Sie konnte nicht wirklich weit sehen, da oben, denn der Himmel war mit dichten, dunklen Regenwolken verhangen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem schmunzeln, denn sie war der Meinung einen perfekten Tag für ihr vorhaben gefunden zu haben. Ihr Vorhaben – lange hatte sie es vor sich hergeschoben, sich ausgemalt wie es denn sein würde, für welche Methode sie sich entscheiden sollte. Dort oben fühlte sich ihre Seele so frei wie seit Jahren nicht mehr, ihr Leben kam ihr schon beinahe wieder lebenswert vor. Doch nun war sie so weit gegangen, wollte es zu Ende bringen. Wer würde sie vermissen? Es würde nicht einmal auffallen, sagte sie sich. Niemand würde sich wundern, wenn sie sich wochenlang nicht melden würde – denn sie war ein Einzelgänger, gerne für sich. Ein Windstoß erfasste ihre langen schwarzen Haare und spielte mit ihnen. Ihre Hände, an deren Fingern mehrere silberne Ringe steckten waren kalt und schon leicht blau, denn es war sehr kalt an diesem trüben Herbsttag. Wie sehr sie den Herbst liebte. Als Kind liebte sie es auf Spatziergängen mit ihrer Mutter durchs Laub zu toben. Die beiden bewarfen sich mit den Blättern und ließen sich oft in Laubhaufen fallen. Doch war diese wunderschöne Zeit lange, schon viel zu lange her. Eines Morgens hatte sie hatte sie wecken wollen, überraschen. Hatte mit ihren 5 Jahren notdürftig Erdbeermarmelade, die Lieblingsmarmelade ihrer Mutter, auf ungetoastetem Weißbrot verteilt und ein Glas Milch eingeschenkt. Dann hatte sie alles schleichend ins Schlafzimmer getragen und sich gefreut, dass sie so leise war und ihre Mutter nicht wach wurde. Als alles vorbereitet war, drückte sie der reglosen jungen Frau einen Kuss auf die Wange. Während das kleine Mädchen sich noch bemühte seine Mutter zu wecken, bemerkte es nicht, dass auf dem Boden vorm Bett unzählige leere Tablettenstreifen lagen. Nach einigen Minuten bekam sie Angst, ihre Mutter war seltsam kalt. Das war nicht normal, denn ihre Mutter hatte sonst immer warme Hände gehabt. Sie rannte hinaus aus der Wohnung, klopfte an der Wohnungstür der netten alten Dame mit den beiden Hunden, wollte Medizin holen – die Mutter musste krank sein. Die Nachbarin ging mit ihr in die Wohnung, ans Bett der Mutter. Dann ging alles sehr schnell. Ein Krankenwagen kam, dann ein langes schwarzes Auto. Sie trugen ihre Mutter in einer Holzkiste aus der Wohnung... Während sie in Erinnerungen versunken auf dem Dach des 10-stöckigem Hauses saß, hatte sie gar nicht bemerkt, dass die Wolkendecke an einem kleinen Fleckchen über ihr aufgerissen war. Sie sah einige zaghafte Sonnenstrahlen genau auf sie herunterscheinen und sie ging an den Rand des Daches um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Da flog direkt vor ihrem Gesicht eine Taube auf ihre Schulter. Sie hielt 3 Herbstblätter im Schnabel und lies sie fallen. Die Blätter segelten in die tiefe. Sie musste noch einmal an ihre Mutter denken – sie war sehr gläubig. Einige Tage vor ihrem Tod hatte sie ihrer Tochter gesagt: „Ich bin immer bei dir mein Engel und wenn du mich brauchst, werde ich dir ein Zeichen geben, dass ich bei dir bin.“ Tränen liefen ihr übers Gesicht und sie trat zurück – weg vom Rand des Daches um weiterzuleben. Mit der schützenden Hand ihrer Mutter über sich.
Tag der Veröffentlichung: 27.05.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
allen, die kurz davor sind aufzugeben. Ihr schafft es!