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Einführung

Das helle Mondlicht blendete mich beinahe, als ich in dieser wolkenlosen Nacht auf der Lichtung im Wald umher schlich. Der Geruch feuchter Wiese lag mir in der Nase, und ich hörte das leise krächzen weiter entfernter Raben. 

Ich schloss die Augen und war bereit dass zu tun, warum ich überhaupt hier hergekommen war.
Tief atmete ich ein, und versuchte verschiedenste Gerüche einzuordnen: das nasse Holz, die reine Nachtluft, üppiges Moos.. Der Geruch heißen, nassen Blutes, wie es rhythmisch durch den Körper eines großen Hirsches geschossen wurde...
Ich lauschte, und vernahm an selber Stelle dass schlecken einer kleinen Zunge, welche gierig dass kalte Wasser des Baches hinunter schlang.
Ich fühlte dass brennen in meiner Kehle, jenes ich schon so gewohnt war - ich zählte es zu meinem Dasein. Es war ein Teil von mir.
Doch es war nicht dass Wasser, welches meinen Durst weckte. Es war das Blut.
Noch einmal atmete ich tief ein. Jetzt war es zu spät um noch irgendetwas an dem Schicksal des Hirsches zu ändern.

 

 

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Kapitel 1: Dangerous Rose

“Abbey, du bist schon wieder Zuhause? Seit wann denn das?”, rief Mom aus dem Wohnzimmer.

“Ach, ich bin eben erst gekommen!”, schrie ich über meine Schulter, und tapste den Flur entlang. Langsam öffnete ich die Tür zum Bad.

Immer wieder überwältigte mich der Anblick: eine riesige Badewanne, in der locker fünf Leute reinpassen würden, ein langer Tisch mit zwei Waschbecken und über ihnen ein riesiger Spiegel. Mit ein bisschen Dekorationskenntnissen, von denen meine Mutter nur zu viele hatte, war es eine wahre Oase.

Ich flitzte zu den Waschbecken, und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht um den Rest des Blutes von meinem Mund zu bekommen. Ich blickte in den Übergroßen Spiegel vor mir.

Mir bot sich das Bild das ich jeden Tag sah, und welches ich auch noch eine Ewigkeit sehen würde.

Eine makellose Teenagerin mit weißer, reiner Haut, vollen, blutverschmierten Lippen und stechend goldenen Augen. Kritisch blickten diese zu dem zerzausten, braunen Haaren.

Ich verzog den Mund, und öffnete die Schublade neben mir, um eine Bürste herauszuholen. Ich fuhr damit einige Male über meine Mähne, und schon war alles wieder wie es sein sollte. Lange, braune Locken flossen über meine Schultern hinunter über den Rücken.

“Schon wieder hängt eine Schicht Staub auf ihnen”, erkannten meine messerscharfen Augen.

 

 

 

Aus dem Wasserhahn schoss heißes Wasser als ich ihn aufdrehte, bald würde die Wanne voll sein.

Ich zog mich aus und stieg in das angenehme Nass. Schaum umhüllte meine glatte Haut, und Rosenblätter stießen immer wieder an meinem Körper während sie wie kleine Schiffchen an der Wasseroberfläche trieben. Ich tauchte langsam unter, und beobachtete die Spielchen der Rosenblätter an der Oberfläche.

Meine Gedanken kreisten und ich überlegte was ich wohl zu meinem 16.  Geburtstag machen würde. Meinem zweiten 16. Geburtstag. Den einmal waren ich und Mom schon umgezogen um nicht aufzufallen, und unendliche Umzüge werden uns noch bevorstehen. Vampire altern nun mal nicht, und so war es zwingend notwendig alle paar Jahre die Stadt zu wechseln. Es fällt eben einfach auf, wenn man mit 30 noch immer dieselbe Jugendschönheit besitz wie mit 15.

Knapp ein Jahr waren meine Mutter Liz und ich nun schon in Brookville, und knapp drei Jahre war es her seit ich kein zerbrechlicher Mensch, sondern ein wildes Raubtier war.

Ich schüttelte mich, als in meinem Kopf die Bilder des schrecklichsten Abends meines ganzen Daseins auftauchten.

 

Eine halbe Stunde später war ich gerade dabei mir den Bademantel umzulegen und einen Turban aus dem beerenfarbigen Handtuch zu formen.

Plötzlich hörte ich einen, für Menschenohren leisen, und doch kräftigen Luftzug von meiner Mutter. Zuerst dachte ich nicht großartig darüber nach, doch je länger ich wartete, desto unruhiger wurde ich. Wer oder was konnte Mom so einen Schrecken eingejagt haben? Immerhin waren wir betonharte Vampire, denen selbst eine Panzerkugel nicht viel ausmachen würde. Gut, womöglich würden wir in tausend Teile zerschossen werden, doch einer unserer guten Verwandten könnte uns wieder zusammen puzzeln, und dass Ganze mit Blutsauger Spucke fest machen. Alles halb so wild.

Ich öffnete die Tür, leise und vorsichtig. Mom war am anderen Ende des Erdgeschosses, im Wohnzimmer. Von dort hatte ich zumindest den Luftzug gehört.

Meine Instinkte kamen, ohne dass ich es wollte in mein Unterbewusstsein und meldeten Gefahr.

Ich zischte den Flur entlang, ohne ein Geräusch zu erzeugen. Wie eine Feder flog ich durch das Haus. Die Wohnzimmertür stand offen, und so spähte ich vorsichtig in den Raum.

Mutter stand am Fenster, mit einem Ausdruck den ich noch nie auf ihrem Gesicht gesehen hatte. Ein Gesicht der Furcht?

Als ich bemerkte dass ihre Gefahr anscheinend nicht mehr in der Nähe war, trat ich ein.

“Mom? Was ist los?”, mit skeptischem Blick musterte ich sie, während ich leise auf sie zukam. Ich blickte aus dem Fenster, doch außer dem großen Wald, jener wie sonst auch, große Schatten auf unser mächtiges Anwesen warf, fand ich nichts Aufregendes. Ach ja, da vorne frisst ein übergewichtiger Vogel einen Wurm. Aber ich denke nicht dass es das war was Mom Angst einjagte. Zumindest hoffte ich es für sie.

Sie bewegte sich keinen Millimeter, doch ich wusste dass sie mich hören konnte.

“Was ist denn passiert?”, sagte ich, nun mit unruhigem Unterton.

Ich trat näher auf sie zu, und als sie noch immer keine Antwort von sich gab, legte ich meine Hand auf ihre Schulter.

Endlich wurde ihr Ausdruck etwas weicher, als ihre goldenen Augen zuerst auf meine Hand und dann zu mir blickten. Doch eine Aura von Angst umgab sie.

“Was ist denn passiert?”, fragte ich nochmals.

Sie sah mich mit ernsten Blick an: “Wölfe.”

Stille.

“Wölfe?”, wiederholte ich: “Ich dachte hier in Brookville gibt es keine mehr?”

“Gibt es auch nicht. Zumindest keine ‘echten’ Wölfe. Nein, das waren Gestaltenwandler...”

“Das waren was?”, etwas peinlich wenn man so was nicht weiß, aber um ehrlich zu sein hab ich mich noch nie großartig für solche Dinge interessiert.

“Gestaltenwandler. Menschen die sich in verschiedenste Tierarten verwandeln können. Allerdings sind sie von Region zu Region verschieden. Das bedeutet dass zum Beispiel ein Adler hier nur ein kleines gezähmtes Vögelchen ist, und am anderen Ende der Welt als mutiertes, fliegendes Monster seine Runden dreht. ”

Ich starrte sie an.

Sie sprach langsam weiter: ”Und da draußen … Abbey, da draußen sind Wölfe. Gestaltenwandler, die sich in Wölfe verwandeln können.”

Ich spürte wie ein Mundwinkel hoch zuckte: “Und warum dann dieser furchterregende Blick?”.

Ich fand es schon fast lächerlich was Mom hier schon wieder für einen Aufstand machte. Das war ja fast so schlimm, wie eine der Predigten wenn ich mal wieder was ausgeheckt hatte. Ich hatte zwar noch nichts über Gestaltenwandler gehört, und fand es irgendwie cool dass nicht nur Vampire die einzige Wesen sind von deren Existenz kein Mensch weiß. Aber was ist denn an einem Rudel kleiner Hunde so furchteinflößend?

Sie sah mich stur an: ”Hast du eigentlich auch nur irgendeine Ahnung wie stark dieser Abschaum von Tier ist?”.

Okay, jetzt wurde es langsam ungemütlich.

“Ach, komm schon. Niemand ist so stark wie wir. Zumindest wie du. Ich bin ja ein kleiner Schwächling unter Vampiren”, ich kicherte.

Sie seufzte ärgerlich: “Es gibt sehr wohl Lebewesen die mit uns mithalten können, Abbey. Sie sind nicht unbedingt stärker, aber sie haben Kraft genug um uns in Einzelteile zu zerlegen, und auch das Geschick um uns danach in Menschengestalt mit einem Feuerzeug zu verbrennen. Die Gestaltenwandler stehen auf der Seite der Menschen, und denken sie müssten sie vor Vampiren wie uns beschützen.”

Gut, mal wieder was dazu gelernt. Doch ihre Aufgebrachtheit konnte ich trotzdem allem nicht nachvollziehen: “Na, und? Warum sollten sie uns etwas tun?”

“Weil, und dass sage ich nur einmal: Es nicht viele Vampire gibt die sich von tierischem Blut ernähren? Für die sind wir alle gleich, die machen sich keine große Mühe mit ihren Nachforschungen. Ist einmal ein Vampir aufgespürt machen sie uns den Gar aus. Ich möchte einfach dass du in Zukunft vorsichtig bist. Nicht jeder kommt auf die Idee: ‘Hey, die könnten sich ja auch von Waldlebewesen ernähren. Laden wir sie doch mal auf einen Kaffee ein, und besprechen die Lage’“,  ihr Gesicht sah jetzt wieder so verwundbar aus wie vorhin. Manchmal staunte ich noch immer darüber wie verletzlich ein Vampir aussehen kann.

“Oh… Na, dann erklären wir ihnen das einfach! Gehen wir in den Wald und erzählen ihnen dass wir praktisch wie normale Menschen leben! Sie haben sicher Verständnis dafür! Wir sind doch auch nur Vampire!”.

Eine Weile sah mich Mom fassungslos an. Dann ging sie wortlos hinaus.

War wohl doch keine so gute Idee…

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Als mich im Schlaf die helle Morgensonne blendete, musste ich ein paarmal blinzeln um festzustellen dass es sich um den runden, und vollkommenen Vollmond handelte. Er schwebte hoch oben im dem großen Netz von Sternen und der kalte Schein streifte meine weißen Samtvorhänge.

Ich blickte auf meine digitale Uhr, die in roter Schrift darauf hinwies dass es noch nicht wirklich Zeit war aufzustehen. Die Schule begann erst in wenigen Stunden. Trotz allem raffte ich mich auf und schlürfte mit meinen weißen Socken die Stiegen hinunter. In der Küche angekommen holte ich mir ein Glas Marillensaft, meine Lieblingsflüssigkeit, mit ausgenommen Blut versteht sich, und ging damit Richtung Wohnzimmer. Bevor ich mich noch mal in die Federn warf, wollte ich das Aufwachen noch zum Durst löschen nutzen. Vampire wie ich können genau wie Menschen essen und schlafen. So lange wir Blut trinken verhält sich unser Körper im Groben wie der eines Menschen. Nur dass wir eine extraschnell-heilende, weiße Haut haben, goldene Augen, nie Altern und verstärkte Sinne in allen fünf Bereichen besitzen. War das ein großer Unterschied?

Auf halben Weg blickte ich aus den großen Fenstern die entlang des Flures angereiht waren, als plötzlich ein Schatten von einem zum anderen vorbei huschte. Ich blieb wie eine Statue stehen, bewegte mich keinen Millimeter, doch meine weiße Haut würde mich wahrscheinlich sowieso im Mondlicht verraten. Wieder kamen meine Instinkte - jetzt allerdings in der zehnfachen Ausgabe als noch gestern Abend.

Meine Augen suchten in dem Bruchteil einer Sekunde das Blickfeld ab, doch der Schatten ließ sich nicht blicken. Ein kurzer Augenblick des Nachdenkens machte sich breit, bis ich entschied was ich tun würde. Blitzschnell drehte ich mich um, stellte das Glas auf den Kasten im Flur und flitze zur Eingangstür. Ich stellte mich neben sie mit dem Rücken zur Wand um nicht durch das Glas entdeckt zu werden, und versteinerte.

All dies hatte genauso viel Zeit wie das Nachdenken beansprucht, und war so schnell passiert dass ein normal Sterblicher nicht einmal einen langen Atemzug machen konnte. Ich lauschte, breitete meine Sinne aus und hörte in der Tat das leise Knacksen von Ästen. Langsam griff meine Hand nach der Türklinke, hielt sie einen Augenblick fest, und drückte sie schließlich langsam und lautlos nach unten. Ich holte kurz Luft, öffnete sie blitzschnell und flitze etwa zehn Meter nach vorne in den riesigen Garten.

Nun stand ich hier, vor unserer Villa, allein, um heraus zu finden wer dieses Schattenwesen war. Ich blickte um mich, meine Muskeln angespannt, um jeden Moment reagieren zu können, falls etwas passieren sollte.

Ich sah unsere kleine Gartenhütte, die im Mondschein Schatten auf die bunten Blumen warf, an welchen noch der Tau klebte, ich sah die vielen hohen Bäume, die Büsche. Doch nirgends auch nur etwas dass mir furchteinflößend vor kam.

Noch einmal drehte ich mich um mich selbst, suchte mit meinen Messerscharfen Augen das gesamte Anwesen ab. Ich schnupperte und vernahm den wilden Geruch von nassem Fell. Langsam entspannte ich mich wieder. Vermutlich nur ein wildes Tier das unseren Garten mit dem Jagdrevier verwechselt hatte. Der Wald lag ohne Abzäunung an unserem Grundstück. Ich atmete aus, lächelte zufrieden, und hob mein Bein um den Rückmarsch Richtung Bett anzutreten. Plötzlich vernahm ich nur noch das große Gewicht das mich umschmiss und die schweren Tatzen welche mich mit viel Kraft nach unten auf den Boden drückten. Ich konnte nicht mehr klar denken. All das war viel zu schnell geschehen, selbst für einen Vampir, und gerade das machte mir Angst. Sehr viel Angst! Ich war es nicht gewohnt jemand in der Kategorie Reflexe unterlegen zu sein, und fühlte mich meines eigenes Denkens beraubt, so perplex war ich. Ich riss meine Augen auf und blickte hektisch umher, noch immer in der Ungewissheit was gerade passiert war. Nervös zischte ich durch meine Zähne. Doch langsam gewann meine Vernunft wieder die Oberhand und ich sah in Zeitlupe von unten nach oben. Sah die riesigen, rabenschwarzen Pfoten mit ihren scharfen Krallen, sah das lange, nasse Fell, große Eckzähne und die Schnauze in der sie sich befanden, ich blickte in die tödlichen, braunen Augen vor mir. Und schließlich sah ich das Wesen das mich in seiner Gewalt hatte. Ein Wolf, oder besser gesagt ein Gestaltenwandler, der hier war zu groß um ein einfacher Wolf zu sein. Und zu stark! Meine Pupillen weiteten sich, und ich dachte an die Worte meiner Mutter:

‘… sie haben Kraft genug um uns in Einzelteile zu zerlegen, und auch das Geschick um uns danach in Menschengestalt mit einem Feuerzeug zu verbrennen. ‘ Einen Augenblick lang fühlte ich mich ausgeliefert, verloren wie schon lange nicht mehr. Die Erinnerungen von früher waren wieder da, und pures Entsetzten packte mich.

Doch ich musste mich zusammenreißen, allein schon wegen meiner Mutter. Die Tür stand noch immer offen, ich hatte sie nicht geschlossen, und sollte dieser Hund noch weitere mitgebracht haben, konnten sie einfach ins Haus laufen und Mom etwas antun. 

Wut braute sich in mir auf und ich spürte wie sich meine Kraft wieder in meinem Körper verteilte. Mit großem Schwung drückte ich mich gegen seine Pfoten, versuchte mich gerade hinzustellen und lies ihm nach hinten auf den Boden fallen. Der Wolf knurrte, und ich verstand dass ich mich lieber aus dem Staub machen sollte. Ich rannte zur Tür, doch das Tier packte mich am Arm. Leises Knacken ertönte, und Schmerz machte sich an derselben Stelle breit. Nun war ich durch und durch geschockt. Die Wunde an sich war nicht weiter schlimm - sie würde in ein paar Minuten wieder vollständig geheilt sein, doch angesichts dessen dass dieses Ding wirklich Kraft hat um mich zu zerbröseln machte mich doch etwas unwohl.

Ich zog meinem Arm aus seinem Maul, was nicht gerade sanft zuging, und lies meine Faust in seine Schnauze fliegen. Den Geräuschen zu urteilen war auch hier etwas gebrochen. Ich nutze die Verwirrung des Tiers und rannte schnell weiter in den Garten. Wenn Geschwindigkeit das einzige war, in dem ich ihm überlegen bin, sollte ich sie nutzen um ein kleine Runde im angrenzenden Wald zu drehen und dann wieder ins Haus zu verschwinden. Doch dieser Köter ließ nicht locker. Er galoppierte mir mit einer enormen Geschwindigkeit nach und stürzte sich auf mich, um mich wieder auf den Boden werfen zu können. Unsanft landete ich mit meinem Bauch auf dem erdigen Boden, und spürte wie eine Rippe brach, nicht gerade angenehm aber auch das würde geheilt sein noch ehe ich mich versah. Falls ich überhaupt noch lange lebte.

Ich spürte wie der heiße Atem des Wolfes über meine Wange strich. Ekelig, ich hoffte ernsthaft dass er mir nicht gleich auf dem Kopf sabberte. Seine Pfoten bewegten sich nach vorne, anscheinen bückte er sich gerade zu meinem Kopf herunter. Aber was..?

Langsam setzten seine Zähne an meinem Kopf an, und ich konnte mir jetzt nur zu gut vorstellen was er vorhatte. Ich wand mich in alle Richtungen doch viel bewirken konnte ich nicht. Ich war eben nicht gerade die Stärkste, und einen Überraschungseffekt wie vorhin konnte ich auch vergessen. Anscheinend war der Wolf allerdings einfach nur genervt von der rumgezickerei und knurrte mir leise aber bestimmt in mein Ohr. Man, jetzt hatte ich ernsthaft genug. War es wirklich unverschämt sich gegen seinen eigenen Tod zu wehren? Was bildete sich dieses Tier überhaupt ein, zu denken es könnte mich einfach mal eben so überraschen und dann umbringen - natürlich ohne dass ich mich auch nur irgendwie wehre, weil ich ja auch gerne zerstückelt irgendwo herumliege.

Meine Wut steigerte sich ins unendliche und ich brüllte: “Was hast du überhaupt für ein Problem?!”.

Plötzlich herrschte Ruhe. Seine Tatzen lagen noch immer schwer auf meinem Rücken, doch er nahm sein Gebiss von meinem Kopf.

Mehr traute ich mich jetzt aber doch nicht mehr sagen. Ein falsches Wort, und mein Schädel war ab. Ich zitterte leicht und wartete.

Wie aus dem Nichts kam plötzlich ein heftiger Schlag. Allerdings galt er nicht mir, sondern dem Wolf.

Angenehme Leichtigkeit machte sich auf meinem Rücken breit, und ich drehte mich langsam um, um zu verstehen was gerade geschehen war. Meine Blicke trafen auf meine Mutter, welche mit Kampfhaltung dem großen Hund gegenüberstand. Sie fauchte, sah in mit einen Blick an der töten könnte, und machte einen bedrohlichen Schritt auf ihm zu. Er hielt einen Moment inne. Sah erst mich und dann wieder meine Mutter an, und verschwand dann blitzschnell in dem vielen Gewächs im Garten. Den Geräuschen zufolge verschwand er gerade im Wald.

Ich blinzelte einige Male, als Mom mich nahm und mit mir ins Haus flitzte. Sie verriegelte die Tür und holte ein paarmal Luft. Dann sah sie mich an.

“Kannst du mir bitte erklären was du dort draußen gesucht hast?”, schrie sich mich an: “Du hast ja schon komplett den Verstand verloren! Ich hab dir doch gesagt das Wölfe hier umherstreifen, und du marschierst einfach dir nichts mir nicht hinaus?!”

“Ich…”

“Ich will nichts hören! Ich hoffe das war dir eine Lektion! Ich kann nicht immer die Rettung in Not sein, und ich hoffe du lernst daraus!”, sie hielt kurz inne und schon war sie weg. Ich blickte kurz zu Boden und tapste dann zu dem Kasten im Flur, auf dem noch immer mein Glas mit Marillensaft stand. Als ich mich an den Schrank lehnte und ziellos zu Boden blickte, bemerkte ich dass ich in der ganzen Zeit meine weißen Socken angehabt hatte. Ich hob meinen Fuß und meine Befürchtung bestätigte sich: Die Socken waren nicht mehr zu retten. Große Löcher und Rissen waren über den ganzen Stoff versehenen, was auch kein Wunder nach der langen Hetzjagd war. Das Knacken und der Schmerz waren dank meines Vampirgehirns lebensgetreu abgespeichert, und jede Faser meines Arms konnte sich den Biss bis ins kleinste Detail vorstellen wenn ich nur daran dachte. Es war einfach schockierend gewesen nach den paar Jahren des unverwundbar seins einmal wieder echten Schmerz zu spüren.

Ich trank einige Schlucke von dem Marillensaft und dachte noch mal über das gerade geschehen nach. Ein Wolf, der sich zutritt auf unser Grundstück verschafft hatte, hat versucht meinen Kopf abzureißen. Oder hatte es zumindest vor. Aber wieso? Klar, Mom hat erzählt dass Gestaltenwandler die Menschen nur beschützen wollen. Und ich würde es auch verstehen - hätten wir auch nur irgendeiner Menschenseele etwas getan. Aber einfach hier aufzukreuzen, ohne dass auch nur irgendeinem Sterblichen geschadet worden war, ist doch etwas überstürzt. So aggressiv wie das Fell-Ding war, so hasserfüllt. Nein, es musste noch etwas anderes dahinter stecken. Anders konnte es nicht sein.

Ich stellte das Glas in den Geschirrspüler, flog in mein Zimmer und legte mich die letzten paar Stunden wieder in die Federn.

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Kapitel 2: The New One

 

„Abbey, auch schon hier!”, schrie Miranda schon von weitem, “Was machst du denn schon so früh an der Bushaltestelle? Und dass am ersten Tag nach den Ferien?”.

Tja, um ehrlich zu sein hatte ich nach dieser aufregenden Nacht einfach kein Auge mehr zu bekommen. Ich hatte einfach zu lange über den Grund für diese verrückte Begegnung nachgedacht, allerdings hoffnungslos.

Als sie näher aus dem Park hinter der Bushaltestelle kam bemerkte ich dass sie schon wieder neue Sachen anhatte, sie ging einfach zu viel shoppen. Aber ich musste zugeben dass ihr die hautenge schwarze Jeans, und das lockere gelbe Top ausgezeichnet standen. Es duftete nach teuren Jeans die erst frisch aus der Färberei kamen.

“Ich weiß nicht. Hab schlecht geschlafen und gedacht es ist vernünftig wenn ich mich schon für die Schule fertig mache.”, schnaubte ich. Es ist besser wenn ich ihr noch nichts über den Gestaltenwandler sage. Miranda ist eine der wenigen in der Stadt die über die Existenz von Vampiren Bescheid weiß. Allerdings ist sie die einzige in der Schule, der Rest sind irgendwelche echt alten Menschen die noch etwas von den echt alten Legenden wissen. Aber die werden sowieso für verrückt erklärt. Eigentlich sollte es ja bei diesen paar Knackern bleiben, aber Miranda hatte eine echte Nah Tod Erfahrung weil ein Vampir der durch die Stadt zog sie beinahe als Happen zwischendurch verputzt hätte. Das hat man eben davon wenn man den Wald als Abkürzung zu einer Party benutzt. Glücklicherweise waren meine Mutter und ich jagen und konnten der Armen ihr Leben retten. Andere Menschen hätten vielleicht ein Trauma davon bekommen, aber nein. Miranda war ganz scharf darauf alles über das Thema Unsterblichkeit zu erfahren, was es nur gibt. Diesen Wunsch hatte ich ihr auch erfüllt - größtenteils.

“So, so. Schlecht geschlafen. Geht das als Vampir überhaupt?”, ihre blonden Haare flogen durch die Luft als sie ihren Kopf schief legte. Ich blickte genervt zur Seite. Immer wieder diese Gespräche mitten auf der Straße, hoffentlich hat das keiner gehört.

“Ja, das geht - und aus. Können wir bitte über etwas anderes reden?”, bei so einer Frage konnte meine Freundin meistens nicht wieder stehen. Sie war einfach dieTratsch-Tante der Schule. Sie wusste eigentlich alles über jeden der ganzen Klassen, und sparte auch nicht dabei diese Information weiterzugeben. In meinem Fall habe ich sie aber nach langem überreden, und mit viel Bestechung zu einem: “Meinetwegen, aber solltest du jemand weiteren einweihen wollen werde ich die Vampir-Geschichten-Überbringerin sein!” bekommen.

“Über was anderes Reden? Du bist mir eine! Nichts über dein eigenes Leben erzählen, aber von mir alles erfahren wollen! Nein, kommt überhaupt nicht in Frage!”, sie stellte sich stur, doch ich kannte ihre Schwachstellen, ich hoffte dass ich sie irgendwie zum Reden bringe, denn ich wollte noch etwas über diesen dämlichen Köter von heute Nacht und seinen Absichten nachdenken, vielleicht hab ich ja irgendeinen wichtigen Hinweis übersehen?

“Ich weiß genau so gut wie du dass es dir unter den Fingernägeln brennt mir irgendwas Neues zu verraten”, ich seufzte, “Also, leg schon los.”

Einen Moment lang stand sie da und starrte mich an. So etwas kannte sie normalerweise nicht von mir.

Als ich dann zaghaft nickte holte sie tief Luft: ”Also, ich weiß ja nicht ob du es schon wusstest aber es gibt da so einen neuen Jungen auf unserer Schule, der ist in den Ferien hergezogen… “, während ein kleiner Teil meines Gehirns ihrem Gespräch folgte, und an passenden Stellen nickte, begann ein andere Teil sich mit dem Gestaltenwandler auseinander zu setzen. Ich fragte mich woher er bloß diese enorme Kraft hergenommen hat, welcher er sich auch ziemlich sicher war. Ohne zu zögern ist er auf mich losgegangen, war auch nicht überrascht als ich mit einer Mordsgeschwindigkeit davon sauste, also kannte er Vampire schon. Und so gezielt wie er seine Zähne angesetzt hatte, hatte er vermutlich auch schon mehrere Unseresgleichen zerstückelt und verbrannt. Waren sie wirklich so böse, wie Mom mir angekündigt hatte?

“… paar Mädels haben ihm gesehen, als er gerade in so einen Motorrad-Shop gegangen ist! Laut denen ist der Typ so was von hot! Ein richtiger Bad-Boy! Man, was denkst du wie viele Schülerinnen auf den abfahren werden! Ich hab ihm ja noch nicht gesehen, und du auch nicht, aber ich denke… “

“Der Bus ist da!”, Gott sei Dank kam gerade der Bus um die Ecke. Länger hätte ich dieses Gerede auch nicht mehr ausgehalten. Langsam Stiegen wir ein, und nach Mirandas langer Sucherei musste sie niedergeschlagen zugeben dass der “scharfe Junge” anscheinend nicht mit dem Bus fährt. Da wurde gleich wild herumspekuliert mit was er denn dann kommen sollte. Mein einziger Gedanke: “Er war in einem Motorradgeschäft. Sollte das nicht Erklärung genug sein?”.

 

Vor der Schule angekommen war die Diskussion mit den anderen Mädels noch immer im vollen Gange. Wie er aussieht, was er macht, ob er eine Freundin hat. Sachen die mich herzlich wenig interessieren, wenn man bedenkt dass ich an meinem 16. Geburtstag in zwei Wochen anscheinend Todesangst wegen eines blöden Gestaltenwandlers haben muss.

In der Klasse angekommen wollte ich mir, wie immer, mit Miranda einen gemeinsamen Tisch aussuchen. Sodass wir während der Stunde etwas plaudern konnten. Der Unterricht war die einzige Zeit in der mir die vielen “News”, wie sie sie nannte, wie ein Segen vorkamen. All das was die Lehrer erzählten war so leicht wie 1+1 zu rechnen, mein Gehirn war einfach zu schnell dafür. Miranda bestand darauf in der hintersten Reihe zu sitzen um den Neuen ja ungestört begutachten zu können.

Doch kaum hatten wir Platz genommen viel ihr plötzlich der leere Tisch am andere Ende der Reihe ins Auge. Sie holte geschockt Luft: “Dieser Tisch ist der einzige der nicht besetzt ist!”, sie strahlte.

“Äh, ja… Ich weiß du bist nervös wegen dem Jungen, aber was ist an einem Tisch…“

“Verstehst du nicht? Der Neue MUSS sich dort hinsetzten, sonst ist ja nirgends Platz für ihm. Stell dir vor jemand andere sitz noch dort - dann müsste er sich neben denjenigen hinsetzten, und die ganze Stunde mit ihm verbringen!”, sie zwinkerte.

“Du willst jetzt nicht ernsthaft…”

“Entschuldigung, Abbey! Aber ich muss mich mal eben wo anders hinsetzen! Versteh doch, ich hab nur meine wenigen Menschjahre um die Liebe meines Lebens zu finden, da muss ich jede Gelegenheit nutzen. Aber dass du nicht darauf gekommen bist… Anscheinend bin doch ich die Klügere von uns beiden”, nun lachte sie auch noch.

Das ist jetzt nicht wirklich passiert, oder? Die weiß jetzt aber schon dass neben mir auch ein Platz frei ist? Und dass es nur eine fifty-fifty Chance gibt dass er neben ihr landet?

Freudestrahlend grinste sie mich von weitem an, und winkte mir erwartungsvoll zu.

Tja, anscheinend weiß sie es nicht.

“Miranda, du…”

“Gute Morgen!”, rief Mr. Johnson in den Raum.

Okey, langsam ging es mir echt am Nerv dauernd unterbrochen zu werden!

“Morgen“, kam gähnend von der Klasse zurück. 

Der Lehrer ignorierte dies gekonnt und sprach weiter: “Wie einige von euch vielleicht bereits wissen, werden wir heute einen neuen Mitschüler in der Klassengemeinschaft begrüßen. Ich wünsche mir sehr, dass ihr ihn willkommen heißt, und ihm das Gefühl gebt Zuhause zu sein. Du kannst nun eintreten Finn!“, er machte eine gestikulierende Geste zur Tür.

Alle Augenpaare schienen nun Richtung Tür zu wandern, und als diese dann endlich geöffnet wurde, und Finn eintrat, konnte man praktisch fühlen wiesich einige Mitschülerinnen gerade wie unsterilisierte Katzen im Frühling vorkamen.

Seine dunkelbraunen Haare hingen ihm teilweiße ins Gesicht, und seine schwarze Biker-Hose passte perfekt zu seinem gleichfarbigen T-Shirt. Seine lange silberne Kette schwang hin und her als er sich zu dem Lehrer drehte. Als seine braunen Augen dann kurz die meinen trafen, musste sogar ich mir eingestehen dass er nicht von schlechten Eltern war.

“So, nun sehen wir mal wo wir dich für den heutigen Tag hinsetzten.”, Mr. Johnson dreht seinen Kopf in meine Richtung, sah den leeren Platz und schon war seine Entscheidung gefallen: “Neben Abbey ist noch ein Platz frei“.

Nun war die unkluge Entscheidung von Miranda wenigstens bei ihr angekommen.

Ich blickte auf, und sah in das nicht gerade glückliche Gesicht von Finn. Er fragte: “Neben der einen wäre auch noch ein Platz übrig.”

Jetzt war ich etwas verwirrt. Was war das denn? Schon klar, nicht jeder Mensch mag jeden, aber im Normalfall werde ich gemocht. Allein schon wegen meiner Erscheinung. Nicht dass ich eitel wäre oder sonst was, das Vampirgift sorgt bei der Verwandlung einfach dafür dass mein ganzes Äußeres noch besser betont wird, macht volle Lippen, tolle Gesichtszüge. Eigentlich damit ich meine Beute besser anlocke: Menschen, aber es ist auch im Alltag nützlich.

Mr. Johnson schüttelte den Kopf: “Extrawünsche kommen am ersten Tag nie gut an, Finn. Und jetzt setzt dich.“

Finn blickte kurz zu Boden und ging dann schließlich mit ausdruckslosem Gesicht auf den freien Platz neben mir zu.

Die gesamte Mädchenschar beobachtet gespannt wie er seinen Rucksack neben dem Sessel hinfallen ließ, seine paar Hefte und Bücher herausholte, und schließlich einen Schluck aus der Flasche nahm. Man sah ihnen an dass es ihnen nicht ganz recht war dass er ausgerechnet neben mir saß…

Mr. Johnson musste sich einmal räuspern um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken: “Ich denke es ist besser wenn ihr mit Finn in der Pause redet, und ihm dort anschmachtet“, einige Jungs lachten.

Die meisten folgten jetzt wieder dem Unterricht, aber ein paar Mädels drehten sich trotzdem noch einige Male um, nur um noch einen Blick auf den Neuen zu erhaschen.

Während der Unterrichtsstunde warf ich auch einige Male einen Blick auf die Seite, doch Finn starrte so intensiv auf die Tafel, dass es offensichtlich war dass er mir auswich. Es war nicht zu übersehen dass er keine besondere Freude an seiner Sitznachbarin hatte. So langsam hielt ich ihn auch für unfreundlich. Ich meine, er kannte mich ja gar nicht.

Als schließlich der heiß ersehnte Gong ertönte packte er seine Sachen in Rekordzeit und sauste davon. Miranda kam sofort auf mich zu gelaufen: “Wieso, hast du das zugelassen?!”, fuhr sie mich an.

Auch ich packte jetzt meine Sachen, in so normalem Tempo wie es nur ging.

“Wenn du auf Finn anspielst dann lass dir sagen dass ich in gerne persönlich bei dir abgesetzt hätte. Dieser Idiot spielt hier anscheinend denn Unantastbaren”.

“Wieso? Sag bloß er ist unfreundlich.”

“Miranda, ein Tampon wäre gesprächiger.”

Ich zog den Zipp meines Rucksackes zu, warf ihm über meine Schulter und stand auf. Langsam gingen wir hinaus und dem Flur entlang.

“Oh… Na ja, dann kann ich ihm ja auch vergessen. Wenn er dich schon ignoriert, dann hab ich ja gar keine Chance.”

“Da wäre ich mir nicht so sicher, dieser Typ hat mich von Anfang an schon so merkwürdig angestarrt. Der hat wahrscheinlich bloß was gegen mich. So etwas kommt nun mal vor.”

“Ja genau. Vielleicht findet er deine glänzenden, langen Locken unattraktiv, oder deine wunderschönen, stechend, goldenen Augen zu… keine Ahnung… wunderbar? Schätzchen, Jungs die nicht auf dich abfahren sind entweder schwul oder Psychopaten die anstelle deines Kopfes eine Ananas sehen. Bei ihm sind beide Theorien noch offen.”

Ich öffnete meinen Spinnt und holte die Bücher für die nächste Stunde heraus: “Jetzt übertreib mal nicht. Versuch dein Glück! Ich würde es dir gönnen, und tief im Inneren weiß ich dass du voll auf ihm abfährst!”

“So, das weißt du? Und woher?”

“Beste Freundinnen-Telepathie.”, ich zwinkerte: “Liebes, ich wüsste sogar wenn du … “ - Plötzlich wurde ich aggressiv von hinten angerempelt und mein gesamter Bücherstapel viel Richtung Boden. Mit meinen Reflexen hätte ich zwar alle einfangen können, aber mitten am Flur war es nicht sehr ratsam seine paar hilfreichen Fähigkeiten einzusetzen. Also fing ich eines und lies den Rest trostlos nach unten in die Tiefe gleiten.

Mit dem lauten Poltern zog ich einige Blicke auf mich, und nicht nur dass: Ich erkannte wer der miese Anrempler gewesen war. Finn, der verdammte…

Ja… Eigentlich gab es keine wirklich Eigenschaft an ihm… Er ist einfach nur dämlich, arrogant und… blöd. Störte es mich wirklich so sehr das mich ein Junge mal nicht mochte? Anscheinend, sonst wäre mein Wortschatz nicht in wenigen Sekunden auf ein Minimum geschrumpft.

Bevor ich aber auch nur irgendwelche, bedrohlich wirkende Worte nach ihm werfen konnte wurde ich von meiner Freundin zurückgehalten: “Beruhige dich, Abbey. Das war bestimmt keine Absicht! So, aber nun ab in die Klasse, die Stunde fängt gleich wieder an!”

 

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Als ich am späten Nachmittag nach Hause kam war meine Stimmung nicht gerade die beste meiner Existenz. Ich schupste die Tür zu (eher fiel sie mit lautem Poltern in das Schloss und wäre fast zerbrochen), flitzte die Treppen hoch und schmiss meinen Rucksack in eine Ecke meines Zimmers. Dann lies ich mich lautlos auf mein Bett fallen und blickte zur Decke.

Der Schultag lief vor meinem geistigen Augen noch mal ab, und erinnerte mich nur zu genau daran wie dieser behinderte Finn mich dauernd ignoriert hat.

Es war kein normales “Ich-Interessiere-mich-nicht-für-dich-lass-mich-in-Ruhe” - Ignorieren. NEIN! Es war ein “Ich-hasse-dich-abgrund-tief-und-wenn-du-in-Flammen-stehen-würdest-würde-ich-genüsslich-ein-Bier-neben-dir-trinken” - Ignorieren!

Er hat mir den ganzen Tag lang kein einziges Mal ins Gesicht gesehen, bis auf die erste Stunde als er erfahren hatte dass er neben mir sitzen muss. Er sieht nicht mal in die Richtung von mir, setzt sich immer an den Platz der am weitesten von mir entfernt steht, und als mal aus “Versehen” mein Füller vom Tisch gerollt ist, und genau vor seinem Füßen zum Stehen gekommen ist hat er ihn nicht mal angesehen! Sogar als der Lehrer gemeint hat: “Finn, wärst du so freundlich und würdest den Stift von Fräulein Abbey aufheben”, hat er mit monotoner Stimme gemeint: “Soll ihn doch jemand anderer nehmen.”

Dabei hat er mitten ins Nichts geblickte, nicht mal den Lehrer geschweige denn mich angesehen. Und dann noch diese Sache mit dem anrempeln! Das ist doch nicht mehr normal!

Miranda meinte dass ich mir das alles nur einbilde und ich mich nicht schon wieder in etwas hineinsteigern sollte. Sie sagte der Junge würde sowieso jeden und alles hassen und würde bald zum Außenseiter werden. Ich sei ja nicht die einzige die er ignorierte.

Nun gut, damit hatte sie nicht so Unrecht. Finn sah allgemein nicht wirklich offen aus. Er wirkt verschlossen und teilnahmslos, und wenn er angesprochen wurde, redete er in kurzen & knappen Sätzen, und verschwand dann unter irgendeinem Vorwand.

Aber das war etwas anderes. Er redet überhaupt nicht mit mir. Ging auf Abstand. Und teilweiße konnte ich praktisch fühlen wie er mir auswich, selbst wenn ich ihm nicht sah.

Aber was war los mit ihm? Er war, und auch wenn ich es hasste es auch nur zu denken, nicht gerade hässlich. Um genau zu sein war wahrscheinlich einer der süßesten Jungs der gesamten Schule. Darum hingen die Mädels auch an seinen Lippen wie ein Überboard-gegangener an einem Rettungsring. Theoretisch könnte er zu einem der heißesten Typen der Schule aufsteigen, aber er will ja nicht. Selbst Schuld.

Aber warum muss er dann dieses ganze Hass-Ding auf mich übertragen? Soll er sich einsperren und Zuhause herumheulen.

Ich wollte gerade aufstehen und mich an ein paar der einfachen Hausübungen machen, als es plötzlich an der Tür klingelte.

Da meine Mutter noch arbeiten war, musste ich eben nachsehen. Mit einer Leichtigkeit sprang ich auf, flog runter zur Haustür, wollte sie schon aufreißen als ich plötzlich versteinerte und vor dem kleinen Fenster in der Tür stehen blieb.

Nein, Nein, Nein. Das gibt es doch nicht! Nein, nein, nein, nein…

Ich erkannte nur zu genau wer es war. Aber was um alles in der Welt…?
“Könntest du jetzt bitte aufmachen?”, fragte die genervte Stimme von Finn.

Oh. Mein. Gott.

Was macht der denn hier? Woher wusste er überhaupt wo ich wohne?! Er hat ja noch nicht mal ein Wort mit mir gewechselt! Das war der erste Satz den Finn an mich gerichtet hatte, und dass war ganz und gar nicht dass was ich erwartet hatte!

Ich schloss einen langen Augenblick lang (vermutlich nicht einmal eine ganze Sekunde) die Augen und hoffte dass er einfach verschwinden würde, sich in Luft auflöste, was weiß ich. Aber als ich mit meinen scharfen Augen wieder durch das Glas sah war er noch immer hier, und er sah nicht gerade glücklich aus. Nun gut, wann tat er das schon?

“Du kannst es noch so oft versuchen, ich verschwinde nicht…”, er sah ernsthaft sauer aus, überhaupt nicht zufrieden hier zu sein. Aber warum war er es dann, ich hatte ihm nicht eingeladen.

Ich war nicht sicher ob ich ihm öffnen sollte, aber dann schaltete wieder mein Gehirn ein: Hallo? Du bist ein Vampir, und er ein kleiner deprimierter Mensch! Er könnte schlimmstenfalls versuchen dir ein Messer in den Rücken zu rammen, könnte versuchen dich zu erdolchen, aber was würde dass schon ausmachen? Das Messer würde sich verbiegen noch ehe ich was spüren würde. Und sei doch ehrlich: Du bist extrem neugierig was er hier will! Also, mach schon!

Langsam drehte ich den Schlüssel im Schloss, holte noch mal unbemerkt Luft, und machte dann die Tür auf.

“Hast du’s dann endlich?”, fragte er genervt.

Als ich Luft holte roch ich seinen Duft. Etwas Wildes, holziges aber mit einer frischen Note.

“Ich… Woher weißt du wo ich wohne?”, ich zog eine perfekte Augenbraue hoch.

“Hat mir die Schulsekretärin gesteckt. Die Direktorin hat mich gezwungen hier zu erscheinen um mir von dir einige Blätter zu holen die du hast.”

Ach, stimmt ja. Vor den Ferien hab ich einen ganzen Stoß voller Lernblätter bekommen, die der Neue dann als Übungen daheim verwenden kann. Damals wusste ich ja auch noch nicht wer das ist, aber hätte ich es gewusst hätte ich jemand anderen damit gestraft.

“Ja, klar. Ich hol sie mal eben.”, ich drehte mich um und ging in normalen Menschentempo hoch in mein Zimmer um sie zu holen. Gut, vielleicht war er nicht gerade der netteste Sunnyboy der Welt, aber deshalb gleich unfreundlich zu werden - das lag mir nicht.

Ich musste nicht suchen, ich wusste wo die Zetteln lagen, ich hatte sie extra in die Schublade von meinem Schreibtisch gesteckt damit nichts passierte. Auch wenn das bei einem Vampir vermutlich unnötig war.

Als ich mit dem perfekt geordneten Stoß nach unten ging, war ich unvorsichtiger. Ich achtete nicht mehr so sehr auf das Menschenbild, es war etwas verrutscht, als ich lautlos die Stiegen hinunterflitzte. Doch ich blieb abrupt stehen als ich den Rücken von Finn sah - und zwar nicht draußen vor der Tür sondern direkt im Flur, als er sich mit interessierten Augen umsah. Wie ein Dieb der schon mal den Fluchtweg checken wollte.

Ich starrte in an, aber er schien mich nicht zu bemerken: “Was machst du da?”

Erschrocken drehte er sich um, und seine Gesichtszüge waren hart.

“Ich schulde dir keine Erklärungen!”, bedrohlicher konnte man so was wahrscheinlich gar nicht mehr aussprechen.

Ein Mundwinkel zuckte bei mir hoch, doch mein Gesicht dürfte zeigen dass ich nicht gerade spaßig aufgelegt war: “Ich weiß ja nicht ob du‘s bemerkt hast aber hier wohne ich, und ich kann mich nicht erinnern dich hereingebeten zu haben. Also, denke ich sehr wohl dass du mir eine Erklärung schuldest.”

Er schnaubte und murmelte irgendetwas unverständliches, drehte sich um und ging Richtung Tür. Aber ich stand noch immer auf der Treppenstufe, etwas verständnislos. Schließlich ging ich ihm langsam und lautlos nach.

Gut, dann eben keine Erklärung - der wird so schnell sowieso nicht mehr hierher kommen.
Als ich um die Ecke kam stand er wieder brav draußen vor dem Eingang. Gut, für ihn.

Ich ging langsam auf ihm zu, und er musterte mich.

“Hier“, sagte ich und reichte ihm den Stapel Papier und blickte nach unten. Er versuchte mich nicht zu berühren, nahm mir das Ding aus der Hand und brachte sogar ernsthaft ein: “Danke” heraus. Vermutlich wirft er den ganzen Haufen daheim sowieso gleich in den Mülleimer.

Er trat ein paar Schritte zurück, und drehte sich dann ohne ein weiteres Wort um und ging Richtung Einfahrt.

Ich zögerte etwas, hob meine Stimme und stammelte: “Tschüss“

Finn war schon einige Meter entfernt, wurde langsamer bis er schließlich stehen blieb und sich ernsthaft verwirrt umdrehte: “Was?”

“Ich… sagte tschüss?”, Okey, langsam wurde er immer merkwürdiger.

“Äh“, er blickte kurz zur Seite, und sah plötzlich gar nicht mehr so ernst wie vorhin aus. Zwar nur ein bisschen, aber es war vermutlich das freundlichste was er hergab: “Tschüss”, brachte auch er zögernd heraus. Er drehte sich wieder um, und ging schließlich zu der Straße weiter, auf der ein Schwarzes Moped stand - neu, aber schon etwas abgenutzt.

Ich sah noch zu wie er davonfuhr, schloss die Tür ab und ging dann wieder in mein Zimmer. Genau wie vor einer viertel Stunde auch schmiss ich mich auf mein Bett und blickte zur Decke.

Okey, dieser Typ war anscheinend immer so beschissen drauf, das hat man ja bemerkt. Aber er war hierhergekommen auch wenn er mich überhaupt nicht mochte, dass bedeutet dass es ihm vermutlich doch nicht so egal war was andere Menschen über ihm dachten. Immerhin hätte er sich auch einfach weigern können diese Übungsblätter zu holen - das hätte mich zumindest nicht gewundert. Aber was war denn das für eine Aktion im Haus? Er kommt einfach herein und schleicht herum? Gut, neugierige Menschen gibt es immer, aber er sah so konzentriert aus! Nicht wie jemand der einfach mal eben herumgeht und mal schaut was es denn so gibt, nein. Als wollte er sich alles einprägen.

Tja, merkwürdiger Finn eben. Und als er so überrascht reagiert hat als ich freundlich zu ihm war. Als hätte er nie im Leben damit gerechnet, als wären wir Feinde! Nun gut, vielleicht ändert er sein Verhalten jetzt auch mal, jetzt wo er sieht dass ich ihm Gegensatz zu ihm noch immer so etwas wie Freundlichkeit besitze.
Gut, zusammenfassend war er wirklich etwas komisch. Aber trotz allem war er heiß, und ich musste mir einfach eingestehen dass ich mich tierisch gefreut hatte als er mich vor der Tür gemustert hatte.

 

Als ich nach zehn Minuten mit den Hausaufgaben fertig war hörte ich gerade den leisen Luftzug der Haustür, welche gerade geöffnet wurde. Ich schnupperte leicht und roch den vertrauten Duft von teurem Parfüm - Mom ist zuhause!

Ich packte meine Sachen schnell in den Rucksack, stellte in leise wo hin, und sauste in die Küche.

“Hallo, Mom”, ich lächelte sie an, und versuchte aus dem Augenwinkel ein paar der Leckerrein zu erhaschen welche sie heute gekauft hatte. Während sie die Sachen in die vielen Kästen schlichtete drehte sie sich zu mir.

“Abbey, Liebes! Wer war den heute bei dir? Jemand den ich kenne?”, sie zwinkerte.
Oh, das war ja wieder klar. Sobald Mom auch nur einmal einen fremden Geruch im Haus hat fragt sie mich schon wieder aus.

“Nein, ich denke nicht dass du ihn kennst, er ist neu auf meiner Schule und…”-”Es ist ein Junge?”, sie lächelte mich an. Peinlich. Doch sie fuhr einfach fort: “Ich dachte es mir schon, kein Mädchen trägt so einen Duft, aber sicher war ich mir natürlich nicht.”

Ich strich mir eine Strähne hinters Ohr und begann ihr mit dem auspacken zu helfen.

“Ja, ein Junge. Allerdings einer den ich nicht gerade mag. Er hat sich nur ein paar Papiere für die Schule abgeholt die ich für ihn zurücklegen musste.”

Sie lachte: “Du magst ihn nicht, aber wie sieht es mit ihm aus?”

“Oh, nein Mom! Ganz schlecht, bitte komm mir nicht mit solchen Verkupplungsversuchen! Ernsthaft, ich komm schon klar, danke.”

“Ach, darauf wollt ich doch gar nicht hinaus. Ich meine ja nur.”

Ich wurde langsam etwas genervt: “Ja, du meinst nur. Und du meinst falsch!”

Sie lächelte wieder: “Liebes, dass was du da von dir gibt’s, macht nicht mal Sinn!”

“Ist mir doch egal! Fakt ist: Dieser Typ mag mich nicht, und ich mag ihm nicht. Schluss. Ende. Aus. So wie der sich benimmt braucht es ihm auch nicht wundern.”

“Wieso, was macht er denn? Schickt er dir dauernd Liebesbriefe?“, sie lachte wieder. Gott, wie ich es hasste wenn sie so drauf war. Sie dachte doch nicht ernsthaft dass jeder Junge der Welt auf mich abfährt, oder?

“Nein, Mom! Er schickt mir keine Liebesbriefe! Um genau zu sein hasst er mich. Ja, richtig. Dabei kennt er mich gar nicht. Er rempelt mich an, redet praktisch nie mit mir, und wenn doch dann immer mit einem unfreundlichen Ton und als er heute da war hat er sogar in unserem Haus herumgeschnüffelt während ich seine Sachen holen war. Also, ich denke das ist Grund genug um jemand nicht zu mögen. Vor allem wenn er mich noch keinen ganzen Tag kennt.”

Plötzlich wurde sie still. Zu still.

“Mom?”, eben war sie doch noch in Euphorie?

Ihr Gesichtsausdruck wurde nachdenklich: “Er ist neu in der Schule sagst du? Und er behandelt dich schlecht? Seit wann macht er das denn?”

“Schon seit dem ersten Augenblick an, warum?”, ich hoffte jetzt bloß dass meine Mom nicht plötzlich ihre Mutterpflichten in Anspruch nimmt und zu Finn fahren will um ihm und seiner Mutter die Meinung zu sagen. Denn das wäre echt, echt übel…

“Abbey, du solltest dich von diesem Jungen fernhalten.”

“Mom, schon klar er ist nicht gerade freundlich zu mir, aber keine Angst, ich gehe ihm so oder so schon aus dem Weg. Wie gesagt ich mag ihm ja auch nicht.”, was soll das denn jetzt werden? Fernhalten, tz. Als ob ich ein kleines Mädchen wäre das man vor dem großen bösen Wolf beschützen müsste. Ha!

Und plötzlich machte es “klick“ in meinem kleinen Vampirgehirn.

“Moment! Mom, du denkst doch nicht ernsthaft dass…?”

“Dass dein kleiner Schulkamerad der Gestaltenwandler ist? Oh, doch - genau das denke ich.”

Das war doch jetzt nicht ihr ernst, oder?
“Mom, also wirklich! Finn ist vielleicht merkwürdig oder sonst was, aber komm. Ein Werwolf? Er sah mir jetzt nicht so übermenschlich aus.”

“Kein Werwolf. Gestaltenwandler! Und was willst du denn an ihm sehen? In Menschengestalt sieht er nun mal wie ein Mensch aus! Heute in der Früh war der Angriff, und dann kommt da am selben Tag ein neuer Schüler der dich von Anfang an hasst? Jemand der in unserem Haus herumschnüffelt, vermutlich um hier leicht rein- und rauszukommen, und du denkst da ist nichts dran? Abbey, ich dachte dein Gehirn wurde bei der Verwandlung besser und nicht schlechter.”

Ich blickte zu Boden und verstand.

Meine Mutter packte mich an der Schulter: “Ich weiß es reicht nicht aus um ein Urteil zu fällen, aber solche Beweise kann man nicht außer Acht lassen, dass verstehst du doch, oder?”

Ich wusste nicht so recht ob ich verstand.

Tief holte ich Luft: “Und was wenn ja? Wenn er der Werwolf”-”Gestaltenwandler”, ich seufzte, “Wenn er dieser Gestaltenwandler ist… was passiert dann? Müssen wir ihn… töten?”, ich musste schon fast lachen so absurd klang es. Aber gleich würde Mom genau das sagen und dann wusste ich dass ich mich schon wieder viel zu viel in etwas hineinsteigere.

Aber sie blieb still, sie sagte kein Wort.

“Mom?”, ich schauderte und blickte ihr direkt in die Augen. Auch sie hob ihren Blick, aber ihre goldenen Augen waren eiskalt.

“Ja, Abbey. Ich denke genau das müssen wir dann tun”.

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Kapitel 3: Deadly Hours

Es grollte und regnete als ich am nächsten Tag mit meinem silbernen Regenschirm an der Bushaltestelle ankam. Der Geruch der nassen Wiese war angenehm, er überdeckte den Blutgeruch der Menschen etwas, und mein Hals schmerzte nicht so stark wie es sonst der Fall gewesen wäre. Doch als sich mein Gesicht in einem der vielen Pfützen spiegelte sah ich meine ernsten Gesichtszüge, meine Verwirrtheit.

Finn sollte ein Gestaltenwandler sein. Wir sollten im Töten.

Das konnte doch nicht ihr ernst sein, oder?

Ich hatte noch nie ein menschliches Wesen umgebracht (und ich zählte Finn zu dieser Spezies) und wollte auch nicht damit beginnen.

Wie sollten wir es überhaupt tun? Ihm köpfen, ihn erdolchen? Oder gar aussaugen?! Ich bin erst drei Jahre lang eine Unsterbliche und sollte er auch nur in irgendeiner Weise Blut verlieren würde ich mich nicht mehr zurück halten können… Wie sein Blut wohl schmeckt? Vielleicht etwas wilder, etwas animalischer. Würde es besser riechen als dass der normalen Menschen? Würde ich gar nicht mehr aufhören können wenn ich einmal an seinem Lebenselixier geschnuppert hatte?

Ich schüttelte mich als sich still und heimlich das Verlangen in meinem Kopf schob. Ich atmete tief ein in der Vorstellung der Geruch des Regens würde wie immer helfen. Doch ich lag falsch. Und dass bemerkte ich sehr schnell als sich ein unwiderstehlicher Geruch meine Kehle hinunter schlich, wie sich ein  merkwürdig gut anfühlendes, kribbelndes Gefühl in meinem gesamten Körper ausbreitete, wie mir der gesamte Kopf mit diesem göttlichen Duft verdreht wurde. Ich spürte wie mein Herz schneller schlug, als würde es vor Vorfreude aufgeregt herumhüpfen. Meine Augen starrten eine junge Erwachsene im Regenmantel an, welche gerade ausgerutscht und in einen Dornenbusch hinten in einer Ecke des Parks gestürzt war. Natürlich hatte ich es registriert, doch ich empfand es einfach als zu unwichtig um weiter darüber nach zu denken. Aber nun hatte sie meine volle Aufmerksamkeit.

Viele kleine Kratzer waren an ihren Beinen, an ihrem Gesicht, ihrem Hals

Sie fluchte - bemerkte ein kleiner Teil meines Gehirns - nicht gerade Damenhafte Wörter.

Ich ließ meinem Schirm in ein Blumenbeet fallen.                                                         

Erst jetzt fiel mir auf dass ich schon mehrere Meter auf sie zugegangen war, meine Augen immer auf Stellen mit dem meisten Blut fixiert. Als wäre sie ein mächtiger Magnet und ich ein kleines Metallteilchen dass nicht auch nur mit der geringsten Chance zu ihr hingezogen wurde. Mein Körper arbeitete auf Hochtouren, kein Hauch von Menschlichkeit war mehr an mir zu sehen. Die Frau wedelte mit ihren Händen um die kleinen Ästchen von sich zu bekommen, doch als sie meine Anwesenheit bemerkte blickte sie auf.

Sie sah mich zuerst etwas verwirrt, dann ausdruckslos und schlussendlich geschockt an. Ihr Herz und ihr Atem gingen schneller - eine Reaktion ihres natürlichen Überlebensinstinktes. Sie sah in meine Augen und wusste dass es ihren Tod bedeuten könnte, ihr Unterbewusstsein wusste was sie vor sich hatte.

“Was sehen Sie mich so merkwürdig an? Bin ich wo reingetreten? Habe ich mich dreckig gemacht?“, ein nervöses lächeln.

Ich blieb stillt. Noch einmal Luft holen und es gebe keine Zurück mehr.

Meine Hände bildeten Fäuste, während ich mit aller Kraft versuchte dem himmlischen Duft zu wieder stehen. Es war als würde er nach mir rufen. Als würde er mich anflehen meine rasiermesserscharfen Zähne in den zerkratzen Hals der Lady zu werfen. Ich könnte sie so schnell packen und in ein Versteck bringen, dass niemand es bemerken würde...

Das Verlangen wurde größer.

Verdammt. So lange hatte ich es geschafft jeglichen Bluttaten aus dem Weg zu gehen, konnte immer rechtzeitig verschwinden. Warum musste ich gerade jetzt einen Luftzug mit einer bombastischen Ladung Blutgeruch einatmen?!

Ich spürte wie der Wind an meinem Gesicht vorbei strich, und versuchte mich zu konzentrieren. Es klappte, ich würde ruhiger. Nicht viel, aber ich spürte so etwas wie Erleichterung. Bis jetzt.

Ich musste wohl wirklich zum Fürchten ausgesehen haben, denn plötzlich drehte sich die Frau um, und rannte unbeholfen in den Park hinein.

“Nein…!”, murmelte ich nur halb bei Sinnen. 
Warum musste sie mich so sehr an ein scheues Reh erinnern dass auf der Jagd von mir flüchtet? Warum kam mir alles so normal vor, so gewohnt? Warum musste ich lächeln bei dem Gedanken was mich jetzt erwarten könnte wenn ich mich meiner selbst hingab?

Warum rannte ich ihr plötzlich nach?

Mit fünf großen Sprüngen war ich bei ihr, ich hatte mir Zeit gelassen.

Sie drehte sich während des Laufens um, blickte hektisch umher, und fiel plötzlich über einem umgefallenen Baumstamm. Ein erstickender Schrei kam über ihre Lippen. Sie musste sich wohl fühlen wie in einem Horrorfilm.

Nur blöd dass mir genau dass noch mehr Lust auf ihr Blut machte.

Ich trat näher zu ihr heran, meine Augen schwarz vor Durst. Die Frau bewegte sich keinen Zentimeter, anscheinen hatte sie bemerkt das wegrennen alles nur noch schlimmer machte.

Ein kleiner Blutstropfen rann von der großen Ader am Hals hinunter.

Nichts konnte mich mehr halten.

Ich fuhr auf die Frau herunter - den Mund offen, die Zähne bereit. Wie ein Blitz zischte ich hinab, als ich plötzlich auf etwas merkwürdig Hartes traf.

Ich riss die Augen auf, und wem sah ich da allen Ernstes vor mir?

“Finn?!”, ich blickte irritiert auf den Jungen, der die Dame zur Seite geschleudert hatte. Er sah mich an und brachte ein knurren heraus. Moment: Er knurrte?!

Mein Durst war verschwunden, ich war wieder vollkommen ich. Aber nun realisierte ich auch was ich gerade beinahe getan hätte.

“Ich… Oh mein Gott… Ich…”, ja auch ein Vampir hat seine Momente im Leben in denen nur Mist aus ihm rauskommt.

Finn machte einen großen Schritt auf mich zu, sein Gesicht zornig vor Wut.

“Gott sei Dank warst du da…”, ich seufzte tief denn ich war echt geschockt.

“Du beschissener Blutsauger! Hast wohl nie genug?!”, zischte er. Wären wir nicht in der Nähe von der Bushaltestelle würde er wahrscheinlich herumbrüllen wie ein Irrer.

“Moment! Nur um das klar zu stellen: Ich wollte sie nicht töten! Also… Jetzt will ich es nicht. Und ich wollte es davor nicht, aber sie hatte Kratzer und ich…” -  Finn lachte.

Er lachte mich allen Ernstes aus.

Ich wollte gerade etwas sagen als mir klar wurde was diese Situation plötzlich bedeutete: Finn hatte sich in einem Bruchteil einer Sekunde zwischen mir und einer Dame geworfen. Er hatte geknurrt und seine Haut war fast so undurchdringlich wie meine. Und dass was ich nun wusste gefiel mir ganz und gar nicht.

Doch es gab etwas dass mir noch viel mehr Sorgen machte.

Er wusste was ich war.

“Finn, woher w…” - ich verstummte als plötzlich viele maskierte Männer zwischen den Bäumen hervortraten. Sie waren sicher um die 40 Jahre, man sah es an ihren Augenfalten. Fast alle von ihnen waren muskulös und hatten Biker-Jacken an. So eine wie auch Finn sie hatte…

Instinktiv ging ich einige Schritte zurück, und sah mich hinter mir um.

Auch von dort kamen sie, und fragte mich wie viele Freunde von Finn wohl noch vorbeisehen würden.

Ich bemerkte wie sich die Frau zügig aus meinem Sichtfeld bewegte und drehte mich in ihre Richtung.

Als ich wieder nach vorne blickte stand Finn direkt vor mir

“Letztes Mal konnten wir dich nicht kriegen, wegen deiner beschissene Vampirmutter”, ich knurrte während er weiter sprach: “Aber heute bist du uns in die Falle getreten, und so schnell wirst du uns nicht entkommen”.

Ein dumpfer, unerwarteter Schlag auf den Kopf - dann wurde es dunkel.

 

 

Als ich wach wurde tat mein Kopf etwas weh. Das erste Mal seit langer Zeit empfand ich so etwas wie Schmerz. Nun ja, von dem Wolfsbiss in dem Arm mal abgesehen.

Ich blickte um mich und realisierte dass ich mich in einer Art Kerker befand.

Hohe Steinwände ragten in die Lüfte und ganz oben befand sich ein kleines rundes Fenster mit Gitterstäben. Eine robuste Beton-Tür befand sich auf der gegenüberliegenden Seite. Ich versuchte dagegen zu treten, doch es brachte nichts. Wie dick diese Tür wohl war? Ich klopfte mit meiner Faust gegen die Wand doch außer ein paar kleinen Steinchen die wie Staub herunter rieselten geschah auch hier nichts.

Verdattert lief ich in dem runden Zimmer im Kreis.

Was wurde hier gespielt?! Klar, Finn und seine Kumpels steckten dahinter, und nun war auch klar dass sie Gestaltenwandler waren. Oder etwas anderes das knurren konnte, merkwürdig harte Haut hatte und ein kleines bisschen aggressiv auf Vampire reagierte.

Mal ehrlich: viele andere Erklärungen gab es nicht.

Aber all das war mir egal. Ich war in einem Kerker, und ich kam nicht heraus.

Mir war zum Heulen zumute, würde ich hier jemals heraus kommen? War das hier schon mein Ende?

Aber nun fiel mir auf dass das alles im gewissen Sinne keine Logik ergab. Hätten sie mich tot sehen wollen hätten sie mich auch im Park töten können, oder andernfalls nachdem sich mich K.O. geschlagen hatten. Stattdessen sperrten sie mich in ein hohes steiniges Gefängnis.

Und was war eigentlich mit dieser Frau die ich fast ausgesaugt hätte? Sie hatte zu viel gesehen und eindeutig zu viel gehört. Möglicher weiße hätte ich noch als Gestörte durchgehen können aber nach Finns “Blutsauger blabla” - Rede, war nun auch für ein Stück Brot klar was ich war.

Würde sie es weiter erzählen? Oder war sie einen von denen die nie darüber reden werden und alles einfach vergessen wollten.

Oder hatten die Biker sie im Besitz?

So viele Fragen, so wenige Antworte. Wie immer also.

Ich seufzte tief und lies mich an der Steinmauer runterplumpsen. Das Fenster war zu weit oben um die Gitterstäbe niederzureißen, die Tür war stärker als der Mount Everest und ich konnte mir nicht vorstellen dass gleich jedem Moment ein geflügeltes Einhorn durch die Mauer brach und mich auf ihrem Rücken in die Freiheit flog.

“Scheiße”, flüsterte ich.

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Vier Tage drei Nächte.

 

So lange war ich schon hier. Nicht dass ich ein Smartphone oder so etwas in der Art hätte um das zu überprüfen, denn das wurde mir logischerweise abgenommen. Das Fenster lies mich durch die helle Sonneneinstrahlung und die dunkle Nacht wissen wie lang ich hier schon festsaß.

Meine Augen waren schwer, obwohl ich schon viele Stunden geschlafen hatte und ich bemühte mich irgendwie wieder ins Land der Träume zu gelangen. Einen Ort an dem ich meine Familie und Freunde sah, ein Ort an dem ich vergessen konnte das ich mitten im nirgendwo in einem Kerker verschlossen war.

Doch auch obwohl ich es mir so sehnlichst wünschte, und bei Gott ich war müde, konnte ich es nicht. Denn meine Kehle brannte so stark wie schon lange nicht mehr, sie war ausgetrocknet, staubig wie die Sahara und schmerze sehr.

Vor knapp einer Woche war mein letzter Raubzug und er müsste eigentlich für nochmal einmal so lang reichen, wäre da nicht meine kleine verwöhnte Angewohnheit alle ein-zwei Tage hinter unserem Haus nach Leckerbissen zu suchen… Dafür waren es dann meist nur Hasen oder Füchse. Oder kleine Hirsche die an einem Bach einen Schluck Wasser tranken…

Ich keuchte. Was würde ich jetzt für einen Schluck köstlichen Hirschblutes geben.

Verzweifelt und hungrig kauerte ich an der Wand in der Hoffnung das alles möge bald ein Ende haben.

Ich hatte noch immer meinen dunkelgrauen, teuren Mantel an welche ich auch an dem Tag meiner Entführung trug. Meine weiße Jeans war leicht verdreckt denn ich gab mir nicht mehr wirklich mühe sie sauber zu halten.

Plötzlich hörte ich Schritte.

Moment, Schritte? Ich lauschte genauer.

Ja, es waren definitiv Schritte! Mein Herz machte einen Sprung, vielleicht ging mein Wunsch ja doch schneller in Erfüllung als ich gehofft hatte.

Sie kamen näher und klangen wie normale Menschenschritte, allerdings viel leiser als man es von so manchen gewohnt war.

Plötzlich verstummten sie vor meiner Kerkertür, und mein Atem stockte.

Jemand holte Luft: „Bist du bereit zu reden?!“, brüllte eine sehr vertraute Stimme.

Ich schwieg einen Moment.

„Reden? Über was denn, Finn?!“, ich versuchte stark zu klingen, doch mein Stimme klang jämmerlich und leise.

Ich hörte wie er den Fuß wechselte.

„Ach, lass doch den Scheiß! Wenn dir vier Tage nicht genug sind kannst du gerne noch dreimal so lange hier festsitzen! Deine Entscheidung, Blutsauger!“

Ich holte entsetzt Luft: „Nein, bitte! Ich flehe dich an, lasst mich endlich frei! Ich sage dir was auch immer du wissen möchtest, nur bitte gebt mir etwas zu trinken!“

Er machte eine kleine Pause.

„Wer ist der Anführer eures Clans?!“

„Unseren WAS?! Welcher Clan, welcher Anführer?!“

„Ich sagte wer ist der Anführer eures Clans, Vampir?!“

„Wir haben keinen Clan! Es gibt nur mich und meine Mutter!“, krächzte ich mit meiner heiseren Stimme.

„Willst du mich verarschen? Du weißt das wir dich hier nicht rauslassen bis du irgendetwas gesagt hast, oder? Und wenn es Jahre dauern sollte!“

„JAHRE?!“

„Du solltest froh sein das wir dich nicht gleich umgebracht haben.“

Leise Schritte bewegten sich von mir fort.

„HEY!! Hey, Hey, Hey, warte! Wo willst du hin?“

„Anscheinend brauchst du noch ein paar Tage bis es dir leichter fällt zu sprechen.“

Und dann hörte ich nur noch eine schwere Tür ins Schloss fallen.

Emotionslos lies mich gegen die Wand fallen: „So ein Arsch.“

 

7 Tage 6 Nächte.

 

Ich lag am Boden und starrte gerade nach oben. Die steinerne Decke konnte sehr interessant wirken wenn man sonst nichts zu tun hatte. Oder zu essen.

Finn wäre ein netter Snack für zwischendurch und ohne ihm würde es sich auch gleich leichter leben. Ich kannte ihn gerade mal ein Woche und hatte nicht gerade viele Unterhaltungen mit ihm. Und trotzdem allem denkt er, er hätte das Recht mich irgendwo im nirgendwo fest zuhalten.

Ich verfolgte die Muster in Gedanken, formte sie zu Bildern so wie jeden Tag.

Ich schlief nicht mehr wirklich viel in letzter Zeit. Das hatte vor allem zwei Gründe:

Erstens: Der Durst und auch die damit verbundenen Schmerzen wurden immer stärker. Und zweitens: Die Träume hatten sich verändert. Ich sah nicht mehr meine Familie. Ich sah nicht mehr meine Heimat. Um genau zu sein sah ich eigentlich gar nichts Wundervolles mehr. Alles von dem ich noch zu träumen wagte war Blut.

Blut, Mord, Gewalt, Jagd und das fantastische Gefühl satt zu sein.

Und so lag ich hier. Mit leblosen Augen die nach oben blickten um noch etwas anderes zu sehen als den roten Lebenssaft der ununterbrochen in meine Gedanken schlich um mich noch etwas mehr zu zerstören.

Doch schlagartig änderte sich mein zombieähnlicher Zustand als ich wieder leises Tappen auf Steinboden hörte.

Wie ein Blitz richtete ich mich auf, meine Augen weit aufgerissen, die Sinne auf Maximum ausgefahren.

„Wie ich sehe hast du mich schon erwartet“, Finns Stimme klang erheitert, als käme er gerade von einem netten Spaziergang am See.

Ich wollte etwas sagen, doch ich wusste nicht was ich zuerst fragen sollte.

„Na, beginnst du schon innerlich zu verrotten ohne dein geliebtes Blut?“, er lachte leise.

Ich wollte einen erneuten Versuch starten bedrohlich zu wirken, doch alles was dem Raum erfüllte war das Geräusch meines zittrigen Einatmens. Es klang schon fast wie ein schluchzen!

Ich hätte mich selbst ohrfeigen können.

„Na, hast du jetzt endlich Lust etwas mit mir zu plaudern?!“, fragte er scharf, doch meine Ohren meinten einen beruhigenden Unterton war zu nehmen. Versuchte Finn mich etwa gerade ernsthaft heimlich zu trösten?!

„Ich kann dir sagen was du willst, aber ich…“ –

„Wer ist der Anführer deines Clans?!“

„Ich hab dir doch schon gesagt dass ich in keinen Clan lebe. Nur ich und meine Mutter - sonst niemand!“, sprach ich mit meiner heiseren Stimme.

Er seufzte wütend: „Bist du es nicht schon leid hier eingesperrt zu sein?!Ich dachte eine Woche würde reichen, aber anscheinend hab ich mich getäuscht!“

„Du verstehst nicht, ich möchte es dir ja gerne sagen, aber…“ –

„Hast du Angst dass dir jemand was tun könnte nachdem du den Namen ausgeplaudert hast? Dann können wir dich beruhigen denn alle aus deinem Clan werden tot sein wenn du hier rauskommst!“

„WAS?!“, schrie ich hysterisch.

Abrupt verstummten wir beide als sich langsame, schwere Schritte auf uns zu bewegten. Und obwohl ich Finn durch die dicke Tür nicht sehen konnte spürte ich wie er sich in die Richtung der Schritte drehte.

„Hast du es immer noch nicht geschafft etwas aus ihr heraus zu bekommen? Ich dachte du wärst wenigstens dieser Aufgabe gewachsen“, sprach eine tiefe Stimme und bevor Finn auch nur etwas sagen konnte folgte eine schallende Ohrfeige.

Die tiefe Stimme wirkte lauter, als hätte sich jemand in meine Richtung gedreht: „Ich schlage dir einen Deal vor. Du sagst mir wer dein Clanführer ist und im Gegenzug dazu hast du ein freies Leben für ganze 20 Jahre! 20 Jahre in völliger Freiheit, wir werden dich weder jagen, noch verfolgen. Du wirst unsere Anwesenheit nicht einmal bemerken, solange du dich an die Spielregeln hältst. Bedenke dass dieses wertvolle Geschenk nur sehr wenige erhalten. Na, Was sagst du dazu?“

Ein wertvolles Geschenk? Was zur Hölle führte dieser Kerl sonst mit uns Vampire auf? Und 20 Jahre? Das ist doch gar nichts im Vergleich zu einem Leben in völliger Ewigkeit!

„Auf keinem Fall! Lieber sterbe ich!“, schrie ich durch die Beton-Tür hindurch und bemerkte keine hundertstel-Sekunde später was für einen riesen Mist ich da gerade gesagt habe.

„Du hast es nicht anders gewollt“, kam von der tiefen Stimme und plötzlich hörte ich so etwas wie ein Schloss das gerade geöffnet wurde.

Meine Stimme versagte als ich sprach: „Oh, verdammt…“

Mit einem heftigen Schwung öffnete sich die riesige Tür und vor mir standen Finn und ein etwas älterer, kräftiger Herr – beide mit ernstem Ausdruck in ihren Gesichtern.

Mein Vampirgehirn überlegte einen Moment ob ich nicht einfach die Flucht ergreifen und einfach das tun sollte wonach alle meine Sinne schrien. Aber dann sah ich nur noch ein spitzes Messer das auf mich zuraste.

Und wieder wurde es Schwarz.

 

„Oh, Gott…Aua…“, hörte ich mich selbst sagen. Meine Worte schallten wie ein Echo in meinem Kopf wieder.

Mit geschlossenen Augen tastete meine Hand nach der schmerzenden Stelle am Bauch. Meine kalten Finger spürten eine warme Flüssigkeit.

„Hm…“, dachte ich total berieselt: „Ich hab schon lange nicht mehr geblutet. Ich dachte Vampire heilen zu schnell um zu bluten“. Ich lachte total belämmert herum.

Doch langsam wachte mein Gehirn auf, und als ich realisierte was ich da gerade herausgefunden habe ries ich sofort meine Augen auf und blickte auf den großen roten Fleck welcher über den ganzen Mantel verseht war.

„Was um alles in der Welt…?!“, ich erkannte warum meine Haut nicht schon längst wieder ganz war: Sie konnte nicht. Denn durch mich hindurch steckte ein 60 cm langer Silberpfeil. Feinsäuberlich vom Bauch durch meinen Körper und durch den Rücken durchgestochen.

Wäre ich nicht gerade niedergestochen worden hätte ich vermutlich einen hysterischen Anfall bekommen.

„I-I-Ich… Was…?“, flüsterte ich.

„Du weißt was wir wissen wollen also sprich endlich!“, die tiefe Stimme war wieder da.

„Ich kann nicht…“, seufzte ich verzweifelt.

Ich hörte wie jemand einen Schritt auf mich zumache und eine scharfe Klinge an meinem Arm ansetzte.

„Nein…“, ich schüttelte verdattert den Kopf, konnte nicht glauben was der Mann jetzt vorhatte. Doch er tat es.

Langsam und ohne jede Scheu schnitte er mir der Länge nach den Arm auf, und viel rotes Wasser rannte über den Boden. Er drückte immer fester auf und die Bilder verschwammen vor meinen Augen.

Meine eigenen Schreie konnte ich nicht mehr hören.

Doch der große Mann hatte seinen Spaß: „Na, hat dir das Gefallen? Davon wirst du noch mehr bekommen, Liebes.“

 

Noch lange, qualvolle Stunden wurde ich auf tiefste gefoltert und gedemütigt.

Mir wurden Kugeln in den Kopf geschossen, die Arme und Beine aufgeschlitzt und meine Gelenke gebrochen. Nur um sie verheilen zu lassen und wieder von vorne zu beginnen. Von dem Pfeil in meinem Bauch mal ganz abzusehen.

Es war eine lange Zeit voller Qualen und Schmerzen. Eine Zeit ohne Anfang und Ende. Und trotz allem veränderte sich die Lage dramatisch als ich von weit her Finns Stimme zu hören glaubte.

„…nicht sterben lassen. Tot bringt sie uns auch nichts!“, waren seine Worte.

„Halt den Mund, Junge! Oder willst du etwa ein jämmerlich Versager werden?“, sprach die tiefe Stimme von der ich langsam echt die Nase voll hatte.

„Aber Dad!“, jammerte Finn.

WAS?! Dieser irre, durchgedrehte Typ war allen Ernstes sein VATER?! Naja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!

„Nichts, aber! Hier hast du, und jetzt zeig mal was du so von deinem alten Herren gelernt hast!“

Ich blinzelte und sah Finn auf mich zukommen. Er hatte dasselbe Blutüberströmte Messer das auch vorhin in meine Arm gesteckt hatte.

Eine Träne rannte über meine Wange, als wäre ich enttäuscht – über was auch immer.

Meine Stimme war nichts mehr außer einem leisen Flüstern. „Finn, bitte nicht… Bitte…“, ich holte schwer Luft: „hört auf damit. Ich kann nicht mehr…“

Etwas in seinen Augen veränderte sich als ich das sagte. Er stand auf, lies das Messer fallen und ging ohne ein Wort weg.

Ich hätte mit allem gerechnet – aber ganz sicher nicht mit dem.

So ging es anscheinend auch seinen Vater, welcher seinem Sohn mit einem Schritt auf den Fersen war, ihm umdrehte und ihm einen harten Schlag ins Gesicht gab.

Wenn so die Erziehung bei Gestaltenwandlern abläuft wundert es mich nicht dass dabei solche Leute wie Finn heraus kommen.

Erschöpft lies ich mich auf die Seite fallen und bemerkte das erste Mal dass ich irgendwann angekettet worden sein musste. Meine Arme hingen lose nach oben und dicke Metallketten waren um meine Handgelenkte und an der Mauer festgemacht.

Aber das interessierte mich nicht. Ich wollte nach Hause, weg von all dem Leid und zurück zu meiner Mutter. Wie es ihr wohl geht? Wo hat sie schon überall nach mir gesucht? Würde sie mich jemals finden?

 

Auch in dieser Nacht konnte ich vor lauter Durst nicht schlafen. Ich hing einfach nur träge an diesen doofen Ketten und starrte ins nichts. Mehr und mehr konnte ich nicht mehr klar denken, und ich hatte ernsthaft den Verdacht drauf und dran zu sein verrückt zu werden.

Was meine beste Freundin Miranda wohl jetzt sagen würde? Wahrscheinlich so etwas wie dass dieser Steinboden ja so was von out ist, und Finn und seine Hunde diesen Schuppen mal etwas renovieren könnten.

Ach, ja…Finn… Ich wusste wirklich nicht mehr was ich von ihm halten sollte. Er war ungerecht, schrie mich an und hatte mich in einen Kerker gesperrt. Aber zu all dem negativen hat er einen Schlag ins Gesicht für meine Gesundheit hingenommen. Anscheinend besitz er doch noch so etwas wie Mitgefühl. Womöglich hat er auch schon genug von diesem ganzen Folter-Kram.

An den Gedanken was mir noch blühen konnte hätten mir Tränen kommen müssen aber weinen konnte ich nicht mehr. Dafür war ich einfach zu fertig und erledigt.

So fertig, dass ich nicht einmal die lauten Türen hörte die auf und zu geschlagen wurden.

Ein kleiner Luftzug brachte diesen Geruch von frischem Wald mit der mir seltsam bekannt vorkam.

Ich hob meinen schweren Kopf um nach rechts zu blicken und wem sah ich da? War ja klar.

„Wieso musst du immer in den bescheuertsten Situationen aufkreuzen, Finn? Das nervt langsam…“, mit einem Seufzer ließ ich meinen Kopf wieder nach unten fallen.

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 17.11.2011

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