Prolog
____ 01.01.2010 ____
Ich versuchte meinem Schatten zu entfliehen, doch die fliegenden schwarzen Schuhsohlen der Fremden folgten mir wie ein Spiegelbild. Frisch aus dem Himmel verbannt war das Leben nicht einfach.
Als Stern am Himmel muss man sich mit solch menschenalltäglichen Dingen gar nicht rumschlagen. Mit Dingen wie: Verdammt noch Mal, ich kriege meine Schnürsenkel nicht zu!, oder einem Geschmackssinn. Als Sterne ernähren wir uns von Sonnenstrahlen. Wir funktionierten quasi wie ein Elektroauto. Tagsüber werden wir unsichtbar und verbrauchen keine Energie um zu leuchten (wir tankten derweil Sonne auf) und Nachts erglühen wir dann. Wir brauchen uns nicht einmal Gedanken darüber zu machen, dass an einem Tag Mal die Sonne nicht scheint. Unser Sonnenspeicher reicht immer über mehrere Tage hinaus aus. Und wenn es nach diesen Tagen immer noch nicht gescheint hat, wechseln wir die Schichten und ein aufgetankter Stern nimmt unseren Platz am Himmel an.
An einem Laubbaum hielt ich an und machte Pause. In menschlicher Gestalt leerte sich mein Energiespeicher mit enormer Geschwindigkeit. Jedes kleinste Detail hatte sich seit meiner "Ankunft" auf der Erde an mir verändert.
Dort oben haben wir zwar auch eine menschenähnliche Gestalt, sind aber viel korpulenter und unser Körperbau ist auch nicht so kurios!
Ich fragte mich, wo ich unterkommen sollte? Niamh, meine "Mutter", hatte nicht daran gedacht mich mit einer technischen Spielerei wie einem Handy auszustatten, mit dem ich die Polizei hätte rufen können. Sie hätten mich in ein Waisenhaus gesteckt und mir sechs Tage die Woche matschiges, zermartertes Zeug aufgebunden, das nur noch schwer erkennbare Ähnlichkeit mit Haferbrei deuten konnte.
Praktischerweise hatte Niamh mir das grundlegende Wissen eines Menschen im zwölften Lebensjahr mit auf den Weg gegeben. Niamh ist das schönste Wesen unter uns. Menschen haben eine ganz andere Definition von "hübsch", schöne Menschen gelten bei ihnen nach dem Aussehen. Sterne jedoch sind schön, wenn sie einen guten Charakter haben. Noch ein Unterschied zwischen Mensch und Stern.
In meiner Rasse sehen alle gleich aus. Niemand ist "ein Bisschen böse" oder "ein Bisschen lieb".
Auf einmal sah ich ein grelles Licht, ein ohrenbetäubendes Geräusch... der Hyde Park begann zu flimmern und verrutschen.
"Ganz ruhig", sagte eine Stimme, die aus dem Licht trat. Die Stimme gehört zu einem Körper der größer war als meiner und ich wich aus Reflex zurück. Ich hörte ein Klicken und wusste instinktiv, dass das Waffensystem der Menschen ausgeprägter war als das Unsere es ist. "Beruhig dich!"
Mein Dasein hatte sich grundauf verändert... und ich kam nicht umhin das gleiche zu tun. Gefühlsausbrüche gehörten normalerweise nicht zu dem normalen Verhalten unseres Gleichen, dennoch schrie ich.
Erster Tag - London
"Sie ist noch in der Testphase."
"Haben Sie bisher etwas herausgefunden? Einen Namen? Eine Adresse? Verwandte?"
"Leider nein. Sie scheint keinerlei Kontakte in der Stadt zu haben. Vielleicht ist sie ausgerissen. Bei dieser Körperflege würde mich das nicht wundern!"
Ich stöhne.
Kleine Riemen graben sich in meine Schulterblätter, als wollen sie durch mich hindurchdringen. Diesen Schmerz ist keiner von uns Lichtwesen gewohnt! Die einzige Niederlage die wir kennen, ist das Absterben der Unsrigen.
"Anthony, das fällt unter Kindesmisshandlung! Du bist Pfleger, du musst nett sein!"
"Schon klar, L. Aber? Wer ist hier die Praktikantin?"
Ein Lachen dringt durch meine Bettdecke. Sie ist federweich, fast so wie Niamhs Haut.
"Ich... Naja. Was meinst du wie alt sie ist?"
Ja, wie alt bin ich? Wie sehe ich aus? Ich weiß so ziemlich nichts über die komplexe Welt der Menschen. Ich weiß nur, dass ich hier bin und nicht hier sein sollte. Ich weiß, wieso ich hier bin und kenne meine Vergangenheit. Aber dazu bin ich noch nicht bereit.
Der junge Mann- höchstens 27- lächelt die "Miss" an und drückt seine Lippen auf ihr Gesicht. "Das Mädchen da im Bett ist schön und unter 20, aber du bist viel schöner, Lauren." Ich erschaudere. Klar, wird unseresgleichen auch intim,pflanzen uns fort, aber es bei fremden Rassen zu sehen, ist unappetittlich für uns. Für Menschen ist das vergleichweise der Blick auf ein knutschendes Alienpaar.
Ich versuche erste Anläufe für das Sprechen. Ich möchte wissen wie meine Stimme klingt! "Wer sind sie?", frage ich. Das Liebespaar rückt peinlich berührt auseinander. Es kann ahnen, dass ich ihre Beleidigungen gehört habe.
Der Mann schüttelt mir die Hand- oder eher den Arm. Er sagt: "Ich bin Anthony Rossor, ihr Pfleger. Die Polizei hat sie irgendwo im Hyde-park aufgegabelt, Miss. Können sie sich daran erinnern, was sie da zu suchen hatten?"
Nun, Anthony, ich wurde dort auf die Erde 'gebeamt', weil ich von Mutter Niamh verbannt wurde.
Texte: (c) Mareike Dlugosch
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Sonja für Augen-flatter-Augenblicke und
Lea für die Ähnlichkeiten