Cover

Prolog.



Meine Füße tun mir weh. Meine Lungen greifen an der Luft vorbei. Mein Herz schlägt und mein Blut pocht so schnell durch meine Adern, dass die Angst sich davor fürchtet, das sie platzen. Und dann werde ich gepackt, rolle eine Wiese hinab und plötzlich schmecke ich Schmutz in meinem Mund. Sand klebt an meiner nassen Hose, ich stehe auf und spucke die kleinen Körner aus. Ich muss husten. Das Meer singt, der Wind streicht mir durch die Haare. Ich laufe, renne den kommenden Wellen entgegen, obwohl meine Füße streiken. Und dann breche ich zusammen, mitten im Wasser. Die Kühle streichelt mich, es umschlingt mich und dann werde ich gepackt. Käfer krabbeln auf meiner Hand, die Wiese tanzt leise im Wind. Die Sonne scheint, aber ihre Strahlen werden von weißen, großen Wolken abgefangen. Ich stehe auf, pflücke eine rote Blume und renne in den Wald. Die Bäume lachen schallend, der Kies unter meinen Turnschuhen knirscht. Und dann werde ich gepackt. Der Regen prasselt auf mich ein, ich renne durch Pfützen, das Wasser zischt. Die Gegend verfinstert sich, wird dunkler und der Wind kreischt klagend an meinen Ohren. Die Blitze funkeln über mir auf dem dunkelgrauen Himmel, der Donner grollt laut, ich schlucke. Ich werde schneller, vergesse meine Schmerzen, ich will bloß den Kuss der Freiheit. Denn dann bin ich weg. Und dann bin ich weg.


Teil Eins; Starters


Atmen.



Wenn ich weglaufen würde, dann nur weil ich es will und nicht, weil es mir jemand sagt.
Am Anfang würde ich rennen, nach ein paar Stunden gehen und wenn der Himmel seine Kleider von schwarz zu blau ändert, dann suche ich mir einen Baum. Lehne mich an ihn, hole eine Decke aus meinem Rucksack und schlafe mit den Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht ein. Ja.
Irgendwann bin ich weg. Und dann bin ich weg.

If you run away
I want to go with you.
I won't leave you alone in the dangerous world.
I go with you, maybe I'll run.
But you have to promise
that we're falling down into the grass.
Falling down, darling, falling down.



Die Luft hielt den Atem an, die Wolken bewegten sich nicht mehr und der Wind verstummte. „Ich will nicht zu meinem Onkel.“ Meine Mutter strich ihre blonde Locke zurück, blickte von ihrem Model - Magazin auf. Ihre blauen Augen blinzelten mich an, sie fauchten.
„Ich dachte, du willst weg.“ Ja, weg von euch allen und nicht zu irgendeinem Mann, den ich vielleicht einmal in meinem Leben gesehen habe.
„Ich … ja, schon … aber ...“
„Außerdem gibt es dort eine Schule, die sich nur auf Musik konzentriert.“ Versuchte sie mich zu locken? Zuerst wollte sie, dass ich auf jeden Fall blieb, weil ich sie mit meinem Weggehen verletzen würde und jetzt sollte ich einfach … gehen?
„Nein“, schnappte ich ihr wie ein Krokodil schnell entgegen, vielleicht würde ich es irgendwann bereuen, selbst dieses Angebot nicht angenommen zu haben.
„Gut, dann hör auf zu jammern.“ In meinen Gedanken äffte ich ihre Stimme nach, die Wut kribbelte in meinen Fingern. Sie trank einen Schluck von ihrem Eis Tee. Die Eiswürfel klirrten, verstummten aber sofort wieder, als meine Mutter ihre Füße übereinander verschränkte, ihre Hände auf den Schoß legte und mich mit ihren blauen Augen durchbohrte. „Außerdem wolltest du nie von deiner Schule weg und letztes Jahr hättest du die Chance dazu gehabt.“ Ja, und jetzt machte ich mein erstes Jahr in der Oberstufe und hing daran, oder was? „Domenica, das ist doch keine Lösung, oder?“ Naja, also weißt du...


„Nein, Mom.“ Sie seufzte, die Luft begann ihre Atmung wieder aufzunehmen, der Wind flüsterte. Aber eigentlich schrie er, er schrie danach, dass ich rauskommen und meine Umwelt vergessen sollte. Träumen, dass mein Leben okay war und ich bereits irgendwo am Strand weit weg von der Realität lag. „Ich geh raus. Skateboarden, ja?“
„Ja, aber pass auf dich auf.“ Ich verließ das weiße, saubere Wohnzimmer und rannte in die dreckige Welt.

Paramore

erfüllte lautstark mein Gehör. Ich nahm nicht wahr, wie die Rollen meines Boards den Asphalt streichelten. Ich wollte es auch gar nicht hören, das erinnerte mich zu sehr daran, dass ich einfach wegfahren und nie mehr wieder kommen könnte. Aber ich liebte meine Eltern und ich würde sie damit nur stupid verletzen. Daher blieb ich vor dem Wohnblock und sprang dort über die Schlaglöcher. Ich fuhr nie auf die Straße, auf den Gehsteig. Nie.
Denn dort war mir die Freiheit zu nah. Das Gefühl, das sie kurz davor stand mich zu küssen, ich könnte ihr nicht widerstehen. Und dann würde ich rennen. Mein Skateboard liegen lassen und rennen.
Ein Schlagloch stellte mir sein Bein, meine Gedanken sorgten nun mal viel zu oft dafür, dass ich blind wurde. Daher verlor ich mein Gleichgewicht. Meine Füße zog es nach oben, das Board wurde weggeschleudert und der Asphalt fing mich auf. „Fuck“, kam es über meine Lippen.
Ich stützte mich auf meine Ellbogen, schaute zu, wie mein Skateboard davon rollte. Als hätte selbst die Straße etwas dagegen, dass ich weglief.

„Wie ist es von allen Mädchen angehimmelt zu werden?“ Er trank aus seiner Bierflasche, sein Arm glitt der braunen Lehne entlang, während der andere auf seinem Bein lag.
„Ätzend.“
„Lügner.“
„Nein, Dom. Es ist ätzend, sowas von ätzend. Als wärst du ein Bild oder so. Alle gaffen sie, als hätten sie noch nie einen Jungen gesehen.“
„Ich sagte angehimmelt, nicht angegafft.“ Ich wusste, dass er lächelte.
„Praktisch.“
„Praktisch?“ Ich blätterte bei meinem Buch weiter, wanderte über die Wörter, die mich von der Realität wegzogen.
„Wenn du Lust auf Sex hast, kannst du ihn nicht einfach nur haben. Nein, die Auswahl ist so groß, ich kann mir sogar aussuchen, wie ich ihn haben will.“
„Arrogantes Arschloch.“
„Du hast gefragt.“
„Ja, schon gut.“ Der Wind strich mir nicht um die Ohren, ließ meine Haare in Ruhe. Stattdessen leckte die Sonne aber an meiner Haut, verbrannte sie und zeigte mir Narben, die eigentlich schon lange verheilt waren.
„Dom?“
„Hm?“
„Du solltest keine Bücher zu Partys mitnehmen.“ Wenn er das sagte, hörte es sich an, als würde er davon reden, dass man bei Regen eine Jacke anziehen sollte. Aber wer hielt sich schon an Regeln?
„Mhm.“
„Die Leute gaffen.“ Ich lehnte mich zurück, mein Blick huschte über ihn.
„Ja, die Leute mit den Melonen im BH und der Billig – Clown Maske im Gesicht, die alle beten, dass ich deine Schwester bin.“ Er stieß erschöpft die Luft aus, lächelte.
„Oder meine Cousine.“
„Oder deine Cousine.“
„Tja. Inzest solls ja geben.“ Ich grinste, meine Augenbrauen sprangen nach oben, widersetzten sich der Schwerkraft.
„Das ist nicht lustig, Shit.“
„Ja. Ein sehr hartes Leben, ständig seine Schwestercousine 24 Stunden am Tag befriedigen zu müssen.“
„Shit.“ Wenn ich seinen Namen drohend aussprach, dann klang es, als würde ich fluchen.
„Scheiße sagt man nicht, dafür kommst du in den Keller.“ Ja, und weil es sich so anhörte, konnte er mir Wörter im Mund verdrehen.
„Da hab ich aber Angst.“ Ich fuhr mir durch die Haare, versuchte die Hitze wegzustreichen.
„Ach was. Ist doch nur das Übliche 'Rein, Raus'. Sollte dir bekannt sein.“ Alleinig das mein Spitzname Dom, ein Namen für eine heilige, christliche Kirche war, sollte ihm eigentlich zu denken geben. Aber das war Shit. Der Wind lief an mir vorbei, Shit trank aus seiner Bierflasche. „Welches Mädchen, Dom?“ Nun blickte ich von meinem Buch auf, sah mich um und bemerkte, dass knappe zwei Meter neben mir die Straße lag. Sie schreit nach dir.


Ich schüttelte den Kopf und rutschte mit meinem Blick in das Geschehen. Die Party schien wie jede andere im Sommer zu sein. Die Anlagen schrien in der grünen Wiese, der Alkohol sang auf den Tischen und die Bikinioberteile machten den Blumen gefährlich Konkurrenz.
„Das mit dem schwarzen Rock und dem pinken Oberteil.“
„Gut.“
„Schickst du mich jetzt nach Hause?“, fragte ich und schaute ihn mir wieder von der Seite an. An seinen dunkelblonden Haaren klammerte sich das Gel fest, kleine, fast nicht sichtbare, schwarze Strähnchen sprossen aus seinem Kopf.
„Es ist spät.“ Er setzte die braune Flasche an seine aufgesprungenen Lippen, ein kleiner Schweißtropfe perlte von ihm ab.
„Es ist halbzehn.“ Shit blickte mich an, ein Grinsen breitete sich auf seinem spröden Mund aus. So gefährlich, das man sich die Finger verbrennen konnte. Wollte.


„Du bist minderjährig.“
„Die Hälfte der Leute hier ist minderjährig.“
„Muss ich Race holen?“
„Mach doch.“ Er würde ihn nicht finden. Race tauchte auf, er meldete sich, aber niemals umgekehrt.
„Dumme Kuh.“
Badamdésch

, Junge, badamdésch

.“ Ich erhob mich, schaute der milder werdenden Sonne entgegen.
„Ja, Kirche. Hab verstanden. Du gehst jetzt trotzdem nach Hause.“
„Bis dann.“ Ich machte eine winkende Bewegung, ließ mein Buch in meine Tasche gleiten.
„Dom.“
„Shit.“ Dann sprang ich von der Veranda und folgte der nebengelegenen Hauptstraße, die von den surrenden Straßenlaternen überflutet wurde.

Blond.
Raucher.
Tätowiert. Bereits acht mal.
Gepierct. Um die vier.
Gefährliches Grinsen.
Badamdésch.
Er wird mir fehlen, wenn ich renne. Wenn ich weg bin. Und dann bin ich weg.

You stand here.
Your breath whispers.
My name. My pain. My desperate.
You're not guilty.
It's my fault.
Only my fault.



Wenn sich meine Lungen die Luft schnappten, aßen und andere Dinge wieder ausstießen. Dann könnte das doch bedeuten, ganz theoretisch, dass ich die Luft eines Japaners, der im Büro arbeitete, eines Amerikaners, der mit Drogen dealte, oder eines tunesischen Kindes, das zur Schule ging, einatmete. Mein Atem konnte gehen, wohin er wollte. Er besaß die Freiheit, die so viele wollten und verweigerten.
Ich will die Freiheit, frei zu sein. Die Freiheit, die mein Atem auch hat.

Kaugummi.



Ich schlug mit meiner Faust gegen meinen Schrank. Der Schmerz in meinen Handknöcheln pochte, die Haut riss leise auseinander, Blut trat hervor. Doch ich hörte nicht auf gegen die braune Tür zu schlagen. Immer weiter und weiter. Wenn die Freiheit nicht von selbst wollte, musste ich sie eben heraus prügeln. Es knackte, eine kleine Uhr tickte und ich schüttelte meine Hand um den Schmerz, der plötzlich wie ein riesiger Kaugummi daran klebte, loszuwerden. Ich schloss die Augen, sprang von einem Fuß auf den anderen, doch er blieb kleben, er klammerte. Seufzend ließ ich mich auf mein Bett fallen, schloss die Augen und dachte über den Schmerz nach. „Als ob es meine Schuld wäre!“, die weibliche Stimme trat durch meine Tür.
„Wessen Schuld ist es denn sonst?! Die vom Müllmann?!“ Und die männliche klebte an ihr.
„Lenox, du weißt selbst, dass das absoluter Blödsinn ist.“ Ich griff nach meinem Handy, drückte eine Taste für die Kurzwahl. Scherben flogen, Stille folgte und das Tüten schallte in meinen Ohren.
„Hübsche?“
„Kann ich bei dir schlafen?“
„Zoffen sich deine Eltern wieder einmal?“
„Ne, sie vögeln und brüllen sich dabei gegenseitig an, während sie sich die Vasen um die Ohren schmeißen.“
„Soll ich dich holen?“
„Es ist hell, ich nehm den Bus.“
„Dann komm, Jacky die Mörderpuppe wartet.“
„Sicher.“ Ich schmunzelte. „Dann bis gleich.“
„Bis gleich.“ Ich legte auf und schob mein Handy in meine graue Tasche, in der sich bereits ein Buch, eine Zahnbürste und mein iPod befanden. Der Rest wartete zu Hause.
Nachdem ich meine schwarzen Chucks angezogen und meine Geldtasche geschnappt hatte, verließ ich mein Zimmer und schritt so ruhig wie möglich meiner Mom entgegen. Blonde, geglättete Strähnen hingen aus ihrem Dutt, ihr hübsches Gesicht hatte sie in ihren Händen vergraben. „Mom?“ Sie blickte auf, ein gezwungenes Lächeln bildete sich auf ihren verschmierten Lippen.
„Liebes?“
„Ich schlaf bei“ nicht seinen Namen erwähnen „einem Freund, ja?“
„Ist gut.“ Die Erleichterung konnte man groß auf ihrer Stirn ablesen, sie wollte mich nicht da haben, wenn sie meinem Vater den Kopf einschlug und seine Leiche im Garten vergrub. Gut, das würde sie nicht machen, aber sie würden sich die Köpfe einschlagen und Vasen würden einen kurzen Kuss von der Wand bekommen, der sie so erschreckte, dass sie vor lauter Scham in kleine Einzelteile zerbrachen.
„Bis ...“ Morgen. Lüge. „Demnächst.“
„Sicher.“ Ich schluckte mein Seufzen und verschwand aus der kleinen Wohnung. Wir waren weder reich noch arm. Durchschnitt. Gut, vielleicht ein bisschen über dem Durchschnitt, aber das Geld interessierte mich nicht. Markenklamotten, gute Schminke und teure Handys zogen mich nicht in ihren Bann. Ich benötigte zwar ein gutes

Skateboard, aber das wars auch schon. Ich brauchte nicht viel und ich wollte es auch nicht, selbst wenn es mir angedreht wurde.

Das Zimmer war das Kleinste im ganzen, alten Haus. Verglichen mit meinem Zimmer überschlug es trotzdem noch einiges an Größe. Schwarze Vorhänge prangten von einer silbernen Stange und verdeckten bereits das breite Fenster, das den Ausblick auf das Vordach der Terrasse und des weiten Feldes gab. Shit besaß nur ein Fenster.
Die grauen Wände mit den schwarzen Verzierungen strahlten in meinen Augen und ich wusste, in der Nacht, wenn keiner hinsah, dann bewegten sich die Flammen. Die kleinen Personen mit den zerrissenen Flügeln würden um das Feuer tanzen und Melodien singen, die die Gänsehaut aus der finsteren Ecke hervorlockte.
In einer Ecke stand ein großer, dunkelbrauner Schrank, daneben befand sich ein kleiner Schreibtisch in derselben Farbe und mit einer grauen Lampe, an der der Staub wie Kaugummi klebte. Shit besaß nur einen Schrank und einen Tisch mit einem kleinen schwarzen Hocker.
Wenn man das Zimmer durch die Tür betrat, so befand sich von dort ausgesehen am Ende des Raumes eine dunkelgraue Ledercouch, die nach Zigaretten roch und auch schon oft davon geküsst worden war, dass man die Narben davon deutlich erkennen konnte. Darauf folgte ein kleiner, schwarzer Tisch mit Einkerbungen und Sprüchen, die aus einer grauen Spray – Dose entsprungen waren. Ich las die Wörter immer wieder, aber ich schaffte es nicht, sie zu entziffern. Weiter davor befand sich auf einem kleinen, niedrigen Regal ein Fernseher. Wenn ich mich hinter ihm bückte, würde mich niemand entdecken. Und daneben konnte sogar noch ein Erwachsener sich verstecken. Darüber saß ein CD – Player mit zwei so fetten Boxen, dass sie dem Fernseher mit seiner Größer volle Konkurrenz machten. Die CDs selbst stapelten sich in seinem ganzen Zimmer, überall, wo man hinsehen konnte.
Shit besaß nur einen grauen Aschenbecher, der auf dem kleinen Couchtisch prangte.
Schwarz – graue Kissen und Decken lächelten lüstern von dem großen Bett, das direkt unter dem Fenster angebracht war und ebenfalls auf einer Erhebung stand. Shit besaß nur ein schwarzes Nachtkästchen, aber darin, darin befanden sich unzählige Kondome, die alle nur auf ihren Einsatz warteten. „Machs dir gemütlich“, murmelte Shit, ging an mir vorbei und setzte sich auf die Rückenlehne seiner Ledercouch. Ich warf meine Tasche auf sein Bett und ließ mich schließlich auf den Boden sinken, die eiserne Bettkante bohrte sich fest in meinen Rücken. Mein Blick fiel nach draußen, klatschte gegen die schwarzen, schweren Vorhänge und schlich sich bei einem kleinen Spalt hinaus in die Nacht. Keine Sterne sangen, kein Mond wachte über die Schatten, die nun verloren in der Dunkelheit schrien. „Wie hieß das Mädchen mit dem pinken Rock eigentlich? Du hast mir gar nichts von ihr erzählt.“
„Ihr Oberteil war pink, nicht ihr Rock.“ Ich fuhr mir durch meine Haare.
„Achso.“ Die Stille blies kurz durch den Raum. „Und wie hieß sie?“
„Linda, Tanja … ich weiß es nicht mehr.“ Mein Blick tapste vorsichtig die Holzdielen entlang, bis sie an Shits nackten Füßen hängen blieben.
„Wie geht’s eigentlich Race mit Linda?“ Er lachte, während meine Augen langsam seine blond beharrten Beinen, auf dem ein großes Tattoo von einem Schwert mit zerrissenen Flügeln in schwarzen Farben prahlte, hochkrabbelten.
„Die zwei ficken ständig. Und wenn nicht, dann streiten sie. Ficken und Streiten. Alles, was sie zusammen bekommen.“ Die Jeans war abgeschnitten, ein Loch klaffte und zeigte bereits einen kleinen Teil eines anderen Tattoos. Das musste die blutende Achtel – Note sein. Und sonst klebten schwarze Flecken an der Hose, die sich bereits fest an den Stoff genagt hatten. „Oder sie zockt ihn ab. Ich habe ihm … naja, du weißt ja.“ Shit verstand sich nur in einer Hinsicht mit Race. Und diese Hinsicht kam dann auf, wenn es hieß, mich von irgendwo wegzuschaffen, weil es zu ''gefährlich'' war. Die zwei mochten sich eigentlich nicht. Oder Race Shit. Komplizierte Geschichte, von der ich nur einzelne Fetzen kannte.
„Und wo ist er gerade?“ Ich zog meine Knie an, wie bei einem spannenden Film, bald kam der Höhepunkt. Sein schwarzes Shirt schien wie eine Haut an ihm zu sitzen, es verdeckte den größten Teil seiner Tätowierungen und seiner festen Muskeln. Doch ich erkannte trotzdem den Schriftzug auf seinem rechten Oberarm. Wie aus einer Feder entsprungen stand dort: If I die, I'll smile.

Seine Haut schien fest und hart und seine Knochen drückten sich fest dagegen, er war so muskulös, dass ich jedes mal aufs neue staunen konnte. Es mir aber verkniff.
„Ich habe keine Ahnung. Du kennst ihn ja. Er sagt nie ...“
„Wohin er geht“, beendete ich den Satz. Er ging einfach. Wann und wie er wollte. Race führte das Leben, das ich brauchte.
„Richtig. Und was hast du heute so gemacht?“ Ein schwarzer Ring schimmerte von seinem Hals in den vier Lichtern, die fest in der Wand eingebaut waren. Als hätte sie die Lampen verschluckt.
„Ich bin rumgelegen. Hab geskateboardet.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Nichts besonderes. Und du?“ Mein Körper spannte sich an, ich zog meine Knie fester an mich. Jetzt kam der Höhepunkt.
„Mit meinem Dad gestritten, Fenster geputzt und gezählt, in wievielen Tagen ich ausziehen kann.“
Meine Lungen hielten gespannt die Luft an. Sein Gesicht besaß kantige, harte Züge. Als hätte sich die Haut nur als dünne Schicht darüber gelegt, wenn man ein bisschen darauf rieb, sah man bereits seine Knochen. Unter seinem spröden, konkreten Mund glitzerten zwei schwarze, runde Piercings wie kleine Insekten. Seine Wangen glühten sicher unter dem braunen Dreck, der sie zierte. Seine Augen schimmerten in einem schwachen Ebenholz-Ton, sie waren so finster, das man darin versank wie in Treibsand. Nur Shit war gefährlicher. Über seiner gezupften Augenbraue lächelte ein kleiner Ring aus seiner Stirn und ein kleines Insektenauge gesellte sich daneben. Seine dunkelblonden Haare, in die sich so manche schwarze Strähne verlief, standen ihm wie immer wie die Stacheln von einem Igel vom Kopf. Sie waren zwar nicht so kurz, aber trotzdem zitterten viele Hände, wenn sie dort hineingegriffen und den Geruch seines Gels wie Kaugummi daran kleben hatten.
„Du bist … achtzehn, du kannst doch wohl ausziehen, wann du willst.“
„Denkst du, ich hab meinen Dad versprochen erst auszuziehen, wenn ich eine feste Stelle habe. Darüber haben wir heute wieder mal ausführlich … geredet

.“ Einer seiner Mundwinkel bewegte sich nach oben, er wirkte wie ein Raubtier, das man unbedingt anfassen wollte und bei dem es einem egal war, ob man dann zerfetzt wurde.
„Du solltest froh sein, dass er dich nicht einfach vor die Tür wirft.“
„Stimmt. Trotzdem wärs mir lieber, wenn … ich … keine Ahnung. Ich hab einfach keinen Bock mehr auf das alles hier. Auf meinen Vater,“ Er erhob sich, schlenderte langsam zu mir hinüber. Vielleicht fand jetzt der Höhepunkt seinen Höhepunkt. „Auf Walker, auf Race. Alles Arschlöcher, auf die ich gut verzichten könnte.“ Ich mochte es nicht, wenn er so über seine Familie sprach.
„Sag sowas nicht, Shit. Sie sind deine Familie.“ Er ließ sich neben mir sinken, sein Arm rutschte die Kante seines Bettes entlang, aber er berührte mich nicht.
„Du bist meine Familie.“ Sein Kopf sank auf meine Schulter. Ein Geruch von Duschgel und scharfem Rassierwasser klebte sich in meiner Nase fest.
„Ich bin … sag so etwas nicht. Das ist irrsinnig und ...“ Er legte seinen Daumen auf meine Lippen, seine Hände waren rau und noch rochen stark nach Öl.
„Lass uns … weglaufen, Dom. Einfach weg.“ Ich griff mit meiner Hand nach seiner und legte sie auf seinen Oberschenkel wie ein Blatt auf einen Tisch ab.
„Das geht nicht und das weißt du.“
„Alleinig dass du das sagst, zeigt doch, dass du es auch willst.“
„Shit.“
„Lass uns … nach Australien auswandern. Du magst Australien doch so gern.“
„Nein, ich ...“
„Oder London, New York. Irgendwo hin, wo du willst. Hauptsache weg, Dom. Komm schon.“
„Vor seinen Problemen wegzulaufen ist feige.“ Ich machte meiner Mutter in Sache Träume zerstören langsam alle Ehre.
„Wir laufen vor keinen Problemen weg, wir laufen ihnen nach.“ Ein Lachen schlich sich leise aus meinen Lippen.
„Wie meinst du das?“
„Naja, wenn wir wo neu anfangen, dann beginnen die Probleme doch erst so richtig oder nicht?“ Ich zuckte mit den Schultern.
„Irgendwie schon.“
„Eben.“ Er grinste breit. Wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal in seinem Leben in einen Muffin gebissen hatte. Shit erhob sich, seine Hand fuhr in meine Haare und er verwüstete sie. Auch wenn er nicht da war, ich spürte den Kaugummi zwischen meinen roten Strähnen, der nach Öl und Benzin schmeckte. Köstlich.

Love smiles. So wide, so wide.
My pain cries. So loud, so loud.
Hey, hey. Come on, little Pierce.
Come on, little Pierce and hit with me the liberty.

The person who I love
wants to go away. So fast.
But with him
I don't need running away.
I only need him.
Him with his dirty smile.



Sein ruhiger Atem beruhigte mich. Jacky die Mörderpuppe setzte mir nun einmal zu, leise seufzend suchte ich nach seinen rauen Fingern, die öligen Kaugummi an sich kleben hatten. Als ich ihn berührte, zuckte meine Hand erschrocken zurück. Ein Stromschlag. Und wenn etwas gefährlich war, griff man nicht nochmal hin. Auch, wenn es sich bloß um Kaugummi handelte.


Impressum

Texte: © by Hayley Amon
Tag der Veröffentlichung: 22.07.2011

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