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Wir begegneten uns und ich war sofort begeistert. Er gefiel mir sehr und ich ihm auch. Das ging schnell. Es gab keine Hemmungen, keine Hemmschwellen, wir schienen beide ausgehungert, fraßen uns förmlich gegenseitig auf. Es stimmte alles. Das heißt, die Sache hatte einen großen Haken, er weilte derzeit nur zum Urlaub an der Ostsee, sein Wohnort war siebenhundert Kilometer weiter südlich. Das würde auf eine Fernbeziehung hinauslaufen. Waren wir dem gewachsen? Würde nicht alles rasch wieder in ein Nichts zerfließen, denn wir hätten nur selten die Möglichkeit uns in die Arme zu schließen, wie sollte man sich so gut genug kennen lernen. Das war für uns beide eigenartigerweise kein Hindernisgrund, um es nicht wenigstens zu versuchen.

Wir bemerkten völlig übereinstimmend, dass wir wundervoll zusammen passten und der seltene Zufall einer solchen Begegnung den Versuch wert sein sollte. Ich hatte nichts zu verlieren und der Mann gefiel mir sehr, wir würden die Zeit haben, uns zu prüfen, dann würden sich auch Möglichkeiten erschließen lassen, die Wege zu einander zu finden. Wir trennten uns hochgradig zuversichtlich. Wir hatten uns gefunden, und waren glücklich, dass es den anderen überhaupt gibt.

Jeden Tag konnte ich fortan mit einem Mann sprechen, der mich zu verstehen schien, der mir zu hörte, der mir Mut machte. Er war sehr zärtlich zu mir, selbst über das Telefon spürte ich sein Verlangen, sein Interesse an mir. Er brachte mich zum Lachen und half mir, wenn ich ein Problem zu klären hatte, zu mindest hatte er einen brauchbaren Standpunkt, er war sehr klug, aber auch musikalisch, was ja an sich keinen Widerspruch darstellen dürfte, auch ein gewissenhafter Handwerker ( was für mich keine Bedeutung hätte, wenn da nicht diese überdimensionierte Gewissenhaftigkeit wäre, die mir zu schaffen machte, leider aber im negativen Sinne), ein arbeitsamer Mann, und er hatte durch seine Seefahrervergangenheit ein wenig von der Welt gesehen, bewegte sich durch seinen sehr freien und fast unabhängigen Job bei einer amerikanischen Firma souverän auf scheinbar sicherem auch internationalen Territorium, er prüfte Schiffsaggregate und erteilte Zertifikate oder eben auch nicht. Er war ein hervorragender und pedantischer Prüfer, ihm entging nicht der geringste Fehler. Ein kompetenter selbstbewusster Mann, in Fachkreisen sehr angesehen, ich war stolz, einen solchen Mann gefunden zu haben. Er war kein Angeber, kein Schaumschläger, er hatte viele Fähigkeiten. Das imponierte mir und ich glaubte ihm alles.

Wir telefonierten, besuchten uns alle sechs bis acht Wochen, verlebten Ostern, Weihnachten und den Urlaub gemeinsam. Ich hatte das Gefühl, er begleitete mich jede Minute meines Lebens, er wollte alles wissen, jeder meiner Atemzüge schien für ihn wichtig zu sein. Ich bemerkte manchmal leider Eifersucht aber empfand sie anfangs sogar als schmeichelhaft, wenn sie auch völlig unbegründet war, denn ich hatte nun nichts mehr anderes im Kopf als mit diesem Mann mein weiteres Leben verbringen zu wollen, ich wusste bloß noch nicht wie das zu bewerkstelligen sei.

Ich war sehr verliebt und ertrug die Zeiten der Trennung nur sehr schwer, war beseelt von dem Gedanken des nächsten Wiedersehens. Seine Anfälle von Misstrauen und Eifersucht, die mich zuweilen sehr verwunderten, ja auch vor den Kopf stießen, verdrängte ich, denn ich war mir keiner Schuld bewusst, der gestrenge Prüfer hatte sich geirrt, ich sah nicht anderen Männern nach, ich flirtete nicht und provozierte niemanden mit aufreizendem Benehmen. Ich machte mich nur für ihn schön, wollte nur ihm gefallen. Und ich gefiel ihm, daran ließ er keinen Zweifel, er verwöhnte mich in der körperlichen Liebe, er hatte Zeit für mich, jeden Tag, wenigstens für ein stundenlanges Gespräch. Seine Verdächtigungen waren mitunter schmerzlich, ich schluckte das, denn er war ein sehr guter Rhetoriker, er konnte mir das Wort im Munde umdrehen aber wir fanden meistens immer wieder zueinander.

Ich würde mein Outfit ein wenig ändern, wenn er es denn wollte, das würde ich sehr gerne tun. Ob ich eine Hose trug oder einen kurzen Rock, was bedeuten schon Klamotten. Ich würde meine Haare abschneiden und keinen Lippenstift mehr auflegen. Er liebte mich natürlich aussehend, nicht aufgestylt. Das war für mich absolut kein Problem, ich war es nur gewöhnt mich hübsch zu machen. Im Job wurde das von einer Geschäftsführerin erwartet. Ich empfand das nie als Provokation für andere Männer oder als so genannte „Anmache“. Ich dachte Attraktivität und deren dezente Unterstreichung ist für Männer und Frauen gleichermaßen legitim, ein nur all zu menschlicher Wunsch. Er sah darin nur den Trick der Frauen, das andere Geschlecht zu fangen.

Eine Marotte von ihm, dachte ich. Man kann darüber sprechen und er würde merken, dass damit keine Untreue verbunden ist. Eine Frau, auch ein Mann selbstverständlich, legt Wert auf sein Äußeres, um sich gut zu fühlen. Sich zu schmücken ist Lebenskultur, sie gibt uns Selbstbewusstsein. Das ist nichts Verwerfliches. Wir stellen uns unter anderem auch so dar, es ist fester Bestandteil unserer Persönlichkeit.
Wir führten über Ehrlichkeit, Moral, Vertrauen, Treue endlose Gespräche. Ich vertraute, ich öffnete mich, war gläsern, bereit alles zu geben. Ich hoffte und hoffte, glaubte an Nähe, verspürte sie auch zuweilen wie noch nie in meinem Leben. Manchmal schien sie wieder zu weichen, dann weinte ich heimlich, nur ganz heimlich unter der Decke. Ich wollte ihn nicht verlieren, hatte ich ihn doch nicht einmal gewonnen. Es war ein unglaubliches Gefühl, das Gefühl einen Mann zu lieben. Ich hatte es so lange entbehrt, glaubte jahrelang, dass ich es niemals wieder empfinden könnte und nun spürte ich meinen Körper, war inspiriert, hoffnungsvoll auch als Frau wieder existieren zu dürfen. Ich begann ihm dafür mein Herz zu schenken, mein heißes Herz. Er hat es zum Leben erweckt, denn es war total erkaltet, verkrustet, eigentlich völlig unfähig Liebe zu geben oder zu empfangen.

Trotz seines immer wieder ausbrechenden Misstrauens, seiner Eifersuchtsszenen hatte er in mir ein helles Licht angezündet. Ich war ein neuer Mensch geworden, eine lebendige Frau, die plötzlich erfahren durfte, dass es tatsächlich noch etwas anderes gibt als Autohausprobleme, die man mit ins Bett nehmen musste. Ich begehrte nun einen lebendigen, zärtlichen Mann in meinem Bett und das auf Dauer. Darüber hinaus wünschte ich Harmonie.
Dafür war ich bereit so ziemlich alles zu tun.

*

19. Traum




Ich knie auf Wolken, befinde mich dennoch im tiefen Wasser und fühle mich fast schicksalhaft mit einem Menschen verbunden, doch lange Seile aus viel tieferen Regionen lassen kein Zueinanderkommen zu. Meine Arme sind nicht vorhanden um die Seile zu kappen und dem anderen Menschen, dessen Gesicht ich nicht erkenne, scheint es ähnlich zu ergehen. Ihn fesseln noch mehr Taue an den Untergrund. Um uns herum sind bestürzte Gesichter zu erkennen, die aber nicht zu helfen vermögen. Es sind teilweise Fabelwesen, deren große Augen über uns hinwegsehen. Sie strömen etwas Düsteres, Unheilvolles aus. Durchsichtige Körper tauchen in die Welt der Rätsel und ein Narrenkopf trägt einen weiblichen Oberkörper vorbei. Einen Augenblick glaube ich mich zu erkennen. Der Narr bin ich und der Körper auf dem Kopf des Narren ist der meine.
Die kleinen Fische schwimmen ein wenig desorientiert hin und her, sie scheinen ein eigenes Leben zu führen.
Ich habe das Gefühl, dass jeden Moment etwas passiert, die Verbindung hält nicht stand, die Verbindung zu dem Menschen, der mir viel bedeutet. Es sei denn ich werde tätig und lenke die Geschehnisse selber. Aber was sagt der Narr? Ich verstehe ihn nicht.


Wenn sich Menschen begegnen, die bereits mehr als die Hälfte ihres Lebens hinter sich gebracht haben, dann dürfte es immer Seile bzw. Bindungen in ihre Vergangenheit geben. Die gelebte Realität ist nicht weg zu diskutieren, sie hat stattgefunden und hinterlässt meistens sehr prägende Spuren. Man wird nie alle Seile einfach kappen können, um dann unbeschwert eigene Ziele zu verfolgen. Da sind die früheren Partner, die Kinder, die Eltern, Freunde und der Job, vertraute und gewohnte Umgebungen, die eine gewisse Sicherheit oder sogar Geborgenheit zu bieten scheinen. Wer möchte das alles schon aufgeben für eine völlig neue Beziehung, die eine große Unbekannte ist, wenn auch eine sehr reizvolle, aber sehr risikoreiche Neuorientierung verlangt?
Ist man immer noch ein Narr, auch noch in der Mitte des Lebens, wo doch eigentlich alles geregelt ist, soviel vorhandene Sicherheit aufs Spiel zu setzen?

Unsere Kinder sind erwachsen, sie schütteln zuweilen weise ihre Häupter, sie vermeinen bereits das Leben zu kennen und möchten, dass die Eltern, die Omas und Opas ihrer Kinder, sich endlich auf die eigene Familie besinnen und sich entsprechend den Enkelkindern widmen, wenigstens in der Nähe bleiben. Sie haben Sorge, dass die „Alten“ wieder eine Dummheit begehen, allmählich sollten sie doch zur Vernunft kommen. So schwimmen sie mehr oder weniger zapplig zwischen uns herum und möchten uns belehren. Sie meinen es aber nur gut mit uns, sie wollen helfen. Aber sie können es nicht wirklich, denn ihr Leben hat sie so fest im Griff wie das unsrige es früher tat. Sie müssen ihre Erfahrungen sammeln, ihre Fehler begehen und ihre Tragödien erleben, schmerzhaft spüren, dann ändert sich vermutlich ihre Auffassung zu den Entscheidungen der Eltern.

Dann sind da noch unsere betagten Eltern, die uns brauchen und beanspruchen. Sie lebten ihr Leben, haben alles gegeben und wollen nun die gezählten, letzten Jahre sorglos verbringen. Das ist schwer, denn die Perspektive ist so berauschend nicht, was bleibt ist der Genuss der Gegenwart. Wir sind ihr Brückenfeiler, oft der einzige, der noch steht. So verfolgen sie besorgt und ängstlich mit großen Augen unser Tun, wollen unserem Glück nicht im Wege stehen aber müssen in viel höherem Maße an die eigene Existenz denken, die so oft von uns abhängig ist.

Jeder kann in eine derartige Situation geraten, in die Hilflosigkeit des Alters. Es könnte auch unser Schicksal werden. Aber wir weisen es von uns, wir bleiben gesund und selbständig, wir sind immer stark.
Ach, wenn es doch so käme.
Beziehungen, die die Seile in die Vergangenheit nicht aushalten, werden nicht von Dauer sein. Sie sind zu schwach und eigentlich lohnt es nie, kostbare Zeit auf sie zu verschwenden, sie finden keine Balance zwischen dem Früher und dem Heute, und erst recht nicht für die gefährliche Gratwanderung in eine ungewisse Zukunft.
Doch die Liebe, unser großes Gefühl, fragt nicht, sie ist plötzlich da und gibt den Ton an. Sie scheint jedes Risiko zu rechtfertigen und wir sind in die Lage versetzt, alle Warnungen lächelnd in den Wind zu schlagen, auch die der eigenen Vernunft.

*

Im nach hinein ist es manchmal leicht Träume zu deuten, denn man weiß um die Geschehnisse. Jeder normale Mensch hat Furcht vor dem Ungewissen, wenn es ihn unmittelbar betrifft, wenn die Existenz involviert ist aber vor allen Dingen sind es die Emotionen, die uns beuteln und verunsichern mit ihren scheinbaren Widersprüchlichkeiten. Oft brauchen wir eine Bestätigung für unsere Entscheidungen, gewissermaßen eine Absegnung von ganz oben. Ich bin nicht religiös und ich brauche für mich und meine Pläne nicht unbedingt einen Segen des lieben Gottes, ich sollte nur selber ein hohes Maß an Vertrauen in meine Unternehmungen besitzen. Ich muss gewissermaßen beseelt von der Richtigkeit der Entscheidung sein, um die erforderliche Ruhe zu entwickeln. Irgendwie fehlt mir diese gelassene Selbstsicherheit immer wieder. Sie würde alles viel leichter machen. Ich grüble und male mir Störfaktoren mit Katastrophencharakter aus, nichts anderes spiegeln meine Träume wieder. Ich fühle das Unheil, aber lasse mich trotzdem nicht von meinen gefassten Entschlüssen abbringen. Immer sehe ich ein wenig hellen Himmel am Horizont und deute ihn als gutes Zeichen für eine unbedingt wahrzunehmende Chance, meinem Leben wieder einen guten Sinn zu verleihen.

Muss man immer wissen, was in der Zukunft passiert?
Es würde uns vermutlich in noch mehr Konflikte stürzen, denn ein Ändern im vorab, würde die Weissagung in ein ad absurdum führen.
Es kommt wie es kommt, wir dürfen mitwirken, sogar lenken, falls wir entdecken, dass wir Arme und Beine besitzen und in erster Linie einen Kopf zum Denken. Ich entdecke diese Werkzeuge meines Körpers meistens reichlich spät, deshalb lasse ich mich zunächst immer erstmal, zu allem Unglück auch noch freiwillig, zum Opfertisch schleppen.
Heute weiß ich natürlich alles viel, viel besser und bin somit auch unheimlich weise. Ob die Weisheit nun von Dauer sein wird, bleibt ungewiss.

*

Ausflug in die Vergangenheit



Ein Umzug von Nord nach Süd über Hunderte von Kilometern in das Altbundesland, das traditionsreiche und selbstbewusste Bayern, das hat was. Wie wird man uns begegnen als Ossis aus dem rückständigsten Land MeckPomm stammend, der Strafkolonie für Gescheiterte, dem letzten Domizil von Ruheständlern (heute auch für Leutchen aus dem Westen)?
Da war ich zuversichtlich, ich glaubte, mich einfügen zu können. Ich werde arbeiten und freundlich sein, was sollte da schon schief gehen. Meine Mutter hatte ebenfalls kaum Bedenken, sie lebte nach dem Krieg einige Zeit in München und ihr Vater war ein gebürtiger Franke. Somit gab es einige Bezüge.
Der Umzug brachte keine Probleme. Mein Schwiegersohn, dessen Bruder, ein Cousin und mein Freund waren die fleißigen Helfer, so dass ich nur noch auszupacken hatte, was allerdings so seine Zeit braucht. Die Menschen verstand ich überhaupt nicht, man sprach hier nur Dialekt, auch auf den Behörden. Ich habe es nach fünf Jahren nie völlig zu verstehen gelernt, geschweige denn zu sprechen, aber das war auch nie mein Ziel. Im Gegenteil, ich gab mir nun noch mehr Mühe ein gutes Hochdeutsch zu sprechen.
Zunächst einmal die bittere Pille, mein Arbeitsplatz war inzwischen mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt worden. Wie es aber hieß ging es um ein weitläufiges Familienmitglied des Unternehmers aber er war wenig tauglich für die Stelle. Kurz, man wollte ihn loswerden, musste aber diplomatisch vorgehen. Mich würde man zu gegebener Zeit immer noch einstellen wollen. So ging ich zunächst einmal in die Arbeitslosigkeit, hatte Zeit mich einzugewöhnen, alles auszubaldowern, was für zwei allein lebende Weibsen von Bedeutung sein könnte. Ich hatte soviel Zeit wie lange nicht. Die kleine Wohnung mit dem Balkon war meine einzige Aufgabe und an den Wochenenden erschien mein Liebster, um mit mir und oft auch mit meiner Mutter im Schlepptau etwas zu unternehmen.

Eigentlich war dies eine schöne Zeit, es war Frühling und mein Fünfzigster Geburtstag sollte ein wundervoller Auftakt für unsere Beziehung und alle Zukunftsvisionen werden. Mein Freund liebte die Seefahrt, er war früher selber lange Zeiten zur See gefahren, somit dachte ich mir etwas ganz Besonderes aus. Ich lud ihn ein, mit mir auf eine einwöchige Kreuzfahrt auf einem zwanglosen Clubschiff im Mittelmeer zu gehen. Ja, das haben wir auch tatsächlich gemacht. Meistens war es wunderschön und sehr erlebnisreich, ich glaubte fast in einer anderen Welt zu sein, so ohne Sorgen und zusammen mit dem Mann, den ich liebte.

Doch es gab Eifersuchtsszenen, die mich betrübten. Argwöhnisch beobachtete er die Männer auf dem Schiff und mich. Ich merkte das, aber ignorierte dieses ständige Beobachten und Belauern, ich wollte mein Glück genießen und mich nicht andauernd verteidigen müssen. Es gab auch nichts, wofür ich mich hätte verteidigen müssen. Aber er verdächtigte mich und interpretierte seine angeblichen Beobachtungen für mich völlig unverständlich. Im Großen und Ganzen ging es aber dann wieder, er beruhigte sich und schien der für mich liebens- und begehrenswerte Mann zu sein. Es war eine wundervolle Reise mit nur kleinen Wermutstropfen. Ich habe sie ihm und mir spendiert. Er wollte es bei seinem Geburtstag im darauf folgenden Jahr in ähnlicher Weise handhaben.
Im neuen Zuhause nach der Reise angekommen begann nun der Alltag. Er hatte den seinen und ich den meinen, an den Wochenenden sahen wir uns. Wir lebten uns allmählich ein, die Nachbarn grüßten uns freundlich. Es waren vorwiegend Türken, die mit ihrem Lebensstil ein wenig von dem unseren abwichen, aber wir hatten keine nennenswerten Probleme. Die Familien waren ziemlich kinderreich, so dass wir allerdings oft ein wenig unter dem Lärm der schreienden und sehr verwöhnten Kinder und deren keifenden Müttern litten. Die Männer traten wenig in Erscheinung, sie gingen einer Arbeit nach. Es lebten in der Wohngegend normale türkische aber auch deutsche Familien in Eintracht und Frieden. Einige Ausnahmen gab es zwar, das ärgerte allerdings mehr den Hausmeister, der immer wieder einen Haufen an Müll in der Wohnanlage wegzuräumen hatte.

Wie gesagt mich grüßten Frauen und Männer freundlich und ich tat es ebenso. Mein Freund schien darin eine bedrohliche Vertraulichkeit, ganz besonders die der Männer zu sehen. Es ergaben sich auf Grund der Tatsache, dass mich fremde türkische Männer grüßten, ganz entsetzliche Szenen. Immer wieder warf er mir vor, ich würde mich nach seiner Auffassung nicht korrekt benehmen, würde selbst in seiner Gegenwart mich nicht scheuen, mit anderen zu flirten. Ich war mir dessen absolut nicht bewusst und fühlte mich gekränkt. Warum sollte ich so etwas tun, ich habe für meine Liebe alles aufgegeben. Anderen Männern schöne Augen zu machen, das war weder logisch noch tat ich es. Nicht im Entferntesten dachte ich an so was.

Er verunsicherte mich und ich wollte nun kaum noch mit ihm irgendwo hin. Am liebsten nur mit ihm allein sein, dann gab es keine Probleme und wir konnten gelöst miteinander umgehen. Ich wusste nicht mehr, was ich noch machen sollte, um ihn von der fixen Idee abzubringen, dass ich es auf fremde Männer abgesehen hätte. Er glaubte ich hätte ein übersteigertes Geltungsbedürfnis und benötigte unbedingt laufend die Zuwendung des anderen Geschlechtes. Wie sehr er sich irrte, ich brauchte nur das liebevolle Interesse eines einzigen Mannes. Ich benötigte ansonsten kaum andere Beachtung. Mein Streben nach Harmonie war stark ausgeprägt, ich wollte mit allen ein gutes, normales, freundliches Umgehen; ganz bestimmt nichts Unmoralisches. Ich bin monogam und kann mich nur einem Partner widmen.

Allmählich hing mir die Missdeutung meines Wesens auch zum Halse heraus, dennoch liebte ich ihn unvermindert und glaubte allen Ernstes, ihn noch eines Tages von seinen absurden Gedankengängen heilen zu können. Wie wusste ich allerdings noch nicht, ich glaubte je länger und intensiver wir uns kennen würden, umso mehr könnte ich ihn von der Ehrlichkeit meines Wesens überzeugen. Die Ehrlichkeit und das Vertrauen waren sein Hauptanliegen an eine Partnerin. Für mich besitzen diese Eigenschaften die gleiche Priorität aber offensichtlich erhielt ich von ihm dieses viel gelobte Vertrauen nicht. Das schockierte mich, auf welcher Basis sollte unsere Beziehung sich entwickeln, wenn das Vertrauen fehlt? Sein Misstrauen begann allmählich unser Zusammensein zu vergiften, mein Gemüt anzugreifen und meiner Seele sehr weh zu tun. Ich wusste dem nicht zu begegnen, alles was ich tat oder sagte, brachte uns nicht weiter. Er glaubte mein Benehmen so deuten zu müssen, dass er den begründeten Verdacht hätte, ich würde ihn hinter seinem Rücken hintergehen und zwar mit jedem beliebigen. Ich kam mir oft vor wie ein unschuldig Angeklagter, der auf Grund von Mutmaßungen verurteilt wird.

Jede meiner Bewegung in Gegenwart eines anderen Mannes wurde nun analysiert. Angeblich würde ich die Körpersprache, die geheimen Waffen der Frauen schamlos ausnutzen, um meine widerwärtigen Ziele zu verwirklichen. Ein Übereinanderschlagen der Beine, ein zurück Streichen des Haars, das waren schon Vergehen, die ihn auf die Palme brachten. Wenn wir über diese „Vorkommnisse“ sprachen, stand er fast neben sich, ich erkannte den Mann nicht wieder, er war völlig außer sich und steigerte sich von Satz zu Satz. Ich hatte keine Chance, abgesehen davon, dass ich immer sehr emotional beteiligt war und deshalb nicht besonders gut aussah in meiner Verteidigungsstrategie, ich heulte meistens zum Schluss, womit das Gespräch sich erledigte.

Wir lagen in einem Bett und waren meilenweit voneinander entfernt. Viel weiter als zuvor als wir noch über Hunderte Kilometer telefonierten. Zwischen uns waren plötzlich meterdicke Wände. Ich war sehr verzweifelt. Das schlimme war eigentlich der Umstand, dass ich ihn immer noch sehr liebte. Er war der erste Mann, den ich wirklich liebte, er hatte meine ganze Hoffnung geschluckt, aufgesogen, denn er konnte ganz anders sein, nämlich so, wie ich mir einen Mann erträumte, nur war er nicht immer so, das war ein unübersehbarer Haken.
Wie konnte mir das passieren, ich hatte alles bedacht. Leider wohl doch nicht ganz, ich dummes Schaf!
Wir fanden uns wieder, das heißt wir verdrängten alles und vermieden über das Kernproblem zu sprechen. Damit war uns natürlich nicht geholfen. Dennoch überspielten wir den Riss immer wieder. Ich träumte.
Zu Pfingsten planten wir eine Reise nach Berlin zu meinem Sohn, danach zu meiner Tochter einen Abstecher. Ich hatte meine Kinder lange nicht gesehen und freute mich. Hardy sollte meinen Computer bekommen.
Ich bereitete die Fahrt vor, kaufte ein für die Oma und kochte das Essen. Es war Freitag. Mein Freund kam von der Arbeit, um dann am nächsten Tag mit mir die Reise zu starten. Alles war gut, er trank noch ein Glas Wein, warf einen Blick in die Zeitung, wir sahen noch ein wenig fern und begaben uns zur Ruhe.
Ganz ruhig, fast emotionslos sagte er: „Ich werde mich von Dir trennen,
wenn Du willst fahren wir noch nach Berlin, aber dann werden wir uns nicht mehr sehen.“
Ich war in Panik, fassungslos, es war als würde sich unerwartet, ganz plötzlich vor mir die Erde auftun. Ich fühlte fast körperlich nach diesem so kalt hervorgebrachten Satz den harten Stoß vor dem Fall.


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Tag der Veröffentlichung: 06.01.2009

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