Die Elfenschule
Es begab sich zu der Zeit als die Welt noch recht jung und reich an Pflanzen und allen möglichen Geschöpfen war, dass der hohe Elfenkönig beschloss, seinem Volk einige seiner Aufgaben zu übertragen, weil er eingesehen hatte, dass er sich nicht mehr um alles selbst kümmern konnte. Seine Frau hatte ihn auch schon länger darum gebeten, weil sie ihn sehr lieb hatte und sie seit längerem seine Sorgenfalten bemerkt hatte.
So wurde denn eine Schule eingerichtet, die alle Elfen besuchen mussten, um ihre jeweiligen besonderen Fähigkeiten herauszufinden. Nach bestandener Abschlussprüfung sollte dann jede Elfe die Verantwortung für eine Pflanzen- oder Tierart übernehmen, damit das Elfenkönigspaar auch mal wieder Ruhe bekam.
Die Abschlussprüfung sollte nun in drei Tagen stattfinden und, wie man sich denken kann, waren alle in heller Aufregung. Kein Wunder. Die lange Ausbildungszeit würde endlich zu Ende sein und alle freuten sich darauf, die Aufgaben, die sie in Zukunft erwarteten, endlich anzupacken. Und natürlich hoffte jede Elfe auf die zu erwartenden lobenden Worte des Königspaares.
Jede Elfe? Nein. Nicht jede. Wenn man ganz genau hinhörte – und das tat Fips ja meistens – konnte man durch das aufgeregte Geschnatter der Elfen ein herzzerreißendes Schluchzen vernehmen. „Ja, Du liebes Bisschen. Wer weint denn da zum Steine Erweichen?“ Seine Schnurbarthaare zuckten empört. Das wollte er sich doch mal näher anschauen. Bei dem Krach, den das aufgeregte Elfenvolk veranstaltete, konnte er ja doch nicht ausruhen und schlafen.
Fips, der Degu, musste allerdings ziemlich weit laufen, bis er endlich am Waldesrand auf die Quelle der Schluchzer stieß. Dort, unter einem rosa Blütenblatt, saß zusammengekauert ein kleines, dickes Elfenmädchen und weinte heiße Tränen. Ihre Flügel zitterten und ihr Gesichtchen war von der Anstrengung des Weinens fast schon genauso rot wie ihr Kleid.
„Wenn Du so weiter machst, platzt Du bald.“ Fips setzte sich auf die Hinterbeine, strich sich mit den Vorderpfoten die Barthaare glatt und starrte das Elfenmädchen mit glänzenden Augen neugierig an. „Was ist denn bloß los? Bei dem Lärm, den Du machst, kann ja keine Ratte schlafen,“ empörte sich Fips. Erschrocken schaute die Elfe auf, nur um sofort wieder schüchtern den Blick zu senken. Sie nuschelte zwar so etwas wie eine Entschuldigung, aber Worte konnte Fips zwischen all den fließenden Tränen und Schluchzern nicht ausmachen.
„Nun reiß Dich mal zusammen, Mädel, wisch Dir die Tränen ab und erzähl mir, warum Du so einen Krawall machst.“ Fips schlug ungeduldig mit der Schwanzquaste auf den Boden. „Alle anderen hier freuen sich auf das große Fest und Du sitzt hier herum und heulst.“
Endlich wisperte die Elfe: „Sie haben ja auch einen Grund, sich zu freuen. Alle wissen schon, was sie für Aufgaben haben. Nur ich tauge zu gar nichts.“
Schon hing wieder eine dicke Träne wie ein überdimensionaler Tautropfen an ihren Wimpern. „Blödsinn,“ fauchte Fips „jeder taugt zu irgendwas. Du warst doch in der Elfenschule, oder etwa nicht?“ „Doch schon,“ stotterte die Elfe. „Und?“ drängte Fips sie weiter. „Was kannst Du denn nun am besten?“ Wieder schluchzte die Elfe los: „Na, nichts. Deswegen weine ich ja.“
„Verstehe.“ Fips war einigermaßen verblüfft und das passierte ihm nun wirklich nicht oft. Das hatte er nun nicht erwartet. Schon oft war er an der Elfenschule vorbeigeschlichen und hatte die Elfen bewundert und bei ihrer Ausbildung heimlich beobachtet. Am meisten gefielen ihm immer ihre Flugstunden, wenn sie leicht, elegant und graziös wie ein Windhauch über ihm hinweg strichen, ohne seine gut unter den Büschen getarnte Gestalt überhaupt wahrzunehmen.
An ein kleines, dickliches, rot gekleidetes Elfenmädchen konnte er sich da allerdings beim besten Willen nicht erinnern.
„Kannst Du etwa…nicht fliegen?“ fragte Fips vorsichtig, um nicht schon wieder eine Heularie auszulösen. „Doch,“ antwortete die Elfe, „ein bisschen schon. Ich kann alles mögliche. Aber alles eben nur ein bisschen.“ Na, wenigstens hatte sie nun doch endlich aufgehört zu weinen.
Schnell redete Fips deswegen einfach weiter: „Na los, dann zeig mir das doch mal.“
Schniefend erhob sich die Elfe zögernd von ihrem Platz, breitete ihre leicht zerknautschten Flügel aus und erhob sich ein Stückchen in die Luft. Fips musste an sich halten, um nicht laut los zu prusten vor Lachen. Elegant sah das wirklich nicht aus, eher wie eine gemütliche Hummel mit leichter Schlagseite.
„Na also,“ räusperte er sich schließlich vernehmlich, „ist doch ganz okay. Wie steht es denn mit Heilkünsten usw. Das habt ihr doch auch alles gelernt.“ Die Elfe war viel zu sehr mit ihrer nicht sehr graziösen Landung beschäftigt, um zu merken, dass sich Fips beinahe selbst verraten hatte, denn natürlich sollten die Elfen und schon gar nicht der Elfenkönig wissen, dass Fips sie so oft heimlich beobachtet hatte. „Das kann ich auch nicht besonders gut,“ die Elfe verzog wieder traurig ihren Mund und Fips befürchtete schon einen weiteren Heulanfall, aber zu seinem Erstaunen stampfte die kleine Elfe jetzt zornig mit dem Fuß auf. „Heilen, Zaubern, Singen und Tanzen. Ich kann halt alles nur ein bisschen und werde dem Elfenkönig und seiner Frau keine große Hilfe sein. Dabei habe ich mir wirklich alle Mühe gegeben, alles genau so zu machen wie meine anderen wunderschönen Schwestern,“ brummte sie zornig auf sich selbst und ähnelte dadurch erst recht einer aufgebrachten Hummel, stellte Fips schmunzelnd fest, ohne sich das natürlich anmerken zu lassen.
„Aber es ist ja nun doch alles umsonst. In drei Tagen ist die Prüfung und ich werde bestimmt durchfallen,“ seufzte die Elfe traurig.
Fips dachte angestrengt nach, was im Moment nicht ganz einfach war, denn er war gestern bei einem seiner Ausflüge zur Elfenschule auf einem lose liegenden Ast abgerutscht und in den Bach gefallen. Weil er die gerade wieder mit Flugübungen beschäftigten Elfen nicht auf sich aufmerksam machen wollte, hatte er sich das nasse Fell nicht auszuschütteln getraut und das hatte ihm wohl nun einen gehörigen Schnupfen eingebracht. Vorhin hatte er sich in Ruhe im Gebüsch ausschlafen wollen, was ja durch das Weinen der Elfe nicht möglich gewesen war und nun merkte er, wie sein Kopf allmählich dröhnte, die Glieder ihm anfingen weh zu tun und seine spitze Nase langsam heiß wurde und zu triefen begann. Schon drängte ein Kribbeln durch dieses für ihn wichtigste Organ hervor und trotz aller Anstrengung, es aufzuhalten, musste Fips plötzlich mehrmals hintereinander kräftig niesen.
Sofort watschelte die Elfe besorgt auf Fips zu, fühlte ihm den Kopf und strich ihm prüfend über das graubraune Fell. „Dich hat es aber erwischt,“ stellte sie trocken fest und verschwand umgehend in der Hecke hinter ihr. Es raschelte geheimnisvoll mal hier, mal dort und schon stand die Elfe wieder vor Fips, mit einer ganzen Handvoll roter Kugeln in den Armen.
„Iss die,“ befahl sie mit fester Stimme und Fips war viel zu verblüfft über ihren plötzlichen Kommandotonfall um zu widersprechen. Die Kugeln schmeckten leicht süß-säuerlich, erfrischend und angenehm. „Und jetzt legst Du Dich hier erstmal hin und schläfst Dich gesund,“ kam auch schon die nächste Anweisung der Elfe, der Fips augenblicklich Folge leistete. Er war auch langsam wirklich ziemlich wackelig auf den Beinen, sodass er sich willig von der Elfe an einen weichen, geschützten Platz unter der Hecke führen ließ und es dauerte keine Minute, bis er fest eingeschlafen war. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht schlief er tief und fest, nur unterbrochen alle paar Stunden von der Elfe, die ihm aus einem zu einer Schale geformten Blatt Wasser zu trinken und ein oder zwei von den roten Kugeln zu essen gab.
Am Morgen des zweiten Tages wachte Fips auf und fühlte sich zwar noch ziemlich angeschlagen, aber er merkte selbst, dass sein Fieber stark gesunken war und er einen Mordshunger bekam. Die Elfe saß immer noch neben ihm und beobachtete ihn lächelnd.
„Na? Geht’s Dir schon besser?“ Fips nickte vorsichtig. „Was hast Du mir denn da zu essen gegeben?“ fragte er. „Och, das sind nur Hagebutten, “ erwiderte die Elfe, „die senken das Fieber bei Krankheiten und stärken recht gut.“
Sie gab ihm wieder etwas Wasser zu trinken und nötigte ihn auch, noch ein paar Hagebutten zu sich zu nehmen. Dankbar nahm Fips alles an und sank noch etwas erschöpft auf sein weich gepolstertes Blätterbett zurück.
„Sag mal, “ meinte er dann, „wie heißt Du eigentlich? Und – bist Du die ganze Zeit bei mir geblieben und hast mich beschützt und gepflegt, oder was?“ Die Elfe erzählte ihm, dass ihr Name Rosa sei und dass das schon in Ordnung sei. Der Fluss sei nicht weit weg, wo sie das Wasser geholt habe und die Hagebutten wüchsen ja genau über ihm in der Hecke. Das sei auch keine große Sache mit dem bisschen Krankenpflege, denn sie habe sowieso nichts anderes zu tun gehabt.
Richtig, die Elfenprüfung stand ja kurz bevor, vor der Rosa ja so graute.
„Rosa,“ sagte Fips nach einer geraumen Weile, nachdem er sehr gründlich nachgedacht hatte, „Ich glaube, Du wirst die Elfenprüfung doch bestehen. Wir beide werden gemeinsam zum Elfenkönigspaar gehen und ich glaube, Du wirst von ihnen eine sehr schöne und auch wichtige Aufgabe bekommen.“
Und so geschah es auch. Rosa bekam den Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Heckenrose, die den Waldrand des Elfenreichs säumte, immer gut gepflegt war und viele gute, gesund machende Früchte trug. Und wenn ein Tier mal Fieber oder eine Erkältung bekam, brachte man es zur Pflege zur frisch ernannten Heckenrosenelfe Rosa, die glücklich und zufrieden und mit der Zeit auch etwas sicherer zwischen dem nahen Fluss und ihrer Hecke hin und her flog. Ab und zu kam auch mal ihr Freund Fips zu einem Schwätzchen vorbei und gemeinsam bewunderten sie manchmal den Flug und das elegante Gebaren von Rosas zarten und eleganten Elfenschwestern. Aber nicht mehr sehr oft, denn meistens hatten sie viel zuviel zu tun und noch viel öfter erschallte ein fröhliches Lachen aus Rosas Hecke, meist bei einer Tasse Hagebuttentee.
Texte: Covergestaltung und Illustrationen: Christian Hoffmann
Tag der Veröffentlichung: 30.07.2009
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