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VORWORT

Einst war mein grüner König groß
der heimliche Held abgelegter Mädchenträume
trug keine Krone aus Gold
sein Land waren die Worte
tiefe Sprachwelten
die Wellen und Ufer rubinroter Meere
Abgründe und Gletscherspalten
Landschaften aus Traum und Wunsch

Bevor ich meine Sprachräume eroberte
tauchte er tief, einem Froschkönig gleich
auf den Grund meines stillen Sees
sein Atem war lang
Er fand regenbogenfarbige Spiegelsilben
die in der Sonne glänzten wie ein Kaleidoskop
und barg sie für mich
Ich nahm die gefundenen Worte
und webte seidene Sprachteppiche daraus

Mit der Zeit ist er klein geworden
und müde
mein grüner König
geschrumpft
aber noch ist Zauber da
Manchmal
verliert sich ein magischer Faden in meinen Zeilen
und dann bekommen Gedanken Flügel


1.
Die vergessenen Worte versteckten sich bei den Sternen . In der Nacht ließen sie sich vom Himmel fallen und sanken auf den Grund des rubinroten Meeres. Der grüne König erwachte von einem Klirren. Er staunte über das farbige Licht in seinem Reich, das nicht von den mondmatten Perlen und Muscheln her rührte. Er war allein. Weder seine vielgestaltige Geliebte, noch die kleinen Fische, die ihn sonst stets umschwärmten, waren zu erblicken. Wo waren seine acht Töchter. Es war still. Kein silberhelles Kichern war vom Schloss her zu hören. Vielleicht hatte das neue Licht ihnen Angst eingeflößt und sie vertrieben. Er raufte sich die Haare und versuchte zu verstehen, setzte sich auf, nahm seinen Dreispitz und versuchte das Licht zu fangen, doch es entzog sich. Schließlich ruderte er mit seiner starken Rückenflosse eine große Runde um sein Reich. Überall dieses Licht.
Er stand vor einem Rätsel. Was war geschehen. Etwas wie Angst runzelte ihm die Stirn.


Noch nie in seinem langen Leben hatte der grüne König sich mit Angst geplagt. Jetzt runzelte er traurig die Stirn und fragte sich,
ob es wohl das Älterwerden sei, das ihm nicht nur seine Vitalität raubte, sondern auch die optimistische Grundhaltung, die ihm bisher zeitlebens eigen war.
Natürlich spürte er schon eine Weile, dass die Kräfte langsam nachließen und er viel lieber zu Hause auf dem grünen Algensofa saß, als zu den Grenzen seines Landes zu schwimmen, um sein Gebiet zu schützen. Dazu hatte er ja auch eine gut ausgebildete Armee aus Spähern, Kundschaftern und Diplomaten. Und die Weisen seines Ozeans verwandelten sich regelmäßig in Meeresschaum und gelangten so, wohin auch immer sie wollten.

Der Dreispitz hatte schon lange verrostet am Haken gehangen und taugt nur noch zum Einfangen verlorener Worte. Zum Glück waren die Zeiten friedlich und die Nachbarländer mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Sieben der acht Töchter des grünen Königs waren längst erwachsen und mit der eigenen Brut beschäftigt. Die vielen kleinen Nixen, Seejungfern und Wassermänner hielten sie in Trapp. Diese Kinder waren recht anstrengend und sehr anspruchsvoll. Nun kleine Prinzen und Prinzessinnen müssen eine Menge lernen, schließlich hängt von ihnen ab, ob es den Bewohnern Ozeaniens einmal gut gehen wird. Da sind viele Dinge zu bedenken und man braucht einen gut trainierten Körper, eine klaren Kopf und einen gelassenen Geist. All das wusste der grüne König, denn sein Geist war klar wie das Wasser aus der verborgenen Quelle unter dem gläsernen Thron seines Spiegelschlosses. Von seinem grünen Sofa aus schaute er in seine Welt hinein, und er sah seine Enkelkinder wachsen und mit den Seepferdchen spielen.
Manchmal leistete ihm seine vielgestaltige Geliebte, die zauberhafte Hexe Immergrün, Gesellschaft. Wie keine andere seiner Frauen verstand sie es, ihn mit ihren immer neuen Geschichten aus seiner Versunkenheit und den Grübeleien über das Alter heraus zu holen, während die kleine Marielena, ihre gemeinsame Tochter, als jüngstes Kind das Recht hatte, der Seeharfe sphärische Klänge zu entlocken.
Vielleicht, dachte der alte König, sollte er abdanken und einen neuen König bestimmen.
Die modernen Zeiten waren schwer zu verstehen. Er würde sich mit der Hexe Immergrün beraten und nun versuchen zu schlafen. Der Morgen war noch weit, und wer weiß, vielleicht löste ein Traum das Rätsel um die seltsame Atmosphäre, die ihn heute so erschreckt hatte.


2.
In die Seele hatten sich Sterne geschlungen während der Mond hinter den Wolken verschwand. Ich hielt die Worte in der Hand, die sich gebärdeten wie kleine Kinder, die noch die Wahrheit sprechen.
Sie entschlüpften mir und gaben den Sternen ihre Sprache zurück. In ihrem Lied lag etwas unverfälscht Klares und die bittersüße Sehnsucht nach dem Leben selbst. Es kam zurück aus den Zeiten vor der Zeit, und es liegt in ihnen der erste Funke eines Feuers; das kühle Fächeln des Windes; das Rot unverbrannter Erde und das Wispern und Raunen einer Quelle tief unter dem Gletscher.
Was fange ich an mit diesem Lied, dass mich zu den Wurzeln zurück kehren lässt? Ich folge den Tönen bis auf den Grund des Meeres, wo in Neptuns Reich kleine Fische im Korallenriff spielen und der Wassermann auf seine vielgestaltige Geliebte wartet.


3.
Was aber wird der Fürst des Meeres zu den neuen Liedern sagen, die der Wind in die Korallenwälder weht; zu den machvollen Gesänge, die mit dem Schaum der Wellen in alle Welt ausströmen; was zu den girrenden Zischellauten die Huckepack auf den Algen reiten?
Und was - sag mir - zu den verstümmelten Silben, die klagend aus gebrochenen Herzen rieseln und die sich in den Sand der Strände mischen? Das gemalte Herz im Sand hat die Flut gestohlen. Wo trägt sie es hin?
Wird der Fürst hören, was die Erde ihm zu erzählen weiß mit Engelszungen?
Was ist fähig, sein Eremitenherz zu erweichen, ihn sanft zu stimmen und ein Feuer in seiner Brust zu entzünden?

Ich traf den grünen Delphin Smaragd, meinen Freund aus einer anderen Zeit. Er flüsterte mir von den heilenden Gärten unter dem Meer und jenseits der Worte, dort wo die Stille zu Hause ist.


4.
Einst traf ich Katharina. Sie war traurig. Ich tröstete sie und kämmte ihr kastanienbraunes Haar mit einem goldenen Kamm. So kam es, dass sie mir eine Geschichte erzählte:

"Der grüne König war manchmal ein Fisch im rubinroten Meer. Ab und zu wurde es ihm langweilig in seinem Reich am Grund des Ozeans. Er sprang hoch über den Wellen, wie ein Delphin. So sah ich ihn an jenem Tag, als ich mich entschlossen hatte, einem Ruf zu folgen, den ich in meinem Inneren gehört hatte. Ich lieh mir von den Fischern im Hafen ein blaues Boot, und segelte hinaus zu der kleinen Insel hinter dem Horizont.
Wenn ich gewusst hätte, was mit mir geschehen sollte, ich weiß nicht, ob ich den Mut aufgebracht hätte, mich diesem Abenteuer zu unterwerfen.
Der Fisch und ich - unsere Blicke trafen sich und etwas schwirrte plötzlich durch die Luft: regenbogenfarbige Liebesäpfel. Da war etwas, das hatte ich noch nie erlebt. Kennst du das Gefühl, endlich nach langer Reise angekommen zu sein, und durch und durch zu begreifen und zu verstehen, was es heißt, zu Hause zu sein?
Für einen Menschen, der vor langer Zeit sein Zuhause verloren hat und schon ewig nach Heimat sucht, ist es wie ein Wunder.
Der Fisch war riesengroß und verschlang mich mit einem Biss. Nichts hatte ich ihm entgegen zu setzen, denn die Liebe, die mich ihm verband machte mich wehrlos. Eine Liebe, die anders ist, als die zwischen Mann und Frau. Der Biss tat nicht weh. Eine spiralförmige Rutschbahn aus rosaroten Perlmutt führte mich in den inneren Garten des Fisches. Dort lebte ich eine Weile. Es ging mir gut, denn der Fisch verstand mich, wie kein anderer und nährte mich mit allen seinen gesammelten Worten. Ohne es zu wissen, hatte ich schon immer darauf gewartet. Begierig labte ich mich an allem, konnte nicht satt werden. Ich wuchs, und es wurde enger um mich herum. Schon bald füllte ich den gesamten Garten aus. Ein wenig später konnte ich kaum noch meine Glieder bewegen. Der Fisch verlor seine Worte. Ich lag ihm schwer im Magen, und eines Tages spie er mich aus. Ich flog durch die Luft zurück in den Hafen, wo mich keiner vermisst hatte. Ich war ganz allein, fühlte mich verloren und konnte vor Kummer kaum atmen. So setzte ich mich in den sommerwarmen Sand, bis eine Möwe sich neben mir nieder ließ, mich tröstete. Der Schmerz brandete in mir wie Ebbe und Flut. Es wurde Nacht und wieder Tag. Als sich die Nacht zum dritten Mal über mich senkte, waren meine Tränen versiegt. Zum Glück wurden die Gezeiten des Schmerzes um den Verlust flacher. Wäre die Möwe nicht bei mir geblieben, mir wäre das Herz gebrochen.
Das ist nun schon sieben mal sieben Jahre her - eine lange Zeit - aber die Sehnsucht ist geblieben. Ab und zu gehe ich zum Strand und schaue hinaus auf die Wellen: und manchmal für einen kleinen Moment sehe ich ihn, und er sieht mich - und die Liebesäpfel fliegen - tragen trotz der Ferne eine beglückende Botschaft."


Impressum

Texte: Cover-Foto: Janwal
Tag der Veröffentlichung: 28.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
dieses Buch widme ich meinen lyrischen Geschwister.

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