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Burnout am Nordpol

Burnout am Nordpol.

 

Von Heike und Christof 

 

 

 

Mein Name ist Claus, Santa Claus!

Manche nennen mich auch Weihnachtsmann, Papa Noel, Väterchen Frost usw.

Es kommt immer darauf an, in welchen Land es mich gerade verschlägt

 

Aber worum es mir hier und heute geht: ich bin geschafft, fertig, am Ende.

 

Die meisten Erwachsenen bilden sich ein, ich hätte einen richtig tollen Job. 364 Tag im Jahr faulenzen und nur einen Tag lang richtig was zu tun, das auch noch allen Anderen ein Lächeln aufs Gesicht zaubert.

Und die Kinder sind der Ansicht, dass ich für jeden einzelnen von ihnen ein eigenes Geschenk bastele, bemale, einpacke und vorbei bringen soll.

 

So ist es aber nicht. Sicher, ich mache auch mal Urlaub.

 

Aber so am Strand liegen, ist wirklich nicht mein Ding.

Stellt euch mal vor, mit meinem Bauchumfang chille ich im Liegestuhl irgendwo auf den Seychellen, natürlich all inclusiv. Und zudem noch die rote Badehose mit den aufgedruckten Zuckerstangen, zu der ich vertraglich verpflichtet bin. Ich höre schon höhnische Gelächter der Kids und der Jugendlichen: „guckt mal, der Dicke da“. Das geht mir ganz schön gegen die Hutschnur. Kein Respekt, aber an Weihnachten die Geschenke absahnen wollen.

 

Bei so einer Gelegenheit hat mir mal eine Dame vom Liegestuhl nebenan ihre E-Mail-Adresse zugeschoben. Nach einem netten Austausch einiger elektronischer Briefe stellte sich heraus, dass sie von den „Weight Watchers“ war. Seitdem werde ich zugespamt mit Vorschlägen „Abnehmen mit Punkte zählen“ und so einen Quatsch.

 

Nein, da mache ich schon lieber die ein oder andere Städtetour rund um die Welt.

Wie diese Metropolen in der Nacht aussehen, das weiß ich durch meine jahrelange Arbeit zur Genüge, aber tagsüber, da geht mir das Herz auf. Erst bei Tageslicht fallen die kleinen Details auf. Die Architektur in den Städten, nachts beleuchtet, aber tagsüber mit Leben gefüllt. All die Bäume, Pflanzen und Blumen in der Nacht einfach nur dunkel und grau, aber im Sonnenschein so wunderschön.

 

Ich habe, wie die meisten Leute, nur eine begrenzte Anzahl Urlaubstage.

Die andere Zeit verbringe ich in meinem „Office“.

Ein Meeting jagt das nächste. Die Controller sitzen mir mit den Kosten im Nacken. Der Marketingchef, Steve Jobs (direkt von Apple übernommen), möchte noch mehr Umsatz erwirtschaften. Einige Intriganten spielen sogar mit dem Gedanken, die Verteilung der Geschenke einem Lieferunternehmen namens Zalando zu überlassen. Als wären die schneller als ich.

Allerdings lehnen die Rentiere ein Ganzjahres-Gesundheitsprogramm kategorisch ab und wollen unbedingt weibliche Rentiere in ihrer Mitte haben. Frauenquote nennt man das wohl. Ob wir auf diese Weise konkurrenzfähig bleiben, ist fraglich.

Denn diese Nordpolbewohner haben wirklich 11 Monate keine weiteren Verpflichtungen.

 

 

Nun haben wir zusätzlich Ärger mit dem Bundesamt für Luftverkehr und dem TÜV. Alle wollen sie eine Feinstaubplakette am Schlitten, obwohl dieser von Rentieren gezogen wird und in den EU-Richtlinien ist dies, oh Wunder, noch überhaupt nichts geregelt. (Keine Paragraphen, keine Satzung, keine Richtlinien…) Außerdem frage ich mich, woher die wissen, dass die Rentiere von der vielen Schokoladennascherei ständig so pupsen müssen.

 

Wir haben in der letzten Zeit einige Neuzugänge – auf eigenen Wunsch - zu verzeichnen. So hat der neue Betriebsratsvorsitzende N. Mandela durchgesetzt, dass Michael J. in den Kakaopause mit den Wichteln und Elfen ihre Lieblingslieder singen darf. Macht allen sehr viel Spaß und es arbeitet sich hinterher viel fröhlicher.

Allerdings besteht Melanie Thornton darauf, ihren Hit „Wonderful Dream“ immer noch selbst zu singen. Zu Lebzeiten hatte sie dafür leider keine Bühne mehr. Und die Wichtel setzen sich dabei immer auf die Mini-Coca-Cola-Trucks und fahren eine Polonäse durch unsere ganzen Produktionshallen.

 

Was mich sehr beunruhigt ist die Entwicklung der Wünsche.

 

Bei den Erwachsenen geht es einigermaßen ruhig und besinnlich zu. Hier beziehen sich die Wünsche oft auf die Liebe, die Gesundheit und die Arbeit. Herr Hoeneß wünscht sich freilich dringend Pay-TV in seiner Zelle. Mit allen europäischen Fußballligen zwecks beruflicher Wiedereingliederung. Und Herr Obama aus Amerika will Herrn Snowden aus Russland zurück. Das geht leider nicht, denn auch ich habe meine Geheimabkommen.

Der Renner sind allerdings die Bitten um einen größeren Lottogewinn. Aber dafür ist die Glücksfee zuständig; nicht ich.

 

Bei den Kids ist die Art der Wünsche für mich aufwühlend. Hier fehlt inzwischen jegliche Bescheidenheit.

Das fängt schon damit an, dass die Wunschzettel nicht mehr wie früher mit dem mir vertrauten Postboten oder über unser altertümliches Faxgerät kommen. Diese Wünsche konnten wir in den letzten Jahren, mit Hilfe von Johannes Hesters, der am 24.12 2011 zu uns kam immer noch in gewohnter Art und Weise abstempeln, lochen und abheften.

 

Aber heute braucht man Smartphones, Facebook, Twitter, Whats App. Die Wünsche werden nur noch gelikt (gefällt mir) oder mit einem Smilie versehen und elektronisch archiviert.

Nach dem Motto höher, schneller, weiter und teurer, ist der Markt noch lange nicht gesättigt. Da braucht es schon einen Sherlock H. von heute, um mit dieser Geschwindigkeit mitzuziehen. Und die Wünsche der Kinder lesen sich wie die Bestands-Liste der Raumfahrtbehörde in Houston. CPU, FAQ, Java, Slot, IMEC, Proxy… Ich weiß gar nicht, was und wozu all das Zeug überhaupt ist. Vielleicht sollte ich den Fernseh-Verkäufer vom Media-Markt abberufen? Vielleicht könnte Steve Jobs aber auch die Abteilung wechseln, ich werde dort mal nachfragen.

 

Marcel Reich Ranicki hat sich für dieses Jahr als Übersetzer angeboten, er wird versuchen die Ghettosprache in verständliche Wörter umzusetzen, damit ich verstehe, um was es den Kids überhaupt geht. Vielleicht wollen sie doch nur eine elektrische Eisenbahn und ich habe es nur nicht richtig verstanden.

Wenn ich einmal die Möglichkeit habe, mich in dieser stressigen und meiner Meinung nach teilweise undankbaren Zeit, zurückzuziehen, findet man mich ein wenig südlicher beim Eisangeln. Mein Freund Dirk Bach hält immer ein Eisloch für mich frei. Während die Nordlichter über uns erstrahlen, philosophieren wir, in dieser friedlichen Atmosphäre, über die Fragen nach dem Verbleib von Güte, Hilfsbereitschaft, Zufriedenheit und Vertrauen.

 

Trotz meiner Zweifel bin ich letztendlich immer wieder froh, wenn ich in der Weihnachtszeit die leuchtenden Augen von kleinen Kindern sehe, die staunend vor dem strahlenden Weihnachtsbaum stehen. Ich sehe die feuchten Augen betagter Menschen, die dankbar sind für jeden Tag, den sie mit ihren Enkeln erleben dürfen.

Und ich erfreue mich der Zufriedenheit, welche die Menschen erfüllt, die Hilfsbereitschaft bedingungslos verschenken.

 

Dann ist Weihnachten.

 

Dann lasse ich mich in den Sessel vor dem Kamin fallen, und im Radio läuft endlich nicht mehr „Last Christmas“ sondern Franz-Xaver Grubers „stille Nacht, heilige Nacht.

 

Und nächste Woche, nach dem Silvester-Klassik-Ballett, das Patrick Swayze für alle Mitarbeiter choreografiert hat, geht es endlich ab in die Rehabilitation mit psychischer Rundumbetreuung.

 

Lasst euch das Fest nicht vermiesen

Euer Santa Claus

 

Impressum

Texte: hehesu
Bildmaterialien: hehesu
Lektorat: Christof
Tag der Veröffentlichung: 23.10.2014

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