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Hass bis zur Klinge


Lara ist 15, schlank, nicht sehr groß und hat durchgestuftes, langes, dunkles Haar. Auf den ersten Blick meint man, sie strotzt vor Selbstbewusstsein. Ihr breites, fröhliches, aufgesetztes Lächeln lässt sie aussehen, wie ein normaler, glücklicher Teenager, der einfach nur seine Jugend genießt. Doch tief in ihren großen braunen Augen, hinter dem Schein aus Glück, sieht man, dass das Lächeln nicht echt sondern vielmehr erzwungen ist. Sie lächelt. Sie lächelt, weil leichter ist zu lächeln, als echte Gefühle zu zeigen. Gefühle… ein Wort das Laura mehr hasst als alles Andere.

Lara, die eigentlich Laurana McCartney heißt, wurde im Sommer 1996 in einem kleinen Vorort von Brookline geboren, wo sie dann auch aufwuchs. Ihre Kindheit war eigentlich unbeschwert. EINGENTLICH.. Denn auch damals hatte Lara es nicht immer leicht. Sie hatte immer mit sich selbst zu kämpfen.
Laurana hat noch einen Bruder Tom, der 3 Jahre älter ist als sie. Ihre Eltern führten damals eine glückliche Ehe. Doch Lara hatte schon im Kindesalter oft das Gefühl, dass Ihre Eltern ihren Bruder bevorzugen und sie oft erst an zweiter Stelle kommt. Sie fühlte sich wie das schwarze Schaf in der Familie und war immer der Sündenbock. Doch Lara hatte eine Person, die sie über alles und jeden liebte. Ihr Großvater. Bald schon fühlte sich die damals 5 Jährige mehr zu ihrem Großvater hinzugezogen. Jeden Tag und jede freie Minute verbrachte das Mädchen mit ihm, denn er gab ihr das, was sie von ihren Eltern manchmal so vermisste. Die Liebe und die Zuneigung. Sie war glücklich und dankbar für jeden Tag, den sie mit ihm verbringen durfte. Er lernte ihr viele Dinge. Jeder Tag war ein Erlebnis. Ob es ums Überleben im Wald ging, oder Zuhause ums Kartenspielen. Alles war für Lara ein Geschenk.
Dadurch verstand sich das Mädchen auch mit ihren Eltern einigermaßen gut, weil sie einfach so unendlich glücklich war, dass sie jemanden zum lieben hatte. Trotzdem hatte sie nie so eine gute Beziehung zu ihren Eltern , wie es normal sein sollte, auch wenn die immer sagen, sie lieben Lara genauso wie Tom.
Für Lara war das jedoch gelogen, denn sie wusste genau, dass es nicht so war. Sie beschäftigte sie in der ganzen Kindheit schon viel mit Themen wie Lieben, Hass und Gefühle. Oft saß sie nachdenkend in ihrem kleinen, aber liebevoll eingerichtetem Zimmer.
Doch alles in einem war ihre Kindheit unbeschwert und für Lara ein volles Erlebnis. Das war zumindest so, bis sie 11 war.
Ihr Großvater war mittlerweile 82 und gesundheitlich nicht mehr top fit. Doch im Sommer 2007 nahm das Schicksal langsam aber sicher seinen Lauf. Großvater wurde schwer krank. Zuerst kam Nierenversagen, dann Organschäden. Lara versuchte jede freie Minute bei ihm zu sein. Oft fuhr sie gleich nach der Schule ins Krankenhaus. Ihre Noten in der Schule sanken ab. Doch Lara war das in diesen Monaten völlig egal. Auch ihre Mutter war sehr mitgenommen von der Krankheit des Großvaters. Lara wurde von ihrer Mutter erklärt, dass Opa nicht mehr wieder gesund werden würde.
Doch die 11-Jährige wollte ihrem Großvater das zurück geben, was er ihr jahrelang gegeben hat – Die Liebe und Geborgenheit. Sie saß jeden Tag an seinem Bett und erzählte ihm von den Erlebnissen, die sie zusammen durchlebt haben auch wenn er dies nicht mehr mitbekam, weil er im Koma lag. –
„Opa, weißt du noch?? Ich war gerade mal 8. Weißt schon, der Ausflug in deinen Wald. Ach ich liebe deinen Wald. Wir haben doch auf dieser einen Lichtung da Picknick gemacht. Ach Opa, wie schön wäre es, wenn wir nochmal da hin wandern könnten. Nur noch einmal mit dir Opa,..“ Langsam kullerten ihr die Tränen übers Gesicht. Wie ein Häufchen Elend saß sie mit dem grünen Kittel auf dem Stuhl in dem Intensivstationszimmer. Sie hielt seine Hand fest an sich gedrückt. Sie schluchzte. Plötzlich fühlte sie eine Hand von hinten auf ihrer Schulter. Eine ruhige Stimme sagte: „ Laurana, es ist schön, wenn du deinem Opa so viel erzählst, sicher hört er das, aber du brauchst eine Pause, du siehst aus, als hättest du schon eine Ewigkeit nichts mehr gegessen..“ Als sie sich umdrehte sah sie, dass es die Krankenschwester war.
Die Krankenschwester hatte recht, tatsächlich saß Lara da schon mehrere Stunden. In den letzten Wochen hatte sie extrem abgenommen.

Eines Mittwochnachmittags, es muss der 10.10.2007 gewesen sein, saß Lara wieder einmal an seinem Bett, redete und redete. Auf einmal stand ihre Mutter hinter ihr:
„Lara-Mäuschen, du musst mal wieder schlafen, du kannst nicht nur an seinem Bett sitzen, du bist stark und wir schaffen das, komm jetzt bitte mit“.
Sanft küsste ihre Mom Laras Stirn. Lara gab ihrem Großvater noch einen Kuss auf die Hand und wendete ihm den Rücken zu. Doch als die beiden aus dem Zimmer gegangen sind, kam Ihnen der Chefarzt entgegen. Er wöllte mit Mrs McCartney sprechen und bat Lara vor dem Besprechungszimmer zu warten. Doch Lara fiel im Traum nicht ein zu warten und ging mit den Worten:
„Es ist mein Großvater, den ich sehr liebe. Ich will wissen, wie es um ihn steht und ich habe das Recht dazu“ mit ins Besprechungszimmer.
Ohne Widerworte durfte die 11-Jährige mit gehen. Mitten im Gespräch stürzte eine Krankenschwester ins Zimmer. In ihren Augen konnte man das Entsetzen sehen.
„Bitte kommen Sie schnell Mrs McCartney, er ist gerade vom Koma aufgewacht“.
Als ging es um ihr eigenes Leben, lief Lara durch die ganze Intensivstation, zog sich einen übergroßen Kittel an und stürmte in das Zimmer, wo ihr Großvater lag. Tatsächlich hatte er die Augen offen. Keiner hielt es für möglich, dass er doch noch einmal seine Augen öffnen und deutlich verständlich reden könne. Lara sah in an…. Er lächelte…. Sie auch. Mit rauer und stotternder Stimme sagte er ganz leise:
„Laurana,… ich weiß, du .. du saßt die letzten Wochen … an meinem Bett. … Ich…ich habe es gehört…
Ich bin dir.. dir so dankbar… ich liebe … dich“. Lara fing an zu lächeln. :
„Opa, das ist doch klar, was du alles für mich getan hast, wie du mich aufgezogen hast….“ Ihr Großvater unterbrach sie, hob den Arm und legte ihn auf Laras Lippen. : „Mäuschen,..pssss… es… es ist zu Ende…meine Kraft.. sie ist zu ende.. sei nicht traurig.. ich bin nochmal aufgewacht.. um dir zu sagen.. sei nicht traurig… ich … bin…immer… bei dir… auch wenn du mich…nicht…siehst… - ich bin … da.“.
Plötzlich schloss er die Augen. Seine Stimme war aus. Das Überwachungsgerät mit der Pulsanzeige stand auf null
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Lara begriff, was passiert ist. Alles war still. Ihre Mutter stand hinter ihr und flüsterte:
„Laurana, du musst jetzt ein starkes 11-jähriges Mädchen sein“.
Lara begann zu weinen, sie berührte ihren Großvater im Gesicht, an den Armen. Sie schrie:
„BITTE NICHT!!!!, MAMA SAG DAS ER NICHT TOT IST…BITTE“.
Sie weinte.
„Mrs McCarntey, es wäre besser, wenn sie ihre Tochter jetzt von ihm entfernen, sie bricht noch zusammen“, flüsterte der Chefarzt ihr ins Ohr.
„Laurana bitte komm jetzt“.
„NEINNNNN,…“ schrie sie und brach vor dem Krankenbett auf dem Boden zusammen. Schnell eilten die Ärzte zur ihr und richteten sie wieder auf.

Als sie abends in ihrem Bett lag, kamen wieder Erinnerungen; und damit auch die Tränen. Sie zweifelte an der Zukunft. Irgendwas änderte sich schlagartig. Er fehlte ihr. Sie wusste nicht, wie sie das aushalten solle. Unter Tränen und völlig erschöpft schlief sie spät nachts ein.
Sie war doch erst 11. Hatte das ganze Leben vor sich.

---------------Wochen vergingen--------------------

Sie ging ganz normal zur Schule, ihre Mom und ihr Dad ganz normal in die Arbeit. Ihr Bruder, der zu dieser Zeit 14 war, versuchte Lara immer wieder ein zu reden, dass Opa es nicht wolle, dass sie traurig ist.
Mit ihrer Mutter redete Lara nicht viel über den Tod, sie verdrang es und beantwortete die Fragen von Lara zum Tod nur mit den Worten:
„Laurana, was soll das, er ist tot, das heißt er kommt nicht wieder, was musst du da so dumm fragen?“.
Für Lara war dies unverständlich. Sie ging zu ihrem Dad, der wollte mit ihr jedoch auch nicht mehr darüber reden.
Sie versuchte, damit zurecht zu kommen, dass er nun weg ist und sie keinen mehr hatte. Ja, Lara hatte keinen mehr, der ihr offen diese Liebe schenkt. Fast jeden Tag ging sie in den Wald, in dem sie mit ihrem Großvater so oft war und den nun ihre Eltern von ihrem Großvater geerbt haben.

Mittlerweile war es November und damit kam der Winter. Es wurde im Wald dunkel und kalt. „Laurana, ich verbiete dir nun weiter in den Wald zu gehen, es ist sehr gefährlich allein dort zu sein“. Das Mädchen verstand das nicht. Noch ein paar Mal ging sie unerlaubt an die Stelle im Wald, wo der kleine Bach in den Waldsee lief. Dort hatte sie immer mit ihrem Großvater ein Böötchen aus Blätter gebaut und von dem Bach bis in den See verfolgt. Es war Laras Lieblingsstelle.
Eines Nachmittags im Dezember sagte Lara:
„Mom? Kann ich zu einer Freundin?“
„Ja, aber bitte sei zum Abendessen wieder da“. Schon fast draußen schrie sie:
„Klar Mama bin wieder da bis zum Abendessen“.
Draußen war es kalt und es lag über einen Meter Schnee. Warm angezogen stiefelte Lara durch das Schneegestöber. Sie ging zu keiner Freundin, sie ging in den Wald.
Angekommen am zugefrorenen See im Wald, saß sie sich ans Ufer und starrte auf die Eisschollen. Lara war schon immer sehr schlank und leicht. Also dachte sie sich:
„Die Eisschollen tragen mich bestimmt“.
Sie stand auf und trat mit einem Bein vorsichtig auf die Eisplatten, denn ganz war der See noch nicht zugefroren. Mutig hüpfte sie von einer Scholle zur nächsten.
Sie blieb stehen und sah auf ihre kleine, goldene Armbanduhr. 18:28Uhr. Um 18:00 Uhr sollte sie eigentlich zu Hause sein. Schnell wollte sie wieder ans Ufer. Doch in der Hektik trat sie neben die Eisplatte und stürzte in das um den Gefrierpunkt kalte Wasser.
Voller Panik versuchte sie ans Ufer zu schwimmen, doch sie kam nicht an der großen Eisscholle vorbei. Schreiend und kreischend flehte sie um Hilfe. Doch um diese Uhrzeit im Winter war keiner im Wald. Plötzlich sah Lara ihre Mom am Ufer. Sie machten sich Sorgen, da Lara immer überpünktlich zu Hause war und als sie bei ihrer Freundin anriefen, erzählte diese, dass Lara heute nicht bei ihr gewesen sei:
„Laurana halt durch Papa kommt gleich!“.

Zuhause angekommen, schrie Laras Mutter Lara an:
„Du Miststück, du warst bei keiner Freundin, ich hab dir vertraut, und du? Ich hab dir verboten in den Wald zu gehen, interessiert dich das eigentlich? Du hättest tot sein können wolltest du das?“.
Lara antwortete nicht.
„Laurana ich rede mit dir!“.
Plötzlich stand auch Laras Vater dabei.
„Mensch, jetzt lass doch Laurana mal in Ruhe, sie hats doch auch schwer ohne Opa. Hack doch nicht immer auf ihr rum“.
Lara sah auf und grinste ihren Vater an.
Sie murmelte leise:
„Danke Dad“.
Das war für Laras Mutter das aller Letzte. Sie zog auf und verpasste Lara eine Ohrfeige.
„Du kleines Biest, du gehst nirgendwo mehr hin“.
Die darauf folgenden Wochen ging Lara nicht mehr unbeaufsichtigt aus dem Haus außer zur Schule.

Wochen und Monate vergingen. Lara versuchte ihren Eltern alles recht zu machen, strengte sich in der Schule an und wurde wieder besser. Auch ging sie nicht mehr in den Wald. Mittlerweile war sie 13. Die Trauer um den Tod ihres Großvaters war weg; oder einfach nur unterdrückt. Sie zeigte niemandem, dass sie in Wirklichkeit tief bedrückt ist von dem lieblosen Umgang zu Hause, dem Verlust ihres Großvaters und den ständigen Selbstzweiflungen. Lara hatte viele Freunde, doch auch die wussten nicht was in Lara vorging. Sie schien immer glücklich zu sein, obwohl sie es nicht war. Oft versuchte sie einfach alles zu verdrängen. Das gelang ihr meistens, wenn sie unterwegs mit ihren besten Freundinnen war und sie für ein paar Stunden alles vergessen konnte.
Eines Nachmittags im Sommer saß sie auf der Fensterbank in ihrem Zimmer und starrte nach draußen. Auf einmal klopfte es an der Tür und riss Lara aus ihren Träumen:
„Herein!“ murmelte Lara.
„Hey, kann ich mich ein bisschen zu dir setzten?“, es war ihr Bruder Tom. Er ist mittlerweile 16 und immer noch der Sonnenschein der Eltern. Lara antwortete:
„Wenns sein muss..“.
„Ja Schwersterherz, muss sein“.
„Was willst du? Kommst doch sonst auch nie“. Lara liebte ihren Bruder eigentlich trotz der ungerechten Behandlung sehr.
„Lara, ich mache mir Sorgen, du bist ständig traurig“.
„Danke Broth aber mir geht’s gut. Ich denke nur gerne nach und beobachte von meinem Zimmer aus die Natur“, log sie ihn an.
„Haltest du mich für blöd?“
„Nein man, du verstehst es doch eh nicht“.
„Dann erklär es mir Lara! Es ist wegen Mom oder?“
„Ja, Tom, ja“, sagte sie mit leiser Stimme.
„Komm die hat dich doch genauso lieb wie mich“.
Langsam und unsicher kam er immer näher zu Lara hin. Vorsichtig und nicht sicher ob er es tun sollte, umarmte er Lara. Er flüsterte ihr mit ruhiger Stimme ins Ohr: „Lara, du bist die beste Schwester, ich liebe dich“. Lara zeigte keine Reaktion. Tom ließ sie los und ging mit den Worten: „Ich lass dich mal wieder allein“ aus ihrem Zimmer. Für die 13-Jährige war es ein komisches Gefühl zu hören, dass sie jemand lieb hat. Sie hörte es seit dem Tod ihres Großvaters nur dann, wenn sie sich mit ihrer Mom stritt. Nur dann kam manchmal ihr Vater zu ihr um ihr zu sagen, dass Mutter es nicht so meint und er sie über alles liebt. Noch lange saß Lara am Fenster und dachte über diese Worte nach…
Plötzlich verspürte Lara den Drang, einfach mal wieder raus zu gehen, auf den Friedhof und in den Wald. Sie ging ins Wohnzimmer zu ihrem Vater, denn ihre Mutter war gerade in der Arbeit.
„Dad, kann ich raus gehen? Bitte!“
„Wohin willst du?“
„Keine Ahnung, ein bisschen spazieren gehen“
„Laurana, du weißt deine Mom hat es nicht gerne, wenn du weg gehst und wir nicht wissen wohin du willst“.
„Ach bitte Dad, ich komme wieder bevor Mama da ist, versprochen“
„Ok süße ab mit dir bis später“

Schnell rannte sie nach draußen und fuhr mit dem Fahrrad los.
Wenig später stand Lara vor dem Grab ihres Großvaters. Seit seinem Tod war sie nur noch wenige Male auf dem Friedhof, weil sie Angst hatte, dass wieder alte Erinnerungen hochkommen, die sie bisher gut verdrängt hatte.
Doch als sie dann dort stand, war es für Lara ein gutes Gefühl, sie fühlte sich wieder näher bei ihm. Lächelnd redete sie vor sich hin, erzählte und erzählte. Sie saß so lange dort, dass sie es nicht mal mehr in den Wald schaffte. Sie nahm ihr Fahrrad und machte sich wieder auf den Heimweg. Lara wollte nicht, dass sich ihr Vater wegen ihr mit Mom streitet. Gerade noch rechtzeitig hetzte sie ins Haus. „Dadyy bin wieder daaa!“ schrie Lara laut. „Supii Mäuschen“ kam ihr aus dem Wohnzimmer entgegen. Lara fühlte sich glücklich. Glücklich und zufrieden.

Die darauf folgenden Monaten waren für Lara angenehm. Erst der Winter dann der Frühling. In der Schule war sie wieder gut, ihre Freunde waren immer für sie da und mit ihrer Mom verstand sie sich auch einigermaßen gut. Doch als alles so perfekt schien, musste Lara wieder fühlen, wie es ist enttäuscht und allein gelassen zu werden.
Lara war mittlerweile 14 als für sie das Leben noch einmal zur Hölle wurde.

Es war ein warmer Frühlingstag im April. Nach der Schule als Lara gerade mit den Hausaufgaben beschäftigt war, kam ihre Mutter von der Arbeit und bat Lara nach unten in die Küche.
Völlig genervt schrie ihre Mutter sie an:
„Laurana, warum hast du nicht auf geräumt? Nicht die Wäsche gewaschen? Nicht geputzt? Ich hatte dir Aufgaben gegeben, du kannst auch mal was machen!“.
Mit ängstlicher Stimme sagte Lara: „Mom, ich bin vor einer halben Stunde erst von der Schule heim gekommen, ich wollte erst meine schulischen Dinge erledigen“.
„Spar dir deine faulen Ausreden, ich bin es so Leid, dir nur hinterher zu räumen.. ich will dich heute nicht mehr sehen, geh sofort in dein Zimmer“.
Ohne Widerworte ging die 15-Jährige traurig in ihr Zimmer, saß sich wieder an die Schularbeiten. Lara hatte genaue Pläne von ihrer Zukunft, sie wollte später aufs College und dann Medizin studieren und irgendwann weg von Brookline, weg von Amerika. Sie wollte ein Krankenhaus in Afrika bauen. Den restlichen Nachmittag dachte sie viel über ihre Zukunftspläne nach. Am Abend tat sie dann das, was sie immer tat, wenn sie sich mit ihrer Mom gestritten hatte. Sie ging nach unten ins Wohnzimmer und entschuldigte sich für ihr angebliches „Fehlverhalten“.

Nun machte Lara wieder eine Zeit lang alles, was sie tun sollte. Sie kochte, putzte und schmiss den kompletten Haushalt, obwohl ihre Mutter nur halbtags arbeitete und jeden Tag mittags von der Arbeit nach Hause kam.
Eines Mittag kam Laras Mom ganz begeistert nach Hause:
„Laurana-Mäuschen!! Ich habe eine zweite Arbeitsstelle, hab heute den Vertrag unterschrieben“
„Mom, ist jetzt nicht dein Ernst oder?“
„Natürlich, ist doch toll“
„Weiß das Dad?“ fragte Lara vorsichtig
„Na klar!“
„Aha, und wie lange musst du dann arbeiten?“
„Also da muss ich dann Montag- und Dienstagnachmittag arbeiten, aber das ist direkt im Ort“

Nach einigen Wochen jedoch stellte sich heraus, dass Ihre Mom mehr arbeiten musste, als zu Beginn angenommen. Völlig erschöpft und genervt kam sie spät abends nach Hause.
„Mom?? Auch mal da? Das ist aber schön!“ sagte Lara mit ernster Miene.
„Laurana bitte nerv mich jetzt nicht, ich war noch kurz bei Tom“
„Tom ist doch im Fußballtraining Mom“
„Ja eben du Dummerchen, ich hab ihm zugesehen“ entgegnete Sie mit schroffer Stimme.
Lara wurde immer wütender und sagte mit einer etwas härteren und lauteren Stimme:
„Ey Mom, ganz ehrlich, der ist 17, wie peinlich isn das bitte? Du siehst im beim Fußball zu anstatt mal heim zu kommen. Du kümmerst dich nen Scheißdreck um mich, immer heißt es nur Tom hier Tom da. Arbeit Arbeit Arbeit.“
„Jetzt halt mal die Luft an Laurana“, schrie ihre Mutter, „ich habe immer alles für dich getan, du bist nur eifersüchtig, dein Bruder schafft im Leben mehr wie du, du schaffst nichts“
Voller Entsetzten schrie Lara: „Und du bist die bescheuertste Mutter die es gibt!!!“.
Das war eindeutig zu viel. Wutentbrannt lief Laras Mom aus dem Haus.
Wieder einmal sollte sich Lara für alles entschuldigen. Doch dieses Mal fiel es ihr nicht im Geringesten ein, dies zu tun. Wie ein kleines hilfloses Mädchen stand die 14-Jährige in der Küche und fing an zu weinen. Einige Minuten später kam ihr Vater von der Schichtarbeit heim.
„Laurana-Mäuschen ich bin da! Wo ist Mutter?“
Lara lief nach unten: „Dady, ich.. ich hab mit Mom gestritten, wegen der Arbeit und..“
Ihr Vater unterbrach sie: „Laurana, langsam was ist denn passiert?“
„Sie ist weg, ich weiß nicht wo hin, sie hat mich angeschrien und ich sie und dann ist sie mit dem Auto weg“.
„Und wo ist Tom?“
„Bei seiner Freundin“ antwortete sie.
Noch ehe die Beiden Zeit zum Überlegen haben, was sie nun tun sollen, klingelte das Telefon:
Lara lief zum Hörer: „Laurana McCartney hier?!“
Eine dunkele Stimme meldete sich am Ende der Leitung:
„Hallo Laurana, bist du die Tochter von Rosalie McCartney?“
„Ja das bin ich, wer sind sie?“
„Ich bin vom Hospital St. Georiga“
„Ach Gott ist was passiert? Ist was mit Mom?“ schrie Lara in den Hörer.
„Deine Mutter hatte einen Autounfall“
„Oh mein Gott, wo ist sie jetzt, was fehlt ihr? Wir kommen!“
„Langsam Laurana, deine Mutter ist viel zu schnell gefahren und dann im Wald gegen einen Baum geprallt. Doch heute noch kommen macht heute keinen Sinn mehr, sie liegt im Koma, wir wissen noch nichts genaues, bis du und dein Vater hier wären, wäre es sehr spät und ich gehe mal davon aus, dass du morgen ganz normal in die Schule musst. Gib mit bitte mal deinen Vater“.
Den Schrecken ins Gesicht geschrieben gab Lara den Hörer an ihren Vater: „Hier Dad, einer vom Krankenhaus, Mom hatte einen Unfall“.

Am darauf folgenden Tag, holte Laras Vater sie von der Schule ab und sie fuhren in das Hospital.
Dort angekommen wartete schon der Chefarzt auf sie. Lara wusste sofort, wer dieser Mann, der gerade gegenüber von ihr stand war. Es war genau der Arzt, den sie noch so gut von der Zeit kannte, als ihr Großvater in dem Hospital war, kurz bevor er starb.
Nach kurzem Zögern bat er Lara und ihren Vater ins Besprechungszimmer. Doch Lara wollte zuerst zur ihrer Mutter: „Ich will zuerst zu Mom, und zwar sofort“.
„Haha Laurana, du hast dich überhaupt nicht verändert“, schmunzelte der Chefarzt, „immer noch so stur wie damals“. Er zwinkerte ihr zu und erzählte ihr auf dem Weg zur Intensivstation noch, dass ihre Mutter ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma hat, sich den rechten Arm und 2 Rippen gebrochen hat und dass sie letzte Nacht noch operiert wurde und nun aber wach ist.
Lara musste schmunzeln als sie im Vorraum feststellte, dass ihr der grüne Hygenekittel immer noch zu groß war. Nicht ganz sicher, wie ihre Mutter nach dem Streit und dann dem Unfall reagieren würde, trat sie vorsichtig in den Raum. Mit offenen Augen und einem Gesichtsausdruck, dass Lara das Lachen verging, murmelte sie: „Dass du dich überhaupt hier her traust. Schau, was du angerichtet hast“. Sofort kamen Lara die Tränen.
Als dann ihr Vater kam, sagte sie leise: „Was haben wir aus unserer Tochter gemacht, sie ist schuld“. Weinend und völlig verzweifelt rannte Lara aus dem Zimmer, vorbei am Chefarzt und den restlichen Schwestern. Sie rannte und rannte. Raus aus dem Hospital. In den Krankenhauspark. Dort brach sie völlig aufgelöst in sich zusammen. Wenige Sekunden später, eilten ihr Vater und der Chefarzt ihr hinterher. „Laurana!!!“, schrien beide gleichzeitig. Doch Lara konnte nicht aufstehen. Sie hatte keine Kraft mehr. Leise winselte sie vor sich hin:
„Ich bin an allem schuld“.
„Laurana-Mäuschen, bitte du bist an nichts schuld. Mami hat viel Stress zur Zeit. Sie meint das alles nicht so“, flüsterte ihr Vater liebevoll.
Vorsichtig richtete er Lara auf und sah sie an. Dann fuhren sie nach Hause.

Lara sah immer noch sehr verstört aus und sprach auf der Heimfahrt kein einziges Wort. Zuhause angekommen, lief sie sofort in ihr Zimmer und schloss sich ein. Ihr Vater schrie ihr noch hinterher: „Laurana ich mach uns was leckeres zu essen“. Doch Lara war nicht nach essen und schrie, dass sie keinen Hunger habe und jetzt nichts essen wolle.
Mit verheulten Augen saß sie sich auf ihr großes Himmelbett und starrte gegen die Wand. In Gedanken war sie immer noch in das vertieft, was ihre Mutter vorhin im Hospital gesagt hatte. Leise flüsterte sich vor sich hin: „Ich bin an allem schuld, ich bin so ein kleines Miststück, hätte ich einfach gemacht, was Mom gesagt hat, wäre sie jetzt nicht verletzt. Ich hasse mich“. Langsam liefen ihr wieder die Tränen über die Wangen. Doch rasch wurde sie aus ihren tiefen Gedanken gerissen, als es an der Tür klopfte und ihr Vater im Flur stand: „Laurana, ich muss nochmal in die Arbeit, könnte später werden, geh bitte nicht zu spät ins Bett, hab dich lieb bis morgen und mach dir keine Gedanken mehr über Mom“. Leise aber doch verständlich winselte Lara: „Ja Dad, ich dich auch bis morgen“.
Einige Minuten blieb Lara noch auf ihrem Bett sitzen. Sie fing wieder zu Weinen an, denn die Gedanken lassen sie einfach nicht mehr los. Sie wollte einfach nur noch fühlen, dass sie nicht immer funktionieren musste, dass sie noch lebe. Also stand sie auf, ging aus ihrem Zimmer in das Badezimmer. Wie ferngesteuert sah sie ihren Rasierer an, der da am Waschbecken lag. Ohne lange zu zögern griff sie nach ihm. Mit starrem Blick sah sie die Klingen an. Kraftlos begann sie zu weinen und viel zu Boden, hatte keine klaren Gedanken mehr. Wieder überkamen sie die Worte ihrer Mutter: „….Schau, was du angerichtet hast…du bist schuld..“ Lara fing lauter zu Weinen an. Ihr Atem wurde lauter. Kürzer. Heftiger. Sie wollte einfach nur noch diesen unerträglichen Schmerz, diese Wut und den Hass, der sich über die vielen Monate ansammelten herausreißen. Schluchzend und immer mit den Worten ihrer Mutter im Kopf: „schau was du angerichtet hast,… du bist schuld..“, brach sie die Klingen heraus. Sie fühlte das kalte Metall zwischen ihren Fingern, es fühlte sich schön und richtig an. Sie riss ihren Kapuzenpulli runter und hatte nur noch einen Gedanken – sie wollte irgendwie den Schmerz herausschneiden. Wie in Trance setzte Lara die kühlende Klinge an ihre blasse Haut am linken Unterarm an. Sie spürte nur kurz einen stechenden Schmerz, dann sah sie, wie erst einer, dann zwei drei, dann immer mehr Bluttropfen an ihrem Arm herunterliefen.
--Sie fühlte sich so unendlich erleichtert—
Der körperlich Schmerz überdeckte den innerlichen, seelischen Schmerz komplett. Wie high schnitt sich wieder und wieder. Lara hatte das Gefühl, damit alles retten zu können.-----
Dann stand sie auf und sah in den Spiegel. Ihre Wimperntusche war über das ganze Gesicht verschmiert, starre, verwirrte Augen. Plötzlich merkte Lara, was sie angerichtet hatte. Sie ließ die Klingen fallen und blickte auf ihre Arme, dann an sich selbst nach unten zum Boden. Alles war Blutverschmiert. Sie fing an zu schreien, drückte die Faust in den Mund. Biss auf die Hand. Schrie weiter. Plötzlich war sie völlig müde und erschöpft und brach in einem leisen Wimmern wieder zu Boden. Immer noch bluteten die Wunden sehr stark. Lara jedoch empfand dieses Blut als leuchtende, rote Schönheit. Sie spürte, dass mit dem Blut auch der Frust aus ihrem Körper lief.- Das meinte sie zumindest.
Nach ein paar Minuten, schrak sie hoch, riss die Handtücher vom Haltern und band sie um ihren Arm. In ihrem Kopf hatte sie nur den Gedanken: „ Oh Gott, was habe ich getan??“, plötzlich war sie wieder hellwach. Endlich spürte sie, dass das Bluten nachließ. Sie dachte nach, über ihr bisheriges Leben. Hatte ihr Großvater ihr nicht gelernt, immer stark zu bleiben? – Doch, das hatte er. Und an genau das dachte Lara nun.
Hastig wischte sie das Blut vom Boden, lief in die Küche und holte sich einen Verband, schließlich kam bald ihr Bruder und ihr Vater nach Hause.
Wenig später lag sie in ihrem großen Himmelbett und dachte nach. Ihre Gedanken hatte sie immer noch bei dem, was vorhin geschah. Sie wusste immer noch nicht, ob es gut oder schlecht gewesen ist. Auf der einen Seite tat es so unendlich gut, auf der anderen muss sie eventuell mit Folgen rechnen.
Als es schon spät war und Lara immer noch hellwach war, hörte sie ihren Vater die Treffe hinauf gehen. Die Tritte wurden immer lauter. Vorsichtig ging er in Laras Zimmer und flüsterte: „Gute Nacht Laurana-Schatz schlaf schön“. Lara jedoch bevorzugte es so zu tun, als ob sie schlafen würde.

Der nächste Tag begann so, dass Lara ihren Verband wechseln musste, was sie damit sofort an gestern erinnerte. Dann ging sie in die Schule, tat wie immer so, als ob alles gut wäre. Lachte. Lebte. Träumte. Denn konzentrieren auf das, was da im Unterricht gesagt wurde, konnte sie sich sowieso nicht. Der Tag verlief relativ unspektakulär und auch die darauf folgenden Wochen waren sehr eintönig. Bald kam Laras Mutter vom Hospital nach Hause und forderte Laras Hilfe, wo es nur ging. Schon ein paar Tage danach, war ihre Mutter wieder in den beiden Arbeitsstellen beschäftigt. Lara hatte nur noch einen Gedanken:
„Ich mache einfach, was sie sagt, dass ist das Beste für alle“. –
Dass das jedoch nicht das Beste für sie war, stellte sie einige Tage danach fest.

Es war Ende Mai, bald hatte Lara Geburtstag, normal freute sie sich schon Wochen vorher darauf, doch dieses Jahr war sowieso alles anders. Der Tagesablauf der kommenden Wochen sah für Lara fast immer gleich aus: Morgens während ihre Mutter im Badezimmer war, musste sie schon die Küche aufräumen. Dann ging sie zur Schule und ihre Mutter fuhr zur Arbeit. Mittags wurde Lara von ihrer Mutter von der Schule abgeholt, anschließend fuhren sie heim und kochten etwas zu essen. Gegen 14 Uhr fuhr Laras Mom zur nächsten Arbeitsstelle, - Das war ungefähr 3 mal in der Woche so und wenn sie nicht gerade dort war, musste sie einkaufen, fuhr zu Freundinnen oder hatte irgendwo anders Termine. In der Zwischenzeit musste Lara waschen, für den Abend kochen und wenn es gerade notwendig war, das Haus staubsaugen und wischen. Außerdem natürlich ihre Schularbeiten, für den nächsten Tag lernen und mit dem Hund eine ausgiebige Runde Spazieren gehen. Doch das tat Lara gerne, denn zusammen mit ihrer besten Freundin war es jeden Tag eine gute Abwechslung. Diese Freundin, genannt Zoey, war die Einzige, die wusste, was eigentlich los war. Denn nach Außen musste die Familie ja sowieso immer perfekt wirken. Abends dann gegen 18:00 Uhr trafen die Eltern und manchmal auch Tom zum Abendessen ein. Alle saßen gemeinsam am Tisch, doch fast immer kam es zu einer Diskussion, bei der sie am Schluss immer 2 stritten.

Doch Lara machte dieser Ablauf, der zur Routine wurde, sehr zu schaffen. Oft saß sie weinend in ihrem Zimmer. Nicht immer war ein Streit die Ursache dafür. Oft waren es einfach die Gefühle und dieser eiskalte Umgang in der Familie, den sie nicht ertragen konnte.
Mittlerweile waren die Wunden, die sie sich selbst zugefügt hatte, zu Narben geworden. Doch um Streit zu vermeiden und aus Angst trug Lara nur noch Langarmshirts.
Anfang Juni hatte Lara ihren 15. Geburtstag. Sie hatte am Abend ein paar Freundinnen eingeladen und alle saßen zusammen und lachten. Mit ihren Eltern hatte sie nicht gefeiert. Jeder gratulierte ihr, aber keinen interessierte es weiter.
Lara nahm es einfach so hin, mittlerweile war sie es nichts ungewöhnliches mehr, dass sie abgelehnt wurde.

Die darauf folgenden Wochen wurden für Lara wieder sehr schwer und kaum ertragbar. Der Umgang in der Familie war immer kälter geworden und nach außen hin waren sie eine „happy“ Familie, wo niemand auch nur im geringsten merkte, was eigentlich los war.
Lara wollte wieder fühlen,… - so wie schon einmal. Fühlen, dass sie noch lebte, nicht nur funktionierte wie ein Roboter. Und dann tat sie es wieder….
-Sie schnitt sich erneut die Arme auf. – Wieder nahm es sie sofort gefangen und sie konnte sich kaum halten, sie wollte nicht mehr aufhören, schnitt und schnitt. Sie sah dem schillernden Blut zu, wie es auf den Boden tropfte. In genau diesem Moment bereute sie es nicht im Geringsten.

Doch dieses Mal verging es nicht ohne Folgen.
Es waren sehr heiße Julitage. Natürlich konnte Lara nicht im Top rum rennen. Doch genau dies brachte ihre Freundinnen in der Schule zum Nachdenken.
Ihre Banknachbarin Hannah flüsterte während der Mathestunde:
„Lara, ich weiß du sagst mir`s vielleicht eh nicht, aber kann das sein, dass du dich selbst verletzt hast wegen dem Stress daheim und so?“
Manchmal hatte Lara nur gesagt, sie sei nicht so gut drauf, weil es daheim nicht so gut läuft.
Lara sah auf ihr Heft und tat so, als ob sie es nicht gehört hätte.
„Lara, du hast mich genau gehört, tu nich so!“
Vorsichtig fasste Hannah ihr an den linken Arm. Doch natürlich zog Lara abrupt weg, da die Wunden teilweise entzündet waren und damit sehr schmerzten.
„Man Lara, warum machst du so nen Scheiß? Das bringts doch ned!“
„Versteht doch eh keiner“ murmelte Lara leise.
„Wir reden da heute Nachmittag darüber Lara“
„Ne, passt schon“ entgegnete sie und starrte weiter in ihr Matheheft.
Auch der Lehrer merkte, dass die Beiden alles andere außer Mathe zu besprechen hatten.
„Kann man den Beiden Mädls da hinten helfen?“ fragte er.
„Ne passt alles“ sagte Hannah. Leise flüsterte sie noch einmal zu Lara rüber:
„Keine Widerrede“…

Am Nachmittag kam Hannah zu Lara, die wie so oft alleine daheim war.
„So Lara bitte zeig mal deine Arme“
Vorsichtig bewegte Hannah ihre Hände auf Laras Arm zu und zog die Ärmel zurück. Alles was sie sah, waren aufklaffende Wunden, die teilweise starke Entzündungen hatten, weil Laras Klingen nicht sauber waren. Hannah schossen Tränen in die Augen.
„Hör auf Lara, verdammt nochmal rede doch mit mir dafür hast du doch Freunde. Aber mach so einen Scheiß nicht, das ist so bescheuert wirklich das bring es nicht, lass es!“
Mit diesen Worten verlies Hannah das Haus und ging weg.
Sie ließ Lara einfach dort sitzen,… Allein…

Am Abend dann kamen alle nach Hause. Lara sollte kochen, doch sie hatte nachdem Hannah weg war schrecklich starke Kopfschmerzen bekommen und schlief ein. Sie schlief bis ihre Mutter schreiend in ihr Zimmer platzte.
„Laurana!! Sag mal geht`s noch? Du hast weder gekocht noch aufgeräumt, schaffst du denn überhaupt nichts? Bist du zu gar nichts fähig? Komm steh jetzt auf“.
Sie zog Lara aus dem Bett:
„Aber Mama ich hatte so viele Kopfschmerzen“
„Halt dein freches Mundwerk“ unterbrach ihre Mutter
„Aber..“ Lara konnte nicht weiter reden.
„Kein Aber verdammt nochmal“ schrie ihre Mom.
Sie zog mit der Hand auf und ehe Lara reagieren konnte, spürte sie schon einen heftigen Schlag genau auf das Ohr. – Lara schrie auf. Sie fing an zu weinen.
Ihre Mom verließ das Zimmer und knallte die Tür zu.
Lara war im vollen Gefühlschaos zusammengebrochen. Sie wurde noch nie geschlagen. Noch nie. Ihre Eltern waren immer gegen Gewalt und jetzt? Ihr Ohr brannte und sie stellte fest, dass sie fast nichts hören konnte.

Lara lief ins Badezimmer. Sie wollte schreien. Doch das hätten alle gehört. Sie zog ihren Kapuzenpulli aus. Nahm das zusammengeknüllte Taschentuch aus der Schublade unter dem Waschbecken und faltete es auseinander. Die Klingen fielen auf den Boden. Sie weinte….winselte leise…
Vorsichtig nahm sie eine und setzte auf der Haut an. Sie schnitt über die anderen Wunden. Es war ihr egal. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten. Aber sie taten ihr gut. Sie genoss die Schmerzen.
Tausend Gedanken fuhren ihr durch den Kopf…
„Laurana!!“ Sie hörte die Stimme ihrer Mutter, „ Ich komme jetzt rein!“
„NEEIIINNNN“ schrie Lara
Doch es war zu spät. Ihre Mom riss die Tür auf. Geschockt blieb sie stehen und versuchte das zu begreifen, was gerade passiert ist. Lara saß am Boden. Klingen schillerten im Blut am Boden.
„Das hast du nicht wirklich getan oder Laurana? Bist du jetzt total bescheuert?? Ich sags dir, mach das nie nie wieder!“ Sie verließ das Badezimmer.
Lara wischte das Blut weg, verband ihren Arm, ging in ihr Zimmer und schlief ein.
Am nächsten Morgen ging sie noch ziemlich verschlafen nach unten in die Küche um zu Frühstücken. Ihre Mom machte gerade die Pausenbrote.
„Morgen“ murmelte Lara im Halbschlaf.
„Guten Morgen“ sagte ihre Mutter ohne aufzublicken.
Lara saß sich mit ihrem Kakao an den Esstisch.
„Laurana, das mit gestern war nicht in Ordnung von dir. Ich weiß nicht ob du das schon öfter gemacht hast oder nicht, das spielt jetzt keine Rolle, aber ich bin der Meinung du hast es gut und es gibt keinen Grund für so etwas, bitte lass es einfach sein. Bitte mach es nie wieder“ sagte ihre Mutter mit so einer ruhigen Stimme, wie Lara es schon lange nicht mehr gehört hatte. Lara antwortete darauf nicht. Das Einzige, was sie dachte war: „Mama, wenn ich es nur so einfach lassen könnte“. Lara wusste genau, dass es sie gefangen nahm. Das Ritzen hatte bereits über sie die Kontrolle.
Lara machte sich fertig für die Schule und eilte zum Bus.

Die zwei Wochen waren unspektakulär. Ihre Mutter war wieder genauso, wie vor der Entdeckung der Wunden, die mittlerweile zu Narben wurden.
Es waren die letzten Wochen vor den Ferien, als Lara wieder damit zu kämpfen hatte, sich nicht zu ritzen. Eigentlich gab es weder Streit in der Schule noch mit der Familie, dennoch hatte Lara den Drang sich Wunden zuzufügen. – Und wieder griff sie zur Klinge. Dieses Mal jedoch am rechten Oberschenkel, da sie der Meinung war, es würde dort nicht so auffallen.
Im Sportunterricht am nächsten Tag trug sie eine lange Sporthose, was ihrer Freundin Hannah gar nicht gefiel. Beim Aufwärmlaufen auf dem Sportplatz grenzten sich Lara und Hannah von den anderen ab.
„Lara hast du dich wieder geritzt?“ fragte Hannah unsicher
„Nein hab ich nicht“ log Lara ohne dabei den Blick vom Rasen aufzuheben.
„Man verarsch mich doch nicht, du kannst nicht lügen, du hast gesagt du machst es nicht mehr“
Lara wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
„Das kanns echt nich sein Lara“ beleidigt lief Hannah zu den anderen Freundinnen, die sie fragend ansahen. Lara wäre am liebsten heulend weggelaufen. Doch das konnte sie nicht tun, sie hoffte so, dass Hannah dicht hält und nichts den anderen sagen würde. Doch dies war nur ein frommer Wunschgedanke..
Die darauf folgenden Tage wurde Lara von den meisten in der Klasse total ignoriert und komisch angesehen. Sie wusste, Hannah hatte es weiter erzählt. Merkte sie nicht, dass sie es so für Hannah nur noch schwieriger machen würde?
Völlig fertig kam Lara am Abend von der Schule nach Hause, kochte für alle, erledigte ihre Hausaufgaben und ging schlafen.

Die nächsten Tage fielen Lara sehr schwer. Als sie am Morgen in die Schule kam, hörte sie nur „Emofresse, geh sterben“ oder „Komm wo sind die Klingen?“.
Lara versuchte es zu ignorieren, doch es fiel ihr schwer.
Nun stand sie allein da…. GANZ ALLEIN.

Eines Abends saß sie auf der Fensterbank in ihrem Zimmer und starrte aus dem Fenster auf die Felder. Als es schon spät nachts war, legte sie sich stumm in ihr Bett. Lange lag sie wach. Es war alles dunkel und leise. Diese Stille brachte Lara zur Verzweiflung. Sie überlegte, solle sie jetzt ins Bad und es wieder tun?? In Gedanken wägte sie unbewusst die Vor- und Nachteile ab: Soll sie es tun? Der Schmerz würde so gut tun, so unendlich gut. Doch die Folgen? Wieder beschimpft zu werden? Wieder enttäuscht von sich selbst weil sie es nicht durchgehalten hatte? Sie knipste das keine Nachttischlämpchen an, richtete sich auf und dachte nach, mit was sie sich nun ablenken könnte. Sie ging leise und unruhig durch ihr Zimmer.

Zwanzig Minuten später saß sie auf ihrem Bett, mit einem Handtuch voller Blut auf ihr nacktes Bein gedrückt. Sie tat es wieder. Sie hatte versagt. In ihrem Kopf gingen Wörter wie „VERSAGER“, „EMOFRESSE“ oder „GEH STERBEN“ um. Sie wusste es, sie konnte nicht durchhalten.
Sie dachte nach, wie sie sich nun ablenken könnte. Sie wollte es von der Seele heraus reden. Aber sie hatte niemanden, den sie es erzählen konnte. Lara zog die unterste Schublade des Nachtkästchens auf und nahm das kleine, rosa Buch heraus. Es war ihr Tagebuch, wo sie oft rein schrieb als sie noch kleiner war. Ruhig kramte sie noch einen Kugelschreiber aus der Schublade, saß sich in ihr Bett und schrieb los:

„Hallo, ich habe schon lange keinen Tagebucheintrag gemacht aber ich werde es nun versuchen. ….
Ich habe es wieder getan, ich habe mich wieder geritzt. Ich bin ein Versager. Ein absoluter Nichtskönner. Ich hasse mein Leben mir der Klinge. Dieses Drecks Ding macht alles kaputt….
Ich vermiss Opa. Ich weiß, es ist schon lange her, als er gestorben ist, aber genau jetzt könnte ich ihn so brauchen. Ja, ich würde es ihm erzählen. Er würde mir helfen. Mama weiß es auch, aber sie kümmert sich nicht weiter darum. Und alle in der Schule schreien mir scheiß Dinge hinterher…. Ich emofresse und so.. Ich hasse das. Mich macht das traurig.
Jeden Morgen, wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich ein Gesicht, das ich hasse. Ich würde den Spiegel am liebsten einschlagen.
Wenn ich mich am Morgen fertig für die Schule mache, setze ich mein Lachen auf, es ist wie eine Maske. Ich versuch es zu verbergen, wie es mir geht und dass ich es hasse, wie ich behandelt werde.
Ich will aufhören mich zu ritzen. Aber wie??.. Ich kann nicht. Ich habe oft den Drang dazu obwohl ich genau weiß, es ist nicht richtig. Ich darf es nicht. Aber ich mache es immer und immer wieder. Jetzt ist der Sommer schon fast vorbei, also habe ich auch nicht mehr den Ansporn, dass ich es nicht mache wegen dem Sommer, kurze Hosen und Tops und so… Wenigstens sind meine Freunde wieder normaler zu mir, auch wenn die anderen mich so beschimpfen…
Ich bin gespannt, wie lange ich das noch mitmache….
Ich versuche jetzt zu schlafen, denn es ist mittlerweile 2:54 Uhr und ich habe morgen ganz normal Schule. Gute Nacht!“
Lara legte das Tagebuch wieder in die Schublade und schlief ruhig ein.
Die nächsten Tage vergingen relativ ruhig. In der Schule haben sich alle wieder einigermaßen beruhigt und sprachen wieder normal mit Lara.
Sie dachte nicht mehr viel über das Ritzen nach, denn die letzten Wunden waren tief genug um nun länger ohne durchzuhalten. Sie wollte es nicht. Neue Wunden hießen neue Narben. Und dies würde auffallen. Doch gleichzeitig gingen ihr die Gedanken durch den Kopf, dass es ja schon Herbst war und kühl.
Als Lara eines Morgens im Oktober aufstand, wusste sie noch nicht, dass dieser bevorstehende Tag wieder viel in Laras Leben umkrempeln wird. – Als sie Mittags von der Schule heimkam, freute sie sich auf den geplanten Shopping-Nachmittag mit ihrer Mutter. Diesen hatte sie Lara schon lange versprochen und an diesem Tag auch frei.
„Maaammmaaa bin zuhause“ schrie Lara schon freudig, als sie ins Haus kam. Doch es antwortete niemand. Lara ging in die Küche. Auf dem Küchentisch lag ein kleines ranziges Stück Papier. Lara sah von weitem, dass auf dem Tisch ein Zettel lag. Sie ging hin um ihn zu lesen.
„Musste noch in der Arbeit was fertig machen, komme gegen 18 Uhr“
Lara lief eine Träne hinunter. Da freute sie sich schon so auf den Tag und ihre Mutter hinterließ ihr einen kleinen, ranzigen Fetzen Papier mit einer Absage. Für Lara war dies ein Stich ins Herz. Wieder war ihrer Mutter die Arbeit wichtiger als ihre Tochter. Wieder keine Zeit für das eigene Kind. Lara fing an zu weinen.. Sie wollte doch nur einmal, dass ihre Mutter Zeit für sie hat und das Ausgemachte einhielt.
„Verdammt“ dachte Lara laut.
In Gedanken war sie schon wieder im Badezimmer oben an den Klingen… Doch Lara hatte sich vorgenommen sich nicht zu Ritzen. Doch sie wollte diese tiefe Enttäuschung raus reißen. Raus brennen. „Brennen“, das Wort blieb Lara im Kopf. Wie ferngesteuert ging sie vom Esstisch zur Küchenzeile. Völlig zielstrebig füllte sie den Wasserkocher voll mit Wasser und stellte ihn wieder in die Halterung. Ausdruckslos stand sie da, und wartete bis das Wasser kochte. Dann nahm sie den Behälter ging zum Spülbecken und goss das kochende Wasser über ihr linkes Handgelenk. Sie begann zu schreien. Diese Schmerzen brannten sich in die Haut. Sie hatte Angst, wusste aber nicht warum. Lara stellte weinend den Wasserkocher weg und fasste mit der rechten Hand an ihr linkes Handgelenk. Die Haut war weggebrannt. Es war rot und tat so verdammt weh.

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Lektorat: Eigene Geschichte....
Tag der Veröffentlichung: 10.04.2012

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