Modetiere
Was eine Originalität ist, darüber mach ich mir schon selbst ein Bild, sagte ein verärgerter Jodl-Bauer zum Oberkellner im Cafe Orient.
Noch vor einer halben Stunde liebte er die Menschen in seinem Stammlokal.
All die Städter, die so liebevoll mit ihren Tieren umgingen und so freundlich zu ihnen sprachen.
Dann aber – es war von dem Augenblick an, als der stolze Herr mit dem gläsernen Schildkrötenkäfig zur Tür hereinkam – fiel seine Städterstatue, vorerst kleinweis, dann rapide zusammen.
Nach dem Sinn des Kaffeehaus-Besuches von Panzertieren befragt, antwortete der Kellner Franz dem Jodl-Bauern, dass jetzt viele Hunde- und Katzenverleihanstalten saisonbedingt geschlossen hätten.
Das verstand der Mann vom Lande nicht, und so mußte er weiterfragen :
Was sind denn das für Leihanstalten, in denen man Haustiere ausborgen kann ?
Das sind, so der Kellner, Geschäfte, in denen man für beliebige Zeit, seien es Stunden oder Wochen, Vierbeiner oder Vögel mieten konnte. Man läßt das gewünschte Tier modisch auf die eigene Erscheinung abstimmen, bekommt seinen Namen mitgeteilt und kann sodann den treuen Begleiter zu Spaziergängen und auf Gesellschaften mitnehmen.
Danach gibt man das Leihviech wieder zurück ?!?!, entfuhr es dem erbosten Ferdinand Jodl aus Plotzenbichel.
...und zahlt und geht alleine wieder von dannen. Kein Aufpassen, kein Steuerzahlen, keine Tierarztbesuche - mit einem Wort keine Umstände.
Und die Schildkröten...will Jodl wissen.
Ja, das ist der letzte Schrei, die werden in tragbaren Klarsicht-Behältern ausgeführt – rosa oder blau getönt – je nach Geschlecht.
Aber diese Käfige schauen ja aus wie durchsichtige Menage-Schüsseln !
Ganz recht, sagte der Herr Franz und fügte hinzu : Artgerecht und geschmackvoll, nicht wahr -
Da sah der Jodl, wie ein zweiter Glaskäfig zur Tür hereinkam, diesmal war es ein rosafarbener und
wurde von einem sehr eleganten Herrn getragen. Als dieser vom Eingang aus den Besitzer des anderen, in einem blauen Terrarium befindlichen Reptils erspähte, gesellte er sich spontan zu ihm, und die beiden plauderten äußerst angeregt miteinander. Als sie ihre Glasbehausungen öffneten und die Tiere auf die Tischplatte setzten, standen nach und nach mehrere Kaffeehaus-Gäste auf und begaben sich – unter oder auch ohne Mitnahme der eigenen Haustiere – zu dem Krötentisch und beobachteten interessiert, wie die beiden Tiere Kontakt miteinander aufnahmen.
Der ob der Ereignisse recht verwirrte Jodl-Bauer mußte nun wieder auf Herrn Franzens Erfahrung bezüglich urbanen Gehabens zurückgreifen.
Ungeduldig fragte er, was denn da nun vor sich ginge.
Schildkrötenbefruchtung mit Wetten über die Eieranzahl.
Längere Zeit überlegte der Jodl, was denn diese, auf dem Lande gänzlich unbekannte Zeremonie bedeuten sollte.
Während er so beobachtete und nachdachte, fiel ihm ein kleiner Mann mit Schirmmütze auf, der mit einem Schreibblock von Zuseher zu Zuseher ging, emsig Notizen machte und danach Geldscheine in seiner Rocktasche verschwinden ließ.
Dieser Mann war also das ambulante Wettbüro - - -
Idiotisch, dachte der simple Landwirt bei sich und rief : Herr Franz, zahlen !
Als der Ober die Originalität des Wettens auf dieses besondere Ereignis hervorhob, geriet der Jodl in Wut, sosehr in Wut, dass er energisch seine Meinung kundtun wollte, aber er beließ es beim Kopfschütteln, weil – no weil man sich mit einem Kellner nicht zerstreitet. Und das war auch gut so, denn er hatte noch vor, diesen um einen speziellen Hinweis zu bitten.
Das Trinkgeld fiel somit schon im Vorhinein etwas hoch aus, als er mit dem leicht pfiffigen Blick eines Agrarmesse-Besuchers sein Anliegen vorbrachte :
Herr Franz, können sie mir vielleicht einen Tipp geben, wo man sich in der Nähe ein wenig unterhalten könnte. Und leise fügte er hinzu : Mit Damen...
Diskret beugte sich der Frack zum Fragesteller hinunter und meinte : Wohl angeregt durch die Schildkröten, was - !
Als er keine Reaktion bekam, fuhr der Ober Franz fort :
War bloß ein Scherz, Herr Jodl. Zur Sache – vor kurzem erst hat ein Haus seine Pforten geöffnet, das sich bereits eine ausgezeichnete Reputation erarbeitet hat. Es heißt Lorelei und ist in der Unterbergenstraße, zehn Gehminuten von uns entfernt. Elfriede und Suse heißen die begehrtesten Unterhaltungskünstlerinnen. Sie verstehen sich auf ihr Fach.
Noch eine Banknote floß in die Nähe des Frackärmels, und ein seliger Ferdinand Jodl verließ erwartungsvollen Schrittes das Lokal.
War es doch gute, alte Tradition, zur Zeit der Frühjahrsmesse auch einmal ein junges, hübsches Stadtmädchen zu erobern und sich nicht ausschließlich um Landwirtschaftsmaschinen und Düngemittel zu kümmern. Auf jeden Fall kam ihm diese Gewohnheit viel natürlicher und sinnenerfrischender vor als dieses abgeschmackte Schildkrötenwurf-Wetten...
Suse war sofort greifbar, gut gelaunt und zum Herzerfrischen aufgelegt.
Champagner, zärtlich hingehauchte Fragen, Komplimente, begleitet von wonniglichen Streicheleinheiten, dazwischen heftige Küsse mit strammen Umarmungen, wie es halt der Jodl so gerne hat.
Unversehens entglitt ihm ein Arm, worauf Suse denselben mit einem lüsternen Schrei unter ihrem kurzen Rock hervorholte.
Nein, Ferdinand, du mein süßer Wilder aus Plotzenbichel !
Dies war aber nur eine letzte, nicht ernst zu nehmende Verweigerung, danach sperrte sie das Separee von innen ab und schritt hypnotisierend auf den Jodl-Bauern zu. Dieser machte einen tiefen Schluck aus der Champus-Flöte, lachte ein wenig, trank wieder, lachte nochmals und trank.
Doch nun zeigte sich das Schicksal von seiner allmächtigen und gleichzeitig brutalsten Seite - - -
Plötzlich hämmerten die Worte seiner Frau in seinem Kopf : Alle Stadtweiber sind schlecht oder krank – manchmal auch beides. Sein Sohn hatte ihn unlängst ausgelacht, als man ganz allgemein über konservative Verhütung und Liebe im fortgeschrittenen Alter sprach, und der Junge darauf einen amüsierten Kommentar abgab : Geh Papa, du und die Mama – etwa noch immer - ?
Dann mußte er jetzt auch noch an die Perverslinge denken, wie sie im Cafe Orient gerade den Schildkröten bei der Vermehrung zusahen...
Dies alles zusammen verursachte die Schlappe, die nicht einmal die überaus geschickte Suse mit all ihrem Einfühlungsvermögen abzuwenden vermochte.
Als die Zeit nicht und nicht verstreichen wollte, und sämtliche Register von Rafinesse und Willensdressurakten von beiden Seiten bloß als vergebliche Liebesmühe empfunden wurden, entkam es dem Jodl-Bauern ganz urplötzlich :
Wo gibt’s in der Nähe eine Kostümleihanstalt ?
Suse, froh über jeden neuen Impuls in der Unterhaltung, dachte kurz nach und sagte :
Zwei Häuserblocks von hier – in einer Seitengasse.
Jetzt brach das Kernige im Charakter des Jodl durch – voriges Jahr gab es eine gute Weizenernte, und auch der Rinderverkauf hatte ordentlich Gewinn gebracht, sodass er mit einigen überschüssigen Finanzen gesegnet war. Also konnte er jetzt großzügig sein.
Er stand mit einer für dieses Manöver hochdotierten Suse vor dem Spiegel und knöpfte das Gorillafell unter ihrem Kinn zu. Der Verleiher ließ noch sein übliches „Passt ganz ausgezeichnet“ hören, dann rauschte der Jodl-Bauer mit der Affen-Suse im Taxi in Richtung Cafe Orient ab.
Er wird es denen schon zeigen, was eine wirkliche Originalität ist. Die ausgeliehenen Hunde und Katzen und die sich paarenden Kröten – das alles wird verblassen neben dem, was sich gleich abspielen wird. Dachte er – und recht hatte er!
Sein Einzug mit der sich noch etwas aufreizend bewegenden Äffin Suse – er machte sich gar nicht die Mühe, ihr einen Tiernamen zu geben – gestaltete sich zu einem Auftritt, der im Moment nur die Stadt, später jedoch die gesamte Öffentlichkeit aufhorchen ließ.
Im Nu saßen drei, vier aus dem Nichts gewachsene Reporter neben der Bananen-Frapee schlürfenden Suse. Fragen nach Ferdinand Jodl´s famoser Eingebung, nach seiner Familie, den Hobbies und den Lieblingsfarben wurden von einem Blitzlicht-Gewitter begleitet, das alle anderen Tierhalter rundum neidisch erblassen ließ.
Als Suse der Trubel ein wenig zu bunt wurde, ging sie auf den Tisch eines professoral aussehenden Herrn zu, legte einige Zeitschriften zu einem Stapel zusammen, öffnete den Zipp an der Innenseite ihres Schenkels und entleerte sich darauf laut quietschend ihres Blaseninhaltes.
In der jetzigen Situation bewahrten jedoch alle Kaffeehaus-Besucher Disziplin, stand doch die Menschheit an einem Wendepunkt, wurde damit das Jahr eins in der Geschichte der Großtierhaltung eingeläutet, und zwar - wie es sich gehört - mit Kaffeelöffeln an den Wassergläsern...
Dies war der nur zu verdiente Beifall für einen überlegen wirkenden Jodl-Bauern.
Zur nächsten Frühjahrsmesse wurde der geniale Neuerer von seiner Frau begleitet, die seinen glorreichen Auftritt von den Pressemeldungen rückwärts verfolgend, dort beginnen sah, wo sich all ihre Verdachtsmomente bestätigt fanden.
Einträchtig saßen die beiden nebeneinander im Cafe Orient und wurden von einem überhöflichen Ober Franz bedient, der sich respektvoll die Bemerkung erlaubte, dass heutzutage bereits Primaten als Gäste begrüßt werden - mit Menschen an der Leine.
Zu Wetten sei es aber noch nicht gekommen.
Das fand jetzt auch der tierliebende Ferdinand Jodl aus Plotzenbichel in höchstem Maße originell.
Tag der Veröffentlichung: 17.04.2009
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