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Vor vielen, vielen Jahren hatten lange Zeit Unwetter über das Land gewütet. Städte, Dörfer und Felder waren verwüstet. In den zerstörten Dörfern gab es kein Dach über dem Kopf, und es mangelte an Kleidung und Nahrung.

Als sich wieder freundlichere Zeiten anbahnten, gab es viele Kinder, deren Eltern im Unwetter umgekommen waren.
Zu diesen Kindern gehörten auch Kalle und Ulla. Sie waren Geschwister und hatten einander sehr lieb.
Da sie keine Eltern und überhaupt niemanden mehr hatten, der für sie sorgen konnte, fassten sie einen Beschluss:

„Wir wollen schnell alles lernen, um erwachsen zu werden. Dann können wir gut für uns selber sorgen.“

Wie ihr euch sicher denken könnt, waren es zwei sehr mutige und gewitzte Kinder. Sie zögerten nicht lange, nahmen sich bei den Händen und machten sich auf den Weg.
Unterwegs trafen sie einen alten Schäfer.

„Wo wollt ihr hin?“ fragte er die Kinder

„Wir suchen einen Platz in dieser Welt, an dem wir schnell erwachsen werden können, um für uns selbst zu sorgen.“
antworteten die Kinder.

„Da kann ich euch einen guten Rat geben“, sprach der Alte.

„Geht ans Ende der Welt, dort wo der Regenbogen zu Hause ist. Ihr werdet einen Zauberberg finden. Wenn ihr dort hinein geht, werdet ihr alles finden, was euch zu tüchtigen Menschen macht. Aber seit vorsichtig! Das Tor zum Zauberberg wird streng bewacht. Ein feuerspeiender Drache lässt niemanden in den Zauberberg hinein. An ihm müsst ihr vorbei, ohne dass er es merkt.“

Die Geschwister dankten, nahmen sich bei der Hand und marschierten los.
Durch nichts ließen sie sich aufhalten. Nach langem Suchen fanden sie den Zauberberg, und sie sahen den feuerspeienden Drachen am Tor. Der hatte sie schon erblickt.

„Ungesehen können wir nicht an ihm vorbei“, flüsterte das Mädchen ihrem Bruder ins Ohr, „aber wenn wir es klug anstellen, merkt er unser Eindringen dennoch nicht“

Beherzt gingen die Kinder auf den Drachen zu und baten um Einlass.

„Es tut mir leid“, erwiderte dieser „ich darf niemanden einlassen. Ich habe den strikten Befehl, das Tor für jedermann geschlossen zu halten. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass mir das keinen Spaß macht, hier für alle Ewigkeit in der Hitze des Tages und in der Kälte der Nacht zu stehen und zu wachen.“

„Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein Tor zu bewachen; man kann stehen, man kann sich hinsetzen, und man kann sich hinlegen“, sagte das Mädchen.

„Das stimmt“, bemerkte der Drache, verharrte aber in seiner Position.

„Beim Stehen werden oft die Beine müde und man spürt den Impuls, sich hinzusetzen“, sagte das Mädchen „Ich könnte dir eine Geschichte vorlesen, wenn du möchtest.“

Der Drache sah sich um und schaute nach einem geeigneten Platz, um sich hinzusetzen.

„Und ich frage mich, welchen Stein du wählen willst, um dich so bequem wie möglich hinzusetzten.“ fuhr sie fort.

Der Drache näherte sich nun einem großen Stein, doch das Mädchen ermahnte ihn:

„Bitte setz dich erst, wenn du deine Waffen abgelegt hast! Ich hatte mal eine Freundin, die war so begierig auf Geschichten, dass ich nur zu sagen brauchte “Setz dich hin“ und schon war sie bereit zu lauschen

Noch zögerte der Drache, als das Kind weiter sprach:

„Hast du bemerkt, dass du dich hinsetzen kannst, ohne einen geeigneten Stein zu finden?“

Nun zögerte der Drache nicht mehr länger und ging zum Stein .

„Bevor du dich hinsetzt, solltest du noch mal einen Blick über die Ebene werfen“, schlug das Mädchen vor

Das Mädchen sah, dass der Drache nicht gut auf dem Stein saß und bemerkte:

„Möglicherweise gelingt es dir Moos und Laub zu finden, um es dir bequem zu machen.“

Der Drache sah sich um, ob es etwas gab, das es ihm bequem machen könnte, und das Mädchen fragte:„Wie bequem kannst du dich hinsetzen?“

Endlich saß der Drache.

„Möchtest du die Geschichte gleich oder erst nach einer Weile hören?“ fragte sie, als der Drache immer noch hin und her ruckte, und nach einer möglichst bequemen Position suchte, schließlich wieder aufstand, um sich herum sah und sich niederlegte

„Ist es das erste Mal, dass du dich hinlegst, um eine Geschichte zu hören?“fragte das Mädchen

„Das ist es.“ antwortete der Drache und schaute sie mit großen Augen an:
.
Und das Kind begann:

„Du schaust in meine Augen
und hörst den Klang meiner Stimme
und nimmst den Duft des Waldbodens wahr.

Vielleicht kannst du auch deinen Atem spüren,
wie du einatmest und ausatmest.
Und du beginnst, dich wohlzufühlen

Während du fühlst, wie du auf den Boden liegst,
schweift dein Blick zu den Wolken,
und du lauscht auf die Stimmen der Vögel.

Und während du dich immer mehr entspannst,
können deine Augenlieder schwer werden und zufallen.

Du hörst, wie der Wind durch die Baumwipfel streicht,
und nimmst wahr, wie deine Brust sich hebt und senkt,
und mit jedem Atemzug entspannst du dich weiter.

Deine Augen sind geschlossen

Vielleicht siehst du jetzt innere Bilder.
Und du gehst weiter und entspannst dich immer weiter.
Und kannst diese Entspannung genießen.

Und während du hörst, wie dein Atem ein- und ausströmt,
kommt vielleicht eine gewisse Müdigkeit in dir auf.

Und während du dich immer weiter entspannst,
kannst du dich immer wohler fühlen.

Deine Gedanken kannst du ziehen lassen wie Wolken im Wind.
und du weißt, dass du zurück kommen kannst,
wann immer du willst

Und vielleicht kommt dir jetzt eine Erinnerung

An ein schönes Erlebnis aus der Vergangenheit
ein Ereignis, das vielleicht lange zurück liegt

Oder vielleicht auch nicht so lange,

das aber so schön war,
dass du den Wunsch hast,
es noch einmal zu genießen,

und dabei alles noch einmal zu sehen,
was du gesehen hast,

alles zu hören, was damals zu hören war,

alle Gefühle noch einmal zu erleben,
die du damals gefühlt hast,

vielleicht gab es auch einen typischen Geruch oder
Geschmack in diesem Erlebnis,

den du wachrufen kannst,
um das alles noch einmal zu genießen

mit allen Sinnen.

Und ich möchte, dass du die Augen nicht eher öffnest,
als bis du dieses Erlebnis noch einmal voll ausgekostet hast.“

Nach diesen Worten gab das Mädchen ihrem Bruder ein Zeichen,
und sie schlüpften durch das Tor in den Zauberberg. Wie lange sie dort verweilten und was genau sie dort fanden, kann ich nicht sagen. Manche berichten von kostbaren Schätzen, andere von großer Weisheit und dritte von Glück. Mag sein, dass sie damit das gleiche gemeint haben.

Ich weiß es nicht, aber es muss etwas gewesen sein, was sie zu tüchtigen Menschen machte.

Impressum

Texte: frei nach Alexa Mohl: „Der Wächter am Tor zum Zauberwald“ (Metaphern-Lernbuch
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
allen Kindern, die manchmal schlauer sind, als alle Erwachsenen und den Menschen, die mir in meiner NLP-Ausbildung begegnet sind.

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