Wenn ich meinen Amoklauf ausführe, wird er ungeplant sein. Dennoch weiß ich, wie er dann aussieht.
Ich bin nämlich richtig wütend.
Ich hatte dieses weiße Kleid an und diesen weißen Hut. Das Kleid stand mir nicht. Der Hut schon. Ich drehte mich, damit der Rock sich hochschraubte und tellerförmig wurde. Hübsch. Nicht für mich gemacht. Sommerlich sah das trotzdem aus. Als wolle ich mich auf eine Wiese setzen und Tee mit Plüschtieren trinken. Eine bunte Runde: ein Hase mit Schlappohren, ein Elefant, ein Affe, ein Bär. Gutmütig, dennoch eine geschlossene Gesellschaft. Mit Sir und Madam würde ich sie ansprechen, ihnen Kekse anbieten. Flanellhemden trögen die Männer, die Frauen Sommerkleidchen wie ich.
Ich lachte. Eigentlich tat ich es nicht. Aber ich wollte, nur war es mir zu peinlich. Das Schmunzeln unterdrückte ich mir jedoch nicht. Schmunzeln in der Öffentlichkeit ist okay.
Jäh unterbrach mich eine Stimme, die zu einem strahlenden Gesicht gehörte. „Tolle Haare! Und klasse Hut. Steht dir richtig gut. Ich wünschte, ich hätte deine Locken. Dann würde ich mir den Hut kaufen.“ Und dann war sie verschwunden.
Nettsein in der Öffentlichkeit ist nämlich nicht okay.
Überhaupt ist Nettsein gar nie okay, wie mir scheint.
Danke darf man nicht sagen. Und wer es doch tut meint es eigentlich nicht ehrlich, meistens. Danke sagen und nicht so meinen, dazu muss man nicht den Knigge gelesen haben. Man weiß einfach, wie das geht.
Ich brauchte gar keinen Hut. Das Ganze war ein Witz, ein nicht ernst gemeinter Versuch. Er würde eh nicht halten, meine Haare mochten Hüte noch nie. Zu viele, zu dicke und zu widerspenstige Haare, die sich eigenmächtig kräuseln lassen sich nicht einsperren.
Loben darf man schon gar nicht. Prima Menschen verdienen kein Danke für ihr Primasein, Selbstverständlichkeit in einer sich dauer- und gegenseitig- bewertenden Welt. Selbstverständlichkeit auf Überlebensbasis.
Ich zog mich wieder um und kaufte diesen Hut.
Hut und gut reimt sich nämlich.
Diese prima Menschen verdienen Anerkennung. Ich möchte sie anerkennen und loben, doch wie in dieser Welt?
Nettsein ist ein Problem.
Ein Problemkind war ich schon nie.
Überhaupt ist Nettsein völlig okay, nur in unserer verzogenen Gesellschaft nicht. Warum wir nicht loben? Die Gelobten könnten eingebildet werden. Und dann würden sie die Magie ihres Tollseins verlieren, höchst untoll wären sie dann. Wie mit einem Rasenmäher meine Plüschtierteeparty gestört werden könnte, könnte ein Lob das Ende dieser Menschen sein. Glaubt man zumindest.
Doch Lob ist kein Gartenwerkzeug, Lob ist kein Gummihammer. Lob ist nicht einmal ein aufblasbarer Scherzartikellufthammer. Lob ist eine Gießkanne aus weichem Plüsch und Flanell selbst. Mit lustigen Schlappohren und einem riesigen Herzen.
Und das Wasser dieser Gießkanne sind nette Worte. Aufbauende Worte, ehrlich gemeinte.
Sie zerstören nicht, sondern lassen gedeihen.
Doch alleine Nettsein bringt gar nichts. Und wenn sich bald nicht etwas ändert laufe ich Amok. Dann platzt die ganze Nettigkeit in einem Schwall aus mir heraus. Nettigkeit, die reicht für die ganze Welt. Ich küsse dann die Menschen, die ich zum ersten Mal sehe. Ich schenke ihnen dann alles, was ich habe. Ich habe nämlich gelernt.
Ich verteile blumige Worte und umarme.
Ich lache laut – in der Öffentlichkeit.
Ich verteile Komplimente.
Das ist Wasser.
Aber menschliche Blumen brauchen auch Dünger. Man kann Blume und Dünger gleichzeitig sein.
Das reißt dir keine Blüte ab.
Ein Glas Lob tötet nicht.
Eine Prise Anerkennung aussprechen macht das Leben wirklich schöner.
Wascht euch hinter den Ohren und geht die Blumen gießen.
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2008
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