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Sonne, Meer und Liebe


„Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Man würde uns sicherlich mit ‘Harold und Maud‘ vergleichen“, sagte sich Alice, „auch wenn ich wohl nicht ganz so verschrumpelt aussehe wie diese.“

Ihre Gedanken schlugen Purzelbäume. Gesehen hatte sie ihn an der Autobahntankstelle auf dem Weg nach Timmendorfer Strand, wo sie eine Woche Urlaub machen wollte. Aufgefallen war ihr zwar nicht er, sondern sein gelber Smart, der sie an den Film „Ein gutes Jahr“ erinnerte.

Dann aber traf sie ein Blick aus seinen blauen Augen, mit denen er sie bewundernd betrachtete. „Hallo, schöne Frau, kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte er sich mit einem charmanten Lächeln. Zunächst glaubte sie, die Frage gelte nicht ihr, denn er war mindestens fünfundzwanzig Jahre jünger als sie. Doch da weit und breit kein anderes weibliches Wesen zu sehen war, musste er wohl sie gemeint haben. Alice aber ignorierte seine Frage, denn es gab keinen Grund, seine Hilfe beim Tanken in Anspruch zu nehmen, und sie vergaß ihn. Aber wohl nicht ganz, denn als er am Niendorfer Hafen plötzlich vor ihr stand und sie zum Kaffee einlud, da sagte sie nicht „Nein“.

Hinterher, alleine in ihrem Hotelzimmer, musste sie sich eingestehen, dass ihr der Flirt mit ihm, Jost, sehr gut getan hatte. Jedoch da hatte sie bereits – warum auch immer – seine Einladung zum Abendessen ins „Zollhaus“ abgelehnt.

Nun saß sie in ihrem Strandkorb und ließ ihr Leben Revue passieren. Sie war immerhin bereits sechzig Jahre alt, sah wohl noch recht flott und jünger aus, wie ihr allgemein versichert wurde, aber fünfundzwanzig Jahre Unterschied würden nicht zu übersehen sein. Er könnte ohne weiteres ihr Sohn sein. Dabei hatte dieser ihr geraten, sie müsse unbedingt an Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung denken, denn so etwas könnte in ihrem Alter von heute auf morgen notwendig werden. Die Tochter hatte noch eins draufgesetzt und gemeint, es würde langsam Zeit, sich nicht nur für betreutes Wohnen zu interessieren, sondern sich besser schon gleich anzumelden.

Und nun trat unverhofft ein junger Mann in ihr Leben und wirbelte es durcheinander, denn sie musste sich eingestehen: Sie hatte Schmetterlinge im Bauch. “Dumme Alte“, schimpfte sie, „was sind das für Hirngespinste!“

Dann sprang sie auf und lief zum Meer, denn es war ein strahlender Sommertag mit wolkenlosem Himmel und einer Ostsee, die mit 20 Grad zum Baden lockte.

Das Schwimmen tat ihr richtig gut, sie fühlte sich frisch und frei. Was sollten auch diese Überlegungen? Vielleicht würde sie ihn gar nicht mehr wieder sehen.

Ehe sie nach dem Baden aber ihren Strandkorb erreichte, wurde sie überraschend von hinten angesprochen: Jost!

„Alice! Ich musste Sie, dich unbedingt wieder sehen, du hast mir den Kopf verdreht!“

„Jost, nein!“, wollte sie sagen, da hatte er sie auch schon in den Arm genommen und geküsst. Sie konnte es nicht fassen, es gefiel ihr und sie erwiderte seine Küsse. Schließlich aber befreite sie sich von ihm und stammelte: „Jost, bist du wahnsinnig, weißt du, wie alt ich bin?“

„Wen interessiert das? Du bist so lebendig und lebensbejahend, da denkt kein Mensch über dein Alter nach. Ich habe schon ganz Timmendorf und Niendorf nach dir abgesucht, muss aber leider gleich fort, habe nämlich einen geschäftlichen Termin, bin nicht nur zum Vergnügen hier. Doch heute Abend entkommst du mir nicht! Ich werde in der „Orangerie“ einen Tisch für uns reservieren lassen!“

Ehe er aber endgültig ging, gab er ihr noch einen langen Kuss, der sie ganz schwindlig machte.

Alice wusste daher auch nicht, wie sie in ihren Strandkorb gekommen war, so benommen war sie. Jost hatte in ihr Gefühle geweckt, die sie glaubte, schon längst vergessen zu haben. Immerhin war ihr Mann Walter schon über zehn Jahre tot. Sollte sie sich eventuell gegen diese neuen Gefühle wehren?

Nach langem Hin und Her kam sie zu dem Entschluss, die Zeit mit ihm zu genießen, und wenn es nur für diese eine Woche wäre.

Zufrieden mit sich und der ganzen Welt machte sie es sich in ihrem Strandkorb bequem, holte ihren spannenden Kriminalroman heraus und schaltete den MP3Player ein und war nicht überrascht, als sie den Refrain hörte: „Einmal noch diesen Wahnsinn spüren, einmal noch dieses Glücksgefühl!“


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Tag der Veröffentlichung: 24.06.2009

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