Inhaltsverzeichnis
Glaubst du an den Weihnachtsmann? Seite 7
Die Legende vom Weihnachtsmann. Seite 14
Kann ein Weihnachtsmann stricken? Seite 19
Die krumme Tanne. Seite 25
Der letzte Weihnachtsmann. Seite 29
Das Osterhasenmärchen. Seite 37
Glaubst du an den Weihnachtsmann?
In der Straße vom kleinen "Püppi" wohnten viele Kinder, die gerne miteinander spielten und von den größeren Jungen und Mädchen in Obhut genommen wurden. So lernten die Kleinsten alles von den Großen. Eigentlich hieß Püppi aber "Siegfried" und war ein niedlicher, aufgeweckter kleiner Junge, den sie einfach so nannten. Er hatte rötliche, lockige Haare und konnte sich geschickt so mancher morgendlichen Kammprozedur entziehen, indem er einfach weglief und sich draußen zu den Kindern gesellte. Auch das Rufen der Mutter aus dem zweiten Stock nutzte nichts, denn er ergriff schnell die Hand eines größeren Spielkameraden und rief schelmisch nach oben:
"Mama, ich spiel doch gerade so schön!".
Und welche Mutter kann da noch böse sein?
Die Vorweihnachtszeit, so hieß es, sei die schönste Zeit für kleine Kinder, denn dann wäre der Weihnachtsmann auch nicht mehr weit. Für die bösen Kinder trägt er eine Rute mit sich und so manches, größere Kind hat diese schon auf dem Hinterteil zu spüren bekommen.
Jedesmal, wenn Püppis Großmutter bei solchen Gesprächen dabei war, sagte sie barsch: "Es gibt keinen Weihnachtsmann!“.
Solche Aussprüche waren für Püppi nichts neues, aber er bemerkte, dass die Erwachsenen fast erschrocken zu ihm herunterschauten und erneut vom Weihnachtsmann sprachen, der bald kommen würde.
Einmal hörte Püppi, wie die größeren Kinder sich unterhielten.
"Glaubst du noch an den Weihnachtsmann?", fragte Sven und Timo antwortete empört: "Das tue ich schon lange nicht mehr, bin doch kein kleines Kind!".
Die anderen Kinder schienen sich über die Frage zu amüsieren. Nur das kleine Mädchen, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnte, sagte mit leiser Stimme:
"Ich glaube an den Weihnachtsmann, denn letztes Jahr war er bei uns in der Wohnung und hat mir Geschenke gebracht!".
Wie aus einem Mund fragten die größeren Jungen und Mädchen nun den kleinen Püppi: "Glaubst du denn an den Weihnachtsmann?".
Wieso fragen die mich, dachte er im Stillen.
"Bei mir hat sich noch keiner blicken lassen," erwiderte er selbstbewusst.
"Sicher wird er dieses Jahr kommen!".
"Ja, ja, ganz bestimmt!", bestätigten die erfahrenen Kinder, denn sie wussten, dass der Onkel Walther aus der Nebenstraße jedes Jahr den Weihnachtsmann spielte.
Eines Mittags bemerkte Püppis Mutter:
"Heute kommt der Onkel Walther zu uns zum Essen, da musst du dich anständig benehmen und ganz artig sein!".
"Oha, da gibt's was zu lachen", sprudelte es aus dem kleinen Kerlchen hervor, denn er war schon oft dabei gewesen, wenn alle Kinder der Straße zusammengekommen waren um Onkel Walthers lustigen Geschichten zu lauschen. Im Sommer saßen sie in seiner alten runden Laube im Garten und zur Winterzeit warm und gemütlich vor einem Ofen in seinem etwas schiefen Holzhaus.
Während die Mutter mit Kochen beschäftigt war, sah Püppi gespannt aus dem Fenster. Endlich kam der Onkel schlurfend die Straße entlang und wurde freundlich von den Anwohnern gegrüßt. Er stieg die Treppe hinauf und drückte auf die Klingel. Natürlich war Püppi als erster an der Tür und schaute recht vergnügt zu Onkel Walther hinauf, der ihn auf den Arm nahm und ihn mehrfach in die Runde schwenkte.
"So eine Begrüßung bringt mich ganz schön aus der Puste. Und es riecht ja bei euch so gut!", sagte er wohlwollend und rieb sich den Bauch.
Die Großmutter hielt sich im Hintergrund, denn sie wusste, was dieser Besuch bedeutete. Onkel Walther hatte eine tiefe, angenehme Stimme. Das Essen schmeckte allen, was man an den leeren Tellern sehen konnte. Dann verabschiedete sich der Gast, dankte für das gute Essen und rief beim hinuntergehen nach oben: "Dann bis bald!" und verschwand.
Die Großmutter, die sich nun zur Tür drängte, rief trotzig und laut ins Treppenhaus:
"Es gibt keinen Weihnachtsmann!".
Püppi zog an der Hand der Großmutter und fragte: "Warum sagst du das immer?"
"Weil es keinen Weihnachtsmann gibt", erwiderte die alte Frau mit fester Stimme, setzte sich in den Sessel und griff nach ihrem Strickzeug.
Der Junge lebte die meiste Zeit des Jahres nur mit der Mutter und Großmutter zusammen, da der Vater als Entwicklungshelfer in verschiedenen Ländern der Erde gebraucht wurde. Doch zur Weihnachtszeit und im Sommer kam er für einige Zeit nach Hause.
Heute war es so weit. Als die Tür aufging, fiel der Püppi vor Aufregung vom Sofa und krabbelte auf allen Vieren zur Begrüßung dem Vater entgegen.
Ja, die Freude über das Wiedersehen war für alle riesengroß und nach einiger Zeit nahm der Vater seinen Sohn auf den Arm und sagte:
"Bald kommt der Weihnachtsmann zu dir, und ich hoffe, dass du recht brav warst!".
"Es gibt keinen Weihnachtsmann", dröhnte es aus Großmutters Richtung.
Dann war endlich Weihnachten! Püppi und Großmutter wurden ins Schlafzimmer verbannt, während die Eltern liebevoll den Weihnachtsbaum schmückten und echte Kerzen an seinen Ästen befestigten. Aber Püppi wollte es genau wissen. Oma war so in ihre Strickarbeit vertieft, dass sie nicht darauf achtete, wie der Lockenkopf zum Schlüsselloch schlich und neugierig hindurch linste. Was er dort entdeckte, machte ihn nachdenklich.
Langsam ging er zum Fenster hinüber. Da kam der Weihnachtsmann! Mit Sack und Rute schlurfte er die Straße entlang und steuerte auf den Eingang des Hauses zu. Er schlurft genauso wie Onkel Walther, dachte Püppi, doch da hörte er auch schon ein lautes Klopfen an der Tür.
Eine ihm bekannte Stimme rief: "Wohnt hier der kleine Püppi?".
"Ja, komm herein lieber Weihnachtsmann!", antworteten die Eltern im Chor. Die Großmutter blieb im Schlafzimmer sitzen und strickte weiter ihre Runden.
"Es gibt keinen Weihnachtsmann", murmelte sie in gewohnter Weise. Das Kind riss ungeduldig die Wohnzimmertür auf und stand direkt vor dem Weihnachtsmann.
"Na, kleiner Mann, warst du auch immer schön artig und gehorsam?".
Püppi stand stumm am Tisch und nahm die Geschenke entgegen, die der Weihnachtsmann, eins nach dem anderen, aus seinem Sack holte und dem Kind überreichte. Wie sich doch die Eltern über die Bescherung freuten! Doch der Kleine verzog keine Miene. Er achtete nur auf die Stimme und auf die Augen, die über dem weißen Bart hervorblinzelten. Dann war ihm klar: der Weihnachtsmann war Onkel Walther!
Der Weihnachtsmann verabschiedete sich freundlich und verließ schlurfend und polternd die Wohnung. Püppi aber wollte den Eltern nicht die Freude nehmen und spielte das "Weihnachtsmann-Spiel" mit.
Aus dem Schlafzimmer ertönte erneut der Ruf: „Es gibt keinen Weihnachtsmann!“.
Die Weihnachtszeit ging vorüber. Alle Kinder der Straße trafen sich und berichteten von ihren Geschenken und Erlebnissen. Einer nach dem anderen fragte, ob beim Püppi der Weihnachtsmann gewesen war. Er sagte lange nichts, doch dann drängte es aus ihm heraus:
"Damit ihr's wisst, ich glaube nicht an den Weihnachtsmann, nur meine Eltern!". Die größeren Kinder fingen an zu kichern und hielten sich die Hände vor den Mund und ein älteres Mädchen fragte verwundert, was er damit meinte.
"Na, die hatten ganz rote Backen, als der Weihnachtsmann ins Zimmer trat und freuten sich wie kleine Kinder! Aber ich habe Onkel Walther erkannt. Er ist der Weihnachtsmann! Jetzt weiß ich auch, warum meine Großmutter immer sagt, dass es keinen Weihnachtsmann gibt!".
Seit diesem Tag gehörte er zu den wissenden Großen und war ganz stolz auf seine weihnachtliche Erkenntnis.
Ein Jahr verging. Wieder stand Weihnachten vor der Tür.
"Glaubst du an den Weihnachtsmann?", fragte Püppi das kleine Mädchen, das erst vor kurzem in ihre Straße gezogen war.
"Ja, der tommt bald!", rief die Kleine begeistert aus und sprang lustig durch die Gegend. "Bestimmt tommt der bald!", entgegnete Püppi sehr mitfühlend.
Die Legende vom Weihnachtsmann
Schon seit Tagen saß Opa Karl in seinem alten Schaukelstuhl vor dem Fenster und schaute gedankenvoll in die Weite der hügeligen Landschaft. Der Herbst zeigte sich in seiner herrlichsten Pracht. Unter großen alten Bäumen sah er die Kinder mit Eimern und Körben Kastanien sammeln.
"Ach, die Kinder!", seufzte er, "Seit über 20 Jahren gehe ich hier in Brummelhausen als Weihnachtsmann zu ihnen und sehe in ihre ängstlichen oder erstaunten Kinderaugen. Ihr kleines unschuldiges Herz glaubt an mich. Nein, ich will sie nicht mehr belügen!".
Sein Gewissen plagte ihn zusehends. Eines Abends fragte ihn seine besorgte Frau Hanna:
"Karl, was ist denn bloß los mit Dir. Du sprichst ja kaum noch ein Wort und essen tust Du auch immer weniger. Was betrübt Dich denn so?".
Karl schüttelte nur mit dem Kopf und sagte dann ganz energisch:
"Ich kann einfach nicht mehr die Kinder belügen, ich kann es nicht mehr und will es auch nicht mehr. Ich werde keinen Weihnachtsmann mehr spielen, aus und vorbei!".
"Aber Karl, Du gehst doch schon so lange zu den Kindern und bekommst auch Geld dafür. Von was sollen wir denn im Frühjahr unseren Urlaub auf Teneriffa bezahlen? Deinen Sinneswandel kann ich wirklich nicht verstehen!", erwiderte Hanna.
"Brauchst Du auch nicht! Jedenfalls habe ich mich fest entschlossen, alle anderen Weihnachtsmännern aufzurütteln, damit diese Kinderbelügerei mal ein Ende hat!", murmelte Karl sehr ernst und verließ die Stube.
Er setzte sich an seinen Computer und über das Internet hatte er in kürzester Zeit alle Adressen der weltweit registrierten Weihnachtsmänner herausgefunden. In seiner E-Mail an alle schilderte er eindringlich sein Anliegen mit der Bitte um eine baldige Antwort.
In dieser Nacht wollte sich der Schlaf nicht so recht einstellen, denn er war innerlich sehr aufgewühlt. So stand er des öfteren auf und setzte sich erwartungsvoll vor seinen Computer. Am frühen Morgen kam das erste Echo und dann folgten immer mehr.
Fast alle Weihnachtsmänner schilderten ihm ausführlich, bereits ähnliche Probleme mit ihrem Gewissen gehabt zu haben. Sie waren überwiegend bereit, sich einem Streik anzuschließen.
Es sprach sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Welt herum, dass die Weihnachtsmänner dieses Jahr streiken wollen. Die Ticker der Nachrichtensender liefen heiß und die Meldungen im Rundfunk lauteten zu jeder vollen Stunde:
"Weihnachtsmännerstreik in der ganzen Welt. - Sie haben sich einstimmig entschlossen, die Kinder nicht mehr zu belügen. - Proteste der Eltern und anderer Institutionen schreitet weiter fort. - Geschäftsschädigende und gewissenlose Weihnachtsmänner wollen nicht mehr zu den Kleinen kommen."
Plötzlich stürmte seine Frau ins Zimmer.
"Karl!", rief sie ganz aufgeregt, "Vor dem Haus stehen ganz viele Zeitungsleute und wollen Dich sprechen. Was hast Du gemacht?".
"Nichts Besonderes, nur alle Weihnachtsmänner aufgefordert, nicht mehr die kleinen Kinder zu belügen!", sagte er selbstbewusst und drehte sich von Hanna weg.
"Das darf doch nicht wahr sein! Ich habe schon so viele Aufträge für Weihnachten angenommen und habe sie wie immer in das rote Weihnachtsbuch geschrieben. Schau doch mal rein!", sagte sie sehr ungehalten und eilte davon.
Währenddessen klopfte es immer lauter an die Tür und das Stimmenwirrwarr drang mehr und mehr ins Haus. Draußen erschallten Rufe wie:
"Weihnachtsmann komm heraus!" - " Weihnachtsmann rede mit uns!".
Opa Karl erbarmte sich nach einiger Zeit und trat vor die Tür. Nur mit Mühe und mit erhobenen Armen konnte er die neugierige Meute in Schach halten, die versuchte, ins Haus einzudringen.
"Ruhe bitte und hört gut zu, ich erkläre es euch!", rief er mit seiner kräftigen Stimme. So langsam legte sich die Aufgeregtheit und alle Augen waren auf ihn gerichtet. Ungeduldig rief ein Reporter aus der Menge:
"Warum wollen Sie und alle anderen kein Weihnachtsmann mehr sein, und warum brechen Sie plötzlich mit dieser Tradition?"
"Seit Jahrzehnten werden die Kinder belogen, denn es gab doch nie einen echten Weihnachtsmann und wird ihn auch niemals geben. Er ist, wie ihr ja alle wisst, eine Erfindung der amerikanischen Firma Coca Cola, die ihn für Werbezwecke entwerfen und zeichnen ließ. Ich will einfach keine Kinder mehr belügen und habe deswegen all die anderen um eine Stellungnahme gebeten. Wir sind uns nun darin einig geworden, dass diese Lüge ein Ende finden soll!", verkündete Karl ganz sachlich den verblüfften Zuhörern.
"Ja, aber wie sollen die Eltern es ihren Kindern sagen, die sicherlich sehr enttäuscht sein werden, wenn sie hören, dass es plötzlich keinen Weihnachtsmann mehr gibt?", fragte ein besorgter Reportervater.
"Sagt ihnen einfach die Wahrheit!", erwiderte Karl, "Sie werden es schon verstehen. Außerdem hören doch alle Kinder gerne neue Geschichten!".
Still wurde es, und Karl sah in nachdenkliche Gesichter, die sich langsam von ihm entfernten. Er ging ins Haus zurück und vernahm durch das offene Fenster die Worte: "Der hat ja irgendwie recht!" und "Es stimmt, überall wird so viel gelogen, sogar zu Weihnachten!".
Ein befreiendes Lächeln huschte über sein Gesicht und zufrieden setzte er sich in den Schaukelstuhl vorm Fenster. In diesem Moment rief der kleine Nachbarsjunge Michel durch das noch offene Fenster:
"Opa Karl, hast Du schon gehört, dass der Weihnachtsmann nicht mehr kommt?".
"Ja, mein Junge!".
Kann ein Weihnachtsmann stricken?
Vor langer langer Zeit gab es im hohen Norden ein abgelegenes Dorf. Dort war es Brauch, daß zu den Kinder nie der Weihnachtsmann kam, sondern zur Zeit der Sonnenwende drei Strickfrauen die Kinder beschenkten. Mehrere Tage zogen sie mit einem bunten Schlitten, angefüllt mit den schönsten Geschenken, von Haus zu Haus. Zur Herbstzeit konnten alle Kinder ihre Wünsche auf einen Zettel schreiben und diese in das tiefe Loch eines „Wunschbaumes“ stecken. Dieser Baum war sehr alt und hatte im Laufe der Zeit schon viele solcher Wunschzettel erhalten.
Es war wieder Herbst geworden. Die Frauen saßen wie jeden Tag in ihrer kleinen Stube und strickten, umgeben von vielen Körben mit bunten Wollknäueln. Das alte Haus, in dem sie wohnten, stand am Waldesrand. Über dem Eingang hing ein großes rotes Schild mit einer bunten Schrift und darauf stand: Hier wohnen die drei Strickfrauen – Fragen und Wünsche zu jeder Tageszeit. Diese Frauen wurden von allen im Dorf geliebt, besonders von den Kindern, die zur Herbstzeit leise um das Haus schlichen, um zu sehen, ob neue Stricksachen an den Holzhaken unter der Decke hingen.
Eines Tages schlich auch die kleine Marie mit einer Gruppe Kinder zu dem Haus, denn ihr wurde erzählt, daß zu ihnen ins Dorf kein Weihnachtsmann käme, denn der könne ja nicht stricken. Sowas hatte die Kleine noch nie gehört. In die große Stadt, wo sie vorher wohnten, kam zu allen stets der Weihnachtsmann mit einem Sack voller Geschenke für die braven Kinder und einer Rute für die bösen Kinder.
Marie wurde sehr neugierig. Von einem Holzstapel aus schauten sie durchs Fenster in die Stube. Marie hatte sich inzwischen von den anderen getrennt und sich mutig vor die Tür gestellt. Vorsichtig drückte sie auf den bunten großen Klingelknopf und wartete. Die Tür ging auf und im Rahmen stand eine freundliche Frau mit einem wunderschönen langen blauen Strickkleid.
„Wer bist du denn?“, fragte sie und bat das Mädchen herein.
„Ich bin die Marie und wohne mit meinen Eltern jetzt auch hier im Dorf!“, erwiderte sie ganz keck.
Schon im Flur kamen ihnen bereits die beiden anderen Frauen, die ihr Strickzeug noch in den Händen hielten, entgegen. „Ein neues Kind! Wie schön!“, sagten sie fast wie im Chor.
Marie durfte sich auf einen Stuhl setzen und erblickte überall bunte Wolle.
„Dürfen wir auch rein!“, riefen nun von draußen die übrigen Kinder, als sie Marie drinnen sitzen sahen, und klopften wild ans Fenster.
„Na klar, ich mache euch die Tür auf“, sagte die Frau mit dem roten Strickkleid.
Schnell rannten sie um die Hausecke und stellten sich wie die Orgelpfeifen brav vor die Tür. Sie wußten, daß üblicherweise zur Herbstzeit keine Kinder mehr ins Haus gelassen wurden.
„Ich mache heute mal eine Ausnahme!“, sagte die Frau und winkte sie herein.
Der Blick der Kinder ging sogleich nach oben, wo sonst gewöhnlich die Stricksachen hingen. Aber hier hing nicht ein Teil! Natürlich hatten die Frauen die fertigen Sachen schnell abgehängt, bevor sie die kleinen Besucher hereinließen.
Die mit dem gelben langen Strickkleid lächelte den Kindern zu und fragte:
„Habt ihr euren Wunschzettel schon in den Baum gesteckt?“.
Die Dorfkinder nickten mit dem Kopf und sahen nun alle zu Marie.
„Ich noch nicht!“, rief sie und wollte gerade noch was sagen, als ein größerer Junge ihr erklärte, daß sie sich aber nur Stricksachen wünschen könne.
„Warum nur Stricksachen?“, erkundigte sich Marie und schaute zu den Frauen hoch.
„Weil es hier seit langer langer Zeit Brauch ist, daß jedes Jahr im Herbst unsere Kinder hier im Dorf sich neue Stricksachen wünschen dürfen!“ erklärte die Frau in dem blauen Kleid.
Marie überlegte eine Weile, klatschte dann begeistert in die Hände und sagte:
„Dann wünsche ich mir...!“.
„Psst!“, rief wieder der größere Junge und flüsterte ihr leise ins Ohr, daß sie es auf einen Zettel schreiben müsse.
„Ich kann doch noch nicht schreiben!“, sagte sie laut und schaute wiederholt an das schöne rote Strickkleid der netten Frau.
„Das mache ich für dich!“, erwiderte fürsorglich der Junge.
Am anderen Tag führte die ganze Kinderschar Marie zum „Wunschbaum“ und ließen den Wunschzettel von Marie tief in das Loch hineinfallen.
Marie erzählte den Eltern nichts von ihrem Geheimnis. Die Zeit verging und die Weihnachtszeit rückte näher. Die Eltern wunderten sich nur, daß sie im Dorf nichts Weihnachtliches entdecken konnten, so wie sie es aus der Stadt kannten. Alles war so anders. Doch dachten sie nicht weiter darüber nach. Seit ihrer Ankunft hatten sie bemerkt, daß alle Kinder hier nur farbenfrohe gestrickte Kleidung trugen. Schon lange wünschte sich Marie auch ein Strickkleid.
„Bald kommt der Weihnachtsmann“, sagte eines abends der Vater „und dann wird er dir eins bringen!“.
„ Mir kann der Weihnachtsmann gar nichts bringen, weil es hier keinen gibt!“, erwiderte Marie und schaute den Vater schelmisch an.
„Wieso gibt es hier keinen Weihnachtsmann?“, fragte die Mutter zurück und schüttelte nur den Kopf.
„Laßt euch überraschen. Bald ist es soweit!“, ergänzte die Kleine und hüpfte davon.
Gerade, als sie eines abends gemütlich zusammensaßen, klopfte es, und der Vater rief laut durch das Zimmer: „Es wird doch nicht schon der Weihnachtsmann sein?“.
Marie konnte sich das Kichern nicht verkneifen und lief aufgeregt zur Tür. Es war natürlich nicht der Weihnachtsmann! Sie führte die drei Frauen ins Zimmer und stellte sie den Eltern vor und sagte aufgeregt:
„Das sind die Strickfrauen, die am Jahresende zu den Kindern kommen. Sie erfüllen die Wünsche der Kinder!“.
Sprachlos standen die Eltern im Raum und bestaunten die Besucherinnen. Nie zuvor sahen sie so kunstvoll gestrickte Kleider. Marie konnte es kaum erwarten, denn in der Mitte des Raumes stand ein Korb, den sie zuvor nicht bemerkt hatte. Die Frau mit dem gelben Kleid öffnete den Deckel und ließ Marie hineinschauen.
„Ein rotes Kleid, ein rotes Kleid! Mama, richtig gestrickt!“, rief Marie begeistert und hob es hastig in die Höh', „genau so ein Kleid hatte ich mir gewünscht!“.
„Ich bin ja so froh, daß es hier keinen Weihnachtsmann gibt!“, rief die Kleine. „Der kann doch nicht stricken. Oder?“ und sah in das erstaunte Gesicht ihres Vaters.
Die krumme Tanne
„Seit vielen Jahren“, so fing die Tanne an zu erzählen „stehe ich nun schon in diesem schönen Wald und möchte gerne mal erzählen, warum ich so krumm gewachsen bin.
Als ich noch klein war, gesellten sich einige, schon größere Artgenossen zu mir. Nach einiger Zeit kam es dann dazu, dass sie mich Tag für Tag mit ihren weit auslaufenden Ästen bedrückten. Das tat mir weh, doch keiner wollte mein Jammern hören. Die anderen wurden stetig höher und obendrein wunderschön. Ich dagegen zunehmend krummer.
So konnte ich aber hören, was die Menschen sagten, wenn sie im Herbst kamen, um sich die schönsten Tannen auszusuchen. Jährlich sollten welche von uns abgesägt und dann in die warmen Stuben der Menschen gebracht werden. Jedes Jahr zur selben Zeit findet nämlich zur Wintersonnenwende ein Fest statt, das auch Weihnachten genannt wird. Tannenbäume werden dann in kunstvolle Ständer gestellt und mit Kugeln, Lametta, Süßigkeiten und Kerzen geschmückt. Unter den Baum werden kleine, aber sogar auch große Geschenke gelegt. So erzählte man sich. Das berichtete ich all den Schönen neben mir, und sie sahen sich schon in herrlichem Glanz bei den Menschen stehen.
Eines Tages kamen ein paar Männer zu uns. Der eine von ihnen rief:
‚Kommt mal her, hier stehen prächtige Exemplare, gerade die richtige Höhe für unsere Stadt!‘.
Die Erwählten wurden genauestens begutachtet und mit weißer Farbe markiert. Ich, zwischen all den Schönen, wurde von niemandem angesehen, ja, noch nicht einmal bemerkt. Es machte mich traurig.
Zudem hörte ich eine der Tannen noch hochmütig sagen:
‚Habt ihr gesehen, wie sie uns von allen Seiten bestaunten? Sie wollen uns zum Fest der Menschen bringen!‘.
‚Ach!‘, rief ich ihnen von unten entgegen. 'Ihr seid auf meine Kosten so gewachsen, habt mich stets unterdrückt und mich krumm und schief werden lassen!‘.
Hochmütig hörten die Schönen gar nicht auf meine Worte und wiegten sich eitel im Wind.
Einige Tage später kamen erneut Männer, nur dieses Mal mit Äxten und Sägen unterm Arm und fingen gleich an, am unteren Ende der ausgesuchten Tannen zu sägen.
‚Aua, aua!‘, jammerten alle durcheinander, doch keiner vernahm ihr Gestöhne.
Doch wie sollte oder konnte ich helfen? Es dauerte nicht lange, da lagen die Tannen abgesägt am Boden. Letzte verzweifelte Seufzer drangen in meine Richtung. Ihr Sterben machte mich sehr traurig, auch wenn sie mich nie gut behandelt hatten. Sie wurden auf großen Lastwagen abtransportiert, und ich sah sie nie mehr wieder.
Jetzt stand ich da, ganz alleine und von allen verlassen. Mein krummes Aussehen kam jetzt erst richtig zur Geltung. Es dauerte Tage, bis ich begriff, was geschehen war.
Neugierig kamen die vielen Tiere des Waldes näher und staunten, denn erst jetzt bemerkten auch sie, wie krumm ich wirklich war. Die Vögel flogen herbei und setzten sich abwechselnd auf meine Äste, die nach einer Seite hingen. Die Hasen hoppelten im Kreise, Rehe und Hirsche zupften zart an meinen Nadeln, als wollten sie mich trösten. Eichhörnchen sausten kreuz und quer und zeigten mir ihre Zuneigung.
‚Was ist bloß los!‘, rief ich ihnen zu, ‚was ist denn geschehen, dass ihr alle vor Freude hüpft und springt?‘.
‚Wir haben auf diesem Platz jetzt nur noch dich!‘, sagte mit tiefer Stimme der Hirsch und das Reh stimmte nickend zu.
‚Du hast uns immer vor Kälte, Wind und Schnee beschützt. Hast dich sogar zu uns niedergebeugt und freudig zugeschaut, wenn wir hier rumtollten!‘, bemerkte ein alter Hase.
Ein Eichhörnchen rief begeistert:
‚Du hast mir oft Tannenzapfen geschenkt und mich an dir rumtoben lassen!‘.
Und so erzählten alle Tiere von ihren Erlebnissen mit mir. Als krumme Tanne konnte ich noch viele Jahre glücklich und zufrieden leben!“.
Der letzte Weihnachtsmann.
Dichte große Schneeflocken verzauberten das Leben in eine Märchenwelt. Die Kinder im Dorf nutzten die Gunst der Stunde und beschlossen, einen besonders großen Schneemann zu bauen, größer als all die Jahre zuvor. Freudig stapften sie an den Waldesrand vor die hohen Tannen. Man sah rotbäckige Kinder, wie sie fleißig Schnee zu Kugeln rollten. Diese stapelten die großen Helfer aufeinander und formten sie zu einer Riesenkugel. Mittlerweile hatte der Schneefall etwas nachgelassen und das bisherige Werk konnte begutachtet werden.
„Höher kommen wir jetzt nicht mehr, wir brauchen eine Leiter! Wer holt eine von zuhause?“, rief Peter in die Runde.
„Bin schon unterwegs“, sagte Florian und spurtete davon.
Die Übrigen nutzten die Wartezeit für weitere Überlegungen, denn ein richtiger Schneemann brauchte ja einen großen Schal, eine Mütze, eine Möhre für die Nase, zwei Eierkohlen für die Augen, gebogene Stöckchen für den Mund und einen Besen für den Arm. Fast jedes der Kinder lief nachhause und brachte dann einige der notwendigen Utensilien wieder mit zurück. Dann konnte das Bauen weiter gehen. Kleinere Schneekugeln wurden herangeschafft und hinaufgereicht. Es dauerte nicht lange und der heißersehnte Schneemann war fertig. Lustig sah er aus und er schien zu den Kindern hinunter zu lächeln.
Die kleine Gundi rief ganz aufgeregt:
„Seht nur, der Schneemann lacht mich an und wackelt mit der Nase!“.
„Ja, ja der blinzelt auch mit den Augen und streckt gleich noch die Zunge raus“, fügte ihr größerer Bruder hinzu.
Es dunkelte bereits, als sie sich pitschenass wie Pudel auf den Heimweg machten. Peters Mutter öffnete die Tür und man hörte sie verzweifelt sagen:
„Peter, wo kommst du schon wieder so naß her! Jetzt habe ich keine trockenen Hosen mehr für dich!“ und zog ihn ins Zimmer.
„Natürlich von draußen!“, murmelte der Großvater verständnisvoll und zwinkerte Peter zu.
Der Tag der Wintersonnenwende stand vor der Tür. Ein recht alter Weihnachtsmann aus dem Nachbarsdorf, dem das Laufen schon schwerfiel, hatte sich nach altem Brauch auf den Weg zu den Kindern gemacht, um sie zu beschenken. Es war sehr dunkel und nur der Mond brachte etwas Licht. Mißmutig brummelte er vor sich hin:
„Mit dem Kinderkram wird mir das langsam zu viel! Keiner will mein Nachfolger werden. Weil sie alle keine Zeit haben, angeblich.“
Als er schließlich den Waldrand erreichte, entdeckte er von weitem schon den ungewöhnlich großen Schneemann. Stapfenden Schrittes näherte er sich ihnen. Da passierte es. Er stolperte über eine dicke Baumwurzel und landete lang vor dem Schneemann. Seine Rute und der schwere Sack flogen durch die Luft und blieben in einiger Entfernung liegen. Sein Bein schmerzte höllisch, vielleicht war es gebrochen.
„Aua, aua, Hilfe, Hilfe!“ hallte es durch die Nacht. Doch wer sollte ihn hier schon hören?
Plötzlich vernahm er eine eigenartige Stimme:
„Ich will dir gerne helfen. Rutsche dicht an mich ran und atme kräftig gegen meinen Bauch. Nimm deine Hände und höhle mich aus!“
Erschrocken schaute sich der weihnachtlich angezogene alte Mann um, konnte aber keinen Menschen erblicken. Noch einmal hörte er die selben Worte und sah nach oben in das Gesicht des Schneemannes, der zu lächeln schien. So seltsam die Situation ja zu sein schien, gehorchte er den Anweisungen des Schneemannes. Die Höhle in dessen Bauch wurde zusehends größer. Trotz seiner Schmerzen grub sich der Mann immer weiter in das Innere, als er über sich wieder die eigenartige Stimme sagen hörte:
„Mach so weiter, dann wirst du auch nicht erfrieren!“.
Verängstigt machte er weiter und schließlich gelang es ihm, sich hineinzuzwängen. Bald darauf schlief er vor Erschöpfung ein.
Die rote Morgensonne weckte den Verletzten und dieser drehte sich mit all seinen noch vorhandenen Kräften aus seiner mißlichen unbequemen Lage zur Öffnung hin.
„Wo bin ich denn!“ staunte er und rieb sich verwundert die Augen.
„Hilfe, Hilfe!“, stöhnte er und sein Rufen wurde immer lauter.
„Du hast schon Hilfe bekommen!“ sagte die Stimme von oben, „sonst wärst du erfroren!“.
Sein Herz fing laut an zu pochen und er hatte ganz offensichtlich arge Gewissensbisse, denn ihm waren die Kinder in den Sinn gekommen, die nun vergeblich auf ihn gewartet hatten.
Während er die Nacht im Bauch des Schneemannes verbrachte, entstand im Ort große Unruhe. Man sah Menschen aufgeregt von einem Haus zum anderen huschen. Fenster und Häuser waren hell erleuchtet und festlich geschmückt, doch Freude kam nicht auf. Keiner wußte, warum der Weihnachtsmann nicht zu den Kindern kam. Schließlich standen Groß und Klein auf den Straßen und Peters Vater rief in die Menge:
„Dem Weihnachtsmann wird doch nichts passiert sein?“.
Ein anderer sagte mit kräftiger Stimme:
„Ich glaube schon, denn er ist schon alt. Ihr Kinder geht jetzt nach Hause und legt Euch schlafen und wir werden nach ihm suchen!“.
Der Morgen graute schon, als der Verletzte plötzlich in weiter Ferne Stimmen hörte, die seinen Namen riefen.
„Hier bin ich! Hier oben am Waldrand!“, rief er so laut er konnte.
Sofort eilten die Männer hinauf und entdeckten ihn liegend und schimpfend vor dem großen Schneemann und staunten nicht schlecht über das ausgehöhlte Schneewesen.
Worte wie: „Hermann, was machst du denn für Sachen! Haben wir dir nicht oft genug gesagt, daß du nicht mehr alleine gehen sollst?“, mußte er sich anhören und winkte ab. Zwei liefen bereits los um einen Arzt und eine Trage zu holen.
„Nie wieder werde ich den Weihnachtsmann spielen. Das ist einfach nichts mehr für einen alten Mann!“, erwiderte er und ließ sich gerne mit einem warmen Schluck Tee verwöhnen.
„Der da, der Schneemann hat mich gerettet!“, sprach er und zeigte nach oben.
„Ein Schneemann kann doch nicht retten, wie soll das denn gehen?“, sagte einer der Männer laut und fügte noch hinzu:
„Ach Hermann, erzähl doch keine Märchen!“.
So gingen die Worte hin und her, doch keiner wollte dem Alten glauben.
Inzwischen erfuhren auch die Kinder von dem verletzten Weihnachtsmann, den man vor ihrem Schneemann gefunden hatte und eilten hinauf zum Waldesrand. Als die kleine Gundi hörte, daß der Schneemann sprechen konnte, so wie es der Weihnachtsmann erzählte, rief sie ganz laut und selbstbewußt:
„Und lächeln kann er auch. Das habe ich genau gesehen. Keiner will mir glauben!“.
„Ja, Kleine, ich glaube dir!“, sagte der alte Mann ganz ruhig und wandte sich an die erstaunten Gesichter der Erwachsenen, während die Kinder in der Nähe herumtobten, und sprach dann weiter:
„Das Leben als Weihnachtsmann macht keinen Spaß mehr. Die Zeiten sind so hektisch und ungemütlich geworden. Keiner hat mehr Zeit, wer will schon mein Nachfolger werden!“
Er schaute nach unten und irgendwas schien ihn zu bedrücken. Die Männer bemerkten es und einer fragte besorgt:
„Hermann, nun raus mit der Sprache, dir liegt doch was auf dem Herzen! Sag es uns doch einfach!“
Nach einer Pause drängte es aus ihm heraus:
„Wie wäre es mit einem neuen Fest zur Erinnerung an meine Rettung durch einen Schneemann? Jedes Jahr könnten die Kinder zu dieser Zeit viele ausgehöhlte Schneemänner bauen und sie mit Geschenken für die armen Kinder der Umgebung füllen. Ihr werdet sehen, die Freude wird groß!“.
Sprachlosigkeit stand in fast allen Gesichtern, doch Peters Vater entspannte die Situation und winkte die Kinder herbei und fragte:
„Was haltet ihr von einem Schneemann-Fest?“
„Hurra, ein Fest für den Schneemann!“, jauchzten die Kinder aufgeregt und kullerten erneut übermütig im Schnee herum.
„Ich muß aber noch dazu sagen, daß dann kein Weihnachtsmann mehr zu euch kommen wird, um euch zu beschenken, sondern ihr könnt dann viele viele Schneemänner mit Geschenke füllen. Es gibt weltweit eine Menge arme Kinder oder die keine Eltern mehr haben, und die würden sich von Herzen freuen, wenn andere Kinder an sie denken“, redete er weiter und wartete gespannt auf die Reaktion.
Die Kinder sahen sich an und waren sich ohne Worte einig. So verkündete der große Peter stolz:
„Na klar, wir wollen lieber das Schneemann-Fest und anderen Kindern helfen. Wir kriegen doch das ganze Jahr über genügend Geschenke!“.
„Seht nur, wie der Schneemann mich wieder anlächelt!“, rief die kleine Gundi.
„Ja, ja, und gleich blinzelt er mit den Augen und wackelt mit der Nase!“, fügte der große Bruder hinzu.
„Vielleicht!“, erwähnte Gundi leise und stellte sich dicht neben den Schneemann.
Der letzte Weihnachtsmann war sehr sehr erleichtert. Er kam in ärztliche Obhut und konnte noch mitverfolgen, wie sein Schneemann-Fest sich über die ganze Welt verbreitete.
Seither wurde am Ende des Jahres nur noch das Fest der „Schneemänner“ gefeiert. Alle Kinder waren froh und glücklich und kannten den Weihnachtsmann bald nur noch aus den Märchen.
Das Osterhasenmärchen
In einem tiefen, dunklen Wald gab es eine Osterhasenschule. Alle kleinen Häschen besuchten sie jeden Tag und lernten Ostereier zu bemalen. Es gab in dieser Schule viele kleine Tische, auf denen die Eier in einer Halterung standen, damit sie nicht umgestoßen werden konnten, denn zwischendurch tobten die Häschen wild umher. Nur eines nicht, das saß ganz in der Ecke auf einer Kiste und schaute nur Tag für Tag dem ganzen Treiben zu. Dieses kleine zuschauende Hasenkind spitzte die Ohren nach allen Seiten um irgendwie zu erfahren, woher denn die immer neuen Eier kämen. Manchmal rief es quer durch den Raum:
„Hallo Freunde, kann mir mal einer sagen wo täglich die Eier herkommen?“.
Dann wieder zupfte es jeden Einzelnen am Fell und fragte mit schriller Stimme:
„Wann hast Du dieses Ei gelegt und wo?“.
Dem Osterhasenoberlehrer war das nicht recht und er schlich sichtlich nervös durch Reihen und Bänke, in der Hoffnung, daß das neugierige Häschen bald verstummen würde. Jedesmal wenn es wieder Fragen stellte, taten alle sehr beschäftigt, tauchten große und kleine Pinsel in bunte Farbentöpfe, drehten die Eier hin und her, konzentrierten sich einfach nur auf das Anmalen.
„Warum malst Du nicht mit?“, fragte eines Morgens ein neuer Hasenlehrer den in der Ecke sitzenden kleinen Hasen, der wie immer seine Ohren spitze, um doch noch irgendwie auf das „Geheimnis“ der Osterhasen zu kommen.
Von seinen Eltern hörte es immer nur, daß Hasen keine Eier legen können, sonder ganz ganz niedliche winzige klitzekleine Häschen bekämen. Daher wurde seine Neugierde immer größer und es dachte Tag und Nacht darüber nach, wie es dem Geheimnis auf die Spur kommen könnte. Eines Tages hatte es eine Idee.
Es hatte bemerkt, daß alle zur gleichen Nachmittagszeit nach Hause gehen mußten und auch nie, sogar dann nicht, wenn sie etwas vergessen hatten, nochmals zurückkommen durften. So wollte es die Schulleitung. Jeden Tag schrieb ein anderer Osterhasenschüler die Regeln mit bunter Hasenkreide an eine Tafel, die gegenüber der Tür hing.
Als das neugierige Häschen mal fragte:
„Warum müssen wir denn so pünklich gehen und dürfen nicht noch ein wenig bleiben oder zurückkommen?“, faßte der neue Hasenlehrer ihn bei den Ohren, hob ihn hoch und schwang ihn durch die Lüfte hin und her.
„So ergeht es jedem von Euch, der unnötige Fragen stellt, denn Osterhasen legen seit vielen Jahrhunderten Eier und damit basta!“ sagte er mit energischer Stimme.
Ängstlich und erschrocken hoppelten die gehorsamen Hasen schnell nach Hause.
Nur das neugierige Häschen nicht, denn es verkroch sich heimlich in der Kiste in der Ecke, auf der es sonst immer gesessen und nachgedacht hatte. Es war bereits finster geworden, als knarrend die Tür aufging und ein alter Hase mit einer Kiepe auf dem Rücken in den Raum trat. Er stellte den Korb auf den Fußboden und packte vorsichtig die schönen bunten Eier in die Kiepe, setzte sich anschließend in die Hocke, schnallte sich alles auf den Rücken und machte sich schnaufend davon. Was das neugierige Häschen da zu sehen bekam, war so beeindruckend und spannend, daß es sich ebenfalls aus der Tür schlich und dem alten Osterhasen nachhoppelte, aber leise und unbemerkt.
Lange schlichen sie so durch den dunklen Wald bis hin zu einer Lichtung. In der Nähe stand ein altes Bauernhaus mit einem angrenzenden Hühnerstall, in den der schwerschleppende Hase verschwand. Vorsichtig schloß er die morsche Tür und stieg einige Stufen die Hühnerleiter hinauf. Von großer Neugierde geplagt stellte sich das Häschen draußen hoch auf die Hinterbeine und schaute durch eine geöffnete Luke. Was es da sah, konnte es kaum fassen. Seine sonst gespitzten Ohren klappten vor Schreck nach unten und seine langgestreckten Hinterbeine fingen an zu zittern. Es sah die friedlich schlafenden Hühner, die von weißen Eiern umgeben waren und sah aber auch, wie der alte Hase diese Eier mit seinen mitgebrachten bunten Ostereiern vertauschte.
„Also das ist das besagte, ewige Osterhasengeheimnis“, dachte das kleine Häschen und stellte sich hinter einen dicken Holzbalken, um vom alten Osterhasen nicht gesehen zu werden, wenn er den Hühnerstall verläßt.
„Ich hab's wieder geschafft!“, hörte es den Alten murmeln, der wieder mit der neuen weißen Eierlast im dunklen Wald verschwand.
Da das neugierige Häschen nun aber noch nicht wußte, was mit den bunten Eiern geschah, blieb es bis zum Morgen in seinem Versteck. Eine gekrümmte alte Frau kam schlurfend auf den Hühnerstall zu, öffnete die Tür und holte freudestrahlend die buntbemalten Eier aus den Nestern.
„Welch eine Freude für die vielen Kinder in unserem Land!“ rief sie laut in die Morgenlüfte, denn hören konnte sie keiner weit und breit. Das nächste Haus war weit entfernt.
Das ist nun das „Osterhasengeheimnis“. Wie immer ging das neugierige Häschen in die Osterhasenschule und saß diesmal wissend und gelassen auf der gewohnten Kiste in der Ecke. Es lächelte still schmunzelnd vor sich hin und sang ein selbstgedichtetes Hasenlied.
„Ich bin ein schlauer Hase und gebe keine Ruh', denn Hasen legen nicht Eier vor Ostern immerzu. Oho, aha, ihi – ich bin ein schlauer Hase!“
Dieses wiederholte er oft und gerne, bis der Oberhasenlehrer, der das schon draußen hören konnte, ihm erneut die Ohren lang zog und ihm das Lied einfürallemal verbot. Beschämt aber nicht traurig setzte es sich still in seine Ecke. All seine Hasenfreunde fingen auch an, ihm das Singen zu verbieten, denn sie wollten gute Osterhasen werden und mußten daher viel lernen.
Eines Morgens stellte sich das neugierige Häschen auf die Kiste und sagte mit fester Stimme:
„Seit ich das Geheimnis der Osterhasen kenne, hält mich nichts mehr in dieser Osterhasenschule. Ich will kein Osterhase mehr werden, denn ich suche mir lieber eine Hasenfrau, und die legt mir klitzekleine süße Hasenkinder ins Nest. Ich gehe jetzt und komme auch nie mehr zurück!“.
Erstaunt schauten die übrigen Hasen und der Oberhasenlehrer dem davonhüpfenden Häschen hinterher, das nie wiederkam. Mit ihm verschwand auch das Osterhasengeheimnis. Weil alle anderen Osterhasen es nie erfahren konnten, verbreitete sich dieses Märchen vom „eierlegenden Osterhasen“ über die ganze Erde.
Zuhause erzählte das nun schlaue Häschen alles ausführlich seinen Eltern. Sie nahmen es in den Arm, drückten und küßten den Kleinen so heftig, daß er ganz verzottelt aussah und bestätigten ihm erneut, daß Hasen keine Eier legen können, sondern nur die Hühner. „Aber warum gibt es denn dieses Osterhasenmärchen?“, fragte es ganz leise und sah hinauf zu seinen Eltern.
“Warum,“ erwiderte der Vater „weil die kleinen Menschenkinder gerne Märchen hören und die Erwachsenen sie gerne erzählen.“
Texte: Copyright Coverbild, Aquarell Hans Gemähling
Tag der Veröffentlichung: 05.09.2008
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