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Ihre blanken Füße berühren die Fliesen. Sie sind eisig kalt. Sie bemerkt es nicht.
Seit Stunden sitzt sie nun hier, doch auch das bemerkt sie nicht. Es kommt ihr vor, als wäre es erst wenige Minuten her, dass sie - wie so oft - die Treppen bis in den Keller genommen hat. Dreiundfünfzig sind es genau genommen, würde sie denken, wenn sie darüber nachdächte. Aber sie denkt nicht drüber nach. In ihrem Kopf ist Stille.
Ein Mensch denkt sechzigtausend Gedanken pro Tag. Drei Prozent sind konstruktiv, etwas mehr als sechzig Prozent sind flüchtig, sie werden sofort wieder vergessen. Fünfzehntausend Gedanken sind destruktiver Art, das sind 25 Prozent, ein Viertel.
Doch sie denkt an nichts. Sie starrt nur auf den Computerbildschirm.

Nichts passiert. Sie wartet einfach nur. Es ist ein Warten auf nichts Bestimmtes, vielleicht fällt der Strom als Nächstes aus, oder der Computer stellt sich in den Stromsparmodus, oder vielleicht kommt jemand in den Raum, vielleicht explodiert irgendwas irgendwo. Sie malt sich jedoch nicht einmal aus, was passieren könnte. Sie wartet einfach nur darauf, dass etwas passiert.

Ihr Desktophintergrund ist mit Dateisymbolen zugekleistert. Dennoch hat sie sich einmal die Mühe gemacht, das Hintergrundbild zu ändern. Nun ist er einfach schwarz. Kein beunruhigendes zerstörerisches Schwarz wie schwarze Nacht, sondern einfach nur schwarz, wie schwarz in Schwarzes Loch, schwarz wie großes gähnendes Nichts.

Und dann passiert tatsächlich etwas: ein Nachrichtenfenster ihres Chatprogramms öffnet sich. Sie schmunzelt, jemand möchte in Kontakt zu ihr treten. Bei dem Gedanken fühlt sich ein wenig wie E.T. Der erste Gedanke seit geraumer Zeit.

DeineUtopie (5:23pm):
na du? was treibst? sind heut abend am
zeltplatz ganz hinten. ich würd mich freuen
wenn du kommst.

Darauf hat sie also die ganze Zeit gewartet. Ein wohliges Gefühl von wärmender Zufriedenheit durchströmt ihren Körper. Wie heiße Schokolade trinken, wenn man aus dem kalten Schnee draußen kommt, fühlt es sich an.
Seit einigen Wochen empfindet sie die Menschen um sich herum tatsächlich als grauen, matschigen Schnee, erbärmlicher als erbärmlich, lieblos und vor allem nicht liebenswürdig. Sie ist ihrer Umgebung satt, glaubt sie längst alles zu kennen, jeden Strich, jeden Winkel, jeden Fehler. Fehlern ist sie auch satt und davon machen Menschen viele.
Das irre Nichtstun, es ist die schlimmste Art des Fernwehs im schlimmsten Stadium, das wird sie so lange aushalten, bis eines Tages etwas passiert, das ihr Richtung zeigt. Das ihr zeigt, was sie als nächstes tun wird. Nur noch raus hier.

Ein leichtes Klicken mit der linken Maustaste, sie schließt die Unterhaltung. Geantwortet hat sie natürlich nicht. Dann fährt sie den Computer herunter. Sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und starrt auf den leeren, fettverschmierten Bildschirm. "Willkommen in dieser Welt", murmelt sie. Was bleibt ist ein orangenes Leuchten im Bildschirmplastik und das gute Gefühl in ihrem Bauch. Sie fragt sich, wo sie morgen sitzen und warten wird. Warten auf nichts. Nichts Bestimmtes. Nur warten, dass etwas passiert.

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Tag der Veröffentlichung: 29.08.2008

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