Es ist jedes Jahr dasselbe. Beginnt der September kann man sich bei den Discountern bereits mit Weihnachtsnaschereien jeglicher Art eindecken. Nur will ich das?
Will ich Mandelschnitten zwischen den Fingern halten, die in der Sonne schmelzen? Oder Zimtsterne, wo man immer noch nicht weiß, ob man sich an ihnen vergiftet, wenn man sich nicht bereits vorher die Zähne an ihnen ausgebissen hat? Wirklich nicht.
Weihnachten im Frühherbst ist nichts für mich. Das wird nur noch von den Ostersachen getoppt, die es bereits in der ersten Januarwoche zu kaufen gibt, da war noch nicht einmal der sechste Januar vorbei, geschweige denn der zweite Februar, wo man bei den Katholiken die letzten Weihnachtssachen samt Tannenbaum wegpackt oder entsorgt.
Ich muss das alles nicht kaufen, wenn ich es nicht will. Bloß Kathrin, meiner besten Freundin, sollte man klarmachen, dass Weihnachtssachen nur zur Weihnachtszeit erwünscht und geduldet werden.
Wenn nun der November in den Dezember übergeht, wird es Zeit, die Weihnachtssachen aus dem Koffer oder Karton zu holen. Girlanden werden in die Fenster gehängt, elektrische Lichter und Fensterbilder angeklebt. Wer ganz besonders übertreiben will, nimmt noch künstlichen Schnee und drapiert ihn ans Fenster. Auf letzteres kann ich gut verzichten, einmal reicht mir. Kathrin hatte mal die glorreiche Idee gehabt, diesen falschen Schnee zum Dekorieren zu nehmen. Das Zeug hatte ich noch im August am Fenster kleben. Angeblich war es ganz leicht zu entfernen. Bloß war die Sprühdose wahrscheinlich jahrelang gelagert worden bis Kathrin sich wieder dessen erinnerte und ich ihre Idee zur weihnachtlichen Stimmung ausbaden musste.
Seitdem darf sie meine Wohnung nur noch mit Papier oder anderem harmlosen Zeug dekorieren, was sie auch tatsächlich macht. Kringelketten oder Origamisterne und was man noch so aus Papier machen kann, hängt überall in der Wohnung - sogar auf der Gästetoilette. Dort brauche ich es wenigstens nicht sehen.
Wenn nun der erste Advent vorbei ist und die ersten Weihnachtsmärkte geöffnet haben, muss ich eine Liste anfertigen, was wir alles kaufen wollen, wenn wir zum Weihnachtsbaumkauf fahren.
Denn nicht nur ein Weihnachtsbaum wird gekauft, sondern allerlei Schnickschnack, den es nur da zu geben scheint.
Ich habe bereits im vergangenen Jahr vorgeschlagen, dass wir keinen Tannenbaum brauchen und dieses Geld stattdessen sparen. Jedes Mal hieß es, wie ich so unweihnachtlich sein könne.
Als der Baum schließlich im Wohnzimmer aufgestellt werden sollte und mal wieder nicht in den passenden Ständer passte, ging der große Streit los, wer eigentlich einen Baum hatte haben wollen. Jeder schob die Schuld dem anderen in die Schuhe, gewesen sein wollte es niemand.
Ich sehe bereits dasselbe Problem in diesem Jahr auf uns zukommen. Jeder schreit nach einem Weihnachtsbaum, aber sobald es Probleme gibt, sind es die anderen gewesen, die so was hatten haben wollen.
Als Kind mag Weihnachten eine faszinierende Angelegenheit sein, nur wenn man bereits als vierjährige den eigenen Vater als Weihnachtsmann erkannt hat, freut man sich zwar auf die Geschenke, glaubt den Erwachsen aber nicht mehr, dass der Weihnachtsmann die Geschenke bringt.
Ich stand allein, meine Geschwister nannten mich einen Spielverderber. Sie waren älter als ich, glaubten aber fest an den Weihnachtsmann. Da sollte man ihnen ihre Illusionen nicht nehmen. Allerdings versteht ein vierjähriges Kind das noch nicht.
Wenn ich ehrlich bin, halte ich Weihnachten für ziemlich überbewertet. Wieso bin ich verpflichtet, den Menschen, die ich mag oder mit denen ich verwandt bin, ausgerechnet zu Weihnachten etwas schenken zu müssen? Reicht der Geburtstag nicht aus?
Dazu muss man wissen, dass ich mich beim Schenken extrem schwer tue. Ich weiß einfach nicht, was jemandem gefallen könnte. Meine Mutter ist das ganze Jahr über für ihre Lieben auf der Suche. Selbst wenn es nur Kleinigkeiten sind, werden diese gekauft und hübsch verpackt. Und ich? In der letzten Woche vor Weihnachten werfe ich mich wie tausend andere ins Getümmel und bin dementsprechend genervt. Wobei mir Einkaufen allgemein auf den Keks geht. Es regt mich auf und ich weiß nicht einmal warum. Also, wenn es nach mir ginge, könnte man Weihnachten ruhig abschaffen. Ist sowieso nur alles Kommerz. Warum sonst kann man bereits im September Spekulatius, Christstollen, Marzipankartoffeln und sonstige Weihnachtsnaschereien kaufen? Ja, genau, weil es da noch richtig frisch ist und nicht alt und angezogen schmeckt. Mir egal, denn ich finde es immer abscheulich. Das ist mir zu süß. Ob das nun Herbstgebäck oder Weihnachtsnascherei heißt, ist mir völlig egal.
Es klingelt an der Tür. Wer das abends um sieben nur sein mag? Nein, ich muss nicht raten. Es ist die Heimsuchung persönlich: meine beste Freundin Kathrin.
Sich verleugnen lassen bringt nichts, denn Kathrin weiß genau, dass ich um diese Zeit nicht irgendwo anders anzutreffen bin.
Ich lasse die Heimsuchung ins Haus, öffne leicht den Mund, damit meine Zähne sichtbar werden, um so ein künstliches Lächeln zu erzeugen. Wenn ich Kathrin mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter empfange, muss ich mir tagelang von ihr anhören, dass ich nicht so genervt sein und das vor allem nicht an ihr auslassen soll. Schließlich könne sie nichts für die Leute, die mir den Tag vermiest hätten.
Mal sehen, ob sie wieder von der katzenliebenden Quasselstrippe aufgehalten wird. Lange ist es nicht geschehen, sodass es nun wieder an der Zeit sein müsste. Meine lieben Nachbarn direkt neben mir auf derselben Etage, sind gewiss daran interessiert, ob wir wieder einen Tannenbaum holen und wir Weihnachten feiern. Dämliche Fragen, aber sie hoffen wohl auf ein ruhiges Weihnachtsfest, was bei uns nie stattfindet, solange Tim und Kathrin bei mir den Heiligen Abend verbringen. Was da genau passiert, darüber werde ich später mal berichten, denn jedes Weihnachtsfest sind mindestens zwei wegen ihrer Geschenke beleidigt oder etwas anderes Unvorhergesehenes passiert. Egal was auch geschehen mag, aber am Heiligen Abend liegen wir uns alle in den Haaren.
Ich stecke meinen Kopf nach draußen und lausche. Nein, es bleibt alles ruhig, wenn man von einem Keuchen absieht, als würde sich eine Dampflok nähern. Gerade als ich Kathrin auf der Treppe sehe, wird im Stockwerk unter uns eine Tür geöffnet: Die Quasselstrippe ist zu langsam gewesen oder meine beste Freundin zu schnell, denn jetzt beschleunigt sie noch einmal auf den letzten Metern. Zwei Stufen, dann drei auf einmal nehmend, hetzt sie die Treppe hoch, als würde sie verfolgt. Auf der letzten Stufe stolpert sie, wackelt von vorn nach hinten, kann ihr Gleichgewicht halten und fällt mir direkt vor die Füße. Kann sie gleich überprüfen, ob der Boden auch sauber ist.
"Machst du dich über mich lustig?", will sie wissen, nachdem sie aufgestanden ist.
"Wieso?", frage ich ahnungslos.
"Weil du so dämlich grinst."
Herrje! Wie man's macht, macht man's verkehrt. Da will ich sie nicht sauertöpfisch begrüßen, obwohl mir danach ist, und zeige Zähne, dann ist es wieder falsch.
Am besten lasse ich das nächste Mal die Tür einfach angelehnt und halte mich irgendwo anders auf. Bloß habe ich die Befürchtung, dass meine Stasi-Nachbarn das nutzen könnten, um in meine Wohnung zu luschern. Das versuchen sie, seitdem ich hier wohne und haben einfach kein Glück. Das soll auch so bleiben, weshalb ich mit dem Anlehnen der Tür lieber gar nicht erst anfange.
"Wann willst du denn Kekse backen?", frage ich, nachdem ich die Tür hinter uns geschlossen habe.
"Nicht heute. Habe keine Zeit. Wollte nur kurz vorbeikommen, damit ich keine Termine abschließe, wenn wir einen Tannenbaum kaufen gehen."
Ich horche auf. Seit wann hat Kathrin wichtige Termine, die sie planen muss. Ist da irgendwas an mir vorbeigegangen? Vielleicht eine neue Geschäftsidee? Ob ich das rausbekommen werde? Meine beste Freundin mag sehr redselig sein, nur wenn man wirklich etwas wissen will, ist sie verschlossen wie eine Auster.
"Wann findet der Tannenbaumverkauf statt?", wiederholt sie ungeduldig, als ich nicht gleich antworte.
"Wie in jedem Jahr", sage ich schließlich.
"Wann ist das?"
Nun wird offensichtlich, dass meine beste Freundin absolut kein Zeitgefühl, nein, Zeitgedächtnis, besitzt. Komisch, dass sie noch nie Weihnachten oder einen unserer Geburtstage vergessen hat. Die sind auch immer am gleichen Datum, nur dass der Weihnachtsbaumverkauf um ein bestimmtes Ereignis herum stattfindet. Das brauche ich Kathrin nicht zu erklären. Es ist aussichtslos. Was sie nicht verstehen will, das geht nicht in ihren Schädel hinein.
"Der Weihnachtsbaumverkauf findet immer um den zweiten Advent herum statt. Von Freitag bis Sonntag", setze ich noch hinzu, damit meine beste Freundin es nicht direkt auf den Sonntag setzt. Man muss ihr alles zutrauen - immer. "Am Freitag schon?", meint sie entsetzt und durchsucht ihr Handy nach irgendetwas. Ihre Gesichtszüge entspannen sich, als sie offensichtlich gefunden hat, was sie wollte. "Ach, da habe ich Zeit. Glück für dich."
Glück? Für mich?
Um wieviel einfacher wäre es, wenn Kathrin nicht dabei wäre? Es würde keine Diskussionen darüber geben, ob dieser Baum geeignet sei oder lieber ein anderer.
Bereits die Fahrt zum Weihnachtsmarkt würde erheblich ruhiger ausfallen, wenn sich niemand über meinen Fahrstil beschwert oder der Meinung ist, dass es eine Abkürzung geben würde.
Ohne Kathrin wäre es definitiv ruhiger. Allerdings, solange Tim dabei ist, muss man dennoch fürchten, dass etwas Unvorhergesehenes passieren könnte.
"Um zehn habe ich einen Termin", teilt Kathrin mir mit und fährt fort: "Also um elf bei dir?"
"Ich habe bis zwölf an der Uni zu tun. Wir treffen uns alle spätestens um halb eins vor dem Haupteingang der Bibliothek."
"So spät? Da sind doch bereits alle Bäume weg, wenn wir ankommen."
"Bisher sind wir immer eine halbe Stunde vor der offiziellen Eröffnung angekommen. Das wird sich dieses Mal nicht ändern."
"Es wird bei unserer Ankunft stockdunkel sein, wenn du uns fährst. Eine Schildkröte ist schneller unterwegs. Gut, wenn Tim uns fährt, werden wir gewiss pünktlich sein, falls wir auf dem Weg dorthin uns nicht um den nächsten Baum wickeln. Donnerstag soll es schneien."
"Wie kommst du denn darauf? Es ist viel zu warm für Schnee. Im September war es kälter als jetzt."
"Da hattest du auch noch keine Heizung an. Vertrau mir, es wird schneien."
Mit dem Vertrauen ist das so eine Sache bei Kathrin, denn reicht man ihr einen Finger, nimmt sie gleich die ganze Hand. Ihre Wettervorhersagen waren bisher auch nicht zutreffend. Zwei von zehn vielleicht, was eine sehr schlechte Quote ist. Das ist Elefantin Staubsauger als Fußballorakel noch besser und die ist eine Katastrophe gewesen, als ich sie mal getestet habe.
"Dass es schneien soll, wird Frechsack gar nicht gefallen. Dann muss sie wieder das Haus hüten, um nicht auszurutschen und auf den Rüssel zu fallen."
"Nimmst sie ein bisschen ab. Wird ihr nicht schaden."
Da hat sie auch wieder recht, aber ich werde die Elefantin in der Zeit, wo ich sie nicht sehe, vermissen.
Kathrin packt ihren Terminkalender weg. Seit wann sie den hat? Ich muss unbedingt herausfinden, was sie gerade für eine aktuelle Idee umsetzt, die sie dermaßen in Beschlag nimmt, dass sie kaum Zeit hat.
"So, ich muss dann mal wieder. Termine, Termine, Termine. Du glaubst gar nicht, wer alles was von mir will."
"Muss ziemlich spannend sein, was du machst."
"Ja, ja", meint meine beste Freundin nur und schweigt sich weiter aus. "Freitag um zwölf. Sag den anderen, sie sollen pünktlich da sein, sonst fahren wir allein. Halb eins ist zu spät."
Ohne Abschiedsgruß lässt Kathrin mich stehen und macht sich auf den Weg zu ihrem mysteriösen Terminen.
Im Laufe der Tage schaffe ich es, meinen Mitbewohner und Tim so weit zu instruieren, dass sie wissen, wo wir uns treffen wollen. Nicht, dass sie vor einer der Fachbibliotheken oder der Stadtbibliothek stehen und sich fragen, warum niemand kommt, um sie abzuholen. Habe ich alles schon erlebt. Man muss den beiden genau sagen, was man meint, sonst setzen sie es mit etwas anderem gleich.
Kathrin bombardiert mich unterdessen mit einer SMS nach der anderen. 160 Zeichen sind einfach zu wenig für sie und offensichtlich muss sie noch dringend ihren Vorrat an Gratis-SMS verbrauchen, bevor dieser am Ende des Jahres verfällt. Ansonsten kann ich mir nicht erklären, warum sie mir keine Email schreibt.
Ach ja, ihr Handy ist leider nicht internetfähig. Doch ja, so ein uraltes Gerät benutzt sie noch. Damit könne man ihren genauen Standort nicht orten, weil es kein GPS habe. Dass man das auch abschalten kann, lässt sie nicht gelten. Aber mit ihrem Tablet müsste es ihr möglich sein über ein öffentliches Wlan-Netz ins Internet zu kommen.
Natürlich, wie konnte ich das vergessen. Dabei handelt es sich natürlich um ein ungesichertes Netzwerk, weshalb man da noch viel leichter ausspioniert werden kann, als wenn man ein Smartphone besitzt.
Aber werden SMS nicht auch überwacht und abgespeichert? Heutzutage kann man sich nur noch Briefe schicken, wenn man nicht will, dass die Unterhaltungen irgendwo gespeichert werden. Dann geht man allerdings das Risiko ein, dass die Briefe versehentlich beim Nachbarn landen und dieser die heimlich über Wasserdampf öffnet, um an interessante Informationen zu kommen. Damit man mir so was nicht unterstellen kann, schmeiße ich grundsätzlich alle Briefe weg, die bei mir falsch gelandet sind - egal ob es wichtig ist oder nicht. Was nicht meins ist, wird vernichtet.
Bisher ist mir auch noch niemand auf die Schliche gekommen. Passiert auch nicht sehr häufig. Bisher nur einmal. Aus all den SMS von Kathrin entnehme ich, dass ich einen Einkaufszettel für den Weihnachtsbaumkauf schreiben soll. Leichter gesagt als getan, da Kathrin einen Punkt mehrfach aufgreift und genauso oft wieder verwirft. Dann will sie etwas nicht, um es am Ende wieder hinzuzufügen oder sie streicht etwas, obwohl es ihr eigentlich sehr wichtig gewesen ist. Man weiß bei ihr nie, was schließlich herauskommt.
Am Ende, nach mehr als zwei nervenaufreibenden Stunden, habe ich es vollbracht. Die Liste steht. Allerdings bin ich mir sicher, dass meine beste Freundin bis Freitag noch ein paar Änderungen vornehmen wird. Hoffentlich wird man am Ende noch lesen können, was dort steht.
Ganz zufrieden bin ich persönlich mit der Liste auch nicht, denn ich muss mit meiner besten Freundin unbedingt noch die Anzahl an Mutzenmandeltüten diskutieren. Zehn Stück sind definitiv fünf zu viel. Eventuell werde ich von ihr verlangen, dass sie die ganz allein bezahlen soll. Das wird Wunder wirken - garantiert!
Tim irgendwelche Regeln aufzustellen, die dieser auch einhält, dürfte weitaus schwieriger werden. Nur habe ich wirklich keine Lust, ihn wie im letzten Jahr gefesselt und geknebelt neben mir auf dem Beifahrersitz zu haben, weil er jeden Glühweinausschank aufgesucht hat, den es dort gibt. Das sind nur drei, aber denen hat er den halben Vorrat leergetrunken.
Die ganzen Haltegurte, die wir für Tim brauchten, fehlten mir beim Tannenbaum, sodass dieser praktisch ungesichert im Kofferraum lag. Für dieses Jahr habe ich vorgesorgt und ein paar leere Kartons drinstehen. Wenn man dazu noch unser Gepäck mitzählt, dürfte der Baum nicht durch die Gegend rollen. Die Haltegurte kommen dennoch mit, falls Tim wieder nicht weiß, wann Schluss ist.
Glücklicherweise hielt uns letztes Jahr keine Streife an. Von denen hätte ich garantiert ein Bußgeld aufgebrummt bekommen. Wie wir das mit Tim erklärt hätten, weiß ich nicht. Vielleicht hätte man Verständnis für uns aufgebracht, denn ein Blick auf ihn genügte, um nachzuvollziehen, warum wir ihn gefesselt und geknebelt hatten. Es war reiner Selbstschutz. Wenn ich Tim in seinem Zustand so in den Wagen gelassen hätte, wäre keine Minute vergangen und er hätte mir ins Steuer gegriffen. Das Auto wäre noch an Ort und Stelle in einen zerbeulten Blechhaufen verwandelt worden, dem nur noch der Autofriedhof hätte helfen können. Um uns zu ersparen, vor dem Problem zu stehen, wie wir ohne Fahrzeug, dafür mit Tannenbaum, aus der Walachei nach Hause kommen, musste Tim eben gefesselt und geknebelt werden. Es ging einfach nicht anders, auch wenn es nicht besonders schön war.
Ich hoffe, dass er vom letzten Jahr gelernt hat und die Finger vom Glühwein lässt. Allerdings hege ich die Befürchtung, dass ich mich darauf nicht verlassen kann, weil er sich gar nicht daran erinnern dürfte, gefesselt auf dem Beifahrersitz gesessen zu haben. Nach dem Weihnachtsbaumkauf hatte er praktisch einen Filmriss. Was auch ein Glück für uns war, sonst würde er uns diese Freiheitsberaubung noch heute vorhalten.
Und meinen Mitbewohner kann ich Tim nicht als Aufpasser zur Seite stellen. Am Ende haben wir nicht eine, sondern zwei randalierende Schnapsleichen. Die zwei nach Hause zu kutschieren, dürfte praktisch unmöglich sein. Außer Kathrin und ich verstauen beide gut verschnürt im Kofferraum, während der Tannenbaum auf die Rückbank kommt. Dort sitzt er wenigstens fest und kann nicht verrutschen, wenn er nicht zu lang ist. Auf eine abgeknickte Spitze kann ich verzichten.
Wie soll man Tims Schatten sein und auf ihn aufpassen? Ich weiß es wirklich nicht. Im ersten großen Gedränge wird er versuchen, einen abzuschütteln. Wer mag es ihm verdenken? Ich hätte auch keine Lust auf einen Aufpasser und Kathrin erst recht nicht.
Schade, dass es diese Pillen von Professor Bienlein nicht in Wirklichkeit gibt, wo einem jeder Schluck Alkohol nach Einnahme der Tabletten nicht mehr schmeckt. Kapitän Haddock konnte ein Lied davon singen. Leider war es nur ein Comic und nicht die Realität. Bedauerlich!
Muss ich eben ein anderes Mittel finden. Nur was? Tim drohen, dass ich ihn stehen lasse, wenn er mehr als 0,5 Promille intus hat? Am Ende bequatscht mich Kathrin, dass ich nicht so unmenschlich sein kann und Tim einfach in der Kälte stehen lasse. Wobei es momentan nicht wirklich kalt ist.
Am Donnerstagabend sinkt die Temperatur unter den Gefrierpunkt. Ich merke es daran, dass mein Fenster wieder einmal von innen beschlägt. Noch denke ich mir nichts dabei, außer dass die eingepackten Pflanzen auf dem Balkon möglichst dicht an die
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Helen Hoffmann
Bildmaterialien: Helen Hoffmann
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2016
ISBN: 978-3-7396-8865-7
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