Brr, ist das kalt. Einen feinen Strahl Atem puste ich ins kalte Nichts, sofort wird er sichtbar. Ich laufe ein bisschen schneller, der Wärme wegen. Ein fröhliches Hallo in die übliche Morgenrunde. Dann warten wir, wie jeden Morgen, gemeinsam auf den Bus, fein in Grüppchen geordnet. Verschlafen gibt der ein- oder andere eine Anekdote zum Besten. Allgemeines Schmunzeln. Vielleicht noch hie und da ein bisschen Smalltalk, hast du die Hausaufgaben gemacht? Viel gelernt? Wie war dein Wochenende? Alle Sinne sind jedoch auf die Straße gerichtet, wo jeden Moment der Bus um die Ecke biegen könnte.
Der erste Bus kommt. Den nehmen „die Unerfahrenen“, wie ich sie heimlich nenne. In den nächsten drei Jahren wird ihnen auffallen, dass Minuten später weitere Busse kommen werden. Fernerhin wird das Gymnasium an Schein und Glanz für sie verlieren, so eilig werden sie es nie wieder haben, da hinzukommen.
Der zweite Bus kommt, der Realschulbus. Ein „Schlenki“, „Knautschpolka“, „Ziehharmonikabus“. Ein pummeliger Junge mit braunen Haaren im Inneren schreibt auf der beschlagenen Scheibe: „Haha“, seitenverkehrt. Die Türen schließen nicht, zu voll. Bestimmt macht der Busfahrer eine Durchsage: „Bitte nach hinten durchgehen!“ Dann endlich, geschafft. Die Türen sind zu, der Bus fährt ab. Die Backe eines Fünftklässlers quetscht gegen eine der feuchten Scheiben und zieht sein Gesicht zu einer Fratze. Wie jeden Morgen.
Der letzte Bus kommt, ein weiterer Gelenkbus. Gut gefüllt ist er bereits. Die säuberliche Ordnung der Bushaltestelle verliert sich augenblicklich. Die Gymnasiasten und Berufsschüler drängen sich in den Bus. Keiner stellt sich dabei schlauer an als die Realschüler. Es wird gequetscht und gezwängt, kaum einer, der sich nicht gegen den Vordermann presst um schneller ins Innere des Busses zu gelangen, um vielleicht ein Glücklicher zu sein, der einen der wenigen noch freien Sitzplätze ergattert hat.
Rücksicht nimmt hier niemand. Fressen oder gefressen werden, entweder hau ich dir eins auf die Nase oder du mir. Pass auf dich selbst auf. Und: der Stärkste siegt. Was nicht an Größe da ist, wird mit Volumen des Schulranzens wettgemacht.
Hier sind sie alle gleich.
Der Bus ruckelt und zuckelt. Busse können nur Vollbremsung. Und bei jeder fallen sie um wie Dominosteine. Natürlich alle auf mich drauf. So fühlt es sich jedenfalls an. Ich bin eingekeilt zwischen 4Yous, Eastpacks und Taschen aller Formen und Größen. Ich brauche jetzt ganz dringend ganz viel Platz und ganz viel gute Luft! Und dann spricht der Busfahrer in sein Boardmikrofon: „Bitte nach hinten durchgehen!“ Bis die ersten reagieren vergehen einige Sekunden, dann ist es noch viel enger, obwohl ich das nicht für möglich gehalten hätte. Zu meiner Linken sitzt ein Mann, Mitte vierzig, sein Gesicht ist puterrot, er schwitzt gnadenlos in seiner dicken Winterjacke. Es ist heiß, so heiß. Ich wage kaum zu atmen.
Ein bisschen weiter streiten sich zwei Jüngere. Der eine hat den anderen angerempelt, was der „Geschädigte“ nicht zollen kann. Wütend schlägt er dem ersten seinen Geldbeutel aus der Hand und da geht das Chaos erst richtig los. Bein um Bein wird in Bewegung gesetzt, hastig angelt er sich zwischen Menschen hindurch, versucht mit ausgestreckten Armen seinen Geldbeutel zu greifen.
Mir ist kotzübel. Es riecht unangenehm. Es ist eng. Es ist heiß. Ich beschließe die Saisonfahrer nicht zu mögen. Saisonfahrer radeln immer, solange bis es kühler wird. Dann nehmen sie auf einmal auch den Bus.
„Bitte nach hinten durchgehen!“, schallt es schon wieder. Minimale Bewegung der schwimmenden Masse., wir sind ein Klumpen Menschenfleisch.
Doch diese nur minimale Bewegung schränkt mich noch mehr ein. Klaus ist hier überall, Phobie vor Menschenmassen. Natürlich nicht wirklich. Brav und artig fahre ich weiter, entgegen meinem Naturell den roten Hammer zu benutzen um die Scheiben einzuschlagen. Nur raus hier.
Wie sollte ich denn auch an den Hammer kommen?
Und als wäre es Magie, sind auch an diesem Morgen die quälenden, alltäglichen zwanzig Minuten irgendwann passé. Luft, oh Freude, schöner Götterfunken! Gierig sauge ich die eisige Luft ein. So riecht unwirkliche Freiheit.
Kaum hat der Lehrer angefangen zu sprechen ertönt ein Gong. Knistern, Stille. Seufzen, entnervte Blicke. Wieder ein Gong. “An alle, die mit dem Bus fahren: immer wieder kommt es dazu, dass Schüler nicht mitgenommen werden können. Deswegen bitte AUF-RÜK-KEN! DANKE!“
Hohn.
Einmal, Kind, zurück ins Bett, bitte.
The wheels on the bus go round and round, round and round, round and round.
The wheels on the bus go, round and round all through the town.
The people on the bus go up and down, up and down, up and down.
The people on the bus go up and down all through the town.
The driver on the bus says move on back, move on back, move on back.
The driver on the bus says, move on back, all through the town
(Amerikanisches Kinderlied)
Texte: Illustration:
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Tag der Veröffentlichung: 14.10.2008
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