Unter dem Aspekt betrachtet, ist die gute Moni sich gar nicht mehr sicher, dass sie eine reife Frau sein möchte. Aber gibt es hier noch ein Wollen oder Nichtwollen? Man ist es einfach und basta. Schönreden hilft auch nicht. Manche sagen ja, dass da auch Erfahrung sei und sie könne schließlich auf ein erfülltes Leben zurückblicken, womit noch nicht über die Inhalte der „Erfüllung“ gesprochen wurde.
Moni seufzt. Auf viele Erfahrungen hätte sie liebend gerne verzichtet und wäre auch deshalb gerne weniger reif. Aber reif ist reif. Noch schlimmer wird es, wenn man es sieht. Also richtig sieht. Dann ist man wohl überreif, denkt Moni, und stellt sich vor, wie mutschig so eine überreife Frucht schmeckt. Sie schüttelt sich. Eigentlich wirft man überreife Früchte nach dem ersten Biss schon in die Tonne, wenn man denn überhaupt noch einmal anbeißt. Allenfalls taugen sie noch zum durch die flotte Lotte drehen, um als Mus genießbar zu werden. Oder man entsaftet sie vollends. Die ausgelutschten Früchte kommen auf den Kompost, um dort zu Humus zu werden. Ja, und anschließend geht’s wieder von vorne los. Aus einem Kern entwickelt sich ein Hälmchen, ein Bäumchen, ein Früchtchen und schließlich eine reife Pflaume. Moni denkt noch: „schöne Aussichten!“ Sie schaut sich ohne Brille im Spiegel an, und kommt zu dem Schluss, dass bis zum Humuswerden noch viel Zeit vergehen würde und dass sie nun mit ihrer Reife ganz sicher noch so einige reife Leistungen abliefern wird, vielleicht würden darunter auch unausgereifte Produkte entstehen, entwicklungsfähige aber damit würde sie gut leben können.
und Tschüss!
Das letzte Blatt
Es hält noch tapfer fest, doch
ob es will oder auch nicht,
es wird gleich fliegen, schweben,
später langsam fallen.
So gehts allen.
Texte: Bilder von Helga Siebecke
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2009
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