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Last Minute ins Glück

 

Last Minute ins Glück

 

„Hast du eigentlich schon Pläne für den Urlaub?“, fragte Anne, Evas beste Freundin.

 

„Was soll ich schon für Pläne haben? Nachdem mich Mark wegen dieser Französin verlassen hat, bin ich irgendwie von der Rolle und nur froh, den Alltag überhaupt gemeistert zu bekommen. Außerdem kann ich mir keine große Reisen erlauben.“

 

„Eva, dein Mark ist es nicht wert, überhaupt einen Gedanken an ihn zu verschwenden.“

 

„Anne, ich hatte auch schöne Jahre mit ihm und außerdem verdanke ich ihm meine Tochter.“

 

„Ja, und mit der kannst du doch wenigstens eine Woche Urlaub machen, vielleicht als Belohnung für das bestandene Abitur.“

 

„Mal sehen, zuerst muss sie es aber auch bestehen.“

 

„Klar, dass Niki durchs Abi kommt. Eva, lass den Kopf doch nicht so hängen, andere Mütter haben ebenfalls nette Söhne und sicher auch noch einen für dich.“

 

„Aber ich will keinen anderen, ich liebe nun mal Mark, immer noch, und in meinen Träumen hoffe ich, dass er eines Tages zu mir zurückkommt. Aber nur in meinen Träumen, denn im Grunde sage ich mir, ich sollte einen Schlussstrich ziehen.“

 

„Wenn ich dir einen Rat geben darf, schreib ihn wirklich ab und schaue positiv in die Zukunft. Du bist noch jung genug für ein neues Leben und siehst auch noch gut aus, d.h. wenn du ein anderes Gesicht machst und nicht als Miesepeter durch den Tag läufst.“

 

Niki hatte ihr Abitur sogar mit 2,1 geschafft, unglaublich, dabei hatte sie kaum etwas dafür getan, wenigstens in Evas Augen. Wenn diese noch daran dachte, wie sie damals gebüffelt hatte, nur um die mittlere Reife oder wie das heute hieß, die "Fachschulreife" zu erreichen. Aber damals wurde wohl auch mehr verlangt. Wie dem auch sei, ihre Tochter hatte es geschafft und das musste honoriert werden. Kurz entschlossen war sie ins Reisebüro gegangen und hatte "last minute" Türkei gebucht. Mark allerdings hatte ihr von der Türkei abgeraten: „Das ist viel zu gefährlich. In habe in der Zeitung gerade gelesen, dass ein türkischer Dolmus-Fahrer eine Frau vergewaltigt und getötet hat. Und du willst dich und Niki in Gefahr begeben? Damit bin ich nicht einverstanden.“

 

„Mark, das ist für mich kein Grund, nicht dort hinzufahren, denn im „Stadtanzeiger“ kannst du fast jeden Tag von Mord, Totschlag und Vergewaltigung in Köln lesen. Auch war ich noch nie in der Türkei, habe mir aber sagen lassen, dass es dort sehr schön sein muss. So habe ich für uns ein 5 Sterne Hotel mit Animation gebucht, und sogar für zehn Tage, wobei ich weniger an High Life als an sportliche Dinge dachte, für einen Preis, für den man sich noch nicht einmal Mallorca leisten kann. Außerdem muss ich aufs Geld schauen, denn von dir bekomme ich ja nur, was der Anwalt ausgehandelt hat, und keinen Cent mehr.“

 

Zu diesen Argumenten fiel ihm nun nichts mehr ein und so konnte die Reise am Samstagmorgen kurz vor 13.00 Uhr in Düsseldorf losgehen. Warum eigentlich dort? Dabei hatten sie so einen schönen Flughafen vor der Türe. „Nein, Flüge ab Köln sind alle ausgebucht, nur ab Düsseldorf!". Nun, wenn es nicht anders ging, dann eben Düsseldorf. Aber ein Taxi nach Düsseldorf kostete eben mehr als nur nach Köln-Wahn. Allerdings hatte Mark sich angeboten, sie dorthin zu bringen, doch sie zog in dem Fall ein Taxi vor.

 

Freitags war erst einmal die Abifeier, zu der überraschenderweise Mark erschien, von Niki persönlich eingeladen, was Eva nicht unbedingt recht war, auf der anderen Seite aber den Vorteil hatte, nicht allein dort hingehen zu müssen.

 

„Es ist doch wohl selbstverständlich, dass ich bei der Abifeier meiner Tochter dabei bin, würde euch auch gerne zum Flughafen fahren, aber du willst es ja nicht. Ich habe es extra so eingerichtet, erst Samstagabend zurückfahren zu müssen, da ich dienstlich hier einiges zu regeln habe. Es wäre also ein Leichtes für mich, euch zum Flieger bringen.“

 

„Das ist nicht nötig, fahre schön Freitagabend nach der Feier zu deiner Francoise! Wir bevorzugen ein Taxi.“

 

Nachmittags gönnte Eva sich einen Besuch bei der Kosmetikerin und anschließend eilte sie noch schnell zum Friseur, denn das schönste Kleid sah nicht aus, wenn die Haare nicht lagen. Dann zog sie ihr schickes Kleid an, das sie sich extra für die Abifeier und den Urlaub zugelegt hatte und das Mark nicht kannte. Selbst Niki trug zur Feier des Tages ausnahmsweise ein Kleid anstatt ihrer so heiß geliebten Jeans. Der Kauf dieses Kleides hatte sehr an Evas Nerven gezehrt, denn Niki war unwahrscheinlich kritisch. Außerdem stimmte ihr Geschmack nicht mit dem ihrer Mutter überein. Nach einigen Stunden Wühlens in sämtlichen Läden der Einkaufspassagen, Eva war dem Zusammenbruch nahe und kurz vor dem Ausflippen, hatte sie sich dann doch für das Kleid entschieden, das Eva von Anfang an gut gefallen hatte.

 

Mark hatte versprochen, so frühzeitig zu kommen, um Eva und Niki mit Kuchen und Salat, den die beiden am Abend vorher für das kalte Buffet vorbereitet hatten, in die Schule zu fahren.

 

Inzwischen hatte Eva ihre Garderobe beendet und ein Blick in den Spiegel sagte ihr, dass sie wohl mit ihrem Aussehen zufrieden sein konnte und somit der Ankunft ihres "Noch-Ehemannes" gelassen entgegensehen durfte. Wie erwartet, schaute dieser sie sehr überrascht an und meinte nur: „Dir scheint das Alleinsein wirklich gut zu bekommen."

 

Nun, so würde sie das nicht sehen, aber die Worte von Anne hatten sie aufgerüttelt. Leider konnte man das von ihm bei bestem Willen nicht behaupten, er sah ausgesprochen mies aus. Pünktlich und gut gelaunt fuhren sie los, aber einige Leute schienen in der Schule übernachtet zu haben, um einen guten Platz zu bekommen. Das erinnerte sie an den Kartenvorverkauf für die „Lachende Lanxess Arena“. Da übernachteten die Leute sogar in Schlafsäcken, nur um die begehrten Tickets zu ergattern. Alle Stühle waren nämlich schon besetzt, lediglich in der hintersten Reihe gab es noch zwei Plätze, von denen aus man gut sehen, aber nicht so gut verstehen konnte. Getränke - ausschließlich alkoholfreie - gab es nur gegen Bezahlung. Dabei hatte man für die Abiturfeier schon in die Tasche greifen und zum kalten Buffet sein Scherflein beitragen müssen.

 

Das Programm war einmalig und entschädigte. Was für ungeahnte Talente da zu Tage kamen! Die Lehrer wurden kräftig durch den Kakao gezogen, nun, man konnte es sich jetzt auch leisten, man hatte von keinem etwas zu befürchten, die Zeugnisse und Zensuren standen. Das kalte Buffet war eine Wucht, was viele Eltern doch da gezaubert hatten. Eva und Niki hatten Donnerstagabend schnell einen griechischen Salat und einen Kuchen aus der Dr. Oetker-Backmischung "fabriziert" und damit mehr als genug getan, so dachten sie wenigstens. Zum Glück war den anderen mehr eingefallen, denn die Tische waren voll beladen mit Köstlichkeiten. Das Programm dauerte bis kurz nach 24:00 Uhr für die Eltern, danach feierte die Jugend unter sich weiter. Mark brachte Eva nach Hause und wollte auch noch auf einen Sprung mit hinauf kommen.

 

„Nein, mein Lieber, fahr schön nach Hause. Deine Francoise wartet sicher schon auf dich, vergiss nicht, sie von mir zu grüßen. Ich muss morgen frühzeitig aufstehen, habe doch noch das eine oder andere zu erledigen.“

 

„Schade, ich hätte gerne noch mit dir ein Glas Rotwein getrunken, so wie in alten Zeiten, denn in der Schule gab es ja nichts Gescheites.“

 

Sie aber drängte ihn hinaus und schloss schnell hinter ihm die Türe zu.

 

Sichtlich enttäuscht fuhr er davon, was ihr irgendwie gut tat. Sie ging auch sofort zu Bett, schlief aber schlecht, da sie ständig lauschte, ob Niki nach Hause kam. Erst kurz nach 4.00 Uhr hörte sie, wie die Tür aufgeschlossen wurde.

 

„Und wie war es?“, erkundigte sie sich interessiert.

 

„Ganz nett, aber nicht überwältigend!“, war die knappe Antwort.

 

Wie erwartet, war es am anderen Morgen ein Problem, die junge Dame aus dem Bett zu bekommen. Das Taxi musste sogar noch warten, da Niki erst in letzter Minute aus dem Bett gesprungen war. So durfte sie ohne Frühstück die Fahrt nach Düsseldorf antreten. Kein Wunder, dass sie die Letzten am Check-in waren, denn sofort nach dem sie die Koffer aufgegeben hatten, hörten sie: „Letzter Aufruf für den Flug XY 309 nach Antalya!“

 

Die Maschine war nicht besonders groß und auch nicht ausgebucht, so dass neben Eva und Niki keine dritte Person mehr Platz nahm. Die Zeit verging recht schnell mit ein bisschen Lesen und Musikhören und schon bald begann die Landephase. Niki stöhnte ganz entsetzlich, auch Eva taten die Ohren weh, aber durch Jammern würde es wohl kaum besser.

 

Sie landeten heil und sicher und die Fluggäste belohnten die Landung mit Händeklatschen. Warum eigentlich? Der Pilot hatte doch sicherlich auch vor, heil runterzukommen und außerdem war es sein Job, gut zu landen. Wofür also dieses Geklatsche? Die Einreiseformalitäten waren im Handumdrehen erledigt und zum Glück kamen die Koffer ebenfalls schnell, denn Eva hatte weniger Angst vor dem Fliegen, als dass die Koffer irgendwo stehen bleiben könnten. Vor allen Dingen wäre es mehr als tragisch, wenn sie ihre Kosmetiksachen nicht zur Hand hätte. Dies hatte Mark immer belächelt und von „Altbausanierung“ gesprochen.

 

Der Reiseleiter empfing sie mit netten, deutschen Worten und der klimatisierte Bus brachte sie in einer Dreiviertelstunde an den Ort ihrer Wünsche. Die Anlage machte einen gepflegten Eindruck, aber an der Rezeption dauerte es ewig, da die Gäste sich entweder für das Haupthaus mit Blick auf die Straße oder für das Gartenhäuschen, sprich: "garden chalet", entscheiden mussten. Da Eva und Nicki sich für letzteres entschieden hatten, mussten sie weiter warten, bis alle Gäste zusammen waren, die ins „Chalet“ wollten, da der Bellboy sich erst in Bewegung setzte, als er alle Koffer zusammen hatte. Das "Gartenhäuschen" entpuppte sich als ein sehr schön gelegenes Nebenhaus, das in dem weitläufigen Garten absolut ruhig lag. Bis zum Haupthaus hatte man gut fünf Minuten zu gehen, was beide als sehr angenehm empfanden, denn so mussten sie sich immerhin ein bisschen bewegen und konnten nicht sofort vom reichhaltigen Buffet direkt in den Liegestuhl zu wandern.

Eva und Niki packten schnell ihre Sachen aus, machten sich frisch, zogen was Luftiges an und marschierten in Richtung Speisesaal. Sie hatten beide großen Hunger. Eva hatte zwar morgens noch schnell zwei Brötchen verdrückt, aber Niki hatte außer dem bescheidenen Mahl an Bord nichts gegessen.

 

Das reichhaltige Buffet war auf der Terrasse aufgebaut, die wunderbar angelegt war mit Blick aufs Meer. Sitzen konnte man wo man wollte, es gab keine Platzordnung. Sie wählten einen Tisch, von dem man sowohl Blick aufs Buffet als auch auf die ankommenden Gäste hatte. Eva hatte sich schon Sorgen gemacht, was wohl so an Abendgarderobe getragen würde und ob sie da mithalten konnte. Dies schien jedoch unbegründet. Am meisten trug man Bauch. Niki meinte, ob vielleicht ein Kongress der Bäuche stattfinden würde. Dann erschienen auch die beiden Herren, die mit ihnen zusammen angekommen waren. Es waren offensichtlich Vater und Sohn. Sie steuerten sofort auf ihren Tisch zu. Eva und Niki schauten sich an, aber es gab keinen Grund, ihnen die Plätze zu verwehren.

 

Kaum saßen die Herren, machten Eva und Niki sich auf den Weg zum Buffet. Unterwegs meinte Niki: „Der Sohn ist mir zu alt und der Vater für dich viel zu hässlich. Beide sind außerdem zu dick. Mein Vater sieht in jeder Hinsicht bedeutend besser aus!"

 

Was sollte Eva darauf erwidern? Sie wollte weder mit dem Vater anbändeln noch sich darüber Gedanken machen, wer nun besser aussah, er oder Mark. Sie interessierte im Moment nur das Buffet. Und das mit Recht. Man wusste gar nicht, für was man sich entscheiden sollte: Salate in Hülle und Fülle, jede Menge warme Vorspeisen, diverse Hauptgerichte, aber das Non plus ultra, das waren die Nachspeisen. Sie griff zunächst zu den köstlichen Salaten und Niki zu den warmen Vorspeisen.

 

Als sie zum Tisch zurückkamen, da standen schon die Getränke, Wein und Cola, für sie bereit, die sie zuvor beim Ober bestellt hatten. Vater und Sohn waren wohl ebenfalls zum Buffet geeilt. Eva und Niki ließen es sich gut schmecken, erfreuten sich an dem wunderbaren Panorama und waren rundherum zufrieden. Allerdings kehrten auch schnell ihre beiden Tischnachbarn mit Tellern bis obenhin beladen an den Tisch zurück. Es begann ein "small talk". Der Vater war geschieden und lebte mit dem Sohn, der zwar schon Anfang 30 war, zusammen. Eva erklärte lediglich, dass ihre Tochter ein gutes Abitur gemacht und sie als Belohnung mit ihr zehn Tage Urlaub gebucht hätte, damit sie beide sich von den Strapazen erholen konnten. Dass sie von ihrem Mann getrennt lebte, ging die beiden nun wirklich nichts an.

 

Das Abendessen zog sich in die Länge, da man immer wieder magisch von dem Buffet angezogen wurde. Niki sagte kein Wort, wie fast immer, wenn sie sich in fremder Umgebung befand. Der Sohn schaufelte Mengen in sich hinein, gab aber auch nichts von sich, nur der Vater redete ununterbrochen, doch nahm Eva das kaum wahr.

 

Als beim besten Willen nichts mehr rein ging, standen Eva und Niki auf, um sich ein bisschen umzusehen und zu bewegen. Vater und Sohn wollten das gleiche tun, gingen aber in die andere Richtung. Wie der Zufall es wollte, trafen sie aber gleichzeitig an der Beach Bar ein, wo um diese Zeit "Hitparade live" war. Niki und der junge Mann stürmten - wenn auch getrennt - auf die Tanzfläche und Eva und der Vater suchten einen freien Tisch, was sich als schwierig, aber nicht als unmöglich erwies. Der Vater stellte sich dann auch als Manfred Hagemann aus Neuss vor und sein Sohn wäre der Alexander. Notgedrungen musste Eva auch ihre Namen nennen, alles andere wäre wohl unhöflich gewesen.

 

Die Musik war recht gut. Bei jedem neuen Titel wurden die Leute auf der Tanzfläche gezählt. Der Titel, der die meisten Tänzer auf die Tanzfläche lockte, war der Sieger. Niki und Alexander tanzten unermüdlich, wenn auch nicht miteinander. Vater Manfred forderte Eva auf, mit ihm auch ein Tänzchen zu wagen, doch sie hatte dazu keine Lust. Ihr reichte das Zuschauen, es war ein munteres Völkchen, jung und alt, das sich dort austobte. Vielleicht wäre es - in Anbetracht des reichlichen Abendessens - gar nicht so schlecht gewesen, sich ein wenig zu bewegen, aber ihr fehlte einfach der Schwung und der "Charme" von Vater Manfred konnte sie auch nicht dazu verlocken. Es war doch alles ein bisschen viel gewesen: letzter Tag im Büro mit jeder Menge Arbeit, dann Kofferpacken, Abifeier und Mark, auch wenn sie nichts mehr von ihm wissen wollte, oder doch? Irgendwie hatte seine Gegenwart sie aufgewühlt und das war wohl auch der Grund gewesen, dass sie so schlecht geschlafen hatte, nicht nur das Warten auf Niki. Dann die Hast zum Flughafen, der Flug, das unbekannte Ziel, nun, sie war wohl solchen körperlichen und seelischen Belastungen nicht mehr so gewachsen wie in früheren Jahren. Es zog sie daher in ihr Bett und nicht - wie von Manfred vorgeschlagen – in die nächste Bar. Auch Niki hatte keine Lust mehr und so wanderten die beiden in ihr klimatisiertes "Gartenhäuschen" und lagen bald schon in Morpheus Armen.

 

Eva schlief so gut wie lange nicht mehr, wurde aber verhältnismäßig früh wach. Niki lag noch in tiefen Träumen. Sie stand schnell auf, hielt eine Katzenwäsche und machte sich auf den Weg zum Swimmingpool, der nur ein paar Meter entfernt lag. Bis zum Meer war es ihr zu weit und zu dieser Stunde hatte wohl außer ihr keiner den Wunsch, ein paar Runden im Pool zu schwimmen. Ah, tat das gut. Die Luft war schon recht warm und das Wasser ebenso. Außer dem Zirpen in den Bäumen war nichts zu hören. Wie sie später erfuhr, kam dieses Geräusch von Insekten, die zu Scharen in den Bäumen saßen und - wenn es ihnen zu heiß wurde - mit den Flügeln schlugen. Es hörte sich genauso an wie das Zirpen von Grillen, die aber wohl eher auf der Erde als auf den Bäumen anzutreffen waren.

 

Nachdem sie gut eine halbe Stunde geschwommen war, fand sie es an der Zeit, doch ins Zimmer zurückzukehren und mal nach Niki zu schauen. Die schlief natürlich immer noch. Eva verhielt sie sich aber nicht besonders ruhig, im Gegenteil. Sie machte die Balkontür auf, hing die nassen Badesachen auf, begann in den Schubladen zu wühlen, nichts regte sich, die Dame schlief. Es half also alles nichts, Eva musste sie gewaltsam wecken. Die Folgen waren wie immer katastrophal: Niki knurrte und meckerte. Von wem sie das wohl haben mochte? Selbst Mark war morgens munter und nicht muffig, aber Niki um diese frühe Stunde nicht anzusprechen und am besten ging man ihr dann aus dem Weg. Aber da es nur bis 10:00 Uhr Frühstück gab, es schon fast 9:30 Uhr war, blieb Eva nichts anderes übrig, als ihr einfach das Bettlaken fortzuziehen. Niki zeterte zwar, stand aber doch schlaftrunken auf und begab sich ins Bad. Viel anzuziehen brauchte man beim besten Willen nicht: Badeanzug und was drüber.

 

Das Frühstücksbuffet war eine Wucht, selbst die immer noch mürrische Niki wurde munter und griff zu. Die beiden wussten gar nicht, was sie zuerst nehmen sollten. Eva entschied sich dann für Joghurt mit Honig und Haferflocken und Niki für ihr geliebtes Müsli. Danach griffen sie zu dem so köstlich aussehenden Brot mit Schafskäse und als Krönung zu frisch gebackenen Croissants und kleinen Pfannkuchen. Alles ausgesprochen lecker und mit Sicherheit „kalorienarm". Aber was sollte es, sie hatten Urlaub und außerdem hatte Eva sich vorgenommen, gleich nach dem Frühstück an der Gymnastik teilzunehmen. Niki wollte derweil einen schattigen Liegeplatz in dem weitläufigen Terrain für sie organisieren, um noch eine Runde zu schlafen. Von den beiden Herren war nichts zu sehen, Eva und Niki legten aber auch keinen besonderen Wert darauf.

 

Wie vorgehabt, begab sich Eva sofort nach dem ausgezeichneten Frühstück zur Gymnastik, die unter schattigen Bäumen hinter dem Amphitheater abgehalten wurde. Sehr viele hatten sich aber nicht eingefunden. Zuhause ging sie auch immer zur Gymnastik und zum Schwimmen, nicht nur, weil es ihr Spaß machte, sondern weil es auch sehr gesund sein sollte, wie immer zu lesen war. Besonders gelenkig war sie nicht, aber vielleicht waren daran auch die paar Kilos zuviel schuld, auf die sie gerne hätte verzichten können. Daher hatte sie sich früher immer über Mark geärgert, der konnte nämlich essen, was er wollte, und nahm nicht zu, sie aber brauchte nur Schokolade und Kuchen anzugucken und hatte es schon auf den Hüften sitzen. Als Eva sich also mehr oder weniger abquälte, merkte sie, dass sie jemand intensiv anschaute: Manfred! Der hatte ihr noch zu ihrem Glück gefehlt. Sie nickte ihm nur kurz zu, um ihn anschließend zu ignorieren, so dass dieser zum Glück noch vor Ende der Gymnastik das Weite suchte.

 

In der Zwischenzeit hatte Niki unter den schattigen Bäumen zwei Liegestühle ergattert, was wohl weiter kein Problem gewesen sein musste, da es offensichtlich in der Anlage mehr Liegestühle als Gäste gab. Welch ein Wunder! Normalerweise war das nicht der Fall und somit Ärger um die Liegestühle vorprogrammiert. Eva konnte sich noch gut an einen Urlaub mit Mark auf Ibiza erinnern. Da war der Streit soweit gegangen, dass die Engländer die Handtücher, mit denen die Deutschen die Liegestühle belegt hatten, einfach in den Pool geschmissen hatten und die Deutschen dann im Gegenzug die Engländer hinterher. So etwas trug natürlich sehr zur "deutsch-englischen" Freundschaft bei!

 

Von Schlafen war bei Niki keine Rede mehr. Vielmehr wartete sie schon ungeduldig auf ihre Mutter, um endlich ins Meer zu springen, das glasklar vor ihnen lag. Es war toll, das Wasser angenehm, im ersten Moment zwar ein bisschen kalt, aber wenn man erst mal eingetaucht war, einfach super. Es hätte noch besser sein können, wenn nicht Manfred aufgetaucht und sie belabert hätte.

 

„Alexander ist beim Volleyball. Aber ich bin nicht so sportlich. Eva, ich habe Sie eben bewundert, Sie waren einfach großartig.“

 

Da blieb Eva der Mund offen: „Manfred, benötigen Sie eine Brille? Ich habe zwar mitgemacht und mich auch bemüht, aber das war es aber auch. Doch wie kann man bei der Hitze Volleyball spielen? Die Gymnastik fand im Schatten statt, aber das Feld ist doch in der prallen Sonne und das um die Mittagszeit.“

 

„Finde ich zwar auch, aber er will und muss etwas gegen seine Pfunde tun, was ich allerdings auch nötig hätte.“

 

Was sollte Eva darauf antworten? Sie gab Niki ein Zeichen und die beiden schwammen los in Richtung Boje, wobei sie zu ihrer Freude feststellten, dass Manfred ihnen nicht folgte. Das Wasser war einmalig, die Luft, die ganze Atmosphäre. Sie fühlte sich wohl, hinzu kam ihr ausgesprochen gutes Verhältnis zu Niki, was sie sich von keinem Mann vermiesen lassen wollte und bestimmt nicht von so einem uninteressanten.

 

An der Boje angekommen, hielten sie sich daran fest und konnten von da aus die ganze Anlage bestens überblicken. Es war schon ein großartiger Komplex und es mussten auch viele Gäste da sein, aber irgendwie verlief sich die Menge. Selbst beim Frühstück und Abendessen fielen die vielen Leute nicht auf, da es mehrere Buffets gab, an denen man sich bedienen konnte.

 

Sie blieben fast eine Stunde im Wasser, dann aber verspürten sie doch eine gewisse Leere in ihren Bäuchen, obwohl sie morgens so gut gefrühstückt hatten. Also duschten sie kurz, warfen sich nur ein Strandkleid bzw. einen Pareo über und marschierten in Richtung Beach Bar. Sie entschieden sich für einen Salat und einen Softdrink, Wasser und Cola, obwohl Eva lieber ein Glas Wein getrunken hätte. Doch das wollte sie sich besser für abends aufbewahren. Der Salat schmeckte sehr gut, das Wasser weniger. Eva hatte vorgehabt, um 15.00 Uhr an der Wassergymnastik teilzunehmen und Niki an den anschließenden Wasserspielen. Aber es zog sie in ihr "Gartenhäuschen", wo sie im klimatisierten Zimmer auch sofort einschliefen. Siesta am Nachmittag war für den ersten Tag bei Temperaturen von fast 40 Grad wohl auch das Beste.

 

Nach erholsamem Schlaf sprangen sie zur Ermunterung schnell in den Swimmingpool, wurden aber dort fast ermordet, da offensichtlich nur Kinder darin planschen durften, was allerdings bei einer Wassertiefe von über zwei Metern wohl recht gefährlich sein durfte. Die glücklichen Eltern dösten in der Sonne, vor sich einen großes Bier. Als Eva und Niki ankamen, öffneten sie ein wenig die Augen, schielten erst auf den Nachwuchs und dann auf die beiden, was diese aber nicht davon abhielt, ihre Runden zu drehen. Man bedachte sie auch mit Worten, die sie jedoch nicht verstanden, da es sich offensichtlich um russisch handelte. Ihnen war schon aufgefallen, dass sehr viele Russen im Hotel waren, die Deutschen waren jedoch in der Überzahl. Daneben gab es noch Österreicher, Franzosen und einige Engländer.

 

Das erfrischende Bad im Pool hatte sie - trotz der bösen Blicke – richtig munter gemacht. Anschließend zogen sie sich schon für den Abend um, wollten aber vor dem Essen noch das Terrain ergründen. Es gab diverse Läden, Boutiquen, Friseur, Schönheitssalon, Gewürz- Stube und etliche Bars.

 

„Mama, du musst unbedingt Papa anrufen, damit er weiß, dass wir gut angekommen sind. Er macht sich sicher Sorgen um uns.“

 

„Niki, für ein Telefonat gibt es wirklich keinen Grund und dass er sich um uns Sorgen macht, das bezweifele ich. Wenn uns was passiert wäre, zum Beispiel ein Flugzeugabsturz, dann hätte er das schon längst aus dem Internet erfahren. Aber wenn du unbedingt mit ihm reden willst, dann müssen wir an der Rezeption eine Telefonkarte kaufen.“

 

Widerwillig rief sie ihn also an. Er war auch sofort selbst am Apparat. „Schön, dass du anrufst, ich habe mich schon gefragt, wie es euch geht.“

 

Eva gab keine Antwort, vielmehr drückte sie sofort Niki den Hörer in die Hand, denn diese wollte ihn sprechen und nicht sie.

 

Danach machten sie sich auf den Weg zum Abendessen. Auf der Terrasse waren schon einige Tisch besetzt, es wehte ein laues Lüftchen, das blaue Meer lag vor ihnen und im Hintergrund erklang leise Musik, es war richtig romantisch. Sie hielten Ausschau nach einem geeigneten Tisch. Da winkten ihnen auch schon Vater und Sohn Hagemann zu. Nun, unhöflich wollten sie nicht sein und außerdem hatten die Herren den Tisch, den sie sich ausgeguckt hatten. So steuerten sie direkt auf die beiden zu. Vater Hagemann sprang auf, um Eva den Stuhl zurechtzurücken und auch der Sohn schenkte ihnen ein Lächeln, besonders Niki, was von ihr ignoriert wurde, vielmehr sagte sie: „Wir haben gerade mit meinem Vater telefoniert. Er ist beruflich in Frankreich und konnte uns daher nicht begleiten!" Diese Bemerkung wurde allerdings von beiden Herren einfach ignoriert.

 

"Wir haben Sie beide heute Nachmittag schon vermisst. Wir haben Boccia gespielt, ein bisschen Badminton und sogar schon eine Fahrt mit dem Banana-Boot gemacht. Das ist eine tolle Sache. Da kann man sich höchstens ein paar Minuten drauf festhalten, dann kippt die ganze Chose um und man liegt im Wasser".

 

Was das nun Berauschendes sein sollte, das konnte Eva sich beim besten Willen nicht vorstellen. Wenn es jedoch den beiden Spaß gemacht hatte, warum nicht, aber für sie wäre es nichts.

 

„Mama und ich haben ein wenig geruht, denn das Klima hier ist doch ein bisschen anders als bei uns und man sollte es am ersten Tag nicht übertreiben", erwiderte Niki, ehe Eva den Mund aufmachen konnte.

 

Das Essen verlief ohne weitere spitze Bemerkungen, denn alle waren wieder mit dem Aussuchen der köstlichen Speisen beschäftigt. Eva hatte es vor allen Dingen das Nachtisch-Buffet angetan und so langte sie tüchtig zu, Kilos hin oder her, außerdem blieben sie ja nur zehn Tage. Morgen früh würde sie wieder zur Gymnastik gehen und nachmittags zur Wassergymnastik. Also holte sie sich noch schnell ein Stückchen Kuchen. Zum Essen selbst genehmigte sie sich nun zwei Gläschen Wein, denn sie wollte die Woche genießen und nicht mit Magenbeschwerden im Bett liegen. Sie erinnerte sich noch zu gut an ihre Hochzeitsreise nach Italien. Da hatte sie noch keinen Tropfen Alkohol getrunken, sondern zum Essen nur Wasser. Nach drei Tagen hatte es sie erwischt. Und das sollte sich nun doch nicht wiederholen. Niki trank Cola, was ja auch gut gegen Magenbeschwerden sein sollte.

 

Nach dem Essen machten sie einen Spaziergang hin und zurück zum "Gartenhäuschen", um sich noch ein bisschen zu bewegen. Anschließend ging es zum Amphitheater, wo an diesem Abend das Unterhaltungsprogramm stattfand. Der viel versprechende Titel lautete: "Männer gegen Frauen", was auch immer das bedeuten mochte. Hagemanns hatten mal wieder den besten Platz erwischt und winkten ihnen zu. Nun, was blieb ihnen anderes übrig als das Angebot anzunehmen? Das Programm war mehr als schwach, eine richtige Kinderbelustigung, nur, dass weniger Kinder als Erwachsene da waren und sich tatsächlich königlich zu amüsieren schienen. Die Frauen gewannen zwar, was nicht ganz richtig war, sie schummelten nämlich genau wie die Männer, nur wurde das übersehen. Bei dem Spiel mussten Bälle hinter dem Rücken blitzschnell nach vorne geschoben werden, es musste ein Schlauch durchs Hosenbein über die rechte Seite, den Hals und die linke Seite hinunter gezogen und dann an den Nachbarn weitergereicht werden. Das Ganze erinnerte Eva an Kindergeburtstage, da wurden auch solche Spielchen gemacht. Doch allgemein gefiel es den Leuten, es wurde gelacht, man fand es lustig, die Animateure waren zufrieden. Auch Hagemanns machte es offensichtlich Spaß. Nach dieser Kinderbelustigung strömte alles an die Bar oder in die Disco. Niki wollte natürlich in die Disco und Sohn Hagemann auch. Sie bewegten sich also gemeinsam in Richtung Disco, schauten hinein, aber auch ganz schnell wieder hinaus, denn was erklang dort für Musik: "Elvis!", er trällerte: "Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus".

 

Natürlich brauchte er nicht zum „Städele“ hinaus, die vier aber ganz schnell aus der Disco. Außerdem hatte Eva bei der "Kinderbelustigung" bereits zwei Raki getrunken, natürlich „nur“ aus gesundheitlichen Gründen, denn Raki war laut Herrn Atatürk Medizin, auch wenn er später an Leberzirrhose gestorben war. Sie hatte daher schon die nötige Bettschwere und sehnte sich nach ihrem "Gartenhäuschen".

Manfred meinte jedoch: „Lass uns doch noch in die Sultan-Bar gehen. So spät ist es noch nicht und ein richtiger Absacker muss doch wohl noch sein, oder?“

 

Eva winkte ab und verkündigte, dass ihr Bedarf an alkoholhaltigen Getränken gedeckt wäre und Wasser hätten sie genug im „Gartenhäuschen“ und selbst Niki, die Nachteule, wollte zu Bett.

 

Am anderen Morgen ging es als erstes wieder in den Swimmingpool, anschließend schnelle Morgentoilette, Niki aus dem Bett gezerrt und ab zum Frühstücksbuffet. Wer saß schon da und schaute sie erwartungsvoll an: Hagemanns.

 

„Gnädigste, wie haben Sie geschlafen?". Die "Gnädige" hatte super geschlafen und sie gab der Hoffnung Ausdruck, dass er von sich dasselbe behaupten könnte.

 

„Nun ja, aber eben alleine!"

 

„Wieso alleine, war Ihr Sohn nicht da?“, entgegnete Eva harmlos, obwohl ihr sofort klar war, worauf er hinaus wollte.

 

"Natürlich war Alex bei mir, aber eben nur Alex!"

 

„Wer sollte denn sonst noch bei Ihnen sein, Sie haben doch nur ein Doppelzimmer", entgegnete Eva ganz unschuldig. Niki grinste sich eins und Vater Hagemann hielt sich daraufhin geschlossen.

 

Nach dem Frühstück trennten sich ihre Wege. Hagemanns wollten an den Strand, Niki wieder einen Platz unter den Bäumen suchen und Eva zur Gymnastik. Diese war für Punkt 11:00 Uhr angesetzt, was nicht so günstig war, da sie praktisch direkt nach dem Frühstück stattfand und es sich mit vollem Bauch nicht so toll turnen ließ. Nachdem sie sich mehr oder weniger abgerackert hatte, holte Niki sie zum Schwimmen ab. Der Weg führte an Manfred Hagemann vorbei, der sich so hingelegt hatte, dass jeder, der ins Meer wollte, an ihm vorbei musste. Er lag nämlich direkt am Steg, von dem aus man sofort ins Wasser kam, ohne sich die Füße an den vielen Steinen gestoßen zu haben.

 

Sofort sprang er auf. „Ich wollte auch gerade ins Wasser, nehmt mich mit!" Als wenn er ein kleines Kind wäre, er konnte doch schwimmen und außerdem waren vor ihnen sicher schon andere Leute ins Meer gegangen, denen er sich hätte anschließen können.

 

Alex war nicht zu sehen. „Wo ist denn der Herr Sohn?", erkundigte sich Eva.

 

„Nun, der wollte gerade Volleyball spielen und gleich werden wir am Aperitif-Spiel teilnehmen, ihr doch sicher auch, oder?"

„Auf keinen Fall! Wir bleiben vorläufig im Wasser", entgegnete Niki sofort. „Alkohol macht nur dumm und ist außerdem ungesund."

 

„Wie ihr meint! Ich gehe auf alle Fälle jetzt mit euch schwimmen, egal, ob ihr gleich Lust habt mitzuspielen oder auch nicht. Irgendwie muss man doch die Zeit rumbringen."

 

Eva glaubte, sich verhört zu haben. Die Zeit lief ihr hier unter den Nägeln fort und der redete von Zeit rumbringen.

 

„Ich beteiligte mich zwar auch an Gymnastik und Wassergymnastik, aber nicht um die Zeit totzuschlagen, sondern um mich ein wenig fit zu halten“, gab Eva schnippisch zur Antwort.

 

„Ob der Mensch sich eigentlich nicht anderweitig beschäftigen kann?“, überlegte sie. „Für die Reise hatten sie beide sich extra ein paar interessante Bücher mitgenommen, denn was gibt es Schöneres als im Liegestuhl zu faulenzen, die Seele baumeln zu lassen oder zu lesen. Bis jetzt waren sie leider noch nicht dazu gekommen, auch nur eine Zeile zu lesen. Und dieser Mensch wusste nichts mit sich anzufangen. Kein Wunder, dass ihm die Frau laufen gegangen war.“

 

Zunächst tummelten sich die drei friedlich im Wasser herum, bis Manfred auf die Idee kam, Eva neckisch mit Wasser zu bespritzen. Das war eine Todsünde, denn wenn Eva etwas nicht vertragen konnte, dann war es nass gespritzt zu werden, speziell ihre Haare, und dann auch noch salzhaltiges Wasser. Aber es kam noch schlimmer, denn er versuchte, sie unterzutauchen und da war das Maß voll. Sie schrie ihn an: „Bist du verrückt? Nass gespritzt zu werden, das kann ich nun wirklich nicht vertragen. Mach dass du ganz schnell zu deinem blöden Aperitif-Spiel kommst, verschwinde, aber ganz plötzlich.“

 

Das war wohl klar genug, Manfred drehte sich beleidigt um und meinte ironisch: „Wusste nicht, dass Gnädigste aus Zucker ist!"

 

Dann schwamm er zum Strand zurück. Niki und Eva hatten nun das Meer für sich alleine. Sie schwammen wieder bis zur Boje, hielten sich daran fest und ließen ihre Blicke schweifen. Um sie herum war nur das blaue Meer und über ihnen der wolkenlose Himmel. Einfach super!

 

Mindestens eine Stunde genossen sie das das Meer, ehe sie der Meinung waren, dass es doch langsam Zeit würde, das herrliche Nass zu verlassen. Sie duschten, zogen ihre Strandkleider über und beschlossen, eine Kleinigkeit zu essen, denn bis zum Abendessen um 20.00 Uhr war es noch recht lange.

 

So suchten sie die Sultan-Bar auf, die abends in Evas Augen eine richtige Anmacher-Bar war. Sofort kam ein netter Kellner auf sie zu und erkundigte sich nach ihren Wüschen: „Wasser und Salat, und das bitte zweimal."

 

Neben ihnen saß ein Paar, das kein Wort miteinander wechselte. Warum auch, es reichte wohl, miteinander verheiratet zu sein. An einem anderen Tisch saßen einige Russen, die man sofort daran erkennen konnte, dass sie große Gläser Bier vor sich stehen hatten. Ihre Strandsachen hatten sie in Plastikbeutel verstaut, die die wunderschöne Aufschrift trugen: "Wäschebeutel" und die auch bei ihnen im Schrank lagen, um schmutzige Wäsche dem Zimmermädchen zum Waschen zu übergeben und mit Sicherheit nicht als Tragebeutel für die Badesachen gedacht waren. Aber warum eigentlich nicht, Strandsachen waren ja auch Wäsche. Eine andere Dame, schick gekleidet in einem wunderschönen, langen Strandkleid, trug auch eine Plastiktüte, auf der stand "ALDI". Da waren sie doch besser dran, sie hatten sich extra eine Strandtasche geleistet, in der sie alles Notwendige bestens verstauen konnten.

 

Der kleine Snack und die Pause waren das Richtige gewesen. Jetzt waren sie für neue Schandtaten bereit. Eva machte sich auf den Weg zur Wassergymnastik und Niki wollte schauen, wo sie surfen konnte. Surfen gehörte zu ihren Hobbys und hier wurde es angeboten, allerdings gegen Gebühr. Aber der Papa hatte ihr ein großzügiges Taschengeld zugesteckt, wovon Eva allerdings nichts wusste.

 

Erol, der Gymnastiklehrer vom Morgen, war auch für die Wassergymnastik zuständig. Es tummelten sich schon allerhand Leute im Swimmingpool, sogar Manfred Hagemann. Er winkte Eva freundlichst zu, doch an seine Seite zu kommen. Offensichtlich hatte er Evas Wutausbruch vom Morgen vergessen. Aber eine österreichische Oma mit Enkelkind nahm den Platz neben ihm ein. Welch ein Jammer!

 

Die Gymnastik machte Spaß, die Leute waren alle nett und munter und ehe man sich versah, war die halbe Stunde vorbei. Niki wartete schon auf sie, um sie zur Surfschule zu schleppen. Diese war in österreichischer Hand und der junge Mann, der wohl dafür zuständig war, entpuppte sich als echter Wiener mit dem für Wiener bekannten Charme, den er sofort bei ihnen anwandte. Niki hatte jedoch dafür weder Ohr noch Auge; sie interessierten nur die Bretter und das Segel. Schnell wurde man sich einig und für den nächsten Tag um 11.00 Uhr reservierte er ihr eine Stunde.

 

Danach sprangen sie schnell noch ins Meer, ehe sie sich umzogen, um den Ort zu erkunden, denn bis jetzt hatten sie das Hotel noch nicht verlassen.

 

„Gehen wir zu Fuß oder nehmen wir den Dolmus?“, erkundigte sich Niki.

 

„Wir könnten auf alle Fälle hin laufen und zurück vielleicht den Dolmus nehmen, dann haben wir wenigstens etwas getan“, erwiderte Eva. Ehe sie die Hotelanlage verließen, fragten sie noch den Zerberus, der diese mit Argus-Augen überwachte, wie teuer eine Fahrt in den Ort wäre und was eine Taxe kosten würde. Sie waren sehr überrascht zu erfahren, dass eine Fahrt mit dem Dolmus nur 50 Cent kostete, aber mit dem Taxi 5 Euro.

 

Der Weg ins Dorf war wirklich nicht weit, ging allerdings an der Straße vorbei und ab und zu überholte sie ein Dolmus und drückte auf die Hupe, ein Zeichen, dass der Fahrer sie gerne mitgenommen hätte. Dann fiel ihnen ein Schild an der Straße auf: „Lassen Sie den schönen Sommerabend unter Apfelsinen- und Zitronenbäumen in unserem herrlichen Biergarten am Lagerfeuer ausklingen!“

 

„Mama, da können wir doch auch abends hingehen, sehen wir mal andere Nasen als die im Hotel.“

 

„Keine schlechte Idee, nur nehme ich an, auch die Nasen aus unserem Hotel gehen dorthin.“

 

Es dauerte nicht lange bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Am Ortsanfang stand ein Händler mit einer Karre, auf der er Nüsse aller Art anbot.

 

„Guck mal, Niki, da gibt es deine Leckereien. Sollen wir welche kaufen?“

 

„Auf dem Rückweg, denn da wird er auch noch da stehen. Jetzt lass uns erst einmal schauen, was es alles so gibt. Vielleicht finde ich was Schönes.“

 

„Ach, du armes Kind, hast auch nichts mehr anzuziehen.“

 

Bummeln und schauen, das war nicht so einfach, denn man stürzte sich sofort auf sie. Die einen versuchten, sie in ein schattiges Lokal zu ziehen, die anderen wollten Schmuck, Lederwaren oder Teppiche verkaufen. Eva und Niki wollten sich erst einmal informieren, was es alles so gab. Trotzdem ergatterte jeder ein schickes T-Shirt, das zuerst 18 Euro kosten sollte, das sie aber dann für 10 Euro bekamen. Anschließend gönnten sie sich in einem Lokal an der Straße einen frisch ausgepressten Orangensaft und beobachteten das bunte Treiben auf der Straße. Niemand kam vorbei, der nicht wenigstens eine Tüte in der Hand hatte, also mussten die Händler doch ein gutes Geschäft gemacht haben.

 

Da ihnen die Füße weh taten, beschlossen sie, zurück den Dolmus zu nehmen.

 

„Mama, jetzt kommen wir aber nicht zu Nüssen“, meinte Niki bedauernd. e

 

„Aber so haben wir wenigstens ein paar Kalorien gespart und können uns gleich aufs Nachspeisebuffet stürzen“, tröstete sie Eva.

 

Da kam auch schon der Dolmus, der noch nicht einmal "überfüllt" war, denn "Dolmus" heißt übersetzt "überfüllt", weil der Fahrer alles, was mit ihm fahren will, einlädt und es dadurch sehr oft zu "Überfüllungen" kommt. Die beiden ergatterten sogar einen Sitzplatz, obwohl es sich kaum lohnte sich zu hinzusetzen, und kamen für fünfzig Cent zurück in ihr Hotel.

 

Später als gedacht kamen sie ihrem „Chalet“ an. So machten sie sich nur ein bisschen frisch und dann auf in Richtung Buffet. Unterwegs begegneten ihnen Hagemanns, sie hatten wohl schon ihre Bäuche voll.

 

„Wo ward ihr, wir haben immer nach euch Ausschau gehalten."

 

„Wir sind in den Ort spaziert, ein bisschen Bewegung würde euch auch gut tun“, giftete Niki sofort.

„Wie, ihr ward ganz alleine unterwegs, ohne männlichen Schutz? Was hätte euch alles passieren können!".

 

„Nun, es bestand wirklich keine Gefahr, keiner wollte uns was zu Leide tun, im Gegenteil, jeder wollte uns was Gutes antun und uns was verkaufen“, erwiderte Eva, weniger aggressiv.

 

So hatten sie also heute Abend keine Tischgesellschaft, trotzdem oder gerade deswegen schmeckte es ihnen ausgezeichnet. Natürlich lockten wieder die diversen Vor-, Haupt- und Nachspeisen und sie ließen es sich schmecken, ohne auch nur im Geringsten an Kalorien zu denken.

 

"Cabaret" verhieß das Abendprogramm. Hagemanns winkten schon von weitem und rückten die Stühle für sie zurecht. Die Vorstellung war nicht übel, riss sie zwar nicht vom Hocker, aber war ganz unterhaltsam. Danach lockte Eva und Niki die „Beach Bar", Manfred die Sultan-Bar und Alexander die Disco.

 

An der Beach Bar saß man urgemütlich. Der laue Abendwind, der vom Meer herüber wehte, die gute Background-Musik und die Kerzen auf den Tischen machten es so richtig romantisch. Ein sehr gut aussehender Kellner eilte sofort auf die beiden zu und erkundigte sich nach ihren Wünschen, wobei er aber nur Niki anschaute. Der junge Mann konnte sich nicht satt an ihr sehen und auch als er die Getränke längst gebracht hatte, schlich er immer noch um ihren Tisch herum wie die Katze um den heißen Brei. Selbst Niki, die ansonsten über so etwas erhaben war, konnte seinem Lächeln nicht widerstehen und lächelte zurück.

 

Es war längst nach Mitternacht, ehe sie sich auf den Weg ins "Gartenhäuschen" machten. Manfred saß immer noch an der Sultan-Bar und stierte traurig in sein Bierglas. Das wievielte mag es wohl gewesen sein? Bei ihrem Anblick erhellte sich sein Gesicht und er winkte ihnen zu, doch noch einen Absacker mit ihm zu nehmen. Sie lehnten aber dankend ab, denn sie waren beide müde, es war ein schöner und auch sehr ereignisreicher Tag gewesen.

 

Der neue Tag begann - wie immer - mit Schwimmen, köstlichem Frühstück, Gymnastik und Surfen für Niki. Nach der Gymnastik ging Eva runter zum Strand, um sich mal die Surf-Künste ihrer Tochter anzusehen. Der junge Mann von der Surf-Schule stand am Ufer und schaute ihr bewundernd zu.

 

„Ihre Tochter kann wirklich prima surfen. Hätte ich nicht gedacht. Meistens sagen die Leute, sie hätten beste Erfahrung und dann kann ich sie aus den Wellen holen. Gestern musste ich zweimal raus, um welche aufzufischen.“

 

Niki war weniger mit ihrem Surfen zufrieden, dagegen gefiel ihr offensichtlich der charmante Österreicher. Die beiden vertieften sich in ein angeregtes Gespräch über Surfen, wovon Eva nichts verstand und sich daher zurückzog, natürlich ins Meer. Und wer paddelte da schon rum? Manfred!

 

„Oh, Gnädigste ist heute alleine. Wie schön, dann können wir ja mal ungehindert plaudern."

 

„Was mochte der wohl unter "ungehindert" verstehen? Ich wüsste nicht, worüber ich mit ihm reden sollte, wobei Niki hinderlich wäre“, überlegte Eva.

 

„Ich würde Sie gerne heute Abend nach dem Abendprogramm alleine am Strand treffen!"

 

Aha, daher wehte der Wind. Nun, was der mit ihr am Strand wollte, das war ihr sofort klar.

 

„Für heute Abend haben wir schon etwas anderes vor und danach dürfte es wohl zu spät sein.“

 

„Nein, das glaube ich kaum, für so etwas ist es nie zu spät. Ich möchte dich nämlich alleine treffen, ohne Niki.“

 

"Mein Lieber“, Eva wurde auch ganz persönlich, „ich habe diese zehn Tage Urlaub mit meiner Tochter gebucht, um möglichst viel Zeit mit ihr zu verbringen und auch um mich ein bisschen zu erholen und nicht, um mit dem erst Besten ins Bett bzw. an den Strand zu gehen.“

Diese Antwort hatte er nicht erwartet, er drehte sich um und schwamm wütend zum Strand zurück.

 

Inzwischen war auch Niki im Meer und kam in Kraulzügen auf sie zu.

 

„Was hast du mit "Hagemännchen" gemacht, der sieht vielleicht sauer aus."

 

„Nichts, er wollte mich heute Abend am Strand vernaschen, ich ihn aber nicht.“

 

"Mama, das kann doch nicht dein Ernst sein, der dich vernaschen, ich glaube, der spinnt. Und dann noch am Strand!"

 

Niki war so entsetzt über dieses Ansinnen, dass sie sich einfach nicht mehr einkriegen konnte. Eva fand die Sache weniger tragisch, da sie nichts anderes vom dem Typ erwartet hatte. Die Idee, sich mit ihm im Sand zu wälzen, war ihr jedoch zu primitiv, etwas mehr Fingerspitzengefühl hätte sie ihm schon zugetraut.

 

Um sich abzureagieren, schwammen die beiden wieder weit hinaus, und als sie an der Boje angekommen waren, da konnten sie darüber nur lachen. Dann machte Niki einen Vorschlag:

„Mama, was hältst du davon, wenn wir Papa anrufen, vielleicht hat er Lust uns zu besuchen?“

„Wie bitte? Papa? Nein, den will ich auch nicht. Meinst du, deine Mutter brauchte unbedingt einen Mann im Bett?“

 

„Darum geht es doch gar nicht. Ich hätte Papa gerne hier, er würde mit mir surfen, was du nicht kannst, es wäre einfach schön, wenn er da wäre.“

 

„Mein liebes Kind, dein Papa hat eine neue, eine jüngere, und damit musst du dich abfinden, ich muss es ja auch.“

 

„Mama, ich glaube aber, Papa liebt dich immer noch.“

 

„Wie kommst du auf so eine Idee? Nur weil er an deiner Abifeier so nett zu mir war? Aber komm, beenden wir das Thema, lass uns zurück schwimmen und eine Kleinigkeit essen.

 

Sie gingen wieder in die Sultan-Bar, genehmigten sich Wasser und Salat, was für mittags mehr als ausreichend war. Was manche Leute doch so in sich hinein futtern können. Dann kam aber auch schon Erol vorbei und rührte die Werbetrommel für die Wassergymnastik. Eva folgte seinem Ruf ins Wasser und Niki zog sich unter die Bäume zurück, um ein wenig zu schmökern. Manfred nahm dieses Mal nicht an der Gymnastik teil. Er kaute wohl noch an der Antwort, die Eva ihm gegeben hatte.

 

Den Nachmittag genossen Eva und Niki unter den Bäumen. Eva las zwar nicht, sondern überließ sich einfach ihren Gedanken. Ab und zu kam ein Animateur vorbei und wollte sie für irgendwelche sportlichen Betätigungen aus ihren Liegestühlen lotsen. Aber alle Leute waren wohl mehr oder wenig faul. Selbst zum Boccia-Spielen, das besonders von den Franzosen bevorzugt wurde, fand sich niemand; der Animateur rief und rief, aber keiner wollte mit ihm spielen.

 

Auch der schönste Nachmittag geht mal zu Ende und schon war es wieder Zeit für das Abendessen. Hagemanns waren unsichtbar, Eva und Niki legten auch keinen Wert auf ihre Gesellschaft, ergatterten aber einen sehr schönen Tisch und ließen sich wieder von dem reichen Angebot verführen.

 

„Was hältst du davon, Mama, wenn wir heute Abend in den Biergarten gehen, anstatt uns die blöde Show ‚Wer ist der schönste Mann des Hotels’ anzusehen?“

 

„Das ist ein toller Vorschlag, ich hatte auch schon überlegt, was wir machen könnten“, erwiderte diese begeistert.

 

So machten sich die beiden auf den Weg zum Biergarten, was im Grunde nur ein paar Schritte waren. Leise Musik und das Gelächter der Gäste schallte ihnen schon auf der Straße entgegen. Offensichtlich hatten noch mehr Leute den gleichen Einfall gehabt, den Abend am flackernden Feuer zu verleben.

 

„Ob wir überhaupt noch einen Platz finden, es scheint ziemlich voll zu sein“, meinte Niki besorgt.

 

Jedoch war die Sorge unbegründet, der Wirt trat freundlich auf sie zu und hieß sie herzlich willkommen. Dann führte er sie zu einem schönen Tisch direkt unter einem Zitronenbaum.

 

„Ist das hier urig, ich glaube, das war wirklich eine gute Idee von dir“, meinte Eva zu ihrer Tochter, nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten. Niki wollte heute auch mal einen Raki probieren, aber – wie ihre Mutter immer sagte – nur aus gesundheitlichen Gründen.

 

Es wurde in der Tat ein sehr gemütlicher Abend, es kamen noch ein paar Leute an ihren Tisch und man unterhielt sich lebhaft über Gott und die Welt.

 

Bester Laune machten sie sich später auf den Weg zu ihrem „Gartenhäuschen“.

 

„Es wäre an und für sich noch toller gewesen, hätte der Papa dabei sein können.“

 

„Mein Gott, Niki, fange doch nicht schon wieder damit an. Verdirb mir doch bitte nicht den schönen Abend. Dein Papa hat sich nun mal für diese Francoise entschieden und damit basta.“

 

Niki gab daraufhin keine Antwort, machte sich aber so ihre Gedanken, die zum Glück ihre Mutter nicht lesen konnte.

 

Am nächsten Tag stand für Niki Surfen auf dem Programm und Eva wollte wie üblich am Sportprogramm teilnehmen. So kam es, dass sogar Niki früh auf den Beinen war, da Surfen für 11:00 Uhr angesetzt war, und sie nicht auf die letzte Minute zum Frühstücken ankommen wollten. Das Buffet ließ keine Wünsche offen, aber beide beherrschten sich, da mit vollen Bäuchen schlecht Sport zu machen war. Niki war sogar sehr schnell fertig und mit einem „Ciau Mama, Stefan wartet“, eilte sie von dannen.

 

„Aha, der gut aussehende Surflehrer heißt also Stefan, hoffentlich verdreht er ihr nicht den Kopf, denn dafür sind sowohl Surflehrer als auch Skilehrer bestens bekannt“, dachte Eva, als sie ihrer Tochter nachschaute.

 

Auf dem Weg zur Gymnastik begegnete ihr Manfred. Er war nicht alleine, eine aufgedonnerte Blondine hing an seinem Arm und er schaute Eva triumphierend an.

 

„Meine Güte, ich hätte ihm doch ein bisschen mehr Geschmack zugetraut, der muss wirklich sexuellen Notstand haben, dass er sich an der vergreift“, ging es Eva durch den Kopf. Sie war so mit diesem Erlebnis beschäftigt, dass sie mit einem Gast zusammenstieß.

„Oh, entschuldigen Sie bitte“, was dieser mit einem Lächeln quittierte.

 

„Wow, der sieht vielleicht gut aus. Und wie er einen anlächelt, ob er auch mit einem an den Strand gehen will, aber vielleicht hat er ein höheres Niveau“, überlegte sie.

 

Für 12:00 Uhr hatte sie sich mit Niki zum Schwimmen verabredet. Pünktlich kam diese strahlend an. „Stefan hat mich für heute Abend eingeladen. Hast du etwas dagegen, Mama, wenn du heute Abend alleine bist?“

 

„Niki, Liebes, natürlich habe ich nichts dagegen, nur pass auf, lass dich nicht von ihm vernaschen, denn du wirst sicherlich nicht die erste sein, die er einlädt.“

 

„Mama, ich bin kein Kind mehr und weiß auch, dass so toll aussehende Männer einem nicht alleine gehören. Aber ich will ja nur mit ihm auf einen Drink gehen und auf keinen Fall in seinem Bettchen landen.“

 

„Nun, ich wollte es nur erwähnt haben, was du daraus machst, ist deine Sache, denn du bist ja immerhin großjährig. Aber nun Schluss mit guten Ratschlägen, lass uns schwimmen gehen, die Boje lockt.“

 

Den Nachmittag verbrachten sie entspannt unter den Bäumen, hörten Musik, lasen in ihren eBooks oder ließen die Seele baumeln. Ab und zu sprangen sie ins Meer. Auf einem Rückweg begegnete ihnen Alexander. „Haben Sie vielleicht meinen Vater gesehen? Ich suche ihn schon die ganze Zeit.“

 

„Ich habe ihn heute Morgen mit einer Blondine gesehen, wohin die beiden allerdings gegangen sind, das kann ich bei bestem Willen nicht sagen“, entgegnete Eva.

 

„Oh, mit einer Blondine? War sie sehr aufgedonnert? Das darf doch nicht wahr sein, wo bleibt sein guter Geschmack?“

 

Mit diesen Worten verschwand er so schnell, wie er aufgetaucht war. „Wie, du hast ihn mit einer Tussi gesehen? Hast du mir ja gar nicht erzählt“, erkundigte sich Niki äußerst interessiert.

 

„Da gab es nicht viel zu erzählen, die Tussi, wie du zu sagen pflegst, sah unmöglich aus, aber Manfred strahlte.“

 

„Nun, dann hat Hagemännchen wohl gefunden, was es suchte.“

 

Nicht zu spät machten sie sich auf den Weg zum Abendessen, da Niki ihr Rendez-Vous mit dem Surflehrer hatte.

 

„Mama, was machst du denn heute Abend?“, erkundigte sie sich.

 

„Ach, ich weiß nicht, alleine an die Bar oder einen Spaziergang, dazu habe ich keine Lust, ich werde wohl etwas für mich tun, vielleicht ein ausgiebiges Bad, eine Maske und dann den Schönheitsschlaf. Ich hoffe nur, du kommst nicht zu spät zurück. Einen Schlüssel kann ich dir leider nicht geben, wir haben ja nur einen.“

 

Beim Abendessen tauchte Alexander auf. „Darf ich mich zu ihnen setzen? Mein Vater ist offensichtlich noch mit der Blondine unterwegs. Ich kann ihn einfach nicht verstehen. Bei Ihnen hat er sich auch unmöglich benommen und ist sofort mit der Tür ins Haus gefallen.“

 

Nun hatten sie also Alexander am Hals, was allerdings besser war, als seinen Vater. Es kam eine nette Unterhaltung auf und er erzählte ihnen, dass er für morgen einen Ausflug nach Antalya geplant hätte.

 

„Das wäre doch auch mal etwas für uns, was meinst du Niki?“

 

„Oh ja, ein Bummel durch Antalya dürfte recht erlebnisreich werden. Alexander, Sie können uns dann hinterher erzählen, wie es gewesen ist und dann melden wir uns auch an.“

 

Im Laufe des Abendessens fragte er beiläufig: „Was haben die beiden Damen denn heute Abend vor?“

 

„Ich bin verabredet“, entgegnete Niki sofort.

 

„Und was macht die Frau Mama?“

 

„Nun, ich komme schon zurecht, werde mich gleich zurückziehen, denn alleine an der Bar ist nichts für mich. Da meint doch jeder, ich suchte Anschluss, obwohl ich gerne noch einen Raki trinken würde.“

 

„Eva, wenn Sie nichts dagegen haben, komme ich mit.“

 

„Warum nicht?“

 

„Also, tschüss Mama. Viel Vergnügen.“

 

„Niki, das wünsche ich dir auch, aber denke dran, ich erwarte dich heute Abend noch in unserem Gartenhäuschen.“

 

„Wo denkst du hin, er hat mich doch nur auf einen Drink eingeladen.“

 

„Das ist ein dehnbarer Begriff, aber wie gesagt, ich wünsche dir viel Vergnügen.“

 

„Danke, Mama, aber lass dir die Zeit ohne mich nicht lang werden.“

 

„Bestimmt nicht, Liebes.“

 

Niki machte sich auf den Weg zu Stefan und Eva und Alexander in Richtung Sultan Bar.

 

Die Bar war schon gut besucht, allerdings gab es noch zwei unbesetzte Barhocker, aber nicht mehr lange, Eva und Alexander nahmen sie in Beschlag. Ungefragt stellte der Barkeeper ihnen zwei Raki hin, worüber sie leicht überrascht waren. Auf ihre Frage, woher er wusste, was sie haben wollten, meinte er lächelnd: „Trinkt ihr doch immer abends!“

 

„Alexander, Sie auch?“, erkundigte sich daraufhin Eva.

Dieser erwiderte lachend: „Nur aus gesundheitlichen Gründen.“

 

Dann schaute sich Eva mal um, was sonst noch so alles an der Bar saß und entdeckte den gut aussehenden Mann vom Mittag. Er schien sie auch erkannt zu haben und lächelte zu ihr herüber. Das hatte Alexander ebenfalls bemerkt und fragte: „Kennen Sie den Herrn?“

 

„Nicht direkt, ich habe ihn heute Morgen nur fast umgerannt.“

 

Aber es dauerte nicht lange, da stand er vor ihnen mit seinem Glas in der Hand: „Serefe“. Dabei schaute er Eva tief in die Augen. Ehe sie darauf antworten konnte, ereiferte sich Alexander: „Jetzt bin ich wohl überflüssig, Eva, habe mich wohl in Ihnen getäuscht, denn Sie sind ja wohl auch auf Raub aus.“

 

„Spinnen Sie?“, schrie sie ihn an, „Sie müssen nicht von Ihrem Vater auf mich schließen.“ Gerne hätte sie ihm noch mehr gesagt, aber da sie schon Aufsehen erregt hatten, schluckte sie es lieber hinunter.

 

Abrupt stand er auf, bot dem Fremden seinen Hocker an und rauschte davon.

 

„Oh, habe ich da etwas verkehrt gemacht? Gehören Sie etwa zu dem Herrn?“, erkundigte sich dieser.

 

„Nein, das nicht, aber ……“

 

„Nun, dann ist es ja gut. Zunächst darf ich mich vorstellen: Tim, im Urlaub genügt ja der Vorname, oder?“

 

Eva murmelte ihren Namen, stand dann jedoch auf um zu gehen.

 

Er aber hielt sie am Arm fest: „Sie wollen doch wohl noch nicht gehen? Der Abend ist noch jung und wir könnten uns ein bisschen näher kennen lernen.“

 

Eva hatte allerdings keine Lust, Tim näher kennen zu lernen, denn wo sollte das schon hinführen? Sie hatte also schon heute Mittag mit ihrer Vermutung richtig gelegen, dass auch er wohl auf ein Abenteuer aus war. So entgegnete sie: „Ein Raki am Abend genügt mir, mehr wäre zu viel.“

 

„Schade, hatte Sie für standfester und flotter gehalten.“

 

Diese Bemerkung bestätigte ihre Vermutung. Was die Typen so immer dachten, ein Blick in die Augen und man war hin und futsch.

 

Sie lag noch genussvoll in der Badewanne, als es an der Tür klopfte. Wer sollte das sein?

 

„Einen Moment bitte.“

 

Sie stieg schnell aus der Wanne, schnappte ihren Bademantel und öffnete vorsichtig die Tür, denn die Maske hatte sie noch nicht abgewaschen.

 

„Niki, wie, ist das Date schon vorbei?“

 

„Mama, stell dir vor“, sprudelte Niki hervor, „der Typ wollte mir den Drink in seiner Wohnung servieren. Weißt du, was das bedeutet? Das hätte ich nicht von ihm erwartet.“

 

„Ach, Niki, ich hatte auch so ein tolles Erlebnis, als ich mit Alexander an der Bar war. Ich habe nämlich heute Mittag, als ich aus dem Meer kam, nicht aufgepasst und fast jemanden umgerannt. Muss zu meiner Schande gestehen, der Typ sah toll aus, und den habe ich eben an der Bar wieder gesehen. Er kam sofort auf Alexander und mich zu, verjagte Alexander und meinte, sein Name sei Tim, und der Vorname würde wohl reichen für einen Urlaubsflirt. Dies hat er zwar nicht wörtlich gesagt, war aber seinen Worten zu entnehmen.“

 

„Ich habe sofort Papa angerufen und der hat mich getröstet und gemeint, alle Männer wären nicht so und ich wäre ja auch noch jung und ein Urlaubsflirt würde sowieso zu nichts führen.“

 

„Stimmt, denn ich habe ihn ja auch im Urlaub kennen gelernt. Aber um Gottes Willen, Niki, warum hast du ihn überhaupt angerufen, er kann dir auch nicht helfen, er ist immerhin noch in Frankreich.“

 

„Aber nicht mehr lange, hat er wenigstens erzählt, seine Firma hat ihn wieder nach Köln beordert.“

 

„Na und, dann muss die liebe Francoise auch nach Köln oder will er eine Fernbeziehung pflegen?“

 

„Mama, ich glaube, er will zu uns zurück.“

 

„Niki, träume mal weiter. Der will von uns nichts mehr wissen.“

„Mama, du täuschst dich. Aber komm, gehen wir zu Bett, mir hat der Abend gereicht.“

 

Dies konnte Eva nur bestätigen.

 

Niki hatte für den anderen Tag Surfen gebucht. „Willst du da überhaupt hin?“, erkundigte sich Eva.

 

„Warum denn nicht, ich will surfen und Stefan kann mir gestohlen bleiben.“

 

Eva absolvierte ihr Morgenprogramm und dann trafen die beiden sich wieder, um der Boje ihre Aufwartung zu machen.

 

„Stell dir vor, Mama, Stefan hat sich heute Morgen entschuldigt. Es täte ihm leid, er hätte sich daneben benommen. Ob wir das nicht vergessen und uns heute Abend nochmals auf einen Drink treffen könnten.“

 

„Was hast du geantwortet?“

 

„Gar nichts, ich wollte erst dich fragen, was ich machen soll. Habe ihm nur gesagt, dass ich es mir überlegen will.“

 

„Ich würde sagen, gib ihm noch eine Chance.“

 

An diesem Tag waren sie vor Hagemanns sicher. Alexander hatte Antalya gebucht und Manfred sollte auch mit, es sei denn, dieser turtelte noch mit der Blondine.

 

Ehe sie sich aber versehen hatten, gehörte auch der Tag schon wieder der Vergangenheit an, obwohl sie weiter nichts gemacht hatten. Niki musste allerdings noch ein bisschen überlegen, ob sie die Entschuldigung von Stefan annehmen sollte. Doch dann hatte sie sich einen Ruck gegeben und würde nun hoffentlich einen schönen Abend mit ihm verleben.

 

Auf dem Weg zum Abendessen trafen sie Manfred und Alexander. Manfred grüßte freundlich, Alexander verhalten.

 

Da Eva unbedingt wissen wollte, wie die Fahrt nach Antalya gewesen war, gab sie sich einen Ruck, obwohl sie sich sehr über Alexanders Bemerkung geärgert hatte: „Alexander, wie war denn Ihr Ausflug nach Antalya?“

 

„Also, Eva“, antwortete Manfred stattdessen, Alexander hielt sich zurück, „den können Sie vergessen. Zuerst ging es in einen Ledershop und dann in ein Juweliergeschäft. Beide wollten uns abzocken. Die Lara Wasserfälle wurden kurz besichtigt, dann ging es zum Mittagessen, das wir hatten im Voraus bezahlen müssen, die Fahrt war kostenlos. Das Essen war nicht schlecht, aber bei den Getränken wurde man ebenfalls abgezockt. Anschließend setzte man uns beim Atatürk Denkmal ab, wir hatten zwei Stunden Zeit zum Bummeln. Da es aber in Antalya sehr warm war, kamen wir nur bis zum nächsten Straßencafé und ließen uns dort im Schatten nieder. Es dürfte nämlich wohl kaum ein Vergnügen sein, bei 35 Grad durch die Stadt laufen, obwohl wir das sehr gerne getan hätten.“

 

„Also lohnt sich dieser Ausflug nicht, dabei wird er von der Reisegesellschaft bis auf das Mittagessen kostenlos angeboten.“

 

„Nein, kann ich wirklich nicht empfehlen. Da bleiben Sie besser hier am Meer. Und das Essen schmeckt hier auch besser.“

 

Alexander hatte in der Zwischenzeit seine Sprache wieder gefunden: „Eva, hatten Sie gestern noch einen schönen Abend?“

 

„Ja, bin sofort nach Ihnen gegangen und habe im Gartenhäuschen ein bisschen Gesichts- und Körperpflege gemacht.“

 

„Oh, ich dachte der Typ hätte Sie abgeschleppt.“

 

„Mich schleppt keiner ab und meine Tochter auch nicht.“

 

Damit ließen sie zwei verdutzte Hagemänner zurück.

 

Da Niki sich wieder mit Stefan traf, überlegte Eva, was sie machen sollte. Auf alle Fälle einen Raki trinken, egal ob Tim oder sonstige Don Juans an der Bar waren.

 

Wie gestern, so stellte der Barkeeper ihr wieder einen Raki mit Eis und Wasser hin. Da tauchten aber auch Hagemanns wieder auf.

 

Eva konnte sich nicht die Bemerkung verkneifen: „Hallo, Manfred, so alleine? Ich habe Sie doch gestern in netter Begleitung gesehen.“

 

„Nein, das war nichts, ich habe mich wohl versehen.“

 

„Ja, Papa, man sollte auch seine Brille aufsetzen, rate ich dir immer, aber Hauptsache, du hast es eingesehen.“

 

Dann zu Eva gewandt: „Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?“

 

„Nun, warum nicht, aber ich bleibe nur auf diesen einen Raki, dann ziehe ich mich zurück.“

 

„Wie Sie wollen, aber wo steckt denn Ihre Tochter?“

 

„Die hat ein Rendez-Vous mit dem Surflehrer.“

 

„Oho, haben Sie keine Angst, dass ihr etwas passiert?“

„Nein, dafür kenne ich meine Tochter zu gut.“

 

Kurze Zeit später verabschiedete sie sich aber auch von den beiden und trat den Rückweg an. Es war weit nach Mitternacht, als Niki auftauchte.

 

„Mama, es war ein ganz toller Abend. Stefan ist mit mir ins Dorf gefahren.“

 

„Hat er ein Auto?“, fragte Eva verwundert.

 

„Nein, aber einen Roller. Er fährt auch ganz vorsichtig“, beeilte sie sich hinzuzufügen, „und es wurde ein richtig schöner Abend. Wir trafen in einer urigen Kneipe seine Freunde, übrigens alles Österreicher, und es war einfach krass. Dann hat er mich schön wieder zurück gebracht. Außer einem Abschiedskuss ist nichts gewesen. Aber es war einfach Spitze. Er ist wirklich süß.“

 

Die Tage verschwanden wie Rauch vor der Sonne. Morgens machte Eva ihr Programm, Niki ging surfen, anschließend schwammen sie zur Boje, die Nachmittage wurden nach der Wassergymnastik gemütlich unter den Bäumen verlebt, abends traf Niki Stefan.

 

Eva ließ es sich aber nicht nehmen, ihren täglichen „Raki aus Gesundheitsgründen“ an der Bar zu nehmen. Ab und zu gesellten sich Hagemanns zu ihr und man wechselte ein paar belanglose Worte. Manfred tauchte immer solo auf, das blonde Gift schien er abserviert zu haben oder sie ihn. Tim war ständiger Gast an der Bar, beachtete sie jedoch weiter nicht, was ihr mehr als recht war. Er hielt nach neuen Opfern Ausschau, fand auch immer eins, tauchte aber am anderen Tage wieder alleine auf. Eva schloss daraus, dass er für „One-night-Stands“ zu haben war, sie hatte ihn also richtig eingeschätzt.

 

Da sie nach einem, höchstens zwei Raki, immer müde wurde, machte es ihr nichts aus, sich früh ins „Gartenhäuschen“ zurückzuziehen und ein bisschen zu schmökern. Doch fielen ihr sogar bei dem spannenden Edgar Wallace sehr schnell die Augen zu. Irgendwann wurde sie dann von einer glücklichen Niki geweckt. Wie weit die Sache gediehen war, wusste sie nicht, wollte sie auch nicht wissen, sie machten beide einen äußerst verliebten Eindruck.

 

„Mama, nur noch ein paar Tage und dann müssen wir wieder nach Hause“, mit diesen Worten kam Niki ins Gartenhäuschen gestürmt. „Dabei ist es so super hier und Stefan einfach süß.“

 

„Das habe ich doch schon mal gehört. Nun, alles hat mal ein Ende und so kann ich dir nur raten, genieße einfach die verbleibende Zeit.“

 

Plötzlich wurde sehr energisch an die Tür geklopft. „Wer will denn nach Mitternacht noch etwas von uns?“, fragend schaute Eva ihre Tochter an. Die wurde rot und rannte eilends zur Türe.

 

„Papa, Papa, schön, dass du da bist“. Sie fiel ihm glücklich um den Hals.

 

„Mark, was soll das? Wo kommst du her und warum?“

 

„Eva, ich hatte solche Sehnsucht nach euch und …“

 

„Papperlapap! Du hast dich wegen der französischen Tussi von uns getrennt und komm mir jetzt nicht mit Sehnsucht nach uns. Ist die große Liebe, wie du damals zu mir gesagt hast, denn schon vorbei oder hat dich der graue Alltag eingeholt?“

 

„Eva, ich kann dich verstehen, ich habe dir und Niki wirklich weh getan, aber als ich euch bei der Abifeier wieder sah, da wusste ich, was ich verloren hatte. Gib mir doch eine Chance.“

 

„Hat Niki dich eventuell angerufen? Ja, musste sie ja schon, denn sonst hättest du ja nicht gewusst, dass wir im „Gartenhäuschen“ wohnen. Aber eins sage ich dir, für dich ist hier kein Platz.“

 

Damit schob sie ihn zur Tür hinaus und schloss zweimal hinter ihm ab. Dann knöpfte sie sich ihre Tochter vor. „Niki, wie konntest du auf so eine bescheuerte Idee kommen, den Papa hierher kommen zu lassen? Ich bin gerade dabei, mich von ihm zu befreien, denn zwanzig Jahre sind nicht so einfach zu streichen.“

 

„Mama, gerade drum. Ich weiß doch, dass du ihn noch liebst und vermisst, genau wie ich. So habe ich ihn angerufen, er hat sofort Flug und Hotel gebucht und ich freue mich, dass er da ist.“

 

„Meine Freude hält sich in Grenzen. Aber nun wollen wir schlafen, wird ja bald schon Morgen.“

 

„Nun übertreib nicht, es ist gerade mal zwei Uhr“.

 

In der verbleibenden kurzen Nacht schlief Eva sehr schlecht, das Erscheinen von Mark hatte sie mehr aufgewühlt, als sie zugeben wollte. Meinte er es wirklich ernst und sollte sie ihm den Seitensprung verzeihen?

 

Erst gegen Morgen schlief sie ein und es war das erste Mal, dass sie vor dem Frühstück nicht in den Swimmingpool sprang. Dafür begegnete ihr am Buffet Mark.

 

„Hast du gut geschlafen?“, erkundigte er sich äußerst freundlich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mich zu dir setze. Wo ist denn eigentlich Niki.“

„Niki kommt immer auf die letzte Minute, das hat sie von dir“, gab sie zur Antwort, ohne auf seine Frage einzugehen.

 

Da tauchte aber schon Niki auf. „Hallo, Papa, schön, dass du da bist. Jetzt sind wir wieder eine richtige Familie.“

 

Eva blieb beinahe das leckere Croissant im Halse stecken, als sie das Gesäusel ihrer Tochter hörte, das Mark wie Honig runter ging. Abrupt stand sie auf. „Ich gehe zur Gymnastik, wünsche euch einen schönen Tag und lasst mich bitte in Ruhe.“

 

Bei der Gymnastik war sie unaufmerksam und froh, als diese vorbei war. Sie rannte zum „Gartenhäuschen“, zog sich ihren Badeanzug an und ging in Richtung Meer. Das Wasser tat ihr gut, machte sie nach der schlimmen Nacht richtig munter. Sie schwamm zur Boje hinaus und überlegte, was sie tun sollte. Es wäre schon schön, Mark wieder an der Seite zu haben. Niki hing sehr an ihm, aber die beabsichtigte, außerhalb von Köln zu studieren. Das würde bedeuten, dass sie dann ganz alleine mit der Katze wäre. Kein toller Gedanke. Aber wie lange würde es Mark mit ihr aushalten? Vielleicht tauchte irgendwann eine neue Französin auf und er glaubte, die große Liebe gefunden zu haben.

 

Das Bad hatte sie zwar erfrischt, aber so richtig wusste sie immer noch nicht, was sie tun sollte. Sie ging zurück zum „Gartenhäuschen“, um sich umzuziehen, denn sie hatte vergessen, einen trockenen Badeanzug mitzunehmen. Wer saß davor? Mark!

 

„Eva, Liebes, wir müssen reden. Ich weiß, ich habe dir sehr weh getan und das ist auch nicht so einfach fortzureden. Aber glaube mir, ich habe festgestellt, dass ich einen großen Fehler begangen habe. Das mit Francoise war Sex pur, ich gebe sogar zu, toller Sex, aber das Leben besteht nicht nur aus Sex, es gibt noch Wichtigeres.“

 

„Mark, so einfach kannst du es dir nicht machen. Du sagst: „Entschuldige“ und glaubst, damit ist alles wieder in Butter.“

 

„Nein, Eva, ich weiß, dass ich langsam, ganz langsam wieder dein Vertrauen gewinnen muss. Ich werde mich bemühen und bitte dich nur um eins, gib mir eine Chance.“

 

„Ich muss mir einen trockenen Badeanzug anziehen und dann werde ich dir mal den Flirt von deiner Tochter vorstellen.“

 

„Niki hat einen Flirt?“, rief er ganz entsetzt aus. „Und du hast das nicht verhindert?“

 

Eva musste lachen, das erste Mal seit er wieder aufgetaucht war. „Mark, Niki ist neunzehn Jahre alt und da ist so etwas doch normal. Erinnere dich, wie alt ich war, als wir uns kennen lernten.“

„Oh, du warst auch erst neunzehn Jahre. Aber das war etwas anderes, Niki ist doch noch ein Kind.“

 

„Sei nicht albern, sie ist erwachsen und weiß auch, was sie zu tun hat. Aber komm jetzt, lass uns zur Surfschule gehen, dann kannst du ihn kennen lernen.“

 

Niki hatte gerade ihre Stunde beendet und Stefan half ihr, das Surfbrett an Land zu bringen. „Hallo, Mama, hallo, Papa, schön, dass ihr mich abholt. Papa, darf ich dir Stefan vorstellen.“

 

Erst guckte Mark misstrauisch, aber dann gab er dem jungen Mann doch die Hand, konnte sich aber nicht verkneifen zu sagen: „Passen Sie gut auf sie auf und machen Sie keine Dummheiten.“

 

„Papa“, Niki wurde rot, „das geht doch nur mich und Stefan an, aber wenn es um Dummheiten geht, ich glaube, da bist du Meister drin, denn wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen.“

 

„Niki, das hat gesessen. Aber ich werde mich bessern. Zuerst aber muss ich deine Mutter bitten, mein Verhalten zu entschuldigen und dann hoffe ich, liebe Eva, wir fangen von vorne an.“

 

„Nun, so einfach geht das nicht, lass uns sehen, was die Zeit bringt.“

 

Eva und Mark hatten noch vier Urlaubstage, in denen sie sich wohl wieder näher kamen und Niki hoffen ließen, dass es für die beiden ein Neuanfang und kein Abschied werden würde.

 

Für sie aber würde es ein Abschied von Stefan bedeuten, denn sie wusste genau, dass es eben nur ein Urlaubsflirt, wenn auch ein unvergesslicher, gewesen war.

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Britta

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