Cover

Inhalt (das Strichsymbol anklicken)

Biografische Vorbemerkungen                   

„Als ich wiederkam“ (biografische Erzählung)         

Die Jugenderinnerungen vom Knöpfle               

Zwei Lausbubengeschichten                  

        Feuerwehrles       

 

Nach der Schulzeit bis 1907        

 

Dr Wengerter Knöpfle: im Stuttgarter Neuen Tagblatt

1908 und 1909          

1910 und 1911         

1912 bis 1914          

 

Überblick: Die Jahre 1914 bis 1924          

 

... Knöpfle: im New Yorker Schwäbischen Wochenblatt

1920 und 1921         

1922 und 1923         

 

Überblick: Die Jahre 1924 bis 1929         

 

... Knöpfle: im New Yorker Schwäbischen  Wochenblatt

1929 und 1930        

1931 bis 1933           

 

Nachbemerkung      

Wilhelm Löffel und sein Kurhotel

 

 

 

Wilhelm Löffel steht im Vordergrund vor seinem Kurhotel Hohenwaldau. Er erwarb es 1907 und musste es 1918 aufgrund der wirtschaftlichen Lage wieder verkaufen.

In der Kolumne vom 25. Juli 1908 ist er dort sogar als seine Kunstfigur "Knöpfle" Kurgast und berichtet darüber: Er erzählt zunächst vom „Luftbad“ in Degerloch und dann von schwierigen Gästen.

                                                                                                                                                                          Foto: Mit frdl. Genehmigung des Hutt-Verlags Stuttgart.

 

 

 

    

 Ausschnitt aus einer Postkarte, mit der Wilhelm Löffel einerseits für sein Kurhotel wirbt, andererseits aber auch als "Wengerter Knöpfle" seine Stuttgarter Kolumnen ins Spiel bringt. "Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel" lauten sie dort und machen ihn weithin bekannt. Offensichtlich hat er hier eine frühere Aufnahme von sich eingefügt.

 

Foto mit frdl. Genehmigung von Albert Raff, Stuttgart.          

                                                                                                                                                 

Vorbemerkungen

Biografische Vorbemerkungen

 

Wilhelm Löffel ist ein Stuttgarter Mundartdichter, nach dem ein Teilstück der B 27, nämlich oben in Degerloch, benannt ist. Er hat von 1871-1935 gelebt und während dieser Zeit jahrelang in der Stuttgarter Zeitung humoristische Ansichten publiziert (damals war ihr Name allerdings noch „Stuttgarter Neues Tagblatt“); aber er hat auch lange Zeit im „New Yorker Schwäbischen Wochenblatt“ die ausgewanderten Schwa­ben informiert und unterhalten.[1] Ein richtiges Stuttgarter Original!

Wie alle oder viele Mitglieder des Löffelclans war er Weingärtner. Das heißt, er wäre es gerne auf Dauer geworden, aber die wirtschaftliche Lage und die Reblaus, die zum ersten Mal massiv um die Jahrhundertwende auftrat, haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. So wurde er, sich dem Wein dennoch verschreibend, wenigstens Wirt, kaufte und leitete in Degerloch ein Kurhotel – bis gegen Ende des Kriegs nichts mehr ging.  Denn wer wollte in solchen Krisen­zeiten noch kuren – oder wer dort hinauf wenigstens einen Ausflug machen?[2] Aber Wilhelm Löffel hat kapitulierend sein Hotel, wie sich zeigen sollte, zur Unzeit verkauft und stand wohl zuletzt bei der ra­santen Inflation mit leeren Händen da. Doch die Stadt Stuttgart kam dabei recht günstig zu einem schönen Anwesen.

Wilhelm Löffel, alias Knöpfle, ist ein Mann aus dem Volk. Im Unterschied zu heute dichtenden Schwaben hat er nicht studiert, sondern sich vieles autodidaktisch angeeignet. Seine Geschichten, Gedichte und Theaterstücke sind reine Volkskunst. Dabei verstand er sich vor allem als Humorist. Und Humor hat für ihn eine geradezu therapeutische Aufgabe, ist Lichtbringer in schlechten Zeiten und Sonne in persönli­cher Not. In einer seiner Kolumnen „Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Boh­nenviertel“ sagt er einmal, wie immer bildkräftig und deftig:

 

A Mensch ohne Humor ischt wia Vogel ohne Fedra, gschmacklos wia Supp’ ohne Salz, fad wia auspreßter Aepfelschnitz – mit oim Wort: „a lebendicher Leichnam!“[3]

 

Zwar habe ich in den neunziger Jahren sein Werk intensiv und mit detektivischer Ausdauer zusammengesucht und dann eine Auswahl herausgegeben,[4] doch leider gibt es zwischen 1910 und 1945 noch keine schwäbische Literaturgeschichte. Davor und danach ist das meiste erfasst, aber dazwischen klafft ein großes schwarzes Loch, in dem schon viel Schwäbisches verschwunden ist. Und so ist auch das Leben von Knöpfle nur bruchstückhaft bekannt. Seltsamerweise weiß man recht wenig über diese muntere Zunge. Es haben sich kaum Fotografien erhalten und genauere Lebensdaten lassen sich nur mühsam rekonstruieren. Man muss schon sehr aufmerksam und ausführlich in seinem Werk selbst danach suchen.

Im Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart fand ich allerdings auf einem Mikrofilm des New Yorker Schwäbischen Wochenblatts die „Jugenderinnerungen vom Knöpfle“. Leider enden sie zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr[5], aber bis dahin sind sie ziemlich konkret. Man erfährt zum Beispiel, dass es sich um einen ungemein dicken Jungen gehandelt hat – vielleicht daher der Spitzname Knöpfle? Und zwar auch deshalb, weil ihn sein Großvater laufend in eine der Beizen des Stuttgarter Bohnenviertels mitnahm. Da aber sein Enkel Wein noch nicht mochte, hat er ihm ersatzweise Schweizer Käse auftischen lassen, den der bald Dreijährige – man darf gewiss sagen: Dreikäsehoch – ruckzuck verschlang und dann an seinem Geburtstag als Geschenk sogar ein ganzes Pfund, wovon er freilich nicht nur käsesüchtig, sondern so dick und krank wurde, dass ein Arzt eingreifen musste. Eine mehr als herbe Abmagerungskur war nötig! Und der Großvater hat selbstverständlich seinen Enkel nicht mehr mitbekommen.

Er selbst schildert an anderer Stelle seine Veranlagung zum Dickerchen und später zur stattlichen Beleibtheit. In einer Erzählung über seine Eltern „Als ich wiederkam“ sagt er, dass er drei Wochen nach seiner Geburt als ein Mordsbrocken – wie seine Tanten und Basen behaupteten – Backen wie Dudelsackpfeifer bekam und seinen vielen Kindsmägden durch sein rasch zunehmendes Körpergewicht bald müde Arme machte.[6] Ja, er sei schon bei der Geburt – so lesen wir an anderer Stelle in einem Brief an seinen Vater im Krieg[7] – extrem schwer gewesen: „Der Kerle hat annähernd 12 Pfund und einen richtigen Wasserriebeleskopf.“ Und als ihn später in der Inflationszeit die ausgewanderte Anna Nill, die auch im „Schwobablättle“ schrieb, besuchte, erzählte er ihr vorbeugend von einem anderen „Bsuach aus Amerika“, einer „Frau Soundso“, die bass erstaunt gewesen sei, keinen ausgehungerten, sondern einen wohlgenährten Mann vor sich zu sehen. Er hatte doch im Wochenblatt dringend um Unterstützung gebeten, sich für bisherige Gaben bedankt und zu weiteren ermuntert! Gott sei Dank sieht ihn aber Anna Nill nicht so – wie jene Frau Soundso! Doch davon später!

 

 ----------

 [1] Die Artikel im Stuttgarter Neuen Tagblatt erschienen ab 1908 und enden 1914 mit Beginn des Ersten Weltkriegs. Gleichzeitig hat Knöpfle auch im New Yorker Schwäbischen Wochenblatt publiziert. Doch die Zeitungen dieser Jahre liegen bisher nicht vor. Es gibt aber Reaktionen von dortigen Lesern, die Wilhelm Löffel in die „Marbacher Sammelmappe“ eingefügt hat: „Brief einer Knöpfle-Verehrerin aus Chicago“ mit dem Briefdatum 18. Juli 1911 (abgelegt im Jahrgang 1908). Und im StNT vom 20.5. 1911: „Wie man sich den Weingärtner Knöpfle vom Bohnenviertel – in Amerika vorstellt“: eine Zeichnung mit Text. Darin wird ausgeführt: „Diese große Zeitung, die unter unseren Landsleuten in Amerika sich einer weiten Verbreitung erfreut, setzt ihren Lesern unter anderem auch in gewissenhafter Regelmäßigkeit die Ansichten des Herrn Knöpfle vor und erhebt so den biederen Stuttgarter Wengerter zu einem nationalen Kulturträger, worauf Herr Knöpfe nicht wenig stolz ist.“

Die „Marbacher Sammelmappe“ ergänzt die Mikrofilme der Landesbibliothek Stuttgart und der identischen Kopie in Dortmund.

Erst Ende 1920 hat Wilhelm Löffel seine „Ansichten“ wieder aufgenommen, aber nur in Amerika. Die Mikrofilme im Institut für Auslandsbeziehungen sind oft lückenhaft. Doch Knöpfles Artikel finden sich bis einschließlich 1923. Das folgende Jahr ist kaum dokumentiert, und 1925 stößt man nur noch auf wenige Artikel. 1926 bis 28 schwieg Knöpfle und er setzt erst wieder 1929 ein. Die nächsten Jahrgänge bis 1933 sind reichlich bestückt. Mit der Machtergreifung enden offensichtlich seine Beiträge.

[2] Der erfundene Knöpfle spricht im Beitrag vom 6. Juni 1908 von einer Sommer- und Gartenwirtschaft und beschreibt die Ausflügler. Am 2. Januar 1909 besucht er auch die „Winterwirtschaft“ mit seinen Kumpanen.

[3] In: Mir send jetzt em Zeiche des Herbschtes, Stuttgarter Neues Tagblatt, 24.9.1910. Wieder abgedruckt in meinem Buch: Hartmut Löffel „Wilhelm Löffel (Knöpfle), Kraut ond Rüaba, Vermischtes aus dr Scheuer. Gedichte, Geschichten Szenen“, Talfeldverlag Biberach 1996, S. 51 f. (ISBN 3-9800141-2-6).

[4] Siehe Fußnote 3.

[5] Zwar ist im letzten Kapitel eine Fortsetzung angekündigt, aber sie war nicht auffindbar.

[6] New Yorker Schwäbisches Wochenblatt (= NYSW), am 31.1.1923.

[7] Brief vom Schwager Louis Stäbler. Ebd. am 26.1.1923.

Eine biografische Erzählung

„Als ich wiederkam“

 

In der gerade genannten Erzählung „Als ich wiederkam“[8] schildert Wilhelm Löffel die „Liebes- und Leidensgeschichte“ seiner Eltern im Jahr vor und bis nach seiner Geburt, indem er sogar ihren Briefwechsel einfügt. Darin mahnt, drängt und bestürmt seine Mutter ihren Verlobten – der im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 und 71 an der Front kämpft –, Urlaub zu nehmen und die verschobene Hochzeit nachzuholen, weil sie schließlich – ja, welche Schande! – als Ledige ein Kind erwarte. Sie schämt sich mächtig vor den Leuten und geht gar nicht mehr aus dem Haus. Einmal schreibt sie ihm: „Denke Dir doch, wenn Du nicht mehr zurückkämst – wie ich in der Schande säße?! Das ist mein einziger Kummer – und wenn das noch lang so weiter geht – wirst du mich nicht mehr unter den Lebenden antreffen.“ [9]

Er aber tröstet und vertröstet sie, unterhält sie mit Gefechtsberichten und erobert lieber nach Sedan schließlich auch Paris. Seine Antwort auf ihre Klage und Drohung lautet dann zugespitzt sogar so: „Wenn mir etwas zustoßen sollte in diesem Feldzug, so ist es ja eine schöne Sache, den Heldentod für sein geliebtes Vaterland zu sterben. Es kann einem ja übrigens auch daheim auf friedlichem Boden etwas zustoßen. Wenn wir Soldaten ein solches Hasenherz besäßen, wie Ihr Weiber, so hätten uns die Franzosen schon lange nach Deutschland hinausgehauen! Deswegen muß der Soldat für das Wohl seines Vaterlandes leben und wenn es sein muß, auch jederzeit sterben können – Punktum!“ [10]

Bevor Wilhelm Löffel senior jedoch Ende Juni 1871 zur großen Siegesfeier nach Stuttgart endlich zurückkehrt, erlebt er, schwer getroffen, seine größte Niederlage. Denn seine Verlobte ist am Anfang des Monats gestorben – mit 26 Jahren. Alle Selbstvorwürfe helfen nichts. Er kann letztlich nur noch den Sohn in Empfang nehmen. Wenigstens ist er, so sieht es die Familie, zurückgekommen, denn er hatte sich nach der Todesnachricht[11] nicht mehr gemeldet. Im letzten Kapitel schildert Wilhelm Löffel den Einmarsch zur Siegesfeier und die Begegnung mit dem Vater auf dem Friedhof.

Wilhelm Löffel junior hat seine Erzählung hauptsächlich hochdeutsch verfasst. Nur in Dialogen greift er auf den Dialekt zurück. In den späteren „Jugenderinnerungen“ ist es anders. Sie werden durchgehend schwäbisch erzählt Dort erfahren wir dann auch mehr über ihn selbst. Wichtig und wertvoll sind aber in der früheren Geschichte unter anderem die ausführliche Darstellung der Zeitumstände, der damaligen Lebensverhältnisse – und auch die Vorstellung seiner eigenen Familie. Hier das erste Kapitel:

 

Stuttgart, 17. April 1922

Liebe Landsleute!

Neben meinen sonstigen Plaudereien drängt es mich – Euch eine Geschichte aus der Jugendzeit meiner Eltern zu erzählen, die wegen ihres tragischen Abschlusses verdient, der Oeffentlichkeit unterbreitet zu werden. Bevor ich jedoch auf den Kern der Sache näher eingehe, muß ich zur besseren Orientierung meiner geneigten Leser einiges aus den damaligen Verhältnissen der alten Stuttgarter Weingärtnerzunft vorausschicken.

In Stuttgart waren die Weingärtner noch bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts tonangebend; denn Zweidrittel der damaligen Einwohnerzahl bestand aus Weingärtnern. Der eigentliche Sitz der Weingärtner war das sogenannte Bohnenviertel in der Eßlinger Vorstadt – der jetzigen Altstadt. Den Kernpunkt des Bohnenviertels bildete die Webergasse, welche entlang der alten Stadtmauer lief, von deren Ueberresten außer dem Schellenturm an der oberen Wagnergasse – heute nichts mehr zu sehen ist. Vor etwa hundert Jahren wurde der kleine Graben außerhalb der Stadtmauer zugeschüttet und die Weingärtner, deren Häuschen an den Graben grenzten, pflanzten dort ihr Gemüse, in der Hauptsache aber Bohnen – daher der Name Bohnenviertel, bis auf den heutigen Tag. In der Webergasse Nr. 82 nächst der Judengasse wohnten meine Großeltern väterlicherseits, dort erblickte mein Vater am 8. August 1844 das Licht der Welt, als Sohn des Weingärtners und Feldsteußlers Heinrich, Friedrich Löffel und dessen Ehegesponsin Katharina Friederike, geb. Krämer. Mein Vater war an vierter Stelle von sechs lebenden Geschwistern: der Erstgeborene hieß Heinrich und war zehn Jahre älter als mein Vater, dann kam seine Schwester Friederike, welche sechs – und Pauline, welche zwei Jahre älter waren. Nach ihm kam sein Bruder Fritz, der drei Jahre jünger, und nach fünf Jahren noch das Nestkegelchen Luischen, welches schon mit neun Jahren starb.

Wie mir mein Vater oft erzählte, sollen ihr die Spulwürmer ein Loch in den Magen gebohrt haben – ob dies richtig ist – konnte ich aus der Familienchronik nicht ersehen; der Quacksalber Hanfstengel – der zur selbigen Zeit alle Weingärtner kurierte und laxierte – will es jedoch behauptet haben. Wie es damals die Tradition des Weingärtnerstandes erforderte, so mußte auch mein Vater dem Berufe seines Vaters folgen; denn gleichviel – ob ein Weingärtner zehn Söhne hatte oder nur einen, so wurden sie alle dem Weingärtnerstande einverleibt. Bei den Mädchen war es fast dasselbe, höchst selten durfte eine außer Standes heiraten, ja – es entstanden oft Todfeindschaften, wenn ein Handwerker der Tochter eines Weingärtners den Kopf verdrehte, oder ein Sohn für sich eine sogenannte „Reingschmeckte“ aus einem anderen Stande – oder gar eine vom Lande zur Frau begehrte.

Die fünfziger Jahre brachten die Weingärtner durch Mißwuchs und Teurung tief in Schulden – ja viele an den Bettelstab. Ganze Familien wanderten nach Amerika aus, um ihrem Elend zu entrinnen. – kurzum, es war für die Weingärtner eine trostlose Zeit; kein Brot – kein Fleisch – keine Kartoffel – und – obendrein kein Geld! Der Handel und Verkehr mit dem Auslande war zur selbigen Zeit noch sehr dürftig, es mußte alles per Achse herbeigeschafft werden, da unsere Eisenbahnen selbst noch in den Kinderschuhen steckten. Endlich – im Jahre 1857 brach wieder eine bessere Zeit an und es folgten nacheinander drei gesegnete Jahrgänge, wo es Obst, Wein und Frucht in Hülle und Fülle gab und Scheunen und Keller nicht im Stande waren, all diesen reichen Segen zu fassen. Mancher, dem schon das Messer an der Kehle saß – konnte sich wieder flott machen; vielen aber – hatten die Schulden Hab und Gut aufgefressen und hatten so das Nachsehen. Ihre Güter wurden von den bessersituierten Weingärtnern – bei denen sie in Schulden standen – um ein Nasenwasser eingesackt. Daher kam es auch, daß viele Weingärtner nach diesen Hungerjahren zu Wohlstand und Reichtum gelangten, wie es ihnen zuvor nie möglich war; während Zweidrittel zu armseligen Tagelöhnern herabsanken und wieder von unten anfangen mußten.

Auch die Eltern meines Vaters hatten an den Folgen dieser Hungerjahre noch lange zu leiden; wenn sie auch ihre Güter der Not nicht opfern mußten, so waren sie doch mit Pfändern belastet, daß die Söhne gezwungen waren – neben der Bestellung der eigenen Güter – noch ins Taglohn zu gehen, damit die Schuldzinsen aufgebracht werden konnten.

Im Jahre 1864 starb mein Großvater plötzlich an den Folgen einer Lungenentzündung – erst 49 Jahre alt. Bald darauf heirateten die älteren Geschwister nacheinander standesgemäß und machten anscheinend gute Partien. Im Jahre 1865 wurde mein Vater Soldat und kam zum 2. Regiment, das im Oberland in Weingarten in Garnison lag. Die Güter wurden verkauft und zum größten Teil von den verheirateten Geschwistern ersteigert. Mein Vater und sein jüngerer Bruder bekamen beide ihren gesetzlichen Anteil, welcher in jener geldarmen Zeit jedoch nicht sehr reichlich ausfiel.

Meine Großmutter behielt ihr Häuschen in der Webergasse und nährte sich schlecht und recht von ihren kümmerlichen Zinsen und einem Dutzend Schlafgängern – von denen sie ihr Häuschen vollgepfropft hatte bis unter die Dachsparren. Es waren meist Maurer und Gipser aus Neuhausen auf den Fildern – die in der Stadt beschäftigt waren und nur über den Sonntag in ihre Heimat kehrten. Mein Vater –, der 1866 den Feldzug – oder besser gesagt – den Fehlzug gegen Preußen, als Rottenmeister mitmachte, wurde nach dessen Beendigung zum Obermann befördert und hatte somit die Ehre, drei Jahre des Königs Rock zu tragen, während sein Bruder Fritz, der sich schon 1860 verheiratete, vom Kommiß befreit war. Da nach Ablauf seiner Militärzeit keine Aussicht vorhanden war, sich mit den paar hundert Gulden, welche ihm sein Erbe eintrug – als Weingärtner eine eigene Existenz zu gründen, ging er in städtische Dienste über und bekam alsbald die Stelle eines Rathausdieners, welche dazumal den Namen Stadtsoldat hatten.

Und nun käme die mütterliche Seite an die Reihe. In der Webergasse No. 17 wohnte der verwitwete städtische Brunnenwärter Gottlieb Benjamin Stäbler, dessen zweitjüngste Tochter Christiane ihm den Haushalt führte. Christiane war ein bildhübsches, rechtschaffenes Mädchen von sonnigem Humor und gefälligem Wesen, weshalb sie auch im ganzen Bohnenviertel von Jedermann gern gesehen und geachtet wurde. Christiane hatte noch zwei ältere Brüder, von welchen der eine Gottlieb und der zweite Ludwig hieß; ersterer war städtischer Brunnenmacher – letzterer Faktor in einer bedeutenden Korsettfabrik. Die ältere Schwester Wilhelmine war mit einem Weingärtner Namens Karl Simminger verheiratet, der 1864 bei einem Brande – wo er als freiwilliger Feuerwehrmann tätig war – ums Leben kam. Die jüngste Schwester Kathrine – eine Schönheit mit rotgoldnen Haaren – war mit einem reichen Weingärtner verlobt. Nun – dieser Christiane Stäbler hatte es mein Vater angetan; denn bald kam ein inniges Verhältnis zwischen beiden zu Stande. Es war im Juli 1870 – schon trafen sie die Vorbereitungen zur Hochzeit – da fuhr wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Kunde von der Kriegserklärung Frankreichs an Deutschland jäh dazwischen. An eine Verbindung war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken; denn schon am gleichen Tage mußte sich mein Vater zu seinem Regiment nach Weingarten begeben. Es war ein kurzer, schmerzlicher Abschied – und: „Wer weiß, ob wir uns wiedersehen?“ kam es traurig von den Lippen seiner geliebten Braut – als der Zug von dannen fuhr.

 

----------

 [8] Diese Fortsetzungsgeschichte beginnt am 10. Mai 1922 (= Erscheinungsdatum) und reicht 1923 bis ins erste Drittel. Im Teilnachlass von Wilhelm Löffel im Stuttgarter Stadtarchiv befindet sich ein ehemaliges Wirtschaftsbuch, in das er die meisten der 21 Kapitel eingeklebt hat, leider ohne Datum. Vom NYSW aus lassen sich jedoch die Daten weitgehend bestimmen und die fehlenden Kapitel ergänzen: 1922: 10. Mai / 17. Mai / 7. Juni / 28. Juni / 12. Juli / 6. Sept. / 20. Sept. / 4. Okt. / 1. Nov. / 8. Nov. / 22. Nov. / 6. Dez. / 13. Dez. // 1923: 3. Jan. / 17. Jan. / 26. Jan. / 31. Jan. / Ohne Datum / 28. Febr. / Ohne Datum / Der Schluss: ohne Datum.

[9] Ihr Briefdatum ist der 11.11.1870. Im NYSW publiziert am 8.11.1922.

[10] Das Briefdatum ist der 16.11.1870. Im NYSW publiziert am 6.12.1922.

[11] Die Briefe an ihn von seinem Bruder mit der Todesnachricht (am 2.6.1871) und mit der Schilderung der Beerdigung (am 8.6.1871) und vom Schwager (am 6.6.1871) sind im NYSW am 28.2.1923 abgedruckt.

Die Jugenderinnerungen vom Knöpfle

 

Die „Jugenderenneronga vom Wengerter Knöpfle“ sind 1930 und 1931 in 12 Kapiteln erschienen.[12] Für erzählenswert hält er die Vergangenheit, weil sie die gute alte Zeit verkörpert, während er die Gegenwart im Unterschied dazu kritisch sieht. Und so beginnt er das erste Kapitel zunächst mit seiner persönlichen Lage als demnächst Sechziger, der auch von der Zukunft nicht mehr viel zu erwarten habe. Geburt und Taufe dagegen sind ihm wichtig und dann auch die Auseinandersetzung zwischen den Eltern – Ereignisse, die in der früheren Erzählung „Als ich wiederkam“ bereits umfassend ausgeführt sind.

 

Liabe Landsleut!

Wenn dr Mensch amol en dem Alter ischt, wo’s allmählich mit dr Rüschtichkeit henta hott goht – ond es kommet dia Tag, wo du wirscht saga, se gfallet dir net, no fühlt er aus logischa Grönd dös Bedürfnis en sich, meh an sei Vergangaheit zu denka, weil er von dr Gegawart net sonderlich erbaut ischt ond von dr Zuakonft nemme viel zu erwarta hot. I be nämlich jetzt au an dera Etappa a’glangt, wo mr sich nemme zur Jugend rechna därf; denn wenn mr amol Sechzich zählt – no ischt mr gwiß koi heurichs Häsle meh; ond wenn mr sei Sach no so guat em Kopf hot – de andere Extremitäte lasset oifach noch – ond wenn dös amol dr Fall ischt, no woiß mr – wiaviel Uhr daß gschlaga hot. Also – em Kopf han i bis jetzt gottlob no nex z’klaget – ond mei Gedächtnis reicht no bis en mei früheschta Jugend z’rück. Weil i Euch – meine liabe Landsleut – bisher emmer von der Gegawart mit ällem gehässicha ond gschpässicha drom ond dra onterhalta han, möcht i Euch au amol dronternei a bißle ebbes von meiner Jugendzeit verzähla. Vielleicht ischt oim oder em andra von Euch no dös alte Volkslied em Gedächtnis – es fangt a: „Wie ich mich nach der Heimat sehn“ – ond do kommt dui wonderbar Schtropha drenn vor, dui mir als Motto von meine Jugendplaudereia deana soll, se hoißt: „Denk an die Jugendzeit zurück. / Erinnerung ist mein größtes Glück!“

Bald nach dr Geburt oder besser gsagt Wiedergeburt vom deutscha Reich en dem denkwürdicha Johr 1871, han i am 25. Februar z’Schtuagert – em Bohnaviertel – ond zwor em hischtorischa Webergäßle Nommero 17 – hentannaus gega s’Höfle – em Vormittags am halb Elfe ‘s Licht dieser herrlichmiserable Welt erblickt. So viel i mir han saga lassa, be i onter große Schmerza gebora worda: i selber ka’ mir’s nemme denka – obwohl i persönlich drbei gwä be. Aber i han heut no en Briaf, den mei Muatter ihrem Herzällerliabschta ens Feld noch Frankreich gschrieba hot – ond en dem se behauptet, daß bei dr Belagerong von Paris sicher net so handich herganga sei, wia bei dr Geburt vom jonga Knöpfle; denn dös sei gwiß koi Schleckhaf gwä – bis mr so en Bröckel an ‘s Tageslicht befördert häb. Mei Vatter, der anno Siebzich hot ausmarschiera müassa, isch selbigsmol vor Paris glega – ond muaß en heidamäßiga Krattel kriagt han, wo er den Briaf von meiner Muatter glesa hot. Er hot’en au glei poschtwendend  beantwortet  ond sei ällerhand  Hochachtong über den Schtammhalter ausgschprocha. Mit dr Tauf – hot er gschrieba – müaß o’bedengt gwartet werda, bis er vom Feld z’rück sei – dös gang jetzt voll em Galopp, nochdem jo dr Frieda scho lang onterzeichnet sei.

Jetzt hot dös Deng aber seine Hoga ghet, denn erschtens – ben i ledich gebora, weil meine Eltera durch den plötzlicha Kriegsausbruch koi Zeit meh zom heirata kriagt hent. Deshalb be’ni laut Gsetz selbichsmol meim Vatter no nex a’ganga, sondern be uf den Familianama meiner Muatter ens Schtandesamtsregischter ei’traga worda. Ond zwoitens ischt meiner Muatter dös warta uf die Hoimkehr ihres Kriagers z’letscht verganga, denn so em Galopp – wia sich mei Vatter den Hoimtransport denkt hot – isch eba net ganga. Er hätt sich jo ällerdengs beurlauba lassa könna, aber dös hot sei Schtolz net zuaglassa; denn er ischt mit Leib ond Seel Soldat gwä – ond do hot er müassa vom A bis zom Tezät drbei sei. So ischt also mei Tauf ohne mein Vatter en äller Schtille vollzoga worda; mei Großvatter mütterlicherseits ond meiner Muatter ihr Bruader Ludwig send z’ Gvatter gschtanda – ond net vergessa – mit Bopserwasser be’ni tauft worda. Mei Großvatter, der nebabei bemerkt, städtischer Bronnaverwalter gwä ischt – hätt niamols zuaglassa, daß i mit dem verpönta Krottawasser vom Nesabach aus dr Tauf ghoba worda wär. Aella Reschpekt vor dem Ma’ heut no, denn der hot’s von dr erschta Schtond meines Lebens bloß guat mit mir gmoint. Natürlich hot er mir au bei meiner Tauf sein schöna Nama „Gottliab“ aufghängt, was mir ällerdengs wenicher emponiert hot, weil i mi net gern en schtaubicha Gottliab hoißa laß.

Meiner Muatter Bruader hot selbschtverschtändlich au verlangt, daß i sein feudala Nama Ludwig führa müaß; aber als Ruafnama han i den schöna Nama Wilhelm kriagt, weil mei Vatter au so ghoißa hot; dös hätt mei Muatter net anders glitta. Also – Gottliab – Ludwig – Wilhelm, welch’ schtattliches Namaregischter – i glaub soviel hot koi Menischter!

Jetzt wia no mei Vatter d’Nochricht kriagt hot, daß d’Tauf bereits ohne sei A’wesaheit vollzoga worda ischt, hot er en saugroba Briaf an mei Muatter gschrieba – ond drenn benamst, daß dös a Rücksichtslosichkeit em a Feldsoldata gegenüber sei – ond daß er guata Luscht hätt – ond würd sich en Reims noch ‘ra Französe omgucka, do därf er bloß d’Händ nausschtrecka, no hätt er an jedem Fenger oina; ond wenn er bei dr Tauf gwä wär, hätt’s koin Gottliab ond koin Luwig gä – i hätt o’bedengt „Bismarck“ hoißa müassa! Mei Muatter hot sich aber durch dös Schreiba net ens Boxhorn jaga lassa – ond hot meim Vatter glei wieder a ordelicha Retourschäs gä; endem se gschriaba hot, daß er sich no en Frankreich noch so ‘ra Mamsell gucka soll, vielleicht häb er au scho oine en Aussicht; sui könn trotz ihrem Buaba – zu dem er zwor dr Vatter sei – jeden Tag heirata, se dürf bloß „ja“ saga – an Liabhaber tät’s net fehla!

Damit für heut Schluß, ‘s nächschtmol mach i weiter en dem Thema.

 

Das nächste Mal (im zweiten Kapitel) berichtet er vom Tod seiner Mutter, seiner Pflege bei ihrer ältesten Schwester und von der Rückkehr des Vaters, der aber auf den Rat der ganzen Verwandtschaft hin ein Jahr später wieder heiratet. Nun hat Knöpfle eine neue und liebevolle Mutter. Welches Glück also! Die Jugendzeit hat für ihn auch deshalb eine große Strahlkraft, aber ebenso die Lebensumstände in Alt-Stuttgart, das für ihn ganz besonders in Erinnerung ist – mit seiner Geselligkeit der Weingärtner im Bohnenviertel. Er führt das unwiederbringliche Ideal in einem längeren Gedicht vor und beginnt so:

 

Der, wo alt Stuagert hot no kennt, / Ond sich dr frühra Zeit entsennt, / Der secht: „Do isch no gmüatlich gwä, / So Zeita sotts halt heut no gä!“ / Mr hot net ghadert – hot net gschnauzt – / Ond oiner hot da andra dauzt. / Am beschta isch – net zu vergessa / Dr Schwong em Bohnaviertel gsessa; (…)

 

Der Schluss des Gedichts beklagt gerade das Gegenteil:

 

So war dort ‘s Leba einscht – ond jetzt – / Do wird blos lamentiert ond ghetzt; / Dr oi will hüscht – dr andre hott – / Ond jeder suacht da liaba Gott / Heut blos no en seim Portmanee, / Drom ischt au ‘s Leba nemme schö!

 

Das ist freilich eine große Übertreibung! Und die geschätzten Weingärtner haben nicht weniger auf ihr „Portmanee“ gesetzt und zur Veränderung des alten Stuttgart beigetragen. Im dritten Kapitel steht überdeutlich, warum:

 

I well net o’gerecht sei ond gern zuageba, daß mir durchs deutscha Reich au vieles provitiert hent, denn scho nach a baar Jährle hot Schtuagert sich aus seiner Nesa-bachsohla raus­gmacht; Aecker ond Wiesa send über Nacht Bauplätz worda – ond dr Wengerter hot en de Besawirtschafta d’Ellaboga krottabroit uf da Tisch nei’glegt – ond hot triomphiert: „Was koscht die Welt – i will se kaufa!“ Au onser ehrsams Handwerk – dös scho lang sein goldna Boda onder de Füaß verlora ghet hot, isch durch dui Bautätichkeit wieder zur Geltong komma. Dr Wengerter, als Haus- ond Großgrondbesitzer, der als Altei’gesessener scho Johrhonderte to’a’gebend en Schtuagert gwä ischt, hot z’mol ‘s Gras wachsa seah, seine Güater send durch die Erweiterung vom Schtadtbaupla’ über Nacht rapid em Preis g’schtiega – ond mancher, der bis über d’Ohra en de Schulda gschteckt ischt, hot sich durch da Verkauf vom a Bauplätzle wieder finanziell gsond macha könna.

Mei Vatter, der aus ‘ra alta guatsituierta Wengertersfamilie schtammt, dui aber en dene miserable fufzger Johra, dia sich durch Mißwachs ond Teurong auszeichnet hent, von ihrer erhabena Höhe ronter komma ischt, hot noch seiner Militärzeit da Wengerter an Nagel ghängt – ond hot sich bei dr Schtadt als Kanzleiufwärter a’schtella lassa, was domols grad koi schlechter Poschta gwä ischt; weil Württaberg dort no den alta Zopf mit dem Trenkgelder­o’wesa von Oeschtreich übernomma ghet hot. Mei Vatter ischt bei dr Kaufratschreiberei  als Aufwärter gwä – ond do isch täglich durch Kauf ond Verkauf mancher Gulde en sei  Weschtatäschle ghopft; daß amol sei Ratschreiber zua’ nem gsagt hot: „Donnerwetter Knöpfle, Sia verdeanet jo en oim Tag meh als i em ganza Monat!“– No, so grausich isch grad net gwä, aber emmerhe a Beweis, daß koi schlechts Pöschtle gwä ischt. Noch ‘em Feldzug hot mei Vatter glei wieder sein Dienscht bei dr Kaufratschreiberei a’treta dürfa, wo dr Doig durch den wirtschaftlicha Aufschtieg bereits zur Rothausschtaffel ronterglaufa ischt. Ond zom Beweis, daß mei Vatter durch seine Trenkgelder ond aso, koi schlechts Gschäft gmacht hot, ischt er em a Jährle scho Hausbesitzer gwä. Durch sei Heirat mit dr Schtadtratsdochter vom Zyloxagäßle, hot er au koi schlechta Partie gmacht. (...)

 

Und im vierten Kapitel fügt Wilhelm Löffel noch diese Einzelheit hinzu, die wohl auch erklärt, warum er sich später ein Hotel kaufen konnte:

 

Wia i ‘s letschtmol scho gsagt han, hot mei Vatter a Zwoifamiliahaus en dr Webergassa käuflich erworba – ond glei baar zahlt. Nochher hot er’s mit seim Kollega Heinrich – der au uf em Rothaus so a ei’träglichs Pöschtle ghet hot – toilt. Mei neua Muatter hot außer a baar daused Gulde au no en schöna Wengert als Heiratsguat mitbrocht – ond i han doch au a mütterlichs Vermöga von einiche Daused g’het, dös zwor vorläufich no mei Onkel Rotbart en Verwaltong ghet hot, weil er dr Pfleger gwä ischt. Mit dem Geld von meiner zwoita Muatter ischt glei noamol a Wengert kauft worda – ond weil mei Vatter dös Vermögele von meiner Perso au gern omtrieba hätt, hot er seim Schwoger Rotbart koi Ruah glassa – bis er dös au voll ghet hot. (…)

 

Im Anschluss an den wirtschaftlichen Aufschwung der Familie schiebt „Knöpfle“ einen geschichtlichen Abriss ein von den Anfängen Stuttgart bis zu den Weingärtnern im Bohnenviertel und deren Niedergang aufgrund der Entwicklung zur Großstadt und der Bebauung der Weinberge – als eine Ursache. Nach den Ausführungen im 5. Kapitel über die Problematik der standesgemäßen Heirat im Bohnenviertel und das ständige Ineinanderheiraten und nach den Bemerkungen über den erstrebten Kindersegen kommt Knöpfle, daran anknüpfend, wieder zu sich selbst zurück: dass er eben aufgrund seiner übergroßen Verwandtschaft im Bohnenviertel dauernd gedrückt, geküsst und „abgschleckt“ wurde, was ihn zu Schreikrämpfen brachte. Geschrien hat er freilich auch bei vier weiteren Erlebnissen, die seine Jugend nicht unbedingt als eine durchgehend goldene erscheinen lassen!

Zu seinen Spielkameraden gehörte zum Beispiel auch der böse Vetter Eugen, der ihm einmal im Zorn mit einem Beil (genauer: mit einem „Pfohlhob“) mordsmäßig auf den Kopf schlug – wie und mit welchen Folgen, das wird ausführlich bis ins sechste Kapitel erzählt. Ein dreijähriger „Attentäter“! Ab jetzt durfte Knöpfle nicht mehr allein auf die Gasse und auch der Großvater kümmerte sich um ihn, nahm ihn auf seine Spaziergänge mit, aber auch immer wieder in Besenwirtschaften. Mit welch fatalen Folgen diesmal, das wird bis ins 8. Kapitel geschildert. Danach nimmt ihn ausnahmsweise sein Vater ebenfalls zu seinem sonntäglichen Frühschoppen in eine Wirtschaft mit. Unbemerkt, während der Vater gerade mit seinem Nachbarn schwätzt, nimmt Knöpfle seinerseits einen kräftigen Schluck aus dem „Schnapsbudel“, wird „knitzblau“ und erstickt fast. Nach der Rettung durch seinen „Leibarzt“ soll und darf er an die frische Luft, aber nur mit einer Base, die auf ihn aufpasst.

Sie gehen zusammen zum Katharinenplatz, um mit anderen „Versteckerles“ zu spielen. Beide laufen dann in ein Haus, von dort in den Hof mit zwei Sauställen und schlüpfen dahinter. Während nach einem Weilchen das Bäschen draußen „spickt“, wie die Suche verläuft, befasst er sich mit den inzwischen unruhigen Schweinen und ihrem verschlossenen Türchen, bis es unversehens auffährt, die Schweine herausstürmen, ihn umwerfen und eins dabei auf seine Nase tritt „ond ‘s ganz Gsicht verschandelt“. Die Mutter fasst den Unglückstag am Schluss des Kapitels so zusammen: „Em Morgens lasset se dös Kend em Schnaps schier ver-schticka – ond em Obends wargelt er em Saudreck rom! Was wird aber no aus dem Büable – ach Gott – ach Gott!“

 

Aus dem 6. und 7. Kapitel:

(...) Gewöhnlich hot mi mei Großvatter en seiner denschtfreia Zeit uf seine Schpaziergäng mitgnomma, wo mr gwöhnlich ans Bopserbrönnele ganga ischt.

Amol hot er mi en a Besawirtschaft mitgnomma – ond wo er mi von seim Wei hot trenka lassa, muaß i derartiche Grimassa gschnitta han, daß älle Gäscht en dr Wirtschaft zsämma­glacht hent; ond a alter Wei’zah hot gsagt: „Wart no Mändle, bis du amol daused Wocha alt bischt, no verziahgscht dei Gsicht nemme beim Wei’trenka!“ – I han jo dös Gschwätz sell mol net verschtanda, aber i muaß doch konschtatiera, daß sei Profezeihong glänzend en Erfüllong ganga ischt. Wo no mei Großvatter sich en Schweizerkäs hot komma lassa, den i han au versuacha dürfe – isch’s grad omkehrt gwä wia beim Wei; denn oms Nomgucka han i meim Aehne sein Schweizerkäs verdruckt ghet, so daß er sich hot glei noamal a Portzio bschtella müassa. Dös Deng hot dem alta Ma so Schpaß gmacht, daß er mir jedesmol – wenn mr mitnander en a Wirtschaft send – a ganza Portzio Schweizerkäs hot komma lassa, dös ischt mir liaber gwä als Bombola oder sonscht a Schleckerei. Ja, an meim dritta Geburtstag hot mir der gut Ma’ a ganz Pfond Schweizerkäs gschpendet – ond wo no mei Vatter en Beziehong meiner Gsondheit Bedenka g’äußert hot – hot mei Großvatter blos da Kopf gschüttelt – ond gmoint – dös sei besser, als wenn mrs Geld en d’Apethek traga müaß. Zletscht hot aber dui Schweizerkäsfresserei bei mir so ausg’artet, daß i bald noch gar nex anders meh Verlanga g’het han – ond dös ischt mir bald zom Verhängnis worda; denn am a schöna Tag han i nemme ufs Häfele könna – ond am ganza Leib han i zmol en Ausschlag kriagt, daß i ausgseah han wia wenn i frisch aus em Brotofa rauskomma wär. Natürlich ben i durch dui üppich Schweizerkäskoscht au von Tag zu Tag dicker worda, so daß i a baar Backa ghet han wia Posaunaengel – ond vor Güate fascht verplatzt wär. Ond wo’s mit dem Ausschlag emmer ärger worda ischt – ond zmol au mei Appetit nochglassa hot, send meine Leut allmählich drufkomma, daß mr doch amol da Dokter drüber höra müaß. Wo der mi gseah hot – ischt er zwoimol uf em Absatz romgfahra – ond hot d’Händ überm Kopf zsämmagschlaga.

„Ja, ums Himmelswillen – mit was füttern Sie denn ihren Prinzen – Frau Knöpfle? Der kleine Mann verknallt ja nächstdem vor Güte!“ –„O Herr Dokter – Sia glaubets gar net, was der Bua für a Schlecker ischt!“ hot mei Mutter a’fanga verzähla. „Der mag blos Schpätzla – Nudla ond Pfannkuacha; ond wenn Se em a Pfond Schweizerkäs na’schtellet – dös frißt der oms Nomgucka uf oin Sitz – ohne Brot, da bleibt net amol d’Renda übrig! Ja, Sia machet sich oifach gar koin Begriff, wia schrecklich der Bua da Schweizerkäs mag!“ – Em Dokter sei  Gsicht ischt während dem Vortrag von meiner Mutter emmer länger worda – ond zmol hot er mit feierlichem Ernscht sein Zeigfenger wackla lassa – ond dia drohende Wort ausgschtoßa: „Frau Knöpfle – Frau Knöpfle – nehmen Sie sich ja in Acht mit dem Kleinen, das Kind muß bei dieser Lebensweise unbedingt frühzeitig zu Grunde gehen! Drum machen Sie auf der Stelle Schluß mit ihrem Schweizerkässystem und lassen Sie die vielen Mehlspeisen fort; sorgen Sie für gründlichen Stoffwechsel und geben Sie dem Kind viel frisches Obst und Gemüse zum essen, andernfalls liefern Sie den Buben in kurzer Zeit dem Totengräber aus – haben Sie mich verstanden?! Und du kleiner Mann –“ hot sich dr Dokter jetzt an mi gwendet – „mußt sterben, sobald du nochmals Schweizerkäs ißt; dann kommst du ins Grabeloch nunter – hast g’hört Dickerle, he?!“ – Dös Wörtle „sterba“ ond „Grabaloch“ ischt mir so en d’Glieder gfahra, daß i laut nausplärrt ond en oim fort gschria han: „Auwahle i will netta sterba – i will netta sterba –!“ Dr Dokter hot mir also da Appetit am Schweizerkäs gröndlich gnomma; denn i han von dr Schtond a koin meh schmecka könna; (…)

 

Aber hinterher wird noch kräftig gestritten: Der Vater macht der Mutter Vorwürfe, dass sie den Sohn verwöhne, und als auch noch der Großvater mit einem neuen Päckchen Schweizerkäs hinzukommt, wird ihm das vom Vater verboten. Doch nach der Schnapsgeschichte revanchiert sich der Gescholtene und hält dem Vater seinerseits eine Strafpredigt.

Im 9. Kapitel folgen zwei eher peinliche Episoden des Dreijährigen, der bei einer Trauung in der Leonhardskirche plötzlich „a fürchterlich Bauchzwicka kriagt“ und mitten in die Amtshandlung des Pfarrers schreit: „Auwah – Vatter – i ka’s nemme heba!“, dass sogar dem Geistlichen das Wort in der Kehle stecken bleibt, während die Anwesenden das Lachen nicht mehr „verheben“ können.

Eine zweite Episode ähnlicher Art ereignet sich im väterlichen Weinberg, als er sich auf dem Nachbargrundstück Blumen pflücken will, aber vom Besitzer erwischt, bedroht und von seinem Spitz gehetzt wird, worauf sich eben in seinem „Hösle a schwer’s Gewitter entlada hot.“ Alles scheint gut auszugehen, doch im 10. Kapitel erscheint, erneut drohend, der Nachbar, und ein Riesenstreit zwischen ihm und der inzwischen mit dem Essen eingetroffenen Mutter entsteht, die ihren Kleinen wie eine Löwin verteidigt. Aber der Streit eskaliert weiter und sie beschuldigt den Nachbarn im Gegenzug des Diebstahls ihrer „Breschtlinge“ und „Moosröslein“, worauf er sich maulend zurückzieht.

In den letzten beiden Kapiteln[13] geht es um einen Hauskauf im Immenhofviertel und den letztlichen Umzug dorthin:

 

11. Kapitel

Amol – am a schöna Tag – ischt mei Vatter kreuzfidel hoimkomma – ond hot mei Mutter en Arm gnomma: „Weib“ – hot er gsagt – „heut ischt der Tag des Herrn! I han deim Bruader sein Emmahofa abkauft – mit samt em Häusle ond ällem drom on dra; moi, Weib – jetzt kriagscht a schöna Villa – dr Kauf isch perfekt – an Jakobi könnet mr ei’ziah – grad hent mr mitnander bei dr Jakobena da Wei’kauf tronka!“

„Laider, i schmecks bereits, daß vom Wirtshaus kommscht!“ hot mei Mutter, net grad sonderlich erfreut – gsagt, „O Ma’ – wia ka’scht du au so en domma Schtroich macha – ond meim Bruader sei Eulagreut[14] kaufa? Ond no schwätzscht du au no von ‘ra Villa? I dank schö für den Schpott! Ja, glaubscht denn du, i ziahg en dui verwahrlost Knallhütte nei? Noi, noi – i bleib, wo’ni be – no woiß i wenigschtens, daß i no bei de Leut be; aber do druß – en dem Gäu, wo d’Füchs ond d’Hasa a’nander guat Nacht saget – han i nex verlora!“

„Do bischt du ganz falsch onterrichtet, Weib!“ hot mei Vatter tröschtet. „Dr Emmahofa ischt a Paradies – ond koi Eulagreut; dort send de beschte Aecker – Gärta ond Wiesa em ganza Schtuagerter Tal! Onsere wohlhabendschte Wengerter hent sich dort scho vor Johrzehnte Grond ond Boda erworba – ond verschiedena drvo hent em Bohnaviertel scho lang da Rücka kehrt – ond sich em Emmahofa a’gsiedelt – ond jeder von dene Großmogul secht, daß er nemme tod em Bohnaviertel wohna möcht! Wart no, wia i dös Häusle sauber herrichta tua, dös muaß nochher so zuckrich ausseah, als wenns aus Matzebah[15] wär – ond no senget mir frei noch Schiller: Raum ist in der kleinsten Hütte / für ein glücklich liebend Paar!“

„Halt no dei Maul, Ma’ – ond mach mir da Gaul net scheu! Woisch was dr Goethe gsagt hot – ha? „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!“ – ond so goht mir’s au! Glaubscht denn du, mei Bruader hätt dir sein Emmahofa abtreta, wenn er em net scho lang verloidet wär? Der wird sich schö ens Fäuschtle lacha, daß er so en Domma gfonda hot – wia sei Schwoger Knöpfle oiner ischt!“

„No net scho vor de Schtroich heula, wia d’Hond – Weib! Mr ißt bekanntlich nex so hoiß – wia’s kocht wird! Dei Bruader hot andre Plä’ em Kopf, der ischt jetzt onter die Bauonternehmer ganga – ond hot sich mit dr Firma Vögele ond Stumpfrock assoziiert, dia Herra brauchet kapitalkräftiche Leut ond flüssichs Geld – verschtohsch jetzt, Weib – wia dr Hase läuft?! Ond aus dem Grond hot mir dei Bruader sein Emmahofa zom Kauf a’traga!“

„I will dös gelta lassa – ond würd schliaßlich älles gern en Kauf nehma, aber sag mir no Ma’ – wo dös z’letscht no naus will? Jetzt hoscht zwoi Wengert zom verlohna, wo so wie so emmer Null von Null ufgoht, bis ‘s Johr rom ischt – ond jetzt kaufscht no meim Bruader sein Emmahofa drzua – ond uf em Rathaus sollscht du doch au dein Poschta ver-seah, wer will denn dös älles verkrafta? Sechscht doch selber emmer, daß mr koine zwoi Herra deana könn!“

So hent meine Leut mitnander om’s Kaisers Bart gschtritta – ond ‘s End vom Liad isch gwä, daß mei Mutter hot nochgeba müassa – om dös liaba Friedens Willa. Mei Vatter, der bekanntlich aus ‘ma echta Bohnaviertelwengertersgschlecht[16] schtammt, hot sich scho lang mit dem Gedanka traga, sein Onterbeamtafrack so bald als möglich an Nagel z’hänget, om sich wieder voll ond ganz seim Schollabuffershandwerk widma zu könna. So ischt em dös A’gebot von seim Schwoger wia Hemmelszeicha erschiena, daß der Tag seiner Wünsche nahe herbeigekomma sei. Doch bevor i jetzt em alta Thema weitermach, möcht i den Schauplatz meiner reifera Jugend doch a bißle näher beschreiba, damit dr geneigte Leser sich o’gfähr von de örtliche[17] a klei’s Bild macha ka’.

Dr Emmahofa – schriftdeutsch „Immenhofen“ – ischt heut dr südliche Schtadttoil von Großschtuagert – ond war en meiner Jugendzeit a Gelände von Obst- ond Gmüasgärta, allwo sich die Wengerter – dene es em Bohnaviertel allmählich z’eng worda ischt – a’gsiedelt hent. A fruchtbar’s idyllisch Fleckle Erda, vom a kleina Bach, dem sogenannta „Fangelsbach“ durchzoga. Dr Emmahofa soll amol a Weiler gwä sei, der wia so viele kleine Ortschafta om Schtuagert rom em dreißichjähricha Kriag zerschtört worda ischt. Heut ischt dr Fangelsbachfriedhof no ‘s oinziche Wahrzeiche, dös vom Gewandt Emmahofa übrig blieba ischt, dem zu A’fang vom zwanzichschta Johrhondert onser Großschtadt da Garaus gmacht hot. Dös Häusle, wo en dem A’wesa gschtanda ischt, dös mei Vatter von seim Schwoger erworba hot, ischt zemlich premetiver Art gwä – ond hot jedenfalls seine Vorgänger früher amol blos als Gartahäusle deant, an dös emmer dr jeweiliche Besitzer wieder en Bröckel na’gflickt hot. D’Nochber hent em den Nama „Patronatasch“ gä, weil ‘s gar so kuppelich ausgseah hot – ond ‘s mendeschte vom ganza Emmahofa gwä ischt. Mei Vatter hot sich zwor älle erdenkliche Müah gä, ebbes ordelichs aus dem Häusle zom macha , aber ‘s ischt em mit em beschta Willa net gelonga – ond so hot’s den Nama „Patronatasch“ b’halta, bis dr neue Schtadtbaupla’ seim gebrechlicha Leba am a schöna Tag a jäh’s End gmacht hot.

 

12. Kapitel:

Am 24. Auguscht – dr Obend vor Jakobi anno 1874 ischt en dr Bohnaviertelswirtschaft beim Häberle großa Abschiedsfeier gwä, an dera so zemlich ‘s ganz Bohnaviertel teilgnomma hot – ond i sag dir, liaber Leser – wenn d’Reis noch Amerika ganga wär – anschtatt noch Emmahofa, dös jo kaum recht en schtarka Büchsaschuß vom Bohnaviertel entfernt ischt, hättet net meh Träna fliaßa könna, als an sellem Obend gflossa send. I selber han jo domals überhaupt no net gwißt – om was sich de ganz Kugelfuhr dreht; i han blos emmer mei Mutter a’guckt – ond so oft dui hot a’fanga heula – han i au pläret – ond worom, dös ischt mir eigentlich bis heut no net zom Bewußtsei komma. Meine Backa hent mi ganz brennt von lauter Abschiedsküß, dia mir von meine Nichtena – Tanta ond Basa en liebenswürdichschter Weis verabreicht worda send. Dr Wengerter-gsangverei „Urbania“ hot ergreifende Abschiedsliader gsonga – ond Reda send ghalta worda, von dene i ällerdengs nex verschtanda han; ond mei Vatter hot feierlich verschprecha müassa, daß er em Bohnaviertel sei Lebalang die Treue bewahrt – ond au en Zuakonft Schtammgascht vom Häberle seiner Bohnaviertelswirtschaft bleibt.

Am andra Morga – en äller Herrgotts früheschter Frühe, ischt an großer Pritschawaga am Haus vorgfahra, uf dem dr ganze Hausrat mit ällem drom ond dra verschtaut worda ischt. Möbelwäga – wia heutzutag – hent nämlich selbichsmol blos für de hohe ond höchschte Herrschafta exeschtiert. Dr Waga ischt von meim Vatter seine Rothauskollega mit Gürlanda bekränzt worda – ond mi hot mr mit onsrer Angorakatz, dui i fescht en Arm gnomma han – z’oberscht uf da Hausrat gsetzt. Onter Voratritt dr Musikkapell von dr freiwillicha Feuerwehr, dui dös ergreifende Volksliad: „Muaß i denn, muß i denn zom Schtädtele naus“ – gschpielt hot – ond begleitet von dr ganza Bohnaviertelsjugend, hot sich dr Waga en Bewegong gsetzt, wo sich am Wilhelmsplatz ‘s ganz Geleite mit samt dr Feuerwehrmusik en Wehmut ufglöst hot.

Dr Ei’zug em Emmahofa ischt wenicher feierlich gwä, do hot koi Hahn noch oim kräht, was au wieder sei Guats für sich ghet hot – weil jo bekanntlich henter jeder Teilnahme maischtens au a großes Toil Nasaweisheit schteckt. Aber, daß i net lüag – dr Besawirt Rühle hot als oiziger d’Fahna rausghängt – ond a baar Salutschüß aus seiner Musket abgfeuert; dös ischt aber au älles gwä. Während i mi en meiner neua Omgebong ganz wohl gfühlt han – hot sich mei Mutter älla Müah gä müassa – ond wär am liabschta glei wieder em Bohnaviertel zua; aber so noch ond noch hot se sich doch ens O’vermeidliche gfüagt, obwohl’s er zemlich sauer a’komma ischt. Degega mei Vatter – der ischt jetzt ganz en seim Element gwä – ond hot jeda freia Schtond benützt, om seim A’wesa da Schtempel dr Behaglichkeit ond dös bürgerlichen Wohlschtands nufzudrücka. Kaum a baar Tag noch onsrem Ei’zug hot er scho a halb Dutzend Goißa ond en kapitala Zuchtbock drherbrocht. „So Weib“ – hot er gsagt – „daß du en Zuakonft net so verlassa bischt, han i dir a bißle Gsellschaft mitbrocht!“

Mei Mutter, dui von Haus aus an koi Tierle gwöhnt gwä ischt, hot schier dr Schlag troffa, wo se dui Menascherie gseah hot. „Für so a Gsellschaft dank i schönstens!“ hot se a’fanga proteschtiera. „I han di nemlich blos gheirat, daß dei Kend wieder a Mutter hot; aber net dösweg, daß i für deine Viecher au no d’Kendsmagd mach! Ond wenn du mir net so schnell wia möglich den verschtonkena Goißbock aus em Haus schaffscht, no gang i heut no uf – ond drvo, daß jetzt woischt, Ma’!“

Mei Vatter ischt aber net der Ma’ gwä, der sich durch a derarticha Drohong hot ens Boxhorn jaga lassa, denn er hot sei Schtadtratsdochter en dene baar Johr seit seiner Verheiratong schon so gnau schtudiert, daß er scho em Voraus gwißt hot, daß sich dui Geißagschicht en Wohlgefalla uflösa wird. So isch au komma – obwohl’s manche Träna mütterlicherseits koschtet hot. I – en meiner kendlicha Oifalt – han mei Mutter gar net begreifa könna – ond han dui Goißafamilie mit Freuda begrüaßt, endem i den mächtiga Bock glei ordentlich an seim Bart zupft han, wofür mi aber der zom Dank wia dr siadich Blitz uf seine Hörner gnomma hot – ond wer woiß – ob mi’s selbichsmol net mei jongs Leba koschtet hätt, wenn mir mei Vatter net schleu-nichscht z’Hilf komma wär. I han natürlich zetermordio gschria – ond be von dort ab dem Grobian aus em Weg ganga. Es ischt aber au für ältere Persona net rotsam gwä, sich mit dem ällzeit kampfbereita Viech näher ei’zulassa; denn der Kerle hot direkt gfährlich werda könna, drom hot en mei Vatter au höchscht selta frei laufa lassa. Aber sobald er sich en Freiheit gseah hot, ischt er grad gwä wia Hond von dr Kette  ond hot  durch seine  groteske Bock-schpröng vielmols Schada a’grichtet.

So hot en au amol mei Vatter morgens, bevor er ufs Rothaus ischt, losbonda ghet – ond mei Mutter hot nex drvo gwißt. Uf oimol goht en dr Nochberschaft a Gschroi los – ond Fenschterscheiba hent klirrt; jetzt ischt onser „Märte“ – wia mei Vatter dös Otier tauft hot – em Nochber seine Mischtbeetfenschter romghopst – ond hot dort ganz verheerend ghaust. I ka’ heut no dia Verzweiflongsschroi von meiner Mutter höra – ond sieh dia Nochber dem rabiata Goißbock nochschprenga, der dodurch emmer wilder worda ischt – ond emmer größera Schada a’grichtet hot. Ond wenn i erscht an den Uftritt denk, den ‘s Obends gä hot – wo mei Vatter vom Denscht komma ischt – ond hot ghört, was sei Märte für Oheil a’grichtet hot. Mir klengt heut no der Schlußsatz von meiner Mutter en de Ohra: „–  – daß woisch Ma’, so mach i nemme weiter! Jetzt hoscht d’Wahl zwischa mir ond deim Bock; entweder schaffscht du mir heut no dös Viech aus em Haus oder hoscht du mi bei dir ‘s letschtmol gseah!“– Mei Vatter hot aber au do wieder sein Kopf durchgsetzt, dr Goißbock hot a zeitlang schtrenga Arrescht kriagt – dr Schada ischt em Nochber ersetzt worda – ond mei Mutter hot sich – wenn au schweren Herzens – ergeba en ihr Schicksal gfüagt.

 

 

----------

[12] NYSW: 24.9.1930 / 17.12.30 / 24.12.30 / 31.12.30 // 4.2.31 / 11.2.31 / 25.2.31 / 4.3.31 / 25.3.31 / 8.4.31 / 15.4.31 / 13.5.31. 

[13] Gereut = Weinberggut, wo die alten Stöcke und Wurzeln ausgerodet wurden.

[14] Marzipan.

[15] Konjektur. Die Vorlage ist im vorderen Teil unleserlich.

[16] Hier fehlt etwas, vielleicht „Gegebaheita“.

[17] Im New Yorker Schwäbischen Wochenblatt sind die Kapitel zweimal als elftes überschrieben.

Zwei Lausbubengeschichten

 Die Jugenderinnerungen, die sehr weit zurückreichen, sind sicher durch Erzählungen der Eltern und anderer Verwandter mit entstanden. Allerdings beginnt Wilhelm Löffel sein neuntes Kapitel mit diesem Satz: „Bis zu meim dritta Lebensjohr z’rück ka’ i mir no jeda Episode denka – en der i d’Hauptrolla gschpielt han.“ Freilich sind die wörtlichen Dialoge Erzählerzugabe.

Obwohl im New Yorker Wochenblatt eine Fortsetzung angekündigt ist, war sie bisher nicht zu entdecken. Es kann aber auch sein, dass Wilhelm Löffel seine Erzählung „Feuerwehrles, eine Lausbubengeschichte“ angeschlossen hat. Denn es gibt in seinem Teilnachlass im Stuttgarter Stadtarchiv eine Fassung, die – allerdings ohne notiertes Datum – im Schwäbischen Wochenblatt erschienen ist.[18]

Die Geschichte erzählt, wie eine Gruppe Jugendlicher, begeistert vom Landesfeuerwehrfest, selbst Feuerwehr spielen will, sich behelfsmäßig verkleidet, die nötigen Geräte beschafft oder improvisiert und in Rollenverteilung einen Schuppen anzündet, um ihn zu löschen. Aber das Ausmaß des gelegten Feuers überrascht sie und dann auch der oder jener Vater, der seinem Lausbuben eine Tracht Prügel verabreicht! Im Schwäbischen heißt das „den Ranzen vollhaut“. Knöpfle wird ausgiebig und wahrscheinlich am meisten traktiert.

Der Schauplatz der Geschichte ist wieder im Immenhofviertel, und auch das gekaufte Haus, mit dem Spitznamen „Patrotasch, spielt eine Rolle. Knöpfle ist jetzt – 1877 – bereits in der Schule, in seiner ausgedehnten Freizeit aber kann er sich ausleben. Er schreibt:

 

Dr Emmahofa mit seine Gmüas- ond Obstgärta ischt mir ans Herz gwachsa, dort han i mei sorgalosa Jugend verlebt ond dort han i mit meine Altersgenossa auf dene Wiesa ond Gärta „Soldäterles, Räuberles ond Endianerles“ gschpielt ond drbei manichs Lausbuabaschtückle helfa gliefert.

 

Das ist die „gute alte Zeit“, von der er in seinen Beiträgen von allem Anfang an schwärmt[19], und für die Winzer ist es sogar das Paradies: „Dr Emmahofa isch zu seller Zeit ‘s Paradies von de Schtuagerter Wengerter gwä“.

Der verklärten Vergangenheit wird auch hier die heutige Zeit entgegengesetzt:

 

Selbichsmol ischt Schtuagert no koi Großschtadt gwä, ond d’Leut send au viel gmüatlicher ond net so nervös ond deschperat gewä wia heutzutag, wo emmer dr oi uf da andra ronterguckt ond überhaupt net wisset wia se anander z’Loid leba sollet.

 

Es ist nun interessant, welche Rollenverteilung in „Feuerwehrles“ von dem 13jährigen Kommandanten Guschtel befohlen wird, vom angeblich Ältesten, Stärksten und Gescheitesten in den Augen der anderen: Knöpfle erhält nämlich aufgrund seiner Statur eine nicht erwartete Aufgabe: nicht als Brandstifter oder Feuerwehrmann wie andere wird er eingesetzt, sondern als „Hornischt, weil i de dickschte Backa häb ond am beschta blosa könn.“ In ein Gießkannenrohr blasend, soll er den Feueralarm auslösen und weiter betreiben, was er auch aus „Leibeskräften“ befolgt. In der genannten späteren Fassung hat Wilhelm Löffel allerdings noch einen Zusatz eingefügt und die Begründung lautet jetzt so: „weil i de dickste Backa häb – musikalisch sei – ond enfolgedessa au am beschta blosa könn!“

Damit wird ihm, der eigentlich auch lieber mitzündeln oder mitlöschen will, eine Sonderrolle zugewiesen: etwas abseits auf einem Dach als Turmwart, Warner, Kommentator – Sprachrohr. Und jetzt wird er nicht nur wegen seiner dicken Backen dazu gebracht, deretwegen er sicher auch gehänselt wurde, sondern wegen seiner Musikalität. Wahrscheinlich fiel sie tatsächlich auf, immerhin lässt sie sich der alte Wilhelm Löffel schreibend gerne zuschreiben. Vermutlich war er überhaupt ein wacher und vielseitig begabter Schüler, der auch zeichnen[20], gut kopfrechnen und wohl auch erzählen und sich zu Wort melden konnte.

Umso mehr erstaunt es, dass er seine Schulzeit völlig ausklammert und gar nichts darüber berichtet. Wie kommt das? An zwei Stellen gibt es allerdings unge­fähre Hinweise auf die Schule: In einer Wochenendplauderei sagt Knöpfle, dass, wollte er Bürgermeister werden, andere schrecklich über seine abgedroschene „Holzschpältersgemnaseumsbildong“ lästern würden.[21] Der Spitzname dieser Schule[22] wird etwas später als „Holzschpältergömnasiom“ wiederholt.[23] Eine ziemlich despektierliche Bezeichnung! Anders und im Klartext heißt es dann 1922 anlässlich des Amerikanerfests in Stuttgart, bei dem Knöpfle auf den vor 30 Jahren ausgewanderten Polschterkarle trifft:

 „Ha Höllablitz“ – han i gsagt – „no send jo mir früher äll Dag omanander romdappt – ond hent’s net amol gwißt! I be doch beim Schender au acht Johr en d’Bürgerschul ganga!“[24]

 

  Damit wissen wir wenigstens die Zeit. Aber was hat er in dieser Schule gelernt? Und wurde er überhaupt literarisch gefördert?

Auch wenn er als Knöpfle mit seiner angeblichen Unbildung bzw. abgedroschenen Bildung kokettiert, so scheint er doch recht viel gelesen zu haben, denn seine Beiträge sind immer wieder mit Zitaten versehen. Im zweiten Kapitel der Jugenderinnerungen zum Beispiel druckt er eine Strophe von Freiligrath ab[25] (der übrigens in Bad Cannstatt gestorben ist). Und Schiller war natürlich für einen Stuttgarter ein Muss! Ihn hat er wahrscheinlich schon in der Schule kennengelernt. In einer seiner Wochenendplaudereien am 27. Juni 1914 befasst er sich sogar mit einer Aufführung der „Räuber“ im Freilichttheater im Bopserwald.

Doch hören wir ihm selbst zu, und zwar seinem ersten Gedicht in seiner frühen Sammlung „Wilde Rosen“:

 

Mei’ oiz’ge Freud

 

Mei’ oiz’ge Freud uf dera Welt,

Dös ist ond bleibt mei Dichta.

Ond be i glei net hoch studiert,

Schreib i doch meine G’schichta.

 

Zwor send se äls ganz oigner Art,

I mach do net viel Fachsa,

I schreib, so wia mir’s grad oms Herz

Ond wia’ mei’ Schnabel g’wachsa!

 

 

Und werd’ i au drom kritisiert,

So tuat mi dös net kränka –

I schreib, so weit ‘s Papier mir langt

Ond d’r Verstand zom denka!

 

 So bleibt mei’ Freud uf dera Welt,

Halt ällweil no ‘as Dichta.

Ond net oms ganze Königreich

Tät i do druf verzichta!

 

Eine andere Lausbubengeschichte „ganz oigner Art“, die vermutlich etwas später[26] als „Feuerwehrles“ spielt und sogar wieder mit dem gerade genannten „Guschtel“ als Ältestem und demnach Rädelsführer, heißt „D’ Belaschtongsprob“. Diesmal versucht die Bande durch den Kompost- und Misthaufen der Knöpfles einen Tunnel zu graben und eben auch unter schwierigsten Bedingungen hineinzukriechen. Wenn sich Guschtel gerade im Innern befindet – so sein Kommando – sollen die andern auf dem stinkenden Haufen herumtanzen, um seine Festigkeit zu prüfen. Doch alles kracht zusammen, sie versinken bis zum Bauch und Guschtel muss halb erstickt von einem zur Hilfe geeilten Nachbarn herausgezogen werden. Die Mutter stürzt alarmiert aus dem Haus, schlägt aber diesmal nicht nur die Hände über dem Kopf zusammen, sondern verprügelt erzürnt den Sohn. Diese Geschichte, ein später Nachzügler, ist erst 1934 erschienen.[27]

 

 

 

 

(Für das N. Y. Schwäb. Wochenbl.)

Feuerwehrles

Eine Lausbubengeschichte von W. Löffel alias Knöpfle

 

Liabe Landsleut! Dös Gschichtle, wo i heut Euch verzähla will, ischt Ende dr siebzger Johra em Emmahofa (der Immenhofen soll einst ein stattlicher Ort gewesen sein, welcher im 30jährigen Krieg zerstört wurde) bassiert. Dr Emmahofa ischt nämlich dui Gegend zwischa dr neua Wei-schtoig ond dr Römerschtroß – dort beim Fangelsbachkirchhof. Selbichsmol ischt Schtuagert no koi Großschtadt gwä – ond d’ Leut send au viel gemüatlicher ond net so deschparat gwä wia heutzutag, wo emmer dr oi uf da andra ronterguckt – ond  überhaupt net wisset, wia  se anander z’ Loid leba sollet. Dr Emmahofa isch zu seller Zeit ‘s Paradies von de Schtua­gerter Wengerter gwä, dia sich allmählich vom Bohnaviertel losgsagt – ond außerhalb dr  Schtadt uf ihre Güater a’gsiedelt hent. I muaß dös vorausschicka, weil i selber von Wengertersleut abschtamm, dene ihr Schtammbaum laut Schtuagerter Schtadtkronich bis ens dreizehnte Johrhondert zrückreicht. Dr Emmahofa mit seine Gmüas- ond Obstgärta ischt mir ans Herz gwachsa, dort han i mei sorglosa Jugend verträumt – ond dort mit meine Altersgenossa auf dene Wiesa ond en dene Gärta „Soldäterles – Räuberles ond Endianerles“ g‘schpielt – ond drbei manches Lausbuabaschtückle helfa gliefert.

Natürlich isch bei dene Schtroich – wo mir Buaba äls gmacht hent, net emmer glatt abganga – ond amol – wo mir „Feuerwehrles“ gschpielt hent, hätt’s könna ganz domm ausfalla. Heut no, wenn i z’rückdenk – moin i – müaß i dia Schtroich uf meim Allerwerteschta schpüra, wo’ni selbichsmol von meim Vatter selich verabfolgt kriagt han.

Anno Siebnasiebzich isch en Schtuagert ‘s große Landesfeuerwehrfescht gwä – ond do hent mir Buaba zur Feier des Tags – als bsonders Feschtabzeicha – jeder en Feuerwehrhelm aus Bappadeckel mit em Schtuagerter Schtadtwappa traga dürfa. Beim Soiler Weippert uf em Leonhardsplatz hot mr Gürtel ond Soila kauft – ond dr Vatter ond de ältre Gschwister hent ons Holzbeila fabriziert – ond no isch Feuerwehrles gschpielt worda – blos no Feuerwehrles! Ischt mr von dr Schual hoimkomma, not hot mr sein Schualranza blos en a Eck nei’gschmissa – d‘ Feuerwehrgurta om-gschnallt – ‘s Beile nei’gschteckt – ond da Helm ufgsetzt – ond nonter uf da Schpielplatz! Dort isch ausgmacht worda, wo’s brennt – ond no ischt mr mit Loitra bewaffnet em Hurrah loszoga ond uf älle Dächer en dr ganza Nochberschaft omananderkrepselt. Wenn mei Vatter tagsüber em Wengert gwä ischt, no isch ‘s Luaderleba erscht recht losganga. ‘s Haupta’griffsobjekt ischt an so Täg emmer onser klei’s Wohnhäusle gwä, dös d’ Nochber mit dem Spitznama „Patrotasch“ bezeichnet hent. Do send mir oft – so zeah bis fufzeah Kerle uf em Dach drob gsessa ond hent mit onsre Holzbeila uf dia Dachziagel nei’gschlaga, daß mei Muatter (1872 hat mein Vater sich verheiratet, worauf ich später in einer besonderen Geschichte zurückkommen werde) d‘ Händ übrem Kopf z’sämmagschlaga hot – ond hentadrei hot‘s vom Vatter a gehöricha Tracht Prügel glangt, der gewöhnlich mit em Pfohlschtompa koi schlechta Handschrift gschrieba hot. Am a schöna Tag aber – ischt a anderer Schwong en onser Feuerwehr komma, do hent nämlich de ältere Nochbersbuaba bis zu dreizeah Johr ‘s Heft en d‘ Hand gnomma – ond a Feuerwehr organisiert, dia hot „Höretse“ ghoißa. ‘s Schmelzers Guschtel – dr ältst – dr stärkst ond dr gscheidst von ons älle – ischt onser Feuerwehrkommandant gwä – ond ‘s Aldengers Helme dr Leutnant, weil dös dr zwoitältste ond stärkste – ond bereits au so gscheid gwä ischt, wia onser Kommandant.

„Jetzt will i euch Knirps amol zeiga, wia mr Feuerwehrles schpielt!“ hot ‘s Schmelzers Guschtel – onser Feuerwehrkommandant gsagt. „Also – mir brauchet en erschter Linie amol drei Kärra! Uf oin kommt d‘ Feuerschpritz – uf da andra ‘s Lachafäßle mit Wasser – ond uf da dritta legt mr d‘ Loitra ond d‘ Wasserschapfa! An jeden Waga kommet vier Gäul ond vier Feuerwehrleut! De Jöngste onter ons müaßt da Karra ziah – ond de ältere kommet zur Feuerwehr – verschtanda?!“ Also hot onser Kommandant, ‘s Schmelzers Guschtel, befohla; dr Aeltst – dr Stärkst ond dr Gscheidste von ons älle – ond zu mir hot er gsagt, i sei dr Hornischt, weil i de dickste Backa häb – musikalisch sei – ond enfolgedessa au am beschta blosa könn!

„Jetzt aber – kommt d‘ Hauptsach!“ hot onser Kommandant, ‘s Schmelzers Guschtel gsagt; „dr Brand – a richticher Brand muaß ausbrecha – den mir ganz sach- ond fachgemäß löschet – verschtanda?!“

 Noch längerer Debatte send mir ons einich worda, daß uf em Dach von ‘s Aldengers Schuppa – em mittlera Garta – mit Rebabüschela a groß Feuer a’gmacht wird. Zom Brandschtifter ischt em Feldschütz sei Adölfle – a Guatedel, wia’ner em Buach schtoht – auserseha worda. Am Sonntich Mittag ponkt drei, wenn onsre Vätter em Wirtshaus send, soll dr Brand ausbrecha – ond ponkt zwoi ischt de ganz Feuerwehr alarmbereit uf em Schpielplatz bei ‘s Aldengers Lohkäshütte a’treta – fertich Sand druf!

 Der verhängnisvolle Sonntich Nochmittag ischt a’brocha – ond uf em Schpielplatz schtar­tet ond wartet mit fieberhafter O’geduld onser Feuerwehr der Dinge, die do komma sollet. Onser Kommandant, ‘s Schmelzers Guschtel, haltet noamol a zöndenda A’schproch – ond verlangt, daß uf em Brandplatz jeder sein Mann schtellt – ond so weiter – ond so weiter. Als Zuaschauer ischt de weiblich Jugend mit de Neschtkegel zahlreich vertreta gwä. I – als Honischt ond Schpäher – be mit meim Blosenschtrument, dös aus ‘ra alta Giaßkanna be­schtanda hot – uf d‘ Lohkäshütte klettert – ond han en schtolzem Pflichtgefühl noch dem bewußta Brandplatz Ausschau ghalta; om – sobald dr Brand ausbricht – ens Alarmhorn zu stoßa, damit onser Feuerwehr rechtzeitich en Bewegong gsetzt wird. Endlich – endlich schlächts drenn uf dr Schtadt­uhr drei – ond scho sieh‘ni onsern Brandschtifter, da Adölfle mit ‘ma brennenda Strohwisch onter da Reisichhaufa nonterfahra. Es raucht – es qualmt fürchterlich, ond zmol schlaget d‘ Flamma lichterloh zom Hemmel! „Es brennt – es brennt!“ schrei i aus Leibeskräfta – ond setz mei Giaßkannarohr ans Maul – ond blos – bloscht net, so gilts net: „Tätärätä! Tätärätä! – Tätä!“

Wia ‘s Muatesheer ischt onser Feuerwehr em Schturmschritt da Emmahofa nuf – em Brandplatz zua. I be von dr Lohkäshütte ronterghopft – ond wia dr siadich Blitz drhenterdrei; drbei han i fortgesetzt en mei Rohr neigschmettert, daß mir fascht d‘ Longa platzt ischt. Aber – aber – ja, was ischt denn dös? Do kommt jo zmol de ganz Feuerwehr Kopf über Hals – en wilder Flucht mir entgegagschpronga: „Laufet – sauet – sauet!“ schreit älles durchanander. „Onsern Kommandanta hot dr Feldschütz am Schlawittich – ond em Leutnant haut sei Vatter da Ranza voll! Dr ganze Schuppa brennt – au weh – au – sauet no – sauet!“ Onsre Zua-schauer mitsamt de Neschtkegel werdet über da Haufa grennt – ond oms Nomgucka  ischt de  ganz  Feuerwehr schpurlos verschwonda gwä; blos no onsre Kärra mit em Löschgerät send verlassa mitta em Weg gschtanda. I han mi en onsern Garta gschlicha ond be uf da Mischthaufa nufgschtanda – ond han so ganz verschtohla noch em Brandplatz nübergschpickt – wo d‘ Nochber z‘sämmagschpronga send ond ‘s Feuer helfa glöscht hent. I muaß offa saga – mir ischt nemme ganz wohl bei dr Sach gwä; denn ‘s ischt – wia onser Kommandant ‘s Schmelzers Guschtel gsagt hot, a regelrechter Brand gwä. Loider han i nemme lang meine Betrachtonga nochhänga könna; denn uf oimol werd i von henta packt – ond wia Arzneikolba verschüttelt. Ohne mein Widersacher von A’gesicht zu seah, han i sofort gspürt, daß dös dr ganza Behandlong noch blos mei Vatter sei ka. „So – du Lausbüable – du elends – verdorbes – misserabels“ – hot er töbert – „han i di jetzt verwischt?! Wart Mändle, jetzt wöllet amole mir zwoi mitnander Feuerwehrles to – ond da Brandplatz an en Ort verlega, daß´dir ‘s Feuer zu älle Knopflöcher nausfahrt – du Malefitzbürschle – du verkommnes!“ I glaub sicher, mei Vatter hätt mi z’tot gschla‘, selbichsmol, wenn uf mei Zetermor-diogschroi mir mei Muatter net z‘ Hilf komma wär. Onser Feuerwehr ischt natürlich sella Tag no – ohne Generalversammlong – ufglöst worda.

 

(Worterklärung: Gutedel = hier: Früchtchen, Taugenichts. / Muatesheer = wildes Heer; Totenheer / „Kopf über Hals“ statt „Hals über Kopf“. Auch in der ersten Fassung.)

 

 ----------

 [18] Sie ist ebenfalls von Wilhelm Löffel in ein Wirtschaftsbuch eingeklebt. In dieser Fassung sind die zwei früheren Publikationen überarbeitet.

Die zwei früheren Drucke erschienen in: Der Schwabenspiegel, Wochenschrift der Württemberger Zeitung vom 13.1.1920, S. 59 f. Und in: Wilhelm Löffel, Kraut ond Rüaba, Verlag Karl Felger, Stuttgart 1929, S. 55-60. Abgedruckt auch im Buch von Hartmut Löffel (siehe Fußnote 3).

[19] In: Über Schriftsprache und Mundart, Stuttgarter Neues Tagblatt, am 12.9.1908. Wieder abgedruckt in meinem Buch über Wilhelm Löffel, S. 52 ff. – siehe Fußnote 3.

[20] Einige Zeichnungen sind im Stadtarchiv Stuttgart erhalten. Auch die von ihm porträtierten Köpfe seiner näheren Verwandtschaft und sogar sein eigener.

[21] „Stuttgarter Neues Tagblatt“ = StNT vom 6. Mai 1911.

[22] Eugen Dolmetsch gibt in seinem Buch: „Bilder aus Alt-Stuttgart“, Steinkopf-Verlag, Stuttgart 1930, S. 133 den Hinweis, dass es sich dabei um die „Krähenschule“ in der Eberhardstraße gehandelt hat.

[23] StNT vom 23.9.1911. / Auch in Knöpfles Komödie „Im Dorfwirtshaus zu Immenhofen“ wird es verächtlich genannt (im Sammelband von Wilhelm Löffel „Witz und Humor …“, S. 89).

[24] NYSW vom 26. April 1922.

[25] Vorher schon im seinem Drama „Charles“, 10. Szene.

[26] Im Text steht: „vor 55 Jahren“.

[27] Schwabenspiegel, Wochenschrift der Württemberger Zeitung, 28. Jahrgang, 1934, 13. Febr., S. 55/56.

 

Nach der Schulzeit bis 1907

 Wilhelm Löffels Publikationen in dieser Zeit

 

Nach Abschluss der Schule lebt Wilhelm Löffel weiter bei seinen Eltern in der sogenannten „Patronatasch“[28]. Noch 1898 ist er dort im Adressbuch vermerkt. Dann aber zieht er ab 1899 wieder ins Bohnenviertel zurück.[29] Doch was hat er persönlich erlebt? Auch diese Epoche spart er weitgehend aus. Allerdings gibt es eine Erzählung „Der Manöverhauptmann, eine humorvolle Erinnerung“[30], in der seine Soldatenzeit zur Sprache kommt. Bei diesem Hauptmann handelt es sich um einen Veteranen des 1870er Kriegs, der nun seine Befehle, eben auch andere als früher, nicht mehr beherrscht, deshalb lächerlich ist und ausgiebig verlacht wird. Wilhelm Löffel, der Erzähler, ist am Ende seiner zweijährigen Dienstzeit als Hilfsschreiber tätig, der sich einen ruhigen Posten gesucht hat, jetzt aber eines Manövers wegen wieder zur Truppe muss, was ihm gar nicht gefällt. An dessen Ende wird er aber als Reservist wieder ins bürgerliche Leben entlassen und braucht nicht auch noch, wie durchaus möglich, ein drittes Dienstjahr hinter sich bringen.

Die New Yorker Fassung[31] ist überarbeitet. Im Vergleich zur früheren sind Manöverorte, die dort durch Buchstabenkürzel verschleiert sind, ausgeschrieben und sogar einmal eine Jahreszahl eingefügt: „Am 16. September 1893 war Korpsbiwak bei Bernhausen auf den Fildern.“ Damit ist klar, dass Wilhelm Löffel mit 21 Jahren seinen Militärdienst antreten musste. Eine andere Textstelle kurz danach ist aber ebenso aufschlussreich:

 

Rasch bildete sich ein Kreis unter uns und die freie Zeit wurde damit ausgenützt, die neuesten Anekdoten unsres Manöverhauptmanns loszuschlagen. Ich mußte dabei herhalten, da ich den Tonfall des Hauptmanns am besten markieren konnte. Ich war gerade im besten Zuge, eines seiner bekannten Gespräche getreulich und mit genauestem Akzent vorzutragen, als sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter legte. Ich wandte mich rasch um und sah zu meinem Schrecken unserm Helden ins Gesicht.

„Send Sia der Spaßmacher do?“ frug er mich. Mir schoß eine Blutwelle ins Gesicht und wußte tatsächlich im ersten Augenblick nicht, was ich antworten sollte: denn mein Gewissen fühlte ich schwer belastet – und traute deshalb meinen Ohren nicht, als er sagte: „Was bsennt Se sich denn so lang? Dös ischt jo ganz nett, wenn au oiner onter Euch ischt, der d’ Leut onterhalta ka! Hent Se no viel so Schnitz uf Lager?“

Er stand also dabei und merkte nicht einmal, daß sich mein Vortrag um seine eigene Person drehte.

„Jawohl, Herr Hauptmann!“ gab ich prompt zur Antwort.

„Also guat“ – sagte er, „no brenget Se no glei no ois zom Beschta!“

Selbstverständlich verließ ich jetzt das Thema unseres Manöverhelden und deklamierte etwas anderes aus meinem reichhaltigen Repertoir, worauf er mich mit zwei Zigarren beschenkte, indem er sagte: „Ausgezeichnet – famos! Wo hent Se denn dös Zeugs älles her?“

„Selbst verfaßt, Herr Hauptmann!“ sagte ich etwas stolz.

„Waaas – au no – ha no hent Sia a bsondra Entelligens em Leib – älla Respekt! So machet Se no weiter!“

Ich war froh, so sauber aus der Wäsch zu kommen und zündete behaglich eine der Manöverhauptmannszigarren an. Unser Held hatte sich entfernt, und die Unterhaltung ging von neuem los.

 

Was könnte denn damals schon zum Repertoire von Wilhelm Löffel gehört haben? Er wird ja aufgefordert, ein paar „Schnitz“ – also Witziges, Spritziges – zum Besten zu geben. Waren es Anekdoten oder vielleicht sogar Gedichte? Blieb er beim Dialekt oder „deklamierte“ er hochdeutsch? Schaut man in seinen ersten Gedichtband „Wilde Rosen“, so wäre beides möglich gewesen. Allerdings sind die hochdeutschen Gedichte wie „Abendfrieden“, „Herzeleid“ oder „Frühlingserwachen“ zunächst eher Anknüpfungen an bekannte poetische Tradition und Thematik – und belegen seine Schulung durch Vorbilder. Sein wirklich eigener Ton steckt vor allem in den Dialektgedichten.

Dass er sich mit der Mundart näher befasste und ein Ohr dafür hatte, deutet auch ein Gedicht auf sächsisch an „A Red ans Volch“. Und im Nachlass befindet sich ein handschriftliches Gedicht „Der Tyroler in Stuttgart“. Was bei Wilhelm Löffel selten vorkommt: Es ist sogar datiert, nämlich „Stuttgart 1893 zu Weihnachten“ – entstand also wenige Wochen nach seiner Freistellung vom Militärdienst. Dem Tiroler, der im Schlossgarten von einem „Schandarm“ angeschnauzt wird, ergeht es gar nicht gut, denn den Hüter des Anstands empören seine nackten Knie und er verlangt, dass dieser „Wilde“ seine Strümpfe hochzieht – wegen „Unsittlichkeit“. Gelegenheit, beide in ihrer Mundart reden zu lassen! [32]

Da sehen wir schon Wilhelm Löffels Freude am figuralen Erzählgedicht. Es ist oft ein anekdotisches Ereignis, das er gerne versifiziert und manchmal auch ad absurdum führt. Daneben gibt es aber auch Gedichte eigener Befindlichkeit – als künftiger Weingärtner zum Beispiel. Ein wohl frühes Gedicht ist die Schilderung „Im Wengerthäusle“, wo sich Wilhelm Löffel bei Sturm und Schnee nur zu gern aufhält und aus dem Brotsack, den die Mutter gefüllt hat, futtert, während sie zu Hause „uf ihr’n Bua“ wartet. Und das daran angeschlossene Gedicht „D’r Wengerter“ ist ein Loblied auf den von ihm bewunderten Berufsstand. Beides sind Mundartgedichte.

In der Erzählung „Der Manöverhauptmann“ ist vor allem der karikierte Held ein Vertreter der Mundart, der aber aus dem Rahmen fällt. Wilhelm Löffel bleibt als Erzähler, auch bei der Rahmenhandlung am Anfang und am Schluss, durchgehend beim Hochdeutschen – obwohl er die Geschichte Bekannten am Stammtisch erzählt! Um seine erzählerische Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, führt er auch noch an, dass er früher Offizier war. In der erzählten Geschichte allerdings ist er noch Gefreiter. Wann war er aber Offizier?

Nun gibt es glücklicherweise von seiner späteren Frau Pauline Esslinger aus Weikersheim – sie haben Ende 1899 geheiratet – ein Postkartenalbum.[33] Es geht von 1896 bis 1911. Und gleich am 9. 6. 1896 findet man eine Karte an den „Unteroffizier Wilhelm Löffel in Mergentheim a. d. Tauber“.[34] Und eine andere ist am 5. Juli 1897 an den „königlichen Unteroffizier in Gmünd“ gerichtet.[35] Wahrscheinlich handelte es sich dabei um Wehrübungen. Ob er es aber später noch bis zum übergeordneten Offizier brachte oder bringen wollte? Der Erzähler jedenfalls setzt noch hinzu, dass er die Geschichte so berichte – „wie ich sie mir hinter die Ohren und in mein Notizbuch geschrieben habe“. Und das scheint wohl schon in oder nach seiner Dienstzeit existiert zu haben.

Das Postkartenalbum erlaubt eine genauere Standortbestimmung, einerseits hinsichtlich der augenblicklichen Wohnadressen, andererseits aber auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage des Weingärtners Löffel. Als solcher ist er zwar ab 1902 im Adressbuch vermerkt, aber Postkarten an ihn sehen manchmal differenzierter aus, so am 18. Juni 1900: „Weinbautreibender Gemüsegärtner“, heißt es da. Und ein anderer schreibt 1904 wiederholt einfach „Gärtner“.

 

Wilhelm Löffel hat die allgemeine Lage der Weingärtner in einer kleinen Erzählung wiedergegeben: „Der Stuttgarter Weingärtner im Jahre 1950. Humoristisch-phantastisches Zukunftsbild“.[36] Als Erzähler ist er jetzt verheiratet und macht nach dem Mittagessen und dem reichlich genossenen Most ein Schläfchen. Dabei hat er einen Klartraum, der ihn in ein anderes Stuttgart versetzt und in verschiedenen  Szenen aus der Fassung bringt: „Stuttgart war früher eine berühmte Rebenstadt; aber seit etwa 40 Jahren sind die Reben und mit ihnen auch die Weingärtner verschwunden“, versucht ihn ein Tischnachbar in „Zorns Biergarten“ aufzuklären. Aber vergeblich, denn der Genarrte lebt ja noch und ist ein bekannter Weingärtner! Doch der Gang durch die veränderte Stadt fällt noch haarsträubender aus. Und auch er selbst verhält sich zunehmend haarsträubend und soll schließlich als Verrückter abgeführt werden – bis er Gott sei Dank aufwacht!

 

Schon 1907 freilich – und nicht erst 1910 – hat Wilhelm Löffel seinen Beruf aufgegeben und das Kurhotel Hohenwaldau in Degerloch (damals Kirchheimer Straße 18, jetzt Jahnstraße 50) gekauft.[37] Bis 1918 ist es im Adressbuch als „Gastwirtschaft“ eingetragen. Doch auch literarisch kommt Wilhelm Löffel auf die Beine, denn 1906 verlegt Paul Mähler seine bisher wichtigsten Werke in einem Sammelband. Aber sie sind auch einzeln zu haben.

Eine kleine Posse allerdings „Die verkrachte Verlobung“[38] hatte er schon vorher, nämlich 1902, auf eigene Faust im Selbstverlag herausgebracht. Und das Festspiel „Hie Alt-Urbania und Winzerbund!“[39] war sogar 1904 aufgeführt worden.

Der selbst verlegte Einakter ist sehr kurz. Neben einem scheiternden Verlobungsversuch handelt es sich vor allem um eine Momentaufnahme raubeiniger Trinker am Stammtisch, die sich gegenseitig hochnehmen, doch auch mit dem Wirt streiten, andererseits aber auch unerwartet eine hochpoetische Ader haben. Wilhelm Löffel legt dem einen „Das feuchte Lied“ in den Mund, das später in die Sammlung „Wilde Rosen“ aufgenommen wird, und einem anderen sein Gedicht „D’Schwoba“, allerdings, der Situation angepasst, in einer Variante. Die ganze Posse ist durchgereimt – bereits sehr professionell und ohne Verrenkungen des Reims wegen. Wilhelm Löffel achtet schon hier und auch später auf einen normalen und lockeren Satzfluss.

Dieses Dialektstück wird nun 1906 mit der schwäbischen Komödie „Im Dorfwirtshaus zu Immenhofen“[40] und mit dem Lustspiel „Oine vom Stand“[41] in breiterer Ausführung fortgesetzt. Dazu kommt noch „Charles“, ein „Drama mit Gesang in 3 Akten“.

In der Komödie „Im Dorfwirtshaus zu Immenhofen“ bringt Wilhelm Löffel seinen eigenen Vater als Wilhelm Aufrecht und Veteran von 1866 und 1870 auf die Bühne. Er verkörpert natürlich wiederum die gute alte Zeit und nimmt politisch gegen die jetzigen Sozialdemokraten Stellung. Wilhelm Löffel junior lässt sich aber auch wiederholt selbst erwähnen als „em Wilhelm sei Jongr“, der Gedichte macht. Als die Stammtischrunde am Schluss Knöpfles Gedicht „O Fangelsbach, o Fangelsbach“ nach der Melodie „O Tannenbaum“ singen möchte, sagt der Schneider Schwerdt zum ahnungslosen Wilhelm senior: „Ha, dös hot au dei’ Bua g’macht, du woischt gar net, daß du so en Dichter hoscht.“ Wilhelm senior aber meint dazu: „Wenn’s ihm no au ebbes ei’trage tät. Aber wia, jetzt singet’s doch amol, i will’s au höra!“

Bekanntheit haben Wilhelm Löffel seine Sachen durchaus eingetragen. Immerhin wurde seine Komödie „Oine vom Stand!“, wie er im Vorwort dazu sagt, „erstmals im Stuttgarter Winzerbund mit größtem Heiterkeitserfolg aufgeführt“. Das Stück greift die an anderer Stelle erwähnte problematische Voraussetzung für eine Heirat auf, dass nur eine standesgemäße Wahl in Frage kommt. Die betroffene Marie Zwiebel freilich tritt gleich in der ersten Szene gegen diesen Grundsatz, einen Wengerter zu nehmen, an und will stattdessen einen Kaufmann, der in ihren Augen eine ganz andere Lebensart hat. Kann sie’s gegen den halsstarrigen Vater durchsetzen? Am Schluss helfen ihr die Weitsicht der Mutter und die Vermögensverhältnisse des Bewerbers. Was hier gerade noch gelingt, scheitert im Drama „Charles“ am unnachgiebigen Ochsenwirt und der letztlich kleinlauten Mutter, die nicht vermitteln kann. Am Schluss steht diesmal der Tod des Liebespaars.

Noch einmal hat Wilhelm Löffel später Thema und bewährtes Schema aufgenommen: in seiner Komödie „D’Verlobeng em Wengerthäusle“ oder „D’r letschte Wengerter“.[42] Erneut ist der Winzervater unumschränkter häuslicher Patriarch. Und auch er nimmt den Bewerber gehörig ins Verhör. Dabei ist dieser, ganz unpassend, lediglich Kunstmaler und Vermögen hat er auch keins. Die Mutter versucht trotzdem immer wieder zu schlichten und zu vermitteln. Doch erst die List ihrer Tochter löst den Knoten: Ihr Schatz soll einfach den Vater als letzten Wengerter von Groß-Stuttgart „mit ma Butt voll Trauba“ abmalen, dem wird er nicht widerstehen können. Und in der Tat: das überzeugt ihn und er stimmt der Verlobung zu.

Publizität war also aufgrund der genannten Bücher und Aufführungen[43] zweifellos schon vorhanden. Aber erst mit den Wochenendbeiträgen vom Knöpfle kam ab 1908 eine andere, wichtige Bühne hinzu. Und mit der Verbreitung des Stuttgarter Neuen Tagblatts und dann auch in Amerika des New Yorker Schwäbischen Wochenblatts war Wilhelm Löffel nicht nur im Ländle, sondern auch über dem Ozean eine Größe.

 

----------

[28] Im Adressbuch: Immenhofenweg 26.

[29] 1899: Alexanderstraße 163; 1900-1902: Cottastraße 66; 1903-04: Alexanderstraße 162 B2; 1905-07: Olgastraße 134.

[30] 1906 im Mähler-Verlag Stuttgart erschienen.

[31] Auf dem Film sind drei Folgen vorhanden: 14. November 1923; 21. Nov. 1923; 28. Nov. 1923. Der Beginn ist im Stuttgarter Nachlass (in ein Wirtschaftsbuch eingeklebt).

[32] In der Komödie „Im Dorfwirtshaus zu Immenhofen“ (3. Szene) lässt er Michel, einen Hessen, auftreten.

[33] Es befindet sich im Nachlass des Stuttgarter Stadtarchivs.

[34] Genauer: An Herrn Unteroffizier Löffel. Königl. 4. Württ. Inf Regiment, Nr. 122. Mergentheim a. d. Tauber.

[35] An königl. Unteroffizier Wilhelm Löffel d. 6. Comp Regiment No 180, Gmünd.

[36] In: Witz und Humor, sowie Allerhand Aus der Stadt und vom Land! Gedichte, Erzählungen, Humoresken und Theaterstücke, Verlag von Paul Mähler Stuttgart, o. J. (= 1906), S. 58-62.

[37] Eintrag im Grundbuch: 24. April 1907. Überschreibung auf die Stadt Stuttgart am 10. September 1918.

[38] Ein Abend am Wammestisch zum Sankt Leonhardt oder die verkrachte Verlobung, Posse in einem Aufzug von W. Löffel, Stuttgart. Im Selbstverlag des Verfassers 1902.

[39] „Hie Alt-Urbania und Winzerbund!, Festspiel in einem Aufzug von Wilhelm Löffel. Wurde bei der Vereinigungsfeier des Stuttgarter Winzerklubs und der Urbania aufgeführt.“

Wilhelm Löffel schrieb auch später eine Abhandlung über den Urbanpokal: „Der historische Urbanpokal“, in: Der Schwabenspiegel, 1934, 28. Jahrgang, 13. Nov., S. 362 u. 363.

[40] Im Dorfwirtshaus zu Immenhofen. Schwäbische Komödie in einem Aufzug von Wilhelm Löffel.

[41] Oine vom Stand, Komödie in einem Akt von Wilhelm Löffel.

[42] „Schwäbische Komödie in einem Aufzug“, Verlag Paul Mähler, Stuttgart 1924.

[43] In der Filderzeitung vom 7.9.1954 mit der Überschrift „… dös hilft dir über älles weg“ schreibt Emil Jüngling, dass Wilhelm Löffels erstes Stück „ab 1902 viel aufgeführt wurde“. Allerdings sind andere Angaben in diesem Artikel unrichtig: die Jahreszahlen 1872 und 1899.

 

DR WENGERTER KNÖPFLE im Stuttgarter Neuen Tagblatt (1908 und 1909)

 

Am 4. April 1908 beginnt der Weingärtner Knöpfle mit seinen „Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel“ und mit dem Untertitel: „Eine Entgegnung auf den Wengerter-Artikel vom letzten Samstag.“ Dieser war am 25.3.1908 mit der Überschrift „Unsere Rebenstadt und ihre Weingärtner“ erschienen.

Wilhelm Löffel gibt es freilich, weit zurückreichend, immer mal wieder einen Johann Jakob. Nun wird von ihm einer hier – noch mit einem „Gottfried“ versehen – vorgeschoben! Aber hat er dabei nicht eigentlich seinen Vater im Auge? Er ließ ihn ja schon als Wilhelm Aufrecht „Im Dorfwirtshaus zu Immenhofen“ auftreten! Auch wenn er manchmal eine harte Jugend bei ihm hatte, so verehrte er ihn doch sehr. Nur einmal kritisiert er ihn heftig,[44] weil er 1904 nach dem Tod seiner zweiten Frau, zugleich Knöpfles geliebter Stiefmutter, sofort eine dritte an Land gezogen hat:

(…) Mei Vatter selich – ischt gwiß koi ‘orechter Ma’ gwä – aber dös ka’nem i heutichs Tags no net ontrem Boda verzeiha, daß er – nochdem sei zwoits Weib kaum uf em Kirchhof glega ischt – sich scho noch dr dritta omgseah hot! Ond wenns au sonscht hoißt: „Alle guten Dinge sind drei“ – so ischt der Grondsatz – meiner A’sicht noch, en dem Fall doch net a’brocht, denn dui dritt – wo sich mei Vatter selich – wenn au vorerscht blos als Haushältere – uf da Hals glada hot, ischt verschiedene Krautherbscht jönger gwä – ond hot fönf o’möndicha Kender ghet – ond was no ‘s Aellerärgschte an dr Sach gwä ischt –, daß dös raffeniert Luader außer dem schöna Nama „Rösle“ – aber au gar nex schö’s an sich ghet hot – weder an Körper no an Geischt – ond i werd mi net versöndicha, wenn i sag – daß die a Ripp vom Deifel gwä ischt – mit dera i einscht koi Wiederseha em Elysiom feira möchte; denn dui Heckaros – hot mi mit ihre abscheuliche Dorn em Herza tiaf verletzt – ond hätt mi voll om Hab ond Guat brocht, wenn se dr Satanas net no zur rechta Zeit gholt hätt!

Den noch lebenden Vater konnte er natürlich schlecht zum Urheber dieser Ansichten machen! Insofern gruppiert Wilhelm Löffel um diesen erfundenen Knöpfle herum verschiedene Figuren: Die Frau des Johann Jakob Gottfried Knöpfle heißt Karlena. Beide wohnen angeblich im Bohnenviertel. Oben in Degerloch gibt es eine Milchfrau, „dui nebabei g’sagt, scho fufzeah’ Johr d’Milch ins Haus brengt“[45]: ‘s Raffa Menele (aus einer Familie Raff). Sie vertritt die Ansichten und Belange der Degerlocher. Eine weitere Figur ist der Neffe des erfundenen Knöpfle, der ein Kurhotel in Degerloch hat und nebenher dichtet. So heißt es am 12. Oktober 1912, dass das Theaterstück „D’r letschte Wengerter“ aufs Tapet komme und von des Bruaders Bua verfasst worden sei.[46] Und am 23. August 1913 lesen wir: „Mei’s Bruaders Bua ischt nämlich d’r ganz gleich Kerle wia-ni – emmer no a bißle noch em alta Schlag ond mit ‘ma guata Bruschtkern, bloß hot er meh Bauchschmalz als i – was sonscht eigentlich net en onsrer Familie liegt; em großa Ganza aber au nex ausmacht!“

Nun hat aber Wilhelm Löffel junior seine Knöpflefigur nicht streng durchgehalten. Er wurde ja auch bald von anderen für den „Knöpfle“ gehalten – und nahm mit der Zeit diese Rolle gerne an! So hat er zum Beispiel seine späten Gedichte im Nachlass für sein letztes Buch „Kraut ond Rüaba“ konsequent mit „Knöpfle“ unterschrieben. Frühere unterzeichnete er mit seinen Initialen W. L. Auch die „Ansichten“ im Neuen Tagblatt sind laufend mit W. L. gekennzeichnet – außer der Eröffnung. Seine Zeichnungen wiederum hat er schon recht früh mit „Knöpfle“ signiert.

Die nun folgende Darstellung der früheren, zwar auch armen, aber angeblich besseren Zeit war fraglos jene seines Vaters. Natürlich hat er sie sich von ihm genau erzählen lassen oder viel zu oft anhören müssen! Später übernimmt er Teile davon ins siebte Kapitel der „Jugenderinnerungen“, manches sogar wortwörtlich, als Wutrede seines Vaters, der dort seiner Frau die Verwöhnung des Buben vorwirft. Die Schilderung der alten Weingärtnerzeit mit ihrem Anspruch, dass man nur eine vom Stand heiratet, wird später ausführlich im 5. Kapitel der „Jugenderinnerungen“ erzählt.

 

Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel. Eine Entgegnung auf den Wengerter-Artikel vom letzten Samstag

(Stuttgarter Neues Tagblatt vom 4. April 1908)

 

Seit im Bohnaviertel d’Welschkornbüschela nimme’ an dene Schtanga vor de’ Häusla hanget, seit d’Judagaß Brennerstroß hoißt ond s’Webergäßle a Trottawar hot; ond seit d’Wengerter Schnürstiefel ond Schtehkräga traget ond d’r Märktbronna uf da Wilhelmsplatz versetzt worda ischt, seitdem ischt’s mit d’r alta G’müatlichkeit im Bohnaviertel patschaus!

Ja, – dös ischt mei’ A’sicht – merket’s euch – dös hot a alter Wengerter, d’r Johann, Jakob, Gottfried Knöpfle vom Bohnaviertel g’sagt. Die jetzich Generatio behauptet zwor, je größer onser Schtadt wird, deschto g’söndere Zuaschtänd hättet mir zu gewärtiga. Jo, Pfeifadeckel! – Wenn’s wirklich Mittags Zwölfe schlächt ond dia Fabrika teant sich uf, no kommt a Menschaschwarm raus, daß m’r sich no z’wehret hot, wenn m’r net übers Trottawar nag’schmissa werda will. Aelles, Weibsleut ond Mannsleut rennt durchanander ond schreiet „Mahlzeit!“„Proschi!“ O, schöne Zeit der Lederhosa, Kappa, Unterwämmeser, Pfohlhoba ond Rohrschtiefel! Dös hoißet d’Leut g’sonde Zuaschtänd! Saget mir no, wo bleibt do die alt G’müatlichkeit? – Wo hot’s denn a g’söndere Ratio’ gä, als de alte Wengerter im Bohnaviertel! – Sächt mer aber dös, no hoißt’s glei: „Natürlich ihr Alte mit eure vom Wei’schtoi überzogene Mäga, ihr könnet scho z’frieda sei, ihr hänt Wei’knocha im Leib; aber mir Jonge könnet ons nex erlauba!“ – Wia m’r aber früher hot spara müaßa, do hot die jetzich Generatio koin Donscht. Do ischt m’r dös wohllüschtig Leba, wo se wirklich treibet, net g’wöhnt gwä. Heutzutag will koi Mensch meh’ a trockes Brot essa ond mir wäret froh g’wä, wenn m’r ois g’hätt hättet. Mit Welschkornbrei sind m’r ufzoga worda, d’ Ebieraschälfetza hänt mir abg’nagt ond wenn m’r Durscht g’hät hot, no hot m’r oin an d’Wassergölta g’schickt.

Do sind d’Kinder net verhätschelt worda wia wirklich, wo se’s in Bomwolla ei’wicklet, daß koi bös Lüftle an’s na kommt. Ons hot m’r en a Zoina neipackt ond mit ufs Feld nausg’nomma; wenn m’r g’schria hot, no hot m’r oim s’Maul mit ‘ma Schlotzerpletz zua­g’schtopft, daß m’r fascht verschtickt ischt, do hot koi Hah’ noch oim kräht!

I woiß no wia heut, mir sind acht G’schwischtrich gwä, wenn m’r zom Metzger g’schickt worda ischt, no hot d’Muatter g’sagt: „Bua, hol drei Vierleng Ueberzwerchs ond wenn a Boi d’rbei ischt, no kriagscht Schtroich, säch’sch zom Metzger, dei Muatter müaß toila könna!“ Jetzt könnet ihr’s jo selber ausrechna, was für a Portio von dem z’sämag’schnurrta Kuhfloisch für ons Kender abg’falla ischt. Ond dia Auga, wo d’Floischbrüah nag’macht hot. Mir hänt a Suppaschüssel g’hät, wia d’r Maihrenger Taufschtoi. Aber Kerle sind m’r worda trotzdem, daß m’r koi so üppichs Leba g’nossa hänt.

Gucket amol jetzt onser halbwüchsiga Juged a, wenn so a Kerle net amol konfermiert ischt, no raucht er scho Zigaretta wia Alter, schtellt m’r so en Lausbuaba z’Red, no kriagt m’r a Antwort, daß m’r sich schäma muaß – ond dös hoißt m’r no g’sonde Zuaschtänd!

Ischt m’r im Sonntichs zu ‘ma Besawirt, no hot m’r sich vor beim Käsnanz in d’r Eßlingerschtroß om en Kreuzer Bachschtoikäs kauft, no ischt m’r zom alta Bäcka Schell ins Zyloxagäßle ond hot a Pfondlaible mit om en Groscha ond no hot m’r d’Hälfte zom Wei’ g’essa. Die ander Hälfte hot m’r am andra Tag mit en da Wengert g’nomma. Wenn no d’r Käs gar gwä ischt, no hot m’r die ganz Woch über ans Papier na g’schmeckt ond s’trocka Brot na druckt. So hot m’r früher g’spart! Deswega ischt m’r aber grad so fidel gwä ond hot g’songa: „Freund ich bin zufrieden“; aber wirklich singet se ond sind o’z’frieda!

I muaß m’r ällmol wieder dia hoiliche Zeita vom Bohnaviertel ins Gedächtnis ruafa, wo de ganz Wengerterszonft so nochberlich omanander romgwohnt hot ond älles ischt verwandt ond verschwägert mit’nander gwä, so daß m’r em Oina ond Andra en Spitznama uftrieba hot, daß m’r halbwegs no draus komma ischt!

A zönfticha Sach ischt bei onsrem alta Wengerterschtand immer gwä, daß m’r schtets en großa Wert uf d’Rassarei’heit g’legt hot. Koi’ Wengertersbua hot sich erlaubt, oina außrem Schtand z’heiratet ond wenn’s amol vorkomma ischt, daß oiner a „Rei’g’schmeckta“ g’nomma hot, der hot’s sei Lebtag höra müaßa.

Freilich hot’s au Zeita gä, wo dia heiratsfähige Wengertersmädle rar gwä sind, weil hiabot oina nebenausg’heirat hot, no isch dene Buaba natürlich nex anders übrich blieba als:

„So geh’n wir aufs Lande / Um lustig zu sein – / Weil viel schöner die Mädchen, / Viel besser der Wein!“

 Dia hänt’s aber net bloß g’songa, noi – sie hänt’s tatsächlich so g’macht ond sind naus ufs Land noch Gablaberg ond Häslich zom Tanz ond hänt d’rbei Brautschau g’halta; denn notabene, z’Gablaberg hot’s so schöne Wengertersmädla g’hät wia z’Stuagert. Hot no beim Tanza oiner sei schtandesgemäßa Liabe g’fonda, no isch d’Lomperei erscht recht a’ganga, denn dia Gablaberger ond Häslicher Wengerters-Buaba hänt ihre Mädla net so leichten Kaufs her gä ond der wo behauptet, er häb sei Herzgebeckelta hoimg’führt, ohne daß er a paar Löcher in Kopf g’schlaga oder da Buckel mit Blaumäler kriagt hot, der lüagt.

Aber so goht’s: „wer lieben will, muß leiden“ ond wer s’Glück hot, führt d’Braut hoim! Jetzt muaß i aber au hoim zom Nachtessa, mei Weib macht heut mei Leibschpeis – Hacklompa mit Salat ond do muaß i d’rbei sei!

 

(Worterklärungen: Welschkorn = Mais / Pfohlhoba = krummes Winzermesser / Wassergölta = Gefäß / Zoina = Weidenkorb / Schlotzerpletz = Stück zum Schlotzen / drei Vierleng = ¾ Pfund / Hacklompa = Pfannkuchen)

 

Stuttgarter Spitznamen haben es Wilhelm Löffel über alle Maßen angetan. Er hat sie gesammelt, mehrfach unter dem Titel „Stuttgarter Spitznamen aus der Spießbürgerzeit“[47] veröffentlicht und sogar auf einige Originale Gedichte gemacht. Auf den „Krabbendusel“ zum Beispiel.[48] Sein Name rührte daher, so erzählt Knöpfle im New Yorker Schwäbischen Wochenblatt,[49] dass er als zehnjähriger Junge auf dem Schlossplatz mit einem Apfelbrecher als Netz Raben fangen wollte. Vergeblich! Heulend kam er zu seinem Vater nach Hause. Und der soll gesagt haben: „Do ghört Tröschterschnaps drzua! Do nemmst a Kölble mit – donkst zemlich Brot drenn nei; dös schmeißt’ en no – no werdet se ganz duselig – ond guat fanga sei!“ Und so ist’s gelungen!

In seinen „Ansichten“ vom 18. April 1908 berichtet nun Knöpfle vom Umzug des Krabbendusels aus dem Bohnenviertel weit hinaus ins Koppental. Ein trauriger Abschied für alle, als wäre es ein Begräbnis! Da kann aber der „erfundene“ Knöpfle eines Gichtanfalls wegen nicht dabei sein. Stattdessen lässt er seinen „Bua“ ein Gedicht machen: „Wenn i dui Zeit do rei dös lompete Gicht net g’hät hät, no wär i sicher bei dem Abschied gwä – mei Bua, der a bisle Reima reißa ka’, hot m’r müaßa a passends Gedichtle macha, dös i euch nochträglich jetzt expliziera will“, so schreibt er.

Also nochmal ein Dichter, jetzt der eigene Sohn! Das klingt aber sehr danach, als spreche hier der Vater von Wilhelm Löffel als Knöpfle. Das Gedicht stammt nämlich keineswegs, wie hier heruntergespielt wird, von einem Reimerling, sondern schon viel eher von des „Bruaders Bua“!

 

A d’Bronnaschtroß zeigt Trauer heut,

Als werd’ jemand begraba –

A d’Burger schtandet uf d’r Gass’

Ond tuschlet sich in d’Ohra was:

A Liad vom alta Krabba!

A d’Weiber in d’r Nochberschaft,

Dia hent a Mordsgejommer –

„Wer liefert ons jetzt da Salat,

Gelbrüaba, Zellrich ond Schpinat,

A d’Rettich ond Gugommer?“

D’r Schlosser Veit ischt außer sich,

Er hoißt da Krabb’ en Tropfa –

Bedenk, daß du im Koppetal,

Den Wert net hoscht als Or’ginal –

Do ka’scht dia Schprüch net klopfa!

Du woischt, dei’ starker Erdgeruch,

Ka’ dort koin A’klang fenda –

Denn deiner Reda derber Schwong –

Ond au dei’ sonscht’ge Ausdönschtong,

Riacht net noch Hyazenta!

Doch soll dös g’wiß koi’ Vorwurf sei’,

Dofür kennscht du ons z’guet, –

Denn, daß du nimme’ bei ons bischt

Ond reverierscht vom Dreck ond Mischt

Ischt onser ganze Wuat!

So leb denn wohl, du alter Kräb’

Ond tua ons net verfluacha –

Ond hängst du an deim neua Haus

Geh’ bald dein Krabbawischpel naus,

Tuat die d’r Knöpfle b’suacha!

 

(Worterklärung: Gugommer = Gurke / Wischpel = Wipfel: hier der Reisigbesen der Wirtschaft bzw. ein frischer Tannenzweig an einem Pfahl)

 

Knöpfle geht wiederholt nach Degerloch hinauf, das er einmal in seinen baulichen Veränderungen vor der Eingemeindung vor Augen führt[50]. Ein anderes Mal gerät er in einer Wirtschaft mit einem hochnäsigen Berliner in Streit und wirft sich als wahrer Patriot in die Brust: „I, d’r Johann Jakob Gottfried Knöpfle vom Bohnaviertel han sechsasechzich ond siebzich mitg’macht, be Bloser bei meim Hauptma’ gwä ond Inhaber von zwoi Kriagsdenkmönza, ond wenn i bei Scha’peni[51] net henter meim Hauptma’ sein Gaul nomg’schtanda wär, wo grad en der Nähe a Granata platzt ischt, no wär i uf em Feld d’r Ehra blieba“ (…)[52]

Dieser Knöpfle ist natürlich „Wilhelm Aufrecht“ vom „Dorfwirtshaus zu Immenhofen“ und Wilhelm Löffels Vater. Doch er darf ein weiteres Mal, jetzt wieder ganz in seiner zugewiesenen Rolle, nach Degerloch hinauf, nämlich ins Kurhotel Hohenwaldau, um uns dort das Anwesen des „Bruaders Bua“ (also von Wilhelm Löffel) vor Augen zu führen.

 

 

 

 Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 25. Juli 1908

 

(…) I be doch seit a paar Tag Kurgascht in mei’s Bruaders Bua seiner Sommerwirtschaft ond do lauf i älls schpaziera, naus uf da alta Degerlocher Exerzierplatz, wo ‘s Luftbad ischt ond dia verschiedene Schpiel- ond Schportsplätz send. I guck do ganz harmlos so jonge Kerla zua, wia se Schtauchbales teant, uf oimol han i da Bal uf em Nasaboi droba g’hätt ond schtatt ‘en ra Entschuldigong hot mi de ganz Schwefelbande no donderschlächtich ausg’lacht. Jetzt dös isch doch meiner A’sicht noch a grober O’fuag ond neba mir dra ischt a berittener Gansdarm gwä, der hot au no läschterlich helfa mitg’lacht – ond wo i mi bei dem Ordnongswächter han beschwera wölla – no sächt der ganz kalt: „Sind Sie froh, daß Sie Ihre Nase noch haben!“ – Hört do net älles uf – ha!? (...)

Mei’s Bruaders Bua jammert m’r au da Kopf voll – er häb so maliziöse Kurgäscht, „viel zecha, ond wenich blecha“ – sei do au ‘s ganz Johr d’Parol. I muaß ufrichtich saga, was i en dene paar Tag mit a’g’hört ond g’seah han, ischt m’r ganz gega da Schtrich ganga. Do ischt a Fräulein, dui braucht im Hochsommer a Bettfläsch – no wieder a Herr, der ka’s net höra, wenn bei’m a Pflatschrega Dachrenna überlauft, ond verlangt, daß m’r Watt uf da Boda legt, daß m’r dös Ufpflatscha nimme hört. Wieder ‘en andra scheniert, daß d’r Gockeler so bald kräht – tät der meiner A’sicht noch schlofa, no tät er so ebbes net höra. A Dam’ mit zwoi Söh’ von dreizeah Johr – dia bald so groß sind wia siebaschühicher Pfohl, zahlt, weil’s no Kender sind – bloß halba Pasio’ – mittlerweil fressat dia für sechs Erwachsene. I han zu  mei’s Bruaders Bua g’sagt – horch, so a  G’schäft  ischt aber au koi Schleckhaf – mir in onsrem Schtand sind so a Komöde net g’wöhnt, – daß du’s woischt, die nächscht Woch’ gang i wieder hoim zu mei’m Gegaschtand, meiner Karlena – ond guck wieder noch meine Wengert – ond wenn i nex to’ will , no gang i zom Bäcka Bläse nuf ond mach ‘en rota Gaigel – no ischt m’rs wöhler, als in d’r Luftkur; denn wenn i in d’r Luftkur be’, no will i koi so halbg’räucht’s Volk om mi rom – wo d’Muck an d’r Wand scheniert – no will i Leut von onsrem Schlag. Uebrigens, han i zu mei’s Bruaders Bua g’sagt – möcht in no ‘en Ei’trag ins Beschwerdebuach macha in Beziehong vom a Kurgascht – der sich g’äußert hot gegenüber ‘em a andera, daß i’s in meine oigene Ohra nei g’hört han – seit der Wengerter im Haus ischt, hot m’r gar koi Ruah mehr, der Mensch goischtert scho in äller Herrgottsfrüh im Haus rom! – Mittlerweil schnarchelt der Betreffende die ganz Nacht dermaßa, daß m’r grad moint – m’r schtand an ‘ra Fräßmaschena. Koi Wonder hoißt’s in dem Liad:

 

„Es wär so herrlich uf d’r Welt –

Doch dös macht se zom Sompf,

Daß, wo m’r na guckt – weit ond broit –

Ischt immer Falschheit Trompf!“                              W. L.

 

Ja, Wilhelm Löffel, alias Knöpfle, macht schon gerne Sprüche. Gereimte Sprüche! Seine Artikel sind immer wieder damit bestückt. Es muss ihm nicht schwergefallen sein, solche Einschübe zu erfinden oder Texte damit ausklingen zu lassen. Dabei geht es weniger um eine einmalige Aussage, sondern eher um die Sageweise. Und immer anschaulich!

 

Aus den „Ansichten“ vom 19. Dezember 1908

 

Wenn m’r mit de Weiber schtreit’,

Woiß i, daß m’r onterleit’.

Wenn m’r d’Goscha halta ka’,

Ischt m’r zeahmol besser dra!

Denn se rafflet so lang fort,

Bis se hänt a ‘s letschte Wort

 

(Worterklärung: onterleit’ = unterliegt)

 

Aus den „Ansichten“ vom 28. November 1908

 

Wenn oiner ebbes werda will,

Ond möcht’s pardu verzwenga –

Aus dem wird nex ond wenn er au –

Sich schier tuat d’Füaß rausschprenga.

Sympatisch scheint mir so a Ma’ –

Der net viel schwätzt – meh’ denkt,

Ond net bei jeder G’legaheit –

Sei oiges „Ich“ raushenkt!             

 

Aus den „Ansichten“ vom 24. Oktober 1908

 

Wia hänts de alte Deutsche doch

So schö’ g’hät uf dr Welt –

Sie hänt a sorglos Leba g’führt,

Hent sich net g’härmt oms Geld.

A d’Modesucht hots au net plogt –

Sie hänt glei ‘s Rechte g’fonda,

Denn Ma’ ond Weib hot do a d’Hoor

Bloß en a Büschel bonda.

Was send mir jonge Deutsche do

Für ganz kuriose Schote –

Mir ploget ons johraus, johrei’

Bloß für dui saudomm Mode!

 

Aus den „Ansichten“ vom 6. März 1909

 

Klopf’ i ans Moschtfaß – hallt’s ganz hohl,

Wia en ‘ra leera Kircha –

Was do bis Sommer werda soll,

Fang i scho a z’befürch’a.

D’Krombiera send au’ glei’voll gar,

Au d’Krautschtand’ wia ausgschleckt –

Ond s’Geld so heidamäßich rar,

Daß m’r kaum s’Nötichscht deckt.

Em Holzstall – ach du liaber Gott,

Do sieht’s ganz wendich aus –

D’r Schmalzhaf ischt au am Bankrott,

Ond fascht koi Brot em Haus!

Ond wo m’r goht und wo m’r schtoht,

Macht s’Alter oim Beschwerda –

Doch wenn’s meim Höahneraug noch goht,

Muaß doch bald Früahleng werda!

 

Aus den „Ansichten“ vom 13. März 1909

 

I dank dir, Wenter, für dein Sega,

Den du beschert durch Eis ond Schnee,

Denn o’vergeßlich bleibt mir emmer:

Der Kuß dort – uf em Feuersee!

Gern will i dir Valet jetzt saga,

Mach em a schöna Frühjohr Platz –

No wandre i durch Wald ond Flura

Mit meim von dir schpendierta Schatz!

Ond wenn em schöna Monat Maia –

D’ Kaschtania blühet am Feuersee,

No denk i an dia Wenterfreuda –

Ond küß mein Schatz em Blüataschnee!

 

Aus den „Ansichten“ vom 13. März 1909

 

O holder Lenz vergiß mein nicht!

Seufzt schmerzbewegt die Guschtel,

Werd i von dir net bräutlich küßt,

Bleib i a alte Kruschtel!

O Lenz nemm mir dui Sorg vom Hals,

Tua mi mit Troscht erquicka –

I han a Herz, so treu wia Gold

Ond möcht en Ma’ beglücka!

 

Aus den „Ansichten“ vom 27. März 1909

 

D’r Wenter wär koi übler G’sell,

I will ehn net verdamma,

Bloß an d’r Bildeng fehlt ehm sell,

Er bleibt net en de Rahma!

A’s Frühjohr, dös beschoida Kend,

Tuat er fortwährend utza;

Traktiert’s mit Froscht ond rauhe Wend

Ond mit Aprilabutza!

Ond tät Frau Sonn mit ihrer Gluat

Den Schlengel net vertreiba,

I glaub, der Kerle hätt’ da Muat

Ond würd voll ‘s ganz Johr bleiba!

 

Aus den „Ansichten“ vom 8. Mai 1909

 

Wohl ischt d’r Mai jetzt komma –

Ond älles grüant ond blüaht,

Doch ach, sei kalt’s Benehma –

Sitzt oim doch schwer ufs Gmüat!

Schtatt, daß m’r sich könnt freua,

Em Wonnemonet Mai –

Beginnt er glei mit schneia

Ond Kälte obadrei!

Schtatt, daß m’r sich könnt sonna

Uf blüatareicher Höh’ –

Schlupft m’r em Mai an Ofa

Ond blost en d’Händ  – o weh!

Au mit Katarrh ond Schnupfa,

Gibt’s dauernd Differenza –

M’r sieht gar viele Nasa,

Dia rot ond blau vom Schnenza!

I bitt’ di, Mai, werd’ anders,

Mach net voll älles he –

Ond laß da Pankratz, Servatz,

En Gnad vorübergeh!

Sag’ au zur bößa Sophie,

Sie möcht sich doch bezähma,

Ond endlich ihrer Grobheit,

Amol a bißle schäma! [53]

 

Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 22. Mai 1909

 

Wenn i an so ma schöna Maiatag vor meim Wengert-häusle sitz ond mit meim Schpitzerhondle, meim Mohrle – fern ab vom Getriebe d’r Großschtadt – mei Mittagsbrot toil ond d’r Inhalt vom meim Moschtkruag mi geischtich erleuchtet, no schiaßet mir oft ällerloi Gedanka durch da Kopf – dia oft ganz oigatömlicher Art send! O’willkürlich mol i mir Notiza auf mei Käspapier, dia i schpäter greimt oder o’greimt, so wia i’s halt verschtand, en meiner oifacha Laiaa’sicht zom Ausdruck breng! Ond so be i an dem herrlicha Mittwoch vor ‘em Hemmelfahrtsfescht an dem gottesächta Maiatag au vor meim Wengerthäusle g’sessa ond han mein Geischt zwischa „Einscht ond Jetzt“ kursiera ond mein Moscht musiziera lassa ond han vor mi na’gsommt: „Und golden liegen Tal und Höh’n – O Welt, du bist so wunderschön – Im Maien!“

Nex schtemmt en Menscha am beschta, dös hoißt – wenn er überhaupt oin für d’Natur empfänglicha Rässonanzboda hot – als so a herrlicher Maiatag! Je meh’ i mi do en d’Natur versenk, deschto meh’ komm i mir als o’dankbarer Schmarotzer vor, der wia d’Schildlaus am Rebschenkel an seiner Scholla klebt ond saugt, bis sei’ Schtöndle g’schlaga hot oder als Großdank für’s Genossene a Häufle Schtaub z’rückläßt! – Ja, d’Welt ischt wonderschö’ – ond b’sonders em Maia ond wenn d’Leut au so wäret wia d’Welt, no könnte m’r saga, m’r hot da Hemmel uf d’r Erda, so lang aber dös net d’r Fall ischt, hot d’r Kampf oms Dasei’ koi End! Je ausgeprägter d’r Menschagoischt wird, deschto überschpannter wird er em Aeußera, ond wenn d’r Großvater früher „oin Rock ond oin Gott“ g’het hot – no hot d’r Enkel gar koin Gott ond derfür aber zeah Röck! Dös hoißt m’r Fortschritt – dös ischt net meh’ als billich ond dös g’hört onterschtützt ond ischt modern! Oigatömlich ischt emmer dös, – daß m’r d’Welt verdammt, wenn m’r doch d’Leut mit moint – ‘s ganz Johr wird über da Schtaat rässoniert, ond wer ischt denn d’r Schtaat?

 

A d’Welt alloi, an ond für sich –

Würd schtets en O’schuld pranga,

Tät net d’r Mensch an ihrem G’wand

Wia a Schmarotzer hanga!

Er bohrt ond grabt ond frißt d’rbei,

D’r Erd da Schpeck vom Buckel –

Ond dennoch bleibt se emmer rond,

Als wia a Kegelkugel!

Es goht schtill sein geweista Weg –

A d’Sonn, d’r Mond ond Schterna,

Von dera prompta Pönktlichkeit –

A jeder Mensch ka’ lerna!

Wia sorgt d’Natur en älle Toil,

Sie zeigt sich treu ond bieder –

Ond fahrt a Donnerwetter drei’,

Lacht glei d’r Hemmel wieder!

Drom wer mit ihr em Hader lebt,

Liegt geischtisch en de Fessel, –

Der ischt sei Leba gar net wert –

Ond bleibt uf deutsch – a Esel!          [54]

 

 Wo i am Hemmelfahrtsfescht meiner Karlena ihr’n neugarnierta Sommerhuat g’seah han – han i ‘s Lacha nemme verheba könna! Isch au möglich, han i g’sagt – daß so a alta Schachtel wie du no mit d’r Jugend konkurriera will!? Hot dui net wenicher als fönf Zyrenka, drei Tulipana ond siebzeah Schneeglöckla uf em Huat – ohne den Haufa Vergißmeinnicht, mit dene der Deckel rengsom eing’faßt ischt! I hätt’ mi weiters net g’ärgert, wenn er mit Sonnawirbelessalat garniert gwä wär ond en d’r Mitte a Zellrichwurzel ond a Büschele Monaträdichla, no wär’s wenigschtens schtandesgemäß gwä ond hätt’ emmer no verrückt gnuag ausg’seha! Do passet dia Wort, wo d’r Pfarrer Flattich selich scho vor hondert Johr von d’r Kanzel zu St. Leonhardt donnert hot: „Die Welt ischt lauter Jux juhe – Ond rengsom voller Falta!“

I muaß aber glei wieder betona, daß mit dem Wort „Welt“ bloß d’Leut mit g’moint send! Ond wenn dös Versle au eher en a Cuple schtatt uf d’Kanzel nuf paßt, so schteckt meiner A’sicht noch doch viel d’rhenter! Wenn i zom Bei-schpiel a Gelehrter wär, würd i mi koi Minut b’senna, über dös Versle a philosofischa Betrachtong a’zschtella – ond i versicher euch, daß i a ganz Buach z’samma brächt! Weil i aber bloß a Wengerter be ond mei Horizont durch die Paukaschläg des Schicksals en d’r gemäßichta Zone sich befendet, muaß i ‘s Gottesnama bei meiner schtandesgemäßa A’sicht bewenda lassa!

Mei Balbierer, d’r Bohnaviertelsrasierer „Schneidtminet“ lamentiert über dui neu Verordnong, wo ihr Ennong wieder betroffa hot. Gucket Se no Herr Knöpfle – hot er g’sagt – was se ons’rem Schtand wieder für neue Vorschrifta machet! Koi Härle därf meh uf em Boda  romfahra – älles  muaß vom Kopf ronter ens Feuer ond ‘s tät Not, jeder Friseur würd sich jetzt a klei’s Krematoriom ei’richta! Schtatt oim Schpucknapf, wia seither – müaßt derer mehrere her, daß so jeder ans Schpucka g’wöhnt wird, ond was ischt so a Schpucknapf?! Bloß a Aquariom für d’Kommabazilla – o m’r könnt beim Blitz krambambelich werda! Ja, ja – han i g’sagt – dös brengt älles onser modernes Zeitalter mit sich, je meh daß desinfisziert wird, deschto ekelhafter goht’s zua! Jetzt fehlt nex meh, – han i zom Friseur „Schneidtminet g’sagt – als daß ihr au no Pfeffermenzbombola füahra müaßt – daß m’r no jedem Konda, wo rasiert wird, ois ens Maul schteckt, em Fall oiner dronter ischt, der aus em Hals schtenkt, daß m’rs net so riacht!

 

D’Zeit lehrt ons schtets mit jedem Tag,

A jeder Schtand hat seine Plag –

Trotz ällem Fortschritt tuat m’r schwer,

Sei’s Wengerter oder Friseur!                                W.  L.

 

(Worterklärung: Zyrenka = Flieder / Sonnawirbelessalat   = Ackersalat)

 

 

----------

 [44] Im New Yorker Schwäbischen Wochenblatt, am 27. Juli 1921.

[45] Am 2. Mai 1908.

[46] Und zwar bei der Herbstfeier des Degerlocher Gesangsverein Concordia im Gasthaus Ritter. Höchstwahrscheinlich ist die maschinenschriftliche Fassung im Nachlass – auch mit ein paar handschriftlichen Korrekturen – diese Urfassung von 1912.

[47] Zuletzt in: Schwoba-Humor, Neue schwäbische Witze, Anekdoten, Schnurren, Spitznamen und Heiteres in schwäbischer Mundart. Mähler-Verlag, Stuttgart, um 1934.

[48] In: Witz und Humor, sowie Allerhand aus der Stadt und vom Land. Mähler-Verlag, 1906, S:55-57.

[49] Am 18. Mai 1921. Teil dieser Kolumne ist der Nachruf auf Krabbendusel (= Rudolf Bühler, 1850-1921).

[50] StNT, am 2. Mai 1908.

[51] Gemeint: Champigny.

[52] StNT, am 16. Mai 1908.

[53] Noch einmal verändert abgedruckt im NYSW, am 24. Mai 1922. Vers 5-8 fehlen. Vers 13-16: „Au mit Katarrh ond Schnupfa, / Gibt’s dauernd Differenz – / M’r sieht verschwollne Nasa, / Ond hört blos a Geschnenz!“ Dazu sind noch wenige Wörter ausgetauscht.

[54] Überarbeitete Fassung im NYSW vom 28.5.1930. Abgedruckt in: Hartmut Löffel, „Wilhelm Löffel (Knöpfle), Kraut ond Rüaba, Vermischtes aus dr Scheuer“, Talfeldverlag, 1996, S. 22.

DR WENGERTER KNÖPFLE im Stuttgarter Neuen Tagblatt (1910 und 1911)

Das Jahr 1910

 

Knöpfle hat es in zwei Jahren auf die große Bühne geschafft. Während 1908 seine Ansichten noch Samstagsbeilage waren, erschienen sie 1909 überregional im Landesteil. Darüber hinaus wurde er aber auch als Karnevalsfigur gefeiert. Freilich hielt er immer wieder – als Humorist ganz in seinem Metier – Büttenreden.[55] Hier jedoch ein besonderer Spaß – Knöpfle beobachtet Knöpfle, nämlich sich selbst, im „Umzug der Möbler“ an Fasnet.[56]

 

Aus den „Ansichten“ vom 12. Februar 1910

(Hinweis: Der vollständige Text - siehe am 12.2.1910) 

 

(...) i be zom Haus naus ond d’Judagaß nonter. I be grad no recht komma, wo d’r Möblerzug d’Eßlengerschtroß rom ischt. (...) Jetzt han i dia Wäga nochanander g’muschtert. I muaß saga: Aelles tipp, topp! Dös gampelich Oprahaus ond d’r Schtroßabahwaga ischt meiner A’sicht noch ‘s originellschte gwä; aber ois han i vermißt, nämlich Degerlocher Feuerwehr, weil dia emmer no mit Schmerza uf ihr Oneform wartet, dös hätt mir fascht besser g’falla als d’r Bier­ufschlag, obwohl jo sell au koi übla Idee gwä ischt. Guckt han i jo net schlecht, wo’s g’hoißa hot, jetzt kommt d’r Knöpfle mit seiner Schwätzamaiere! I han mi scho elend g’mopst, wo i dös schtramm Weibsbild gseah han, daß i net en oigener Perso’ droba g’schtanda be, an so ma Arm voll hätt i mi mei Seel au net g’schämt (...)

                  (Worterklärung: gampelich = schwankend)

 

Die Schwätzameiere vom Krempelesmarkt war eine konkurrierende Kolumnistin der „Württemberger Zeitung“, in der es aber durchaus ein paar Beiträge von Wilhelm Löffel gab. Bemerkenswert ist freilich, dass und wie Wilhelm Löffel seine eigene Kolumne auch als Plattform für sein Werk nutzte. Sein Buch „Grob und Fein“ ist 1910 erschienen. Es handelt sich eigentlich nur um den Abdruck bereits publizierter Werke.[57] So aber macht er es bekannt:

Am 19. November 1910 bringt er im Neuen Tagblatt sein Buch ins Spiel, indem er seiner erfundenen Figur, der Milchfrau Menele, die nötigen Worte in den Mund legt. Er lässt sie nämlich einen Brief an den Knöpfle schreiben: Sie habe am Charlottenplatz beim Mähler das Buch entdeckt: „Von unsrem Knöpfle“, „Grob und Fein“. Gedichte und Vorträge in Schwäbisch und Hochdeutsch. Nein, dass Knöpfle auch Bücher schreibe, das habe sie nicht gewusst und deshalb naseweis für eine Mark zwanzig eins gekauft und gelesen – mit folgendem Kommentar:

 

(…) Jetzt Herr Knöpfle, daß Se a wüaschter Kerle send, wo oin a’treibt, daß m’r Se ällamol grad kratza möcht, des han’e scho vorher g’wißt. Deswega hot me’s au net g’wondert, wia Se vom Immahofa schwätzet ond vom Lachkarle ond vom Güllananz ond vom Hansjörg. Aber ebbes han’e net g’wißt, ond des ischt des, wega was e schreib. I han emmer glaubt, Se seiet bloß so a wüaschter Kerle; daß Se au so fei sei könnet, des hätt’ i Ehne gar net zutraut. Des vom „Abendfrieden“ ond vom „Herzeleid – des könnt grad so guat oiner aus’m G’sangbuach dichtet han. Ond so domm ben i au net, daß i net rausbringa dhät, auf wen die „Liebessehnsucht“ gang.[58] Herr Knöpfle, des Liad han e gleich auswendich g’lernt, ond emmer, wenn e’s vor me na sag, no muaß e heula. I mag Se halt au so (…)

 

Mit diesem Buch gibt Wilhelm Löffel freilich preis, dass er selbst der Knöpfle ist. Es steht ja auf dem Umschlag. Trotzdem behält er in seinen Ansichten den erfundenen Knöpfle weiter bei. Jetzt freilich überdeutlich mit der Biografie des noch lebenden Vaters. Wilhelm Löffel junior schildert zum Beispiel ein Veteranentreffen der ehemaligen Soldaten des 1970ger Kriegs in Anwesenheit des Königs.[59] Der erfundene Knöpfle hat dabei den ehemaligen Dienstgrad eines „Obermanns“. Das war genau der von Wilhelm Löffel senior! Nachzulesen weiter oben im ersten Kapitel der Familiengeschichte „Als ich wiederkam“.

Was erzählt uns dieser erfundene Knöpfle als Sprachrohr von Wilhelm Löffel junior? Seine wiederkehrenden Themen sind einmal das Wetter und die Jahreszeiten. Kein Wunder, war man doch damals von Missernten überaus abhängig, vor allem die Winzer!

Dann thematisiert er immer wieder das bessere Früher gegenüber dem entartenden Jetzt. Das wirkt auf den ersten Blick rückständig. Aber auf die malträtierte Natur und die geschundene Erde bezogen, klingt es in unseren heutigen Ohren überaus zeitgemäß (zum Beispiel weiter oben in den Ansichten vom 22. Mai. 1909).

Und aus einem dritten Blickwinkel mischt er sich durchaus in die Belange der Stadt und weitergehend der großen Politik ein, auch wenn er ausdrücklich sagt, dass er nicht politisieren  wolle (am  6. März 1909: „denn ‘s Politisiere  ischt sonscht mei Sach net“). Was in der Stadt Stuttgart passiert, stellt er immer wieder anschaulich vor Augen oder auch an den Pranger, zum Beispiel die überhitzte Bautätigkeit – und damit die Vernichtung der Weingüter – oder den Ausgang der Gemeinderatswahlen von 1909, die die Zersplitterung des Mittelstands, im Besonderen den Niedergang der Wengerter, zur Folge hätten.[60] Andererseits nimmt er aber auch die schleppende Fertigstellung öffentlicher Gebäude aufs Korn, zum Beispiel – damals schon – den sich hinziehenden Umbau des Hauptbahnhofs.[61] In Bezug auf die große Politik ist er aber ein ständiger Mahner zum Frieden und er sieht immer wieder das Wetterleuchten eines heraufkommenden Kriegs mit warnender Sorge.

Vergessen wir nicht über diesen Hauptthemen seine erfundenen Begleitfiguren, wie Rösle, Menele oder der Seelesbäck, die jeweils belebende Dialogpartner sind und die er durch viele Jahre hindurch in Gespräche verwickelt.

 

Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 15. Januar 1910

 

D’r Januar handelt amol wieder ganz gega sei Prenzip, endem er sich vollschtändich en d’Roll vom April ei’glebt hot! So  kalt ond  rücksichtslos der  Kerle  für gewöhnlich ischt, so katzafreundlich ond karrakterlos führt er sich dösmol wieder uf! Er schtreichelt mit seine entlehnte Früahlengslüftla d’r schlofende Natur schei’heilich om d’Backa ond versetzt se en a früahzeiticha, könschtlicha Ufregong, daß i scho wieder em Geischt voraussieh, wia onser Früahleng als verschtömmelter Patient en d’Sommerfrische g’schickt wird. Net gnuag, daß vorher älles hentrefür ischt, ‘s Wetter muaß au no sein Senf d’rzua gä, dös jo emmer Hand en Hand goht mit d’r Lomperei! D’r ganze Wenterschport ischt en Dreck gfalla ond d’Wentermode ischt dösmol au dotal aus d’r Fasso’ komma; dia schöne weißg’schtrickte Schneebettkittel hanget nutzlos em Kloiderkaschta ond selbst d’r Pelz kommt bei dera glenda Witterong net richtich zur Geltong! D’r Wengerter, dem sei Wenterschport hauptsächlich en d’r Erdabuttagymnaschtich beschtoht ond a gfrores Tärai erfordert, schloift jetzt Dreckbolla an de Schtiefel rom, daß em Deufel d’rvor graust! ‘s Quecksilber em Barometer hot koi leiblicha Ruah ond d’r Gockeler uf’m Schtiftskirchaturm fahrt fortgesetzt em Grengel rom, als müaß er da Propeller am a Luftschiff markiera! O herrlicha, krischtallena Wenterszeit mit deine Apri-labutza, wo d’Amsla locket ond d’Fenka schlaget ond d’r Dreck oim zu de Schtiefel nei’lauft.

 

Herrgott! Ischt dös au a Leba –

Koi Humor ond ‘s Geld so rar,

So em Dreck zu vegetiera –

Vorna ‘rei em Januar?!

 

Nex wia Föhnwend, Regaschauer

Hot m’r jetzt, schtatt Froscht ond Schnee,

Ond es klagt koi oiz’ger Bauer

Ueber d’Wenterfeuchte meh’!

 

D’Amsla pfeifet, d’Fenka schlaget,

D’Schpatza, dös frech Publikom,

Hopfet scho em Früahlengsreiga

Lärmend uf d’r Mischte rom.

 

Wartet no, ihr Früahlengsbota,

Ueber Nacht ka’s anderscht komma,

Guckt d’r Wetterhah’ noch Norda,

Wird euch scho d’r Pfipfes gnomma!

 

Wer woiß, ob net d’r Wend scho aus ‘ma andra Regischter blost, eh no meine Buach­schtaba von d’r Druckerschwärze beleckt send! Wenn scho, denn scho, komm’s, wia’s wöll, mir send jo do ond so lang dia Wetterpropeller en Amerika no net en Fonktio treta send, ka’ m’rs emmer no aushalta; wenn aber amol dia Wettermacher ihrn Schwendel über da Ozean rüberpropellerisieret, no ka’s jo sei, daß am a schöna Tag d’Welt uf em Kopf schtoht. So lang aber dös net d’r Fall ischt, könnet m’r ruhich über ‘s Wetter weiterschempfa, denn:

 

Desweg goht a d’Welt net onder,

Wenn’s glei an Johanne schneit;

Milde Wenter, kalte Maia,

Ischt koi großa Seltaheit!

 

Ond jetzt möcht i dera bevorschtehenda großa Narrasäso’ no a bißle ‘s Wort reda. Der vielgeliebte ond von viel verhaßte Prenz Karneval hot en onserer Schtadt wieder sein Ei’zug g’halta ond es wird druf losg’möbelt ond g’klimpert, daß dia Pharisäer d’r Neuzeit bedenklich da Kopf schüttlet ond zom voraus scho onserem Herrgott danket, daß se au so send, wia de andre Leut. Weil mir sintemal ond abermal Menscha send, en dene meh oder wenicher d’r Schalk schteckt, so hot m’r scho vor alte Zeita für guot befonda, derartich vera’lagte Endevüdibümmer oimol em Johr gröndlich austoba z’lassa; a Sitte, dui sich bis uf da heu-ticha Tag erhalta hot. Seither onterscheidet m’r zwoierloi Kategoria onter de Mitteleuropäer, die sogenannte Schtillvergnüagte oder Mucker, ond de O’verwüaschtliche, de richtige Narra. D’r Mucker predicht da Ernscht des Lebens en d’r griesgrämichschta Weis’ ond verdammt da ufrichticha Narra ens Grondserdsboda nei ond wer woiß, ob ons ‘s Lacha net scho lang verganga wär, wenn net onser treuer Schutzengel, d’r Humor, ons emmer wieder zom Sieg verhelfa tät! D’r Schiller selich hot seinerzeit scho gsagt: „Ernst ist das Leben, heiter die Kunst!“ Sag mir oi Mensch, ob m’r heutichs Tags, wo sich ‘s Leba emmer könschtlicher zua-schpitzt, net omso meh d’r Ufheiterong bedürftich ischt?! Freile, wenn m’r den Satz vom Schiller en wortklauberischer Weis’ ausnütza will, no laufet en Schtuagert verdammt wenich Könschtler rom. Do därf m’r bloß amol da Karneval-omzug betrachta, wia könschtlich sich dem gegenüber ‘s Publikom verhält. D’Hälfte lacht nei’zuas wia d’Woisa-buaba, ond de andere schtandet do wia z’sämmag’frorener Lauchschtengel ond reißet Maul ond Auga uf wia a’gmolter Laubfrosch aus Bapadeckel; koi Wonder verwandelt sich no so a Omzug en a ärgerniserregenda Prozessio. Es ischt natürlich koi Schleckhaf, en ‘ra Schtadt wia onser Schtuagert aus de schpießbürgerliche Schtiefel rausz’helfet, so lang d’r geeignete Schtiefelknecht d’rzua no net erfonda ischt!

                                                                        W. L

 (Worterklärung: d’r Pfipfes = Hochmut bzw. Eigensinn / Aprilbutza = leichte Schneegewitter)

 

 Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 29. Januar 1910

 

Höret Leut – es ischt eigetlich a großer Blödsenn, daß m’r uf d’r Welt ischt, ond no a größerer, daß überhaupt a Welt gibt! Wenn a’gnomma gar nex wär – rei’ gar nex – wär dös net a wirklich gsonder Zuaschtand? Dösweg behauptet jo au Viele, wenn m’r g’schtorba sei, hätt m’r ’s schönschte Leba, ond i glaub’s gleivoll au – denn dös Leba vor ‘em Tod ischt de reinscht Mühleziagets! Jetzt hock i scho bärich drei Wocha d’rhoim mit mei’m Reißmathisimus en d’r rechte Agsel – ond jetzt, daß wieder halbwegs ordelich wär, kriagt’s mei Karlena – mei Gegaschtand, mit ihre lompete Krampfadera z’schaffa ond ischt so maliziös ond widerwärtich, daß mei’ sehnlichschter Wonsch wär – ihr Leida möcht sich no au amol zu meiner Erholeng vierzeah Tag an d’Gosch na’ziahga! ‘s ischt jo bei Gott a Sönd, m’r sott so ebbes net saga – wenn m’r aber gleivoll viarz’g Johr ällweil oi Predicht hört, no muaß m’r scho a Geischtesdackel sei –, wenn m’r se z’letscht net auswendich könne tät!

I be no froh, daß d’r Wenter no zur rechta Zeit an sei Pflicht denkt – ond endlich dem sia­cha Wetter Ei’halt gebota hot, so daß m’r jetzt halbwegs wieder freundlichere Gsichter begegnet. Wenn’s so no a Weile fortganga wär, wia de letschte sechs Wocha – hättet d’Leut voll ihre Nasa em Sacktüachle hanga lasse mit lauter Niaßa ond Schnenza – net gnuag, daß dös bodalose Hondewetter vornweg scho a allgemeina Lackschtiefelverschtopfeng hervorgruafa hot! Aber au no andere Krankheita send en letschter Zeit epidemisch auftreta – so hent zom Beischpiel scho einiche Honderttausend Kometschterngucker d’Genickschtarre kriagt ond noamol so viel andere leidet fortgesetzt am Weltontergangswah’senn! A wahr’s Glück, daß d’r Schnee für a paar Tag den Dreck zuadeckt hot ond d’Leut wieder zu de Höhlena rauskönnet; heutzutag genüagt oi Wort – ond dös hoißt Schport! Es wirkt so belebend, daß m’r bereits Tote mit ufwecka könnt! Wenn m’r a’nemmt, wia harmlos m’r früher sei Schteckapferd g’ritta hot, jeder noch seiner Art – ganz ohne jeglicha Beeiflussong ond notabene au ohne Berufsschtörong! Seit aber d’r Engländer da Schport erfonda hot, ischt au en Deutschland ‘s Schte­ckapferd abgschafft worda; denn wia älles aus d’r guata alta Zeit em moderna Leba hot weicha müaßa, so  hot au  dös harmlos  Tierle schterba müaßa!

 

D’r Mensch sich bloß no entressiert

Für Mode ond für Schport,

Denn wo m’r na’guckt – do regiert

Schtets ois von dene Wort!

 

Ischt oiner Schlamper von Beruaf,

Der knapp sich brengt no fort –

Ond hot koi Sohla uf sei’m Huaf –

Der hot doch no sein’ Schport.

 

Wia viele kraxlet en d’r Schweiz

Verwoga em Rekord –

Se haglet ‘ra – ond brechet ‘s Kreuz

Ond älles wegem Schport!

 

En fufzich Johr wird koiner meh’

Verhandelt wega Mord;

Do hoißt’s glei: leant den Kerle geh’ –

Er treibt jo bloß sein’ Schport!

 

Vom Rodelschport will i dös Johr nemme a’fanga – i moi, ‘s häb scho wieder de längscht Zeit dauert; es kommt mir fascht vor, wia wenn de nächscht Woch scho wieder d’Amsla pfeifa könntet!

An ‘s Kaisers Geburtstag han i mein erschta Ausgang g’nomma und be ganz zuafällicher Weis ans Kanzleirats Rösle na’tappt. I sag euch, dui Freud, wo dös Mädle g’het hot, wo se mi, ihrn alta, treua Freund wieder g’seah hot. Natürlich han i se glei noch ihrem Dragoner g’frogt und was mit dera ebicha Brautschaft sei, ond ob se ihr Busakreme jetzt zweckmäßicher a’wenda tät – ond dös ond sell – kurz, wia m’r eba so schwätzt, wenn m’r a sauber’s Mädle vor sich hot! Ihrem Dragoner, hot se g’sagt, gangs guat – er sei heut ans Kaisers Geburtstag Vize worda ond an d’r Faßnet werd Hochzich g’macht.                                                 W. L.

 

(Worterklärung: Kometschterngucker = Komet-Sterngucker / verwoga = verwega / ebich = verkehrt, falsch, dumm; ewig)

 

  Faschingansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 12. Februar 1910

 

Also – vor em Hemmel isch ällweil no schö! Mei Gega-schtand, mei Karlena, behauptet zwor grad ‘s Gegatoil – se ischt eba zua konservativ gebaut, om an d’r Welt ihrem söndhafta Getriebe a ufrichtichs Wohlgefalla z’finda! Jetzt i muaß offa saga, i be do a ganz anderer Kerle. Jedesmol wenn’s d’r Fasnet zuagoht, überkommt mi, trotz mei’m vorgerückta Ma’salter, so a Art jugendlicher Leichtsenn, der natürlich mit meiner Karlena ihre konservative Eigaheita no au gar net harmoniera will! No, i sag mir, dös ischt a langweilicha Ehe, wo d’Oppositzio fehlt – ischt doch ‘s ganze Erdaleba mit lauter Gegasätz tapeziert ond d’r Eheschtand treibt so guat sei Poletik wia jeder Schtaatshaushalt, vielleicht bloß mit dem kleina Onterschied, daß en d’r Eheschtandspoletik d’Weiber maischtens ‘s gröschte Wort führet! So hot mei Karlena beischpielsweis scho vierzeah Tag ‘s Tafeltuach entzwoi g’schnitta ond macht a Vlätscha an mi na, wia Kuah, wenn se neba en Goisbock g’schpannt wird!

Sag mir no, hot se an d’r Fasnet a’gfanga, wenn du endlich amol zur Ei’sicht kommscht? Jetzt laufscht heut scho wieder dem narreta Möbelwaga noch, tänzelscht ond scharwänzelscht om so halbverrückte Weibsleut rom, stoh’scht womöglich au no uf en Waga nuf, wia wenn m’r mit so ‘ma alta versoffena Kerle wia du oiner bischt, no Schtaat macha könnt! Heut obend kommscht no womöglich hoim ond hoscht en Janko em G’sicht, no brommscht wieder wia sibirischer Eisbär, daß vollends mei bißle guata Erziehong mitsamt d’r Symbatie ond Liabe zu lauter Eiszapfa wird. Am End hoscht au no mit dera ufdrenglicha Dengere vom Kanzleirat B’schtellong g’macht, dui wirscht uf d’r Redutt romziaga wölla bis morga früah am Sechse; aber Alterle, i sott jo no ‘s Grengschte erfahra, no gibt’s en Zenzatzio’sprozeß, so ischt no koiner do’gwä, so lang ‘s Bohnaviertel schtoht!

En andera hätt’ schliaßlich dui politisch Eheschtandsred zom o’bändicha Zorn g’reizt; aber mir macht als friedliabender Mensch so a wortreichs Brausepulver nex aus, i ka’ mi be­herrscha! O Karlena, han i bloß gsagt, Leut wia du, wo ‘s ganz Johr narret send, hent natürlich koi Ahneng, wia’s em a fröhliche Narra, der mit seiner Narradei koin Schport treibt, an d’r Fasnet z’Muat ischt; wenn no de ganz Eheschtandspoletik mitsamt d’r Oppositzio ond dem, wo se erfonda hot, zu lauter Knallerbsa würd. Se hot no wölla noamol uf a frisch de ehelich Rednertribüne beschteiga, i han ihra aber mit  meine langschäftiche Schtiefel Schluß zuag’wonka, be zom Haus naus ond d’Judagaß nonter.

I be grad no recht komma, wo d’r Möblerzug d’Eßlengerschtroß rom ischt. Jetzt han i dem mei ganza Ufmerksamkeit g’schenkt ond der Zwischaakt mit meiner Karlena ischt em Nu vergessa gwä. I muaß saga, i han mi glei ordnanzmäßich ärgera müaßa; denn i en meiner o’verfrorena Faschengslaune schrei glei aus Leibeskräfta dreimol „Aba!“; uf dös na packt mi so a nervöser Brillanatze am Ellaboga, reißt sei wurmschtichicha Visasch uf ond schreit großmächtich: „Sie sind wohl kindisch, was?! Können Sie sich nicht anständig verhalten, bis der janze Rummel vorüber is, oder kennen Sie hierzulande das Sprichwort nich: „Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht?!“ Kreutzerdasalot, du kommscht mir grad recht, han i g’sagt, du Bombernickelfatzke, du donderschlächticher, i han scho mit meiner Fauscht da Siegel druf drucka wölla, no ischt aber dank d’r güaticha Vorsehong aus o’bewußter Höhe a Ora’sch dem Karnevalschender uf sein Knausbierazenka nufg’floga, daß jederma’ sei rechtschaffena Freud dra’ ghet hot! Dös Deng ischt natürlich viel schneller ganga, als i’s do verzähla tua; aber dös Halloh, wo’s no gä hot, dös ischt schöner gwä als zeah Johr von mei’m Leba.

Jetzt han i dia Wäga nochanander g’muschtert. I muaß saga: Aelles tipp, topp! Dös gampelich Oprahaus ond d’r Schtroßabahwaga ischt meiner A’sicht noch ‘s originellschte gwä; aber ois han i vermißt, nämlich Degerlocher Feuerwehr, weil dia emmer no mit Schmerza uf ihr Oneform wartet, dös hätt mir fascht besser g’falla als d’r Bierufschlag, obwohl jo sell au koi übla Idee gwä ischt. Guckt han i jo net schlecht, wo’s g’hoißa hot, jetzt kommt d’r Knöpfle mit seiner Schwätzamaiere! I han mi scho elend g’mopst, wo i dös schtramm Weibsbild gseah han, daß i net en oigener Perso’ droba g’schtanda be, an so ma Arm voll hätt i mi mei Seel au net g’schämt ond wenn’s glei noamol en Zenzatzio’sprozeß gä hätt!

Nochdem d’r Zug vorbei gwä ischt, han i no dene Klon mit ihre Sammelnetz a Weile zuaguckt, ob se wohl dös Johr au wieder zu ihrer beschtemmta A’zahl Hosaknöpf kommet; uf oimol hot mi ois en meiner Neugier g’schtört, endem a paar robuschte Bratza mir von henta meine Augadeckel beschlagnahmt hent. Wia d’r siadich Blitz be i mit de Händ nomg’fahra ond wo i en mei’m bewährta Taschtsenn g’merkt han, daß i’s mit ma weiblicha Wesa z’to han, schrei i en mei’m freudicha Schrecka: „Rösle, zom Donnerwetter, Lompatierle mollichs, drollichs, guats, bisch’s oder bisch’s net?!“ Aber mi hot schier d’r Schlag troffa, wia i schtatt em mollicha Rösle mein leibhafticha Gegaschtand vor mir sieh ond krakehlt: „So du alter Sägbock, hoscht richtich an dös Züttele denkt: jetzt sitzt d’r Zenzatzio’sprozeß, dir will i’s Reduttra für heut vertreiba!“  W. L.

                                                                                

 (Worterklärung: Kreutzerdasalot = Kreuz +Erden+ Salat / gampelich = schwankend / Redutt = Redoute (Festsaal) / Janko = Rausch. Aus dem Ungarischen)

 

 Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 26. Februar 1910

 

O Schpeckdackel! D’r Wengertersschtand goht voll – dank der rapiada Entwicklong onsrer Großschtadt – mit Riesaschritt seiner Uflösong entgege. D’r Feldschteußler nämlich, d’r einschtiche Adel onsrer altehrawerta Zompft soll am erschta April als alter Zopf ens Kutterfaß oder – wenn m’r sich großschtädtisch ausdrücka will – en da  Viktoroimer  wandera! Offa  g’sagt,  i ka’  mi do  meiner schtandesgemäßa A’sicht net enthalta; denn a größera Schmach hätt’ werle onsrem Schtand net widerfahra könna! Wenn dia Herra von d’r Schtadtverwalteng a Ahnong hättet, wia’s onseroim z’Muat ischt, wenn m’r zom Exsempel grad so wia i, aus ‘ra Familie schtammt – wo jedes männliche Glied bis dato scho em Mutterleib zom Feldschteußler erkora gwä ischt – ond soll hernoch als ganz gewöhnlicher degradierter Wengerter onter seinesgleicha romlaufa wia g’schtutzter Pudelhond – i mach a Wett, se hättets beim alta g’lassa! Wohl dene, dia jetzt d’r Rasa deckt – dia da Feldschteußler no mit ens Grab g’nomma hent ond en ‘ra fröhlichera Uferschtehong entgegeschteußlat, als mir arme, mit saure Johrgäng gesegnete, uf da Sonnawirbelessalot a’gwiesene Mischtbeetökonoma!

Wia feierlich ond reschpektabel hot’s ällamol ausg’seah, wenn dia Herra Schteußler en Markschtoi g’setzt hent, oder wenn dia Herra Ontergänger em ehrwürdicha Buttaschritt – d’Händ uf ‘em Rücka, wia Andreas Hofer selichen Gedenkens – oi Wengertg’schtäffel ruf ond ‘s andre nonter send ond hent noch ‘em Fluggras guckt – ob koi Mäuerle ei’g’hagelt ischt, ond en welchem Wirtshaus de säuberschte Gaigelkarta send, d’r saftigschte Schweizerkäs ond – was d’Hauptsach ischt – a ordentlichs Tröpfle vom laufenda Johrgang. Dös send so zemlich de materielle Hauptufgaba gwä des Elitekohrs d’r ehrawerta Zompft d’r Wengerter, ond i muaß saga, ‘s hot Hand ond Fuaß g’het ond so a alta Sitte wird als Zopf betrachtet, der scho lang em Weg ischt – damit m’r sechs neue d’rfür flechta ka’!

 

O alta Zömpfteherrlichkeit,

Wia weit isch’ mit dir komma?

Dir hot d’r Geischt d’r neua Zeit – ,

Da Reitz am Dasei’ g’nomma!

Die Gottheit ruaht em Portmanee –

Ond ‘s Handwerk hot koin Boda meh’ –

O jerum, jerum, jerum – ,

Dös macht d’r nervus rerum!

 

Mei Milchere –‘s Raffa Menele – hot mir gerscht zu mei’m Geburtstag gratliert. Sia könnet en Schtolz han – hot se g’sagt –, daß Se so glücklich send ond Ihrn Geburtstag mit onsrem Landesvatter feira! I han ihr dös dankend beschtätigt ond se zugleich zom a Krüagle Geburtstagswei’ ei’glada, om so ihr Zongageläufichkeit näher kenna z’lerna. Gohts guat om en d’r Vorschtadt, Menele –, was macht d’r Degerlocher Dreck den Wenter? Dui Frog hot genüagt – ihr Mondwerk uf a volla halba Schtond en Gang z’brenget! O Herr Knöpfle – hot se a’gfanga –, dös ischt a bodabösa Sauerei gwä den Wenter bei ons do hoba! Es hot sogar oiner a Gedicht über da Degerlocher Dreck g’macht – dös hot o’gfähr so a’gfanga:

 

Seid mir schtädtisch send –

Nemmt d’r Dreck koi End!

 

Dös ischt g’wiß ond wohr – der Wirt uf d’r Schiaßbah’ hot’s au g’sagt; wenn er en d’r Woch amol noch Degerloch wöll, no bleib er emmer onterwegs a halba Schtond em Dreck schtecka, dös sei früher älles net gwä! Ond i sag Ehne,  Herr Knöpfle,  wia  o’gsond dös Wetter emmer gwä ischt – äll Woch han i zwoi Badzüberla voll verschnenzte Sacktüachla z’wäschet g’het ond vierzeah Tag be i selber ans Bett bonda gwä – dös seiet dia Uebergangsjohra – hot d’r Doktor g’sagt – ond dia wöllet überschtanda sei. Mei Ma’ ischt seither net zum g’niaßa – äll Tag hockt er ens Wirtshaus ond gaigelt sich zom a Krüppel, ond wenn er a bißle a’zonda hot, no kommt er hoim ond hot a saudomms G’schwätz – Se wisset jo – er ischt halt au von dera Sorta, wia ’s loider so viel gibt – a Rampas erschter Güate! Do letscht sag i bloß en meine Schmerza, er soll om d’r Gotts willa g’schwend nach Maihreng nüber en d’Apetek ond a Rezept macha lassa, dös d’r Doktor mir verordnet hot. Kommt der elend Tropf hoim em morgnets em drui ond schtenkt noch Suff wia Küaferschurz – schtoht vor mei Bettlad na ond sächt ganz kalt zu mir: Menele, es freut mi – daß du no am Leba bischt – do han i dei Arznei! Am liabschta hätt i jo ehm glei de ganz Arznei an Kopf g’schmissa – aber wia isch m’r, wenn m’r g’sond werda will – no ka’ m’r sich doch net vorher no z’tot ärgera!

Jo, jo Menele – han i g’sagt –, bischt uf ond nieder de gleich wia mei Karlena – dui leidet au scho johrelang an kronischer Mauldiarröh – wenn euch do amol a Doktor ebbes verschreiba tät – dös wer a wahrer Sega!     W. L.                                                      

(Schießbah’  = Schießbahn für die damaligen Soldaten der Bergkaserne in Degerloch)

 

 Aus den „Ansichten“ vom 23. April 1910

 

Will m’r wirklich was erreicha,

Ka’ m’rs bloß no durch da Schport;

Denn m’r kommt en ons’re Zeita –

Uf seim Handwerk nemme fort!

 

Sommers goht m’r zur Erholong

Ufs G e b i r g e nei en d’ Schweiz –

Labt sich an der Gipfel Zierde,

Hagelt ronter ond bricht ‘s Kreuz!

 

Wenters hockt m’r uf da Schlitta,

Holt em Schnee sich da Rekord –

Bricht en Fuaß ond zwoi paar Rippa,

R o d l a, ischt d’r schönste Schport.

 

 Oder sitzt m’r en a A u t o –

Frißt g’schwend taused Kilometer,

Bis d’r Karra hangt em Graba –

Ond ‘s Hirn an de Wagaräder!

 

Will m’r no was Kühners woga,

Fahrt m’r mit em L u f t b a l l o’ –

Tuat d’r Blitz d’rzwischa fahra,

Hot m’r glei da Hemmel do!

 

 Vivat hoch! D’r Schport soll leba –

Mög er fruchtend sich vererba;

Denn er ischt d’r G’sondheit deanlich –

M’r ka’  o h n e  K r a n k h e i t  s c h t e r b a. [62]

 

Sport und Mode sind unerschöpfliche und immer wiederkehrende Themen – dankbare Übertreibungsangebote! Ebenso der Streit mit der Ehefrau Karlena und deren Eifersucht bei einem Flirt mit dem Rösle; das zieht sich wie ein roter Faden durch Knöpfles „Ansichten“. Zündend und erheiternd ist dabei die plastische, drastische Darstellung, die mit anschaulichen Vergleichen aus dem überreichen Dialekt geschöpft wird.

Hier, am Beginn einer Kolumne (vom 5. November 1910), hört sich die Freude am bildhaften Ausmalen so an:

 

Wenn amol d’Novemberschtürm übers Land feget, daß sich d’Oicha biaget ond an de Böhneläda rüttlet, daß de Baura ihre Himmelsbettlada wacklet, wenn onsre Höha scho dia weiße Pratza vom allgewalticha Herrscher onsrer o’gemäßichta Zone zeiget, no wird’s so noch ond noch Zeit, daß m’r d’Kellerlöcher verschtopft ond Nasalöcher mit em Sacktuach onterbendet; denn es kommet no dia Tag, wo du wirscht saga, „se gefallet dir net!“.

 

Die geradezu apokalyptische Heimsuchung, die sogar mit einem allgewaltigen Herrscher droht und in biblischer Diktion – „denn es kommet no dia Tag, wo du wirscht saga“ – Schlimmes prophezeit, könnte nicht bildkräftiger vor Augen geführt werden, endet aber letztlich in einer unerwarteten Banalität: „se gefallet dir net!“[63]. Ein Lesespaß ist das schon. Auch im folgenden Klage- und Anklagelied:

 

 

Aus den „Ansichten“ vom 8. Oktober 1910

 

Was dem Johrgang mir verdanket,

Ischt viel Elend sicherlich,

Feuersbronscht ond Kohlrakranket,

Ehe-, Boi‘- ond Wolkabrüch!

 

Große Schtreik mit Ausschperronga,

Schtroßakampf en Moabit,

Schmerzliche Erinneronga,

Wo m’r goht, uf Schritt ond Tritt!

 

Preisend mit viel schöne Reda,

Zog d’r Kaiser durch sei‘ Reich –

Ond m’r hört gar viel proleta

Von de preuß‘sche Schwobaschtroich!

 

Viel Geschrei ond wenich Wolla,

Ischt ‘as Motto onsrer Zeit;

Doch dös soll d’r Deufel hola,

Mit em G’schroi kommt koiner weit!

 

Bruader, was hilft älles Prahla?

Bischt d‘r Herr du – oder Knecht;

‘s oizich Wörtle hoißt halt „zahla“ –

Dös ischt onser Bürgerrecht!

 

Was der Johrgang ons verschprocha,

Jetzt erscht sieht m’r ‘s Elend ei‘:

Magre Zeita, saure Wocha –

Ond en essichsaura Wei‘!

 

 Aus den „Ansichten“ vom 29. Oktober 1910

 

D’r Mensch als großer Nimmersatt,

Baut Haus an Haus, reiht Schtadt an Schtadt!

Er opfert Wiesa, Wald ond Flur

Uf dem Altar seiner Kultur.

Scho wird’s ehm z’eng uf dera Welt,

Er schpekuliert am Hemmelszelt –

Ond ruaht net, wo-ner goht ond schtoht,

Bis er dort hob‘ en Bauplatz hot!

Ond hätt d’r Erdbod‘ net mit Recht

Ehn ausbedonga als sein Knecht,

Verschläng er bald durch sei‘ Kultur,

Mit Haut ond Hoor de ganz Natur!   [64]

 

 Und der Beginn des neuen Jahres wird auf überaus pessimistische Weise so karikiert:

 

Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 31. Dezember 1910

 

Prosit Neujohr! G‘sondhoit ond da häuslicha Frieda älle mitanander, Männlein ond Weiblein, Mädla ond Buaba! I wönsch jedem von ganzem Herza älles dös, was er sich selber wönscht ond dös muaß genüaga! I be koi Freund von moderne A’schtandsfrahsa, denn wenn’s uf mi a’komma tät, müaßt de ganz Gratliererei uf d’r Schtell aus d’r Welt g’schafft werda: worom, weil‘s a saudomma Mode ischt, dui, so schö se oinerseits zu Gesicht schteh mag, uf da andra Seita doch wieder viel an Ufrichtichkeit entbehrt! Prosit Neujohr! Kaum mach i ‘s Maul uf, no ekelt mi‘s scho a, i schwitz en d’Händ, wenn i no ans Gratliera denk ond i han mir’s fescht vorg’nomma, wega dera sackerments Gratliererei koin Schritt fürs Haus nausz’machet! Zu was denn au? Ischt doch jeder Tag neu, jeda Schtond, jeda Minut ond Sekond! I woiß net, worom der erschte Tag em neua Johr mir so verhaßt ischt. I glaub, ‘s liegt en d’r Familie! Mei Aehne seelich hot scho ‘s Neujohrswönscha uf d’r Latt g’het, endem er ällamol zu ons Buaba g’sagt hot: „Ihr Lompakohr, ganget na wo d’r Pfeffer wachst! Wenn ihr ‘s ganz Johr nex von oim wissa wöllet, no am Neujohr, do ischt m’r recht! Do hot jeder en Sechser ond no machet ihr, daß ihr d’Schtiaga na‘kommet ond saget eurem Vatter, mit ‘em Erba sei’s vorderhand no nex, i könn‘s scho no a Weile uf dera falscha Welt aushalta! I han müaßa oft an den Ma‘ denka; obwohls so a hagabüachener Hornabsäger gwä ischt, hot er em Grond g’nomma eigentlich doch recht g’het! Bei hondert Glückwönsch entbehret neunaneunzich doch d’r Ufrichichkeit ond d’r erschte Tag em neua Johr ischt net besser als seine dreihondertvierasechzich nochfolgende Kollega: denn je meh anander d’Leut beglückwönschat, deschto lompicher goht’s uf dera mit Neid ond Zwietracht getränkta Welt zua!

 

 

Prosit Neujohr! So tönt’s aus älle Ecka,

D’Frau Bas ond Vetter schüttlet sich die Händ,

Ja, se schüttlet sich’s fascht zom Verr……

So nemmt glei d‘r erschte Tag vom Johr sei‘ End!

 

D’r Schwiegersoh‘, der gratuliert voll Jugendfeuer

D‘r Schwiegermutter, zärtlich, artich, hübsch adrett,

Tief em Herza aber schwört er hoch und teuer:

Wenn dös Luader no d’r T….. hole tät!

 

Hot oiner irgendwo en Onkel no am Leba,

Der hochbetagt ischt ond viel Batza hot,

Dem möcht er zom Neujahr gern a Rezeptle geba,

Damit er seelich bald ens Jenseits übergoht!

 

Ja, so o’g’fähr ischt d’r Welt Lauf, oder vielmeh‘ d’r Menschheit Handla ond Denka, Dichta ond Trachta!

 

Deshalb will i kurz mi fassa

Ond mei Leier töna lassa:

Jeder ischt mir liab ond wert,

Der vor seiner Türa kehrt!

Wer so kehrt johrei‘, johraus,

Der ischt emmer fei‘ heraus!

Braucht koin Glühweih’ond koin Ponsch

Ond au weiter sonscht koin Wonsch;

Dös ischt mei‘ A’sicht, derb ond wohr,

Se kommt von Herza „Proscht Neujohr!“                  W. L

 

 

  Das Jahr 1911

 

Die Themen von 1911 sind einerseits, wie schon vorher, den Begegnungen und Auseinandersetzungen mit seinen Figuren gewidmet – mit Seelesbäck besucht Knöpfle zum Beispiel die Landesbäckerausstellung und fährt sogar mit ihm nach Wien –, andererseits wendet er sich aber auch wieder der kleinen und großen Politik zu. Stuttgart kritisierend, bekennt er sich nach wie vor und in verschiedenen Ausprägungen zur früheren und besseren Zeit, sei‘s angesichts der heutigen „halbreifen Großstadtfrüchtchen mit Zigaretten in der „Gosch“ oder angesichts der zunehmenden städtischen Wasserknappheit im Sommer, und bezüglich Degerloch, das seinen Namen Luftkurort bald nicht mehr verdiene, setzt er sich für konkrete Verbesserungen ein. In einem Gedicht zum Ausklang des Jahres (am 16. Dezember 1911) lautet seine Bitte an den Stadtrat so:

 

Sorg, daß em nächsta Frühjahr scho, / Wenn blüaht Kirsch ond Zyrenka – / Do drob em Wald dui Komposchtgruab / Hört endlich uf zu schtenka! / Daß könftig der Verbendongsweg / Em Volksmond „Kniaabbrecher“ / Hört uf a Rutschpartie zu sei, / Für leichtbetronkne Zecher! / Sorg, daß die Wei‘schtoig endlich bald / A Licht em Wandrer schpendet – / Weil mancher sonscht em oig‘na Glanz / Da Hoimweg nemme fendet! / Sorg au, daß könftich d’Filderbah‘ – / Ermäßicht ihre Taxa, – / Daß m’r beliabich fahra ka‘ / Zur Schonong seiner Haxa! / Sorg, daß m’r endlich ‘s Wasser net / Muaß grad wia Zucker schpara – / Ond daß ons vor Karbol­zuasatz / D’r Hemmel mög bewahra! (…)

 

Die Oberbürgermeisterwahl ist ihm ein großes Anliegen und er ergreift in drei Mai-Folgen für den Kandidaten Lautenschlager Partei, der’s dann auch wirklich wird. Im Dezember unterstützt er ebenso einen Wengerter bei der Gemeinderatswahl. Und die Weltpolitik lässt ihn nicht wortlos zusehen, als im Oktober der türkisch-italienische Krieg um Tripolis entsteht, sondern er mahnt eindringlich zum Frieden. Wirtschaftliche Not, Teuerung und die neuen Steuern sind wiederholt Anlass zu seinen Klagen in Prosa und in Gedichten, die er erstaunlich rasch, meist im Wochenrhythmus verfasst oder auch vorrätig hat.

Des „Bruaders Bua“ darf auch nicht fehlen. Einmal sitzt er (also Wilhelm Löffel) zufällig mit in der Wirtschaft und entrüstet sich über die neuen Steuern:

 

Aus den „Ansichten“ vom 16. September 1911

 

O Specktackel! Hot mei’s Bruaders Bua  gsagt, der au  zuafällich bei meiner Nochbere gsessa ischt, jetzt muaß i extra en halba Tag versäuma,  om  mein Gramophon zur Luschtbarkeitsschteuer a’zmelda! Also net amol dös bißle Musik därf meh frei ausgeh, dös muaß jetzt au no sein Tribut hergä; hört do net älles uf!

Jo freile, han i zua mei’s Bruader Bua gsagt, dös hoiß i da Gaul am Schwanz ufzäumt, es wäre noch meiner A’sicht besser, wenn se onsra überschpannta Mode beschteura würdet, ond wenn onsre Weiber für jeda Gardinapredicht om zwanzich Mark rei‘ghängt würdet, wär’s au koi Fehler, no wär onser Schteuerfo‘ bald so gschtellt, daß m’r d’Musik wieder omsonscht kriaga könnt!

 

Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

 Vom 19. April 1911

 

Was isch Knöpfle, hot neulich a Nochber zu mir g’sagt, hosch du den Jaucheartikel em Tagblatt am letschta Sam-schtich au glesa? Was sechscht denn do d‘r zua, wenn se jetzt euch Schollapuffer die Triebfeder allen Wachstoms, die Krone der Landwirtschaft entziah‘ wöllet? Du als alter Fäkalialagratör ka‘scht dir doch dös net biata lassa!

Sei m’r no schtill – han i g’sagt – von d’r heuticha Welta’schauong, dui mit ihra nervösa Empfendlichkeit so noch ond noch voll ganz d’r Suggeschtio zom Opfer fallt! Obwohl i d’Mischtologie von Grond aus schtudiert han, ond au en d’r Jaucheliteratur mi so zemlich auskenn‘, so tua i doch mit ma derarticha nützlicha Artikel net gern Gäsdreck ziah‘! Dia Vorschläg, welcher der betreffende Gmüasbauschreiber en seim Ufsatz a’führt, send vom praktischa Schtandponkt aus für da ratzionella Gmüasbau net durchführbar, weil d’r Produzent zu sei‘m Lebensonterhalt gezwonga ischt, sein Grond ond Boda noch älle Regla d’r Konscht zu sei’m Vorteil auszunütza! Do gnüagt aber a Komposchthaufa, au zwoi ond drei net, die bekanntlich jeder ordentliche Gmüasbauer so wia so zu sei’m ratzionella Betrieb notwendig hot! Deshalb ischt er gezwonga, sein erschöpfta Boda, für den er meterweis Schteuer zahlt, fruchtbar zu erhalta ond sei Produkt em Wachstom dodurch zu fördera, daß er aus dem Born menschlicher ond tierischer Henterlassaschaft schöpft, endem er emmer ond emmer wieder mit dem verhaßta Fäkalschtoff nochhilft! Dös ischt natürlich a oigaartichs G’schäft, dös d’r Produzent, sei’s Wengerter oder Gmüasbauer, net zom Vergnüaga oder gar aus Wolluscht verrichtet, sondern aus dem oi‘facha Grond, weil’s sei verdammte Pflicht ond Schuldichkeit ischt, ohne dui er net zom Ziel kommt! Selbstverständlich döngt m’r net, was m’r morga uf em Wochamärkt foil biatet, wia manche Leut d‘r A’sicht send; aber wohlverschtanda – so verschwenderisch goht m’r mit dene Hilfsmittel net om, denn d’r Latrenainschpekter secht oim, was sei‘ War koschtet! Ond daß grad d’r Dong en so ma übla Geruch schtoht, do dra‘ ischt nex zu macha ond liegt dös ganz ond gar en d’r Natur d‘r Sache, denn:

 

Entschtieg doch jeder Abortgruft

Endlich zarter Veilchenduft

Wär ons‘re Henterlassaschaft

G’wiß koi‘ so verpönte Kraft!

 

Dös ischt also amol bombasicher, d’Landwirtschaft taugt en koi‘ Großschtadt; denn obwohl boide net ohne anander sei könnet, passet se eba doch net z’säma! D’r Großschtädter mit sei‘m nervösa Geruchsenn ond seiner ausgeschprochena Bazillafurcht hebt scho d’Nas‘ zua, wenn ehm a Latrenafaß begegnet oder dia schtädtische Schlauchträger em Buttaschritt aus ma Hof rauskomma sieht! Jetzt i be eba der A’sicht, ond meine Kollega werdet d’r gleicha Ueberzeugong sei, daß uf d’r Welt nex z’Grond geh därf; denn ‘s kleinschte Schtäuble em Kutterfaß hot sei Beschtemmong!

 

So wirkt, was schädlich dünkt, zom Nutza,

Denn mancher Schada wird zom Heil.

Drom ka‘ i ‘s Nörgla net verbutza –

Ond hör net gern a Vorurteil!

D’r oine ka‘ sich Schlösser kaufa,

Em andra ischt d’r Sompf sei‘ Reich,

So ischt die Welt a Komposchthaufa –

Ond doch a Paradies zugleich!

 

Nex für o’guat, liabe Leser, wenn meine heutiche A’sichta a bißle en schtarka Erdgeruch hent, i hoff, daß Sie mir dennoch gnädich gesinnt send, wenn i mei Kapitel mit dem Ruf aus­klenga laß:

„Hoch lebe die Landwirtschaft, d’r Ackerbau ond die Viehzucht!“ (…)

 

(Worterklärung: Gäsdreck ziah‘ = Gansdreck ziehen: Streiten um des Streitens willen)

 

 Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 24. Juni 1911

 

En A’betracht dessa, daß i vor acht Tag meiner Milchere, ‘s Raffa Menele, verschprocha han, mei A’sicht en Punkto Degerloch zu äußera, ka’n i net omhe‘, ihr schwarz uf weiß kond ond zu wissa to‘, daß i jetzt den berühmta Luftkurort, den i ja scho von Kendesbeina a kenn, wia mei Hosatasch, d’r Neuzeit entschprechend ei’gehend enschpeziert han! Weil i aber no meh em Schädel han, als bloß meiner Milchere ihre Vorschtadtschmerza ond au sonscht koi Freund von langweiliche Themas be, will i mi kurz fassa ond hauptsächlich dia Mängel beleuchta, wo no arg em donkla schtecket ond vom Menele net empfonda werdet.

 

Mei liabes Menele!

En Deiner schpeziella A’gelegenheit be’n i letschta Sonntich beim schtrömenda Rega en Degerloch rompatscht ond han ällaweil den Markschtoi gsuacht, der ‘s Willaviertel vom Bauraviertel trenna soll! I be aber bald zu dem Resultat komma, daß der überhaupt no net gsetzt ischt, ond somit dia Schpura vom ländlich sittlicha mit de großschtädtische fortwährend übers Kreuz laufet. Noch meiner A’sicht ond vom Schtandponkt hoher Kultevatzio aus, ischt der Nama Degerloch scho lang nemme zeitgemäß, was bekanntlich jeder Fremde lächerlich fendet, weil der bei seim vorübergehenda Ufenthalt net lang en de Anala vorsentflutlicher Gschichtsschreiber blättert, wia überhaupt d’r moderne Mensch bloß no für d’Zuakonft zu haba ischt! Wenn zom Beischpiel onser alter Vorort „Berg“, der, was au wohr isch, em Loch liegt, „Degerloch“ ond omkehrt „Degerloch“, dös, was au wohr isch, uf em Berg liegt,  „Berg“ hoißa würd,  wäret mir ällem Schpott enthoba ond net gezwonga, ons von jedem Fremda onser abschtrakta Begriffsverwechslong vorschmeißa z’lassa. Aellerdengs, wenn d’r Fremde am Bahhof en Degerloch ausschteigt ond sei erschter Blick trifft dös Loimaloch von d’r alta Ziagelei, no ka’s jo sei, daß er ebbes milder urteilt ond zuagibt, daß er wirklich en Degerloch ischt.

Du därfscht mir’s sicher glauba, Menele, mir selber isch am letschta Sonntich so ganga, wo i a Zeitlang em Leid versonka am Reitweg gschtanda be ond han en’ra eitönicha Krottaserenade zuaghorcht, dui ihre klägliche Weisa aus der verwoista Loimagruaba zom regaschwangra Hemmel gschickt hot. O letz, han i bei mir denkt, dös also ischt de ganz Kurkapell vom Luftkurort! Mit dem Schprüchle uf de Lippa: „Mach End o Herr, mach Ende“ ben i kopfschüttelnd weiter ond han leis den Refrai‘ vor mi nag’homst: „O nein, o nein, von süßrem Klange muß es sein!“ Dös Bauterrai en d’r Falterau, wo dia Schneckahäusla erschtellt werda sollet, han i ei’gehend besichtigt ond i muaß saga, Menele, dui Idee ischt erscht net amol so übel, worom soll em grenga Ma‘ net au de frisch Luft vergönnt sei?! Was Du an der Größe von dene Häusle ausz’setzet hoscht, Menele, so ischt dui eba meiner A’sicht noch so bemessa, daß m’rs glei uf Abbruch verkaufa ka‘! Aelles andere näher zu beurteila, do fehlt’s ons vorläufich no an de A’fangsgründ; drom sollet dia, wo so a Häusle kaufet, sich mit Schiller tröschta ond senga:

 

 „Raum ist in der kleinsten Hütte

Für ein glücklich liebend Paar!“

 

Als weitera Schmerza, der da Frieda en Degerloch schtört ond de guat Luft, dui do oba an ond für sich alloi honderttaused Mark wert ischt, verpeschtet, hoscht Du den kolossala Autoverkehr a’gführt. Du liaber Gott, Menele, do läßt sich nex d’rgega macha, ‘s ischt nex uf d’r Welt, dös ganz ohne Beigschmack ischt, denk no an euer Fäkalsammelgruaba an d’r Wei’schtoig, was über dös Gschmäckle d‘ Schtuagerter saget! Ja Menele, so isch dia Sach, m’r muaß no emmer rüber ond nüber gerecht sei ond net glei älles verdamma; denn Du muascht bedenka, daß mir en’ra Zeit lebet, wo älles O’mögliche möglich ischt!

 

D’r Mensch, der schneid‘t oft Froga a,

Se send hiabot gar kitzlich;

Doch was em oine o‘nütz denkt,

Ischt oft em andra nützlich!

 

Es ischt amol em Leba so,

Denn nirgends wird gleich gmessa,

D’r oine hält ufs Trenka meh‘,

D’r andre bleibt beim Essa!

 

Wenn älles glatt ond eba wär,

Hätt m‘r viel leichter gschirra –

So würd a mancher Menschageist

En Trüabsal net verirra!

 

So, dös wär für heut ‘s wichtichschte, was i Dir han schreiba wölla ond i hätt Dir‘s am liabschta glei telephoniert, aber eure Telephoverhältnis send loider em Sonntichs emmer no noch em Schwarzwaldsyschtem; wenn Du do amol en Schmerza hättscht, könnt i Dir vielleicht ufs Trom helfa!

Es grüaßt di beschtens

Dei Knöpfle.                                W. L           

                                                                                                             

 (Worterklärung: Loim = Lehm / homsen = summen / Trom = Trum (z. B. Förderband oder auch Faden. Hier: die Verbindung herstellen)

 

 Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 19. August 1911

 

‘s goht bais zu en der Welt, dös empfendet dösmol ganz besonders onsre G m ü a s p r o d u z e n t a von Groß-schtuagert, bei dem vorherrschenda Wassermangel ond dene schtrenge Befehl, dia von d’r Kommandobrücka d’r Schtadtverwaltong tagtäglich noch älle vier Wendrichtonga ausposaunt werdet! Em Schwoiß seines A’gesichts muaß d’r vielgeplogte Gmüas­agrarier verwelka lassa, was er eh’dem mit müahsamer Hand seim teura Boda zu nutzbrengendem Wachstom a’vertraut hot. Ischt dös net oifach scheußlich, wenn m’r den langsama Selbschtmord onsra lebensfroha Natur vor Auga sieht ond därf ond ka‘ net helfa?!

Als oi‘zger Troscht en dera dürra Zeit wird ons mit dürre Wort a Beischpiel a’gführt von „Anno Dazumal“, wo’s no koi Wasserleiteng gä hot! Ja Herr, i moi äls, zwischa dera Zeit von „Anno Dazumal“ ond onsrer a’schpruchsvolla Gegawart isch doch a großa Kluft entschtanda, über dui m’r o’möglich so mir nex, dir nex g’schwend a Notbrück baua ka‘.

Es hot amol a Zeit gä, i glaub, ‘s war Anno Dazumal, wo d’Wengerter no ebbes golta hent en onsrem Schtuagert, wo onser Residenz meh‘ Paradies gwä ischt als Großschtadt ond jeder en seim Gmüasgärtle en P o m p b r o n n a ghet hot! Wo no dui wohllöblich Wasserloiteng komma ischt Anno Dazumal, hot ‘s Schtadtpolizeiamt an sämtliche Privatbronna bei dene Herra Wengerter Warnongstäfela a’brenga lassa  mit der klassischa Aufschrift:  „D i e s e s  W a s s e r  i s t  g e s u n d h e i t s s c h ä d l i c h“ – Ponktom! Dös ischt natürlich a Luge gwä von Amtswega, wia bald nemme oina gmacht wird ond hot bloß den Zweck ghet, daß d’Schtadt Abnehmer für ihr Wasser kriagt. Also de Wengerter ihre Bronna send Adakta glegt worda, se hent en d’r Verzweiflong d’Deichel rausgrissa ond Brennholz gmacht, hernoch hent se ‘s Bronnaloch zom Uffüllplatz gmacht ond hent dös guat Quellwasser von a. Dazumal, wo m’r jetzt so notwendich braucha könnt – em Schutt vergraba; aber bloß weil geschrieben schteht: „Seid untertan der Obrigkeit!“ Jetzt kommt wieder d’r Befehl von oba an onsre Gmüasproduzenta mit dem Kanzleitroscht: „Machet’s wia Anno Dazumal!“ Jetzt wär m’r froh, wenn sich dia Bronna der Tiefe aufto‘ würdet, dia Anno Dazumal mit Polizeiverbot belegt ond de Besitzer verloidet worda send!

Wahrhaftich, m’r muaß uf d’Zäh beißa, wenn m’r a Parallela ziagt zwischa heut ond Anno Dazumal ond wieder, wia läßt sich so a Troscht onter Heweis uf alte Zeita mit onsre Schteuerzettel en Ei‘klang brenga?! Hoffentlich hot de heurich Wassernot amol endlich so viel zeiticht, daß onser W a s s e r l o i t o n g s b e t r i e b s l o i t e n g, oder besser g‘sagt, onser Wasserwerk für d’Zuakonft koin Riegel meh vorschiabt ond mit Handkuß jedem Problem entgegekommt, dös geeignet ischt, onser Hügelschtadt für ebiche Zeita belänglich mit Wasser zu versorga:

 

Es ischt, woiß Gott, scho lang doch d’Red,

Von der Wasserkalamität;

Doch daß amol a Abhilf käm

Durch a vernönftichs, gsonds Problem –

Dem Ufmerksamkeit zu schenka,

Noi dora‘ isch net z’denka!

So schöpft m’r halt en onsrem Tal –

Aus Quella von „a. Dazumal!“

Beim Schtuagerter hot’s nia a Eil,

Er secht: „Guat Deng braucht Langeweil!“

Drom wird erwoga ond – erdacht –

Wia m’r de gröschte Fehler macht.

Jagt m’r ens Bockshorn sich d’rbei,

Will nochher koi Mensch schuldich sei!

M’r trifft halt bloß en onsrem Tal –

So Erbschtück von „a Dazumal!“

Jetzt schtoht m’r do, wia Ochs am Berg –

Ond jammert übers Wasserwerk!

Ja, hätt m’r doch scho bälder gsorgt,

Schtatt de Problem mit Ufschub borgt!

Vielleicht erscheint a Moseshand,

Dui mächtich klopft an d’Felsawand –

Ond schpendet onrem Jammertal –

Dös Wasser von „a Dazumal!“                   W. L

 

(Worterklärung: Deichel /Teuchel = ausgehöhlter Stamm als Wasserleitung)

 

 Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 9. September 1911

 

Ach du klarblauer Himmel –

Und wie schön bist du heut!

 

So hoißt d’r A’fang vom a wondernetta Liadle, dös seither emmer von jederma‘ gern gsonga worda ond jetzt uf oimol gänzlich verschtommt ischt. Worom? Weil eba d’r Erdsbod en onsrer überaus gemäßichta Zone den obligatorischa A’blick d’r Sonna net vertraga ka‘, was sich selbschtverschtändlich au uf dia Bewohner onseres Klimas überträcht. Koi Wonder, wird heutzutag älles zur Parodie, so sengt zom Beischpiel d’r  F i l d e r b a u e r  uf den heuricha Sommer a Jeremiade, daß Gott erbarm, aber älles en d’r Parodie:

 

Ach du klarblauer Hemmel,

Zu schö bisch du heut!

Willscht no lang so blau bleiba,

Verdirbscht du mir d’Freud!

Koi Krautherbscht en Aussicht,

Koi Fuatter en Schtall –

Koi Krombier en Keller –

Jetzt Bauer – do – zahl!

Wem ka‘ m‘r wohl dös klaga?

Wem soll m‘r dös sa‘ – ?

Denn d’r klarblaue Hemmel

Ischt doch schuldich bloß dra‘!

 

Aber au d’r  W e n g e r t e r,  der jo gwiß a Freud am Sonnaschei‘ hot, ischt mit dem schwoißreicha Sommer net z’frieda, weil er mit a’seah muaß, wia dui allgüatich Sonna dene arme Trauba dös notwendich bißle Wasserschtoff voll entziaht, ond so hofft er halt emmer no, d’r Hemmel mög sich erbarma ond a wohlgefällichs Regele von zwoimol achtavierzich Schtond über onsre schmachtende Gefilde geh lassa; denn d’r Wengerter will em Herbscht Brüah em Zuber seah ond feine Zibeba! Zaghaft greift er an die Saita ond sengt die Parodie:

 

Ach du klarblauer Hemmel,

Du bischt sonscht mei Freud;

Aber so blau wia heuer –,

Dös goht mir zu weit!

Denn onsre paar Träubla –

Kaum lohnt sich’s d’r Müah –

Send süaß, wia Zibeba –

Aber geant halt koi Brüah.

Wer zahlt onsre Schteura?

Do fend sich koi Ma‘ –

Denn d’r klarblaue Hemmel

Ischt doch schuldich bloß dra‘!

 

Jetzt wöllet m’r aber au amol die Kehrseite von d’r Medallie betrachta; denn was em oina sei Schada ischt, dös ischt em andra sei Nutza. Em Baura ond Wengerter gegenüber schtoht d’r  B i e r b r a u e r  ond reibt sich profitlich d’Händ ond sengt aus voller Kehl ond frischer Bruscht die Parodie:

 

Ach du klarblauer Hemmel,

Was verdank i doch dir?!

Dei hemmlisch Gebara –

Ischt Wetter fürs Bier!

Mögscht ferner du blaua,

Dös wär meine Bitt:

Was em Landma‘ sei Schada,

Ischt em Brauer sei Profit!

Ond werd i bei Zeita

A schtoireicher Ma‘ –

Ischt d’r klarblaue Hemmel

Alloi‘ schuldich bloß dra‘.

 

 Hentrem Bierbrauer schtoht noamol so a Gottbegnadeter ond lacht sich ens Fäuschtle, dös ischt d’r Herr W a s s e r h ä n d l e r!  Er ischt derjeniche, der em Schwoiß seines A’gsichts ‘s Barometer net aus de Auga läßt ond mit seim kräfticha Limonadetenor schmettert er von früah bis schpät die Parodie:

 

Ach du klarblauer Hemmel,

Du mei oiziche Freud,

Sorg, daß vor Martene

Weder regnet no schneit!

Bloß zwoi, drei so Sommer,

No schtell i ‘s Gschäft ei‘–

No saufet ihr ‘s Wasser –

Ond i trenk da Wei‘!

Dös wär profitabel –

Ond sicher koi Wah‘:

Denn d’r klarblaue Hemmel

Ischt no schuldich bloß dra‘!                          W. L.

 

Aus den „Ansichten“ vom 21. Oktober 1911

 

Leutla, send net oigasennich,

Glotzet jetzt net uf da Pfennich –

Weil doch, wenn ihr gschtorba send, –

Ihr ama Pfennich wenich hent!

Also, raus drom mit de Batza,

Laßt net lang em Bart euch kratza –

Ond schöpfet aus d’r Trauba Bluat

Wieder en neua Lebensmuat!

Fort mit Kaffee, Tee, Schoklade –

Neckerwasser – Limonade –

Laßt ab von eurer Konsequenz,

Ihr Herra von d’r Temperenz!

Fröhlich macht des Weines Wärme,

Vivat! jauchzen die Gedärme –

Dieweil der jonge Alkohol

Schtets sorget für des Leibes Wohl!

Drom was a echter Schwob will sei,

Verachtet nia da neua Wei! –

Ischt au d’r Neuzeahhondertelfer –

Koi Schpezial – ischt er doch Helfer!

Drom säumet jo koin Augablick –

Ond trenket Elfer, der schtärkt ‘s Gnick!

Für euer Leba hots koi Gfohr,

Denn Herbscht ischt bloß oimol em Johr!

 

Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 25. November 1911

 

I be no nia a Freund von Poletik gwä, von d’r ennera so wenich, wia von d’r äußera; denn was i von der Sach en mei‘ Haushalteng brauch, isch klei‘ bei’nander! Bei mir gibt’s bloß a rechts- ond a lenksschtehenda Partei ond dös ben i ond mei Karlena; mir saget a‘nander d‘ Moineng wia sich’s ghört, ond em übricha lebet mir em Frieda! So – schätz i – sott’s en dene Aellerweltshaushaltenga von Dorf – Schtadt – Land ond Reich au ei’gführt sei, no wäret die Händel dieser Welt viel besser zu schlichta; denn bloß dia verdammte Zwischaoppasitziona send d’r Herd allen politischen Uebels, se machet da Menscha irr an Leib ond Seel ond schtatt oiner Kluft, dui ewich zwischa arm ond reich beschtoht ond nia zom überbrücka  ischt – teant  sich  emmer weitere  Schpalta uf, dia so mancha ordentlicha Gsennong mit verschlenget! M‘r därf boß amol a Familialeba betrachta, dös reichlich mit Kender gsegnet ischt, was dia für Oppasitzio‘ en d’Familiapoletik nei’machet von dem Augablick a, wo se lalla könnet, bis zom Tag, wo se schtubarei‘ werdet ond hernoch erscht recht, wenn d’r Kampf om‘s Dasei seine persönliche Rechta ergreift!

 

Drom hoißt d’r Schpruch: „Viel Köpf – viel Senn!“ –

Er schtammt aus alte Zeita –

Denn seit d’r Menschheit A’begenn

Datiert au scho ihr Schtreita!

Dös liegt zwor am Naturgesetz,

Ons trifft do koi Verschulda;

Denn ‘s ganze Leba ischt oi‘ Hetz –

Ond ka‘ koin Frieda dulda!

Wia wechselt Licht ond Fenschternis,

So folgt d’r Tod em Leba –

So ischt au jedes Paradies

Von seiner Höll omgeba!

Wia sich befehdet „kalt“ ond „warm“ –

Ond hilft koi Hentertreiba,

So wird au zwischa reich ond arm,

D’r Kampf nia onterbleiba!

Do schteckt d’r ganze Kasus drenn –

Ond d’r Natur ihr Schtreba,

Denn lauter Köpf mit gleichem Senn –

Nehm ons da Reitz am Leba!   [65]

 

Also, ohne Poletik goht’s amol net ab en d’r Welt ond wenn m’r sich mit Händ ond Füaß d’rgega schträubt; denn als Mensch ischt m’r an d’r Welt entressiert, ond jedes Entresse erfordert Poletik! Wia viel Poletik wird no trieba, bis oft zwoi anander kriaget, dene  sich Henderniß  en Weg schtellet, en Beziehong gegenüber d’r Schwiegermutter, dia m’r bloß uf diplomatischem Weg beseiticha ka‘! Ond wieder, wenn zwoi trenna wöllet, was Gott z’sammagfüagt hot, was gibt oft dös für a Sau-Wäsch zom säubra, ond wia viel Diplomatie ghört d’rzua, älle Flecka rausz’brenga, ohne em Schtoff zu schada?! Ja, dös send lauter Bagatellsacha gegenüber onsrer Weltpoletik; aber doch wöllet se überwonda sei; denn m’r ka‘ sich oft an so Kleinichkeita verpolitisiera, daß m’r sei Lebtag dra z’däuet hot! M’r secht net omsonscht, wia em Kleina, so em Großa! Gucket amol onser Marokkopoletik a, wiaviel Tenta ond Druckerschwärze dui scho verschluckt hot, biß m’r endlich a Abkomma z’Weg brocht hot, von dem zu erwarta ischt, daß m’r ganz d’rvo‘ abkommt!

 

Ja, dui Marokkopoletik,

Dui hätt i glei‘voll schtiefeldick!

Ihr Leser weant mi recht verschteah,

Es muaß doch selber Euch so geh! –

Wia manchen Tag, wia manche Nacht –

Hot bebt ond gwackelt Deutschlands Macht;

Denn om a monzichs Häärle Hoor –

Wär ausbrocha die Kriegsgefohr,

Dui jetzt gottlob, noch bange Schtonda –

Ischt endlich glücklich überwonda!

M’r sieht halt, onsre Diplomata,

Bewahret ons vor jedem Schada –

A‘ schlichtes Wort bricht schtets da Trutz,

De beschte Händel send nex nutz!                          W. L.

 

 

-----------

[55] Im Nachlass ist eine Büttenrede erhalten: „Dös Märle vom Paradies“.

[56] Im Buch von Michel Greiner und Sigfried Schoch „Stuttgarter Ei’gmachts“, Stieglitz-Verlag, 1988, S. 199, sieht man – allerdings erst Mitte der zwanziger Jahre – auf dem Umzugswagen eine Figur, die Knöpfle sein könnte.

[57] Grob und Fein. Von unser’m Knöpfle (Wilhelm Löffel), Gedichte, Vorträge in Schwäbisch u. Hochdeutsch, Paul Mähler Verlag, Stuttgart, o. J. / 1. Wilde Rosen 2. Stuttgarter Originale 3. Vom Immenhofen.

[58] Zwei von drei Strophen des „Lieds“ sind hier im Text abgedruckt.

[59] Am 10. Dez. 1910.

[60] Am 18. Dezember 1909.

[61] Am 26. Juni 1909.

[62] Verändert nochmals abgedruckt im NYSW, am 29.6.1921.

[63] Eine Parallelstelle gibt es am 4. November 1911.

[64] Spätere Fassung in Wilhelm Löffels Buch: „Kraut ond Rüaba“, Verlag Karl Felger, Stuttgart 1929, S. 29.

[65] Die zweite Fassung (mit ein paar Änderungen) ist abgedruckt in Wilhelm Löffels Buch „Kraut ond Rüaba“, Verlag Karl Felger, Stuttgart, S. 36. Die letzte Strophe lautet dort: „Dös ischt dr Kasus belli – denn / En Onterschied muaß geba; / Geb’s lauter Köpf mit gleichem Senn, / Wo blieb dr Reitz am Leba?“

DR WENGERTER KNÖPFLE im Stuttgarter Neuen Tagblatt (1912-1914)

Das Jahr 1912

 

Auch in den folgenden Jahren bleibt Knöpfle bei seinen Hauptthemen. 1912 bespricht er nach der Reichstagswahl wieder einmal den Karneval und würdigt zugleich wie schon 1911, wo er ein Gedicht auf den König macht, ihren gemeinsamen Geburtstag am 25. Februar. Natürlich ist es der Geburtstag von Wilhelm Löffel und nicht vom erfundenen Knöpfle, dem er aber weiterhin den Glückstag zuschreibt. In diesem Jahr (am 2. März) verteidigt er als treuer Untertan die Ordens- und Titelverleihung des Königs, rechtfertigt, dass einige nun Beleidigte übergangen wurden, und tröstet einen Untröstlichen mit und in einem Gedicht.

Der Karneval andererseits ist nicht nur allein eine närrische Zeit – sondern auch das jährliche „Welttheater“ ist nichts anderes! So wird‘s am 10. Februar in einem Gedicht gesagt:

 

Närrisch ist so ‘s ganze Leba,

So lehrt die Vergangaheit –

Was die Zuakonft ons wird lehra,

Bleibt au närrisch jederzeit!

Närrisch ischt d’r ganze Handel –

Ond d’r Wandel dieser Welt.

Oiner hoißt da andra närrisch –

Bloß weil jeder hangt am Geld!

Närrisch ischt a jede Liabe,

Närrisch – älles – was sich paart!

Ohne Liabe gibt’s koin Leba –

‘s ganze Leba ischt vernarrt!

Närrisch drom bleibt onser Leba –

Närrisch onser Erdafrischt:

Weil d’r Mensch jo doch zum schterba –

Bloß alloi gebora ischt!

 

Und als Nachruf auf den „Prenz Karneval“ schiebt er zwei Wochen später (am 24.Februar 1912) eine weitere Lebensweisheit nach:

 

(…) Mir aber, dia mir ons ällzeit freuet mit de Fröhliche, wöllet ons befleißicha, trotz dem Ernscht des Lebens – onsern gsonda Humor zu erhalta; denn er alloi ischt d’r Sieger en älle Lebenslaga, ohne den onser Dasei‘ onerträglich wär!

 

I sags grad, wia’s oms Herz mir ischt:

Jed’s hot sei Freud am Leba;

Da Bauer freut sei Häufle Mischt,

Da Wengerter sei‘ Reba!

D’r Weise labt sich an de Schprüch,

D’r Trenker gern am Wei –

D’r Domme freut sich königlich,

Schtets ‘s gröschte Viech zu sei!

Es freut sich jeder Schlendria,

Sompft er mit schlechte Dirna –

Ond mancher freut sich, wenn er ka‘,

En andra recht verzürna!

So sieht m’r täglich uf d’r Welt

D’Menschheit noch Freuda schnappa –

D’r Reiche hot sei Freud am Geld,

Em Narra gfallt sei Kappa!   [66]

 

Im März wird wieder einmal mit einem Gedicht der Frühling gefeiert – aber dann im April:

 

„hot glei d’r Wenter – der eiskalt-eifersüchtich Tropf – sei Eisbärapratza em Früahleng uf d’Bruscht gsetzt, daß em bereits d’r Schnauf ausganga ischt! Es nemmt mi eigentlich wonder, daß der Schneefall ond dui Kälte en da voricha Woch net uf Oschtra ei‘troffa ischt, no hättet mir senga könna: Gröane Weihnachtsfeiertag, / Ziagelroter Reichstag – / Ond a weißer Oschtertag / Prosit Brüader – jetzt wird’s Tag!“

 Und der Schaden ist wie schon so oft für den Wengerter da:

 Omsonscht ischt onser Hoffa,

So seufzt er – sorgbedrückt –

D’r Wei‘ ischt jetzt scho gsoffa –

Ond d’Kirscha send scho pflückt!

M’r würd sich gern gedulda,

Wär no von dem au d’Red,

Daß könftich onsre Schulda –

D’r Froscht ombrenga tät!

Doch dös ischt grad d’r Teufel,

Uf der kuriosa Welt –

A Leba voller Zweifel,

viel Beutel ond koi Geld!

 

Und sonst? Wieder einmal jammert Menele über das seit der Eingemeindung benachteiligte Degerloch (am 18. Mai), Knöpfles Karlena wiederum regt sich eifersüchtig über Briefe aus Amerika auf: zunächst (am 16. März) über den vom ausgewanderten Rösle, dann (am 30. März) über einen weiteren von zwei Leserinnen des „Schwobablättle“ – „zwoi Bäckamädla vom Land“, die Knöpfle darum bitten, dass er ein „Abzugsbildle“ von sich ins Neue Tagblatt setzen lässt – und eine dritte Leserin und Verehrerin aus der Ferne spricht auch noch eine Einladung aus (am 1. Juni)!

Das andererseits unverzichtbare Thema „Stuttgart früher und heute“ wird viermal aufgegriffen (am 27. April, 29. Juni, 13. Juli, 21. Sept.). Und Karlena fährt wie gewohnt ihrer Krampfadern wegen nach Wildbad und überschüttet den Zurückbleibenden mit einer Flut von Ermahnungen (20. Juli). Ein unverzichtbares jährliches Ritual! Eine Reise Knöpfles seinerseits mit dem Seelesbäck, diesmal zum Sängerfest nach Nürnberg, wird ausgedehnt in drei Kapiteln geschildert (am 3., 10. und 31. August).

Auffällig ist, wie sehr Knöpfle in Volksliedern bewandert ist und immer wieder Verse zitieren kann. Im gleichen Jahr (15. Juni) hat er bereits das Sängerfest in Gerlingen besucht zum 50jährigen Stiftungsfest des Liederkranzes. Verständlich, dass das mangelnde Interesse der Jugend an den alten Volksliedern zu seinen Brandreden gehört! Solche Feste und Veranstaltungen ziehen ihn an, ganz besonders das Cannstatter Volksfest, aber durchaus auch einmal ein Pferdemarkt. Ersterem widmet er nun im Herbst ein ganzes Kapitel:

 

Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 28. September 1912

 

‘s Cannschtatter V o l k s f e s t , dös mir Schtuagerter  vor etlich Johr durch de allgemei‘  Ei’gmeindong zur R e s i- d e n z k ü r b e erhoba hent – ischt wieder uf sein alta wohlbekannta Platz, mit äll sei‘m Rommel ond Getrommel – Jubel ond Trubel – Orgel ond Getorgel – pflichtgetreu ei’troffa! D’r Großschtädter – elektrisiert durch da Schtrom o’bändicher Luschtbarkeit – wird plötzlich arbeitsscheu – Poletik ond Teurong tretet en Hentergrond, ja sogar Gicht ond Reißmatissimus verschwendet – so lang dös Schlagwort „Volksfescht“ d’ Parole ischt!

 

Send ons‘re Zeite no so schlecht,

Ischt no so groß d’r Schwendel:

Uf‘s Volksfescht wandert Herr und Knecht

Zu fröhlichem Getändel!

Do blüaht ond schprüaht d’r Schabernack,

Do grinst die Luscht verteufelt;

Wenn glei d‘rhoim d’r Bettelsack –

Fascht an d’r Wand verzweifelt!

M’r merkt au nex von Floischesnot,

Dös ischt amol ganz sicher;

Denn wo m’r goht ond wo m’r schtoht, –

Ischt m’r omrengt von Viecher!

Liabt anderswo Jud oder Christ,

Solides ond Reelles –

Hoißt’s, wenn m’r uf em Volksfescht ischt:

„A guata Sau frißt älles!“

Ond ‘s Wetter, dös ischt Nebasach,

Do send d’Leut so vernagelt;

Denn uf em Volksfescht sitzt d‘r Krach –

Wenn’s au glei Katza hagelt!

Ob Rega, Froscht – ob Sonnaschei‘ –

Ob Kommer, Not ond Sorga:

Dös ischt am Volksfescht oinerloi‘ –,

M’r lebt von heut uf morga!

 

Ja no, m’r mag loba oder tadle – räßoniera ond kritisiera wia m’r will, was d’r Mensch braucht, dös muaß er oifach han – ond d’r Schtuagerter braucht sei Volksfescht, uf dös freut er sich ond lebt ‘s ganz Johr dra‘ ronter! ‘s Volksfescht ischt eigentlich d’r oizich Tommelplatz für da Großschtädter, der ‘s ganz Johr schteif gebonda – fern von alter geschmeidicher schwäbischer Gemüatlichkeit – so wia mr‘s früher gwohnt gwä ischt – klassefiziert d’rherkommt! Sobald d’r Großschtädter da Wasa betritt, legt sich sei Schtolz – ond sei Gmüat überkommt zmol so‘na Art enternatzionala Wallong, er sommt oder brommt mit jeder Drehorgel „Die Wacht am Rhei“, oder „Denke dir mein Liebchen“, er sitzt ganz gega sei Gewohnheit net alloi an en Tisch ond frißt, wia jeder Bauer – seine Soitewürschtla mit ‘s Vatters Gabel ond dös will scho viel hoißa! Er schmust mit Zigeunerna ond pätschelt emitierte Italienerna, läßt sich Puffer gä ond uf d’Höahnerauga treta, ohne mit d‘r Wemper z’zucket ond plärrt em Schaos oi „Prosit der Gemüatlichkeit“ oms andre noch Herzensluscht mit! Er dautzt ond läßt sich  dautza, er schnautzt ond läßt sich wieder a’schnautza – kurzom, er füagt sich en älles, was ‘as Volksfescht an A’gnehms ond O’agnehms biatet, was ehm sonscht en seim gewöhnlicha Alltagsleba net vorkommt!

Mei Gegaschtand – mei Karlena hot gerscht morga zu mir gsagt: Was isch, alter Hosaknopf, hoscht koi Luscht ufs Volksfescht – oder witt endlich amol dui Lomperei uf­schtecka? Karlena – han i gsagt – i brauch dei schpitzfendichs Gschwätz net scho wieder – du woischt ganz genau, daß i mir en dera Beziehong nex saga laß! Mei Volksfescht laß i mir net nehma, dös ischt bei mir scho a alta Traditzio ond ‘s Leba ischt afanga  so  ernscht,  daß ganz  guat en Schpritzer Lomperei vertraga ka‘! – I woiß wohl, daß a alter Sack nemme guat flicka ischt, wega mir gang uf dei altbaches Volksfescht so lang du witt; mei oiz‘ger Troscht en meiner Trüabsal bleibt, daß dös Züttele, wo seiner Zeit bei’s Kanzleirats deant hot, nemme om da Weg ischt! Dui raffeniert Perso‘ hot’s so gröndlich verschtanda, wia m’r em a alta Ma‘ ‘s Herz jong erhalta ka‘! Hör amol, Karlena – han i gsagt – so Mädla, wia‘s Kanzleirats Rösle – gibt’s halt net viel; denn dui hot mi besser verschtanda als du – aber kennscht dös Schprüchle net:

 „Soll dei Geischt sich jong erhalta, / muaß dei Herz zur Jugend halta!“                                        W .L.                             

 

 Aus den „Ansichten“ vom 12. Oktober 1912

 

Was ‘s Frühjohr ons verschprocha,

Dös hot sich net vererbt;

Denn onser nasser Sommer –

Hot ‘s ganze Schpiel verderbt!

D’r Herbscht mit äll‘ seim Sega,

Ischt au no so gemei‘ –

Ond bscheert zom Trotz ond Aerger

Ons no en saura Wei‘!

Was wird d’r Wenter brenga,

Der koschtbillich – eiskalt Tropf?

Er schpuckt mit bange Sorga –

D’r Menschheit uf da Kopf!      [67]

 

Aus den „Ansichten“ vom 7. September 1912

 

A Floisch so söndhaft teuer,

A Korn so schwarz wia Mohr;

Ond Zuawachs an d’r Schteuer –

Dös nemmt oim da Humor.

D’r Müller mag net mahla,

Em Bäck‘ verloidet’s Bacha –

D’r Schuldner ka‘ net zahla,

Dös send drei schlemme Sacha.

D’r Wei‘ zom voraus g‘soffa,

D’Kartoffel werdet knitz –

So wird aus onsrem Hoffa,

Nex, als a schlechter Witz!

So wird bald ‘s ganz Gewerbe

Verdrängt durch d’Hentertür,

D’r oizich lachend Erbe –

Bleibt z’letscht – d’r G’richtsvollzieh’r!

 

 Aus den „Ansichten“ vom 2. November 1912

 

Will m’r a A’recht an die Welt,

Koscht’s vornaweg glei Ei’trittsgeld:

Dieweil halt scho ‘s gebora werda –

Verknüpft mit ällerhand Beschwerda!

Schtoht no d’r Mensch uf oigne Füaß,

Hoißt’s: „Arbeit macht ‘as Leba süaß!“

Doch d’Süaßichkeit uf onsrer Welt,

Dui kriagt m’r nirgends ohne Geld!

Will m’r a Mensch sei erschter Klaß –

Ischt ‘s Leba erscht a teurer Schpaß!

Denn bis m’r kommt zu Ruhm ond Ehr –

Do g’hört a großer Geldsack her!

Ischt Armuat aber ‘s Mißgeschick –

Hot m’r da Teufel schtets em Gnick;

Ond hoißt’s au: „Armut schändet net“ –

A Schtrohsack ischt koi Fedrabett –

Ond jeder Mensch hot ohne Geld, –

Koi A’seah net uf dera Welt!          [68]

 

Natürlich gibt es auch wieder die Diskussionen am Wammestisch. Dort wird neben persönlichen Kabbeleien auch mit Vorliebe politisiert, über die Landtagswahl diesmal, die zur Enttäuschung von Knöpfle erneut den Mittelstand zersplittert, obwohl sich der Weingärtnerstand zu einer Vereinigung zusammengeschlossen hat, und dann bespricht man vor allem den bedrohlichen Balkankrieg mit der Gefahr, auch selbst hineingezogen zu werden. In einer Ballade heißt es am 26. Oktober in der Schlussstrophe: „Lieb Vaterland magst ruhig sein, / Tönt es in Deutschlands Gauen. / Wir schlagen mit dem Schwert nicht drein, / So bleiben wir von Läusen rein – / Uns ist der Krieg ein Grauen!“ Trotzdem antwortet Knöpfle[69] als Veteran des siebziger Kriegs und „alter Hosenknopf“ vaterlandsgläubig seiner Milchfrau Menele, die bereits befürchtet, drei Ihrer Söhne hergeben zu müssen, mit einem Vers aus Schillers Reiterlied: „Im Feld, da ist der Mann noch was wert“ und fügt hinzu: „Em Bett ka‘ jeder Esel sterba – hoscht mi verschtanda?“

 

Das Jahr 1913

 

Der Jahrgang 1913 umfasst rund fünfzig Kolumnen, mehr als die vorangehenden. Und dabei betrieb Wilhelm Löffel doch auch noch sein Kurhotel! Die Eckpfeiler seiner Themen sind wieder vorgegeben, aber variationenreich ausgestaltet. Dazu kommt die sich verschärfende Balkankrise und die in Deutschland mit Schulden vorangetriebene Rüstung, die Knöpfle insofern bejaht, als sie ein Garant für den Frieden sei. Und natürlich ist der Wammestisch diskussionsfreudig eingebunden und der Streit mit Karlena wegen Rösle, die nun wieder aus Amerika zurückkommt, ausgedehnt entwickelt – komödiantische Szenen, in denen man Wilhelm Löffels Freude am Theater spürt!

Das gilt auch für Knöpfles zweiten Kuraufenthalt bei des „Bruaders Bua“, wo er sich, während seine Karlena wieder in Wildbad ist, für vier Wochen einmietet.[70] Zwar ist er auch mit des „Bruaders Bua“ zusammen, dessen Vollmondgesicht und Bauchschmalz er hervorhebt, aber sein Aufenthalt gilt eher dem Rösle und der Menele, seinen bisherigen Figuren. Und mit dem Rösle geht er sogar noch aufs Volksfest, wo sich ein reich inszeniertes und auch unerwartetes Zusammentreffen ereignet, wie auch noch in den folgenden Kapiteln.[71]

Wenn es aber um die Jahreszeiten geht, ist Wilhelm Löffel auf ganz andere Weise – als hinschauender Beobachter am Werk:

 

Ansichten des Weingärtners Knöpfe vom Bohnenviertel.

Vom 18. Januar 1913

 

Der langersehnte Schnee – uf den onser Jugend ond hauptsächlich au onsre Schportsmenscha – mit Schmerza gwartet hent – ischt endlich mit prompter Verschpätong vor acht Tag ei’troffa ond hot en ganz kurzer Zeit Freud ond Leid onsrer Residenz hervorgrufa! Freud amol ensofern, daß m’r jetzt woiß, was Wenter ischt – ond d’r Schport sein A‘fang nemmt!

 

Hurrah! raus mit eure Schlitta!

Seht ihr net, wia schö daß schneit?

Vorwärts! eh zu spät ihr kommet;

Denn gar kurz ischt äls dui Freud!

Hurrah! tönts von älle Höha –

Bah‘ frei! schreit jetzt jeder Knirps,

Der kaum käshoch, uf seim Schlitta –

Droba sitzt, wia so’na Kürbs!

Ond d’r Karl mit seim Davoser,

Als prämierter Rodelma‘ –

Ischt natürlich samt seim Luisle,

Z’erschta uf d‘r Schlittabah‘!

Komm no Schatz, m’r muaß benütza –

‘s Rodla ischt wia d’Liab em Mai!

Kaum begonna ischt’s vorüber –

Secht er – ond hot g‘lacht d’rbei!

Ach, d’r Weltlauf! seufzt as Luisle, –

Ewich bleibt halt nex beschteh‘ –

Ja, sogar a mancha Liabe,

Schmilzt oft rascher als d’r Schnee!

Aber Schätzle – secht d’r Karle –

Do send mir doch fei‘ heraus!

Onser Liabe ischt beständich,

Dui hält no da Wenter aus!

 

So wia d’r Karle ond ‘s Luisle a Liabespäärle z’sammanander ischt, wird’s hoffentlich no meh gä, denn sonscht säh’s gar traurich aus uf d’r Welt! Was der Schnee ons aber Leids geta‘ hot, dös ischt amol erschtens dös, daß er glei da Schwendsuchtskeim mit uf d’Welt brocht hot ond wenn er jo von Geburt aus net so kolossal kräftich gwä wär, so wär längscht nex meh von em do! D’r zwoite Ponkt em Leidwesa dös Schwendsuchtskandidata ischt der, daß d’r Hausbesitzer scho von A’fang a sei lieba Not mit dem Kerle hot, weil er so bald z’Wasser wird ond dui Nässe wo ‘ner verursacht: direkt polizeiwidrich ischt, so bald se mit em G‘frierponkt en Berüahrong kommt! No m’r muaß saga, wenn es sich om d’Reinlichkeit bei de Hausbesitzer handelt, do ischt onser Schtadtverwaltong mit ihre schtets zur Hand habende Polizeivorschrifta no nia z’schpät komma, bloß hot se äls au dui Schwäche, daß se em Drang der Geschäfte manchmol vergißt, vor ihrer oigna Tür zu kehra! I han scho oft g’sagt, ‘s Trottwar  ischt ‘s Schmerzenskend für d’Hausbesitzer! Z’erscht koschtet’s oin a Haufa Geld, bis m’r glücklich a Trottwar hot, daß m’r en sei Haus ebber a’schtändichs nei kriagt, hernoch ischt m’r verpflichtet, dös Trottwar rei‘ zu halta ond für älle Schäda aufzukomma! Wird ‘s Reinicha von de Trottwar en städtische Reschie gä – so därf m‘r je noch dem – jährlich sein schöna Beitrag zahla – ond wird schliaßlich no gschtroft, wenn m‘r em Notfall net selber Hand a‘legt! Bei Schnee ond Tauwetter schtoht ‘s Trottwar onter schtändicher Polizeiufsicht ond wehe dem Hausbesitzer, der sei Pflicht – die er de Passante schuldich ischt – verletzt!

 

Wirklich Hausbesitzer sei

Ischt koi Schleckhaf meiner Treu!

Abgseah, von de Hypotheka, –

(Dia jo g‘wiß en bsondra Sega) –

Hangt gar vieles drom ond dra,

Dös siaht m’r so ma Haus net a!

Doch davo‘ will i net schprecha,

Hoißt’s doch emmer wacker blecha;

Dös ischt scho a altes Liad –

Ond macht oin z’letscht sangesmüad!

Was oin peinicht oft fürwahr

Dös send onsre Trottowar;

Andre Leut die hent de Nutza –

Ond mir dürfet Hondsdreck putza!

Ka‘ mr‘s oft fascht net verkrafta,

So hilft’s nex – m’r muaß halt hafta;

Macht m’r sich z’letscht ebbes draus –

Hoißt’s no, worom hoscht a Haus?

Zwor em Sommer tuat sich’s no,

Do kommt m’r no glatt d’rvo;

Wenn m’r fleißich schprenzt ond kehrt

Sich om ons koi Teufel schert!

Doch wia isch zur Wenterszeit,

Wenn’s en Schnee glei schuahhoch schneit?

Ond m’r hot net glei zur Hand –

Schaufel, Besa ond Schtreusand,

Kommt d’r Schutzma’ond notiert –

Ond d’r Hausherr ischt pitschiert!

Wahrlich, wär noch Diab zu fahnda –

Könnt m’r oim net ärger ahnda!

                                             W. L.

(Worterklärung: pitschiert sein = in einer üblen Lage sein)

 

Aus den „Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.“

Vom 15. März 1913

 

(…) Wo i do letscht en mei Wengert naus be, hot mei Schpitzer en so ma Feldweg en Schpaziergänger a’bellt – worom – der Hond hot genau gwißt, daß der Betreffende bloß uf d’Könichstroß ond en koin Feldweg paßt! Sie – hot der a‘gfanga – rufen Sie Ihrem Hund – ich kann das ekelhafte Gekläff von diesem Köter nicht hören! Was moinet ihr, was i dem zur Antwort gä han – ha?!

„Bitt om Verzeihong lieber Herr, / Dös wöllt mir glei  erledicha; / Denn wenn mei Hond a Pfarrer wär / Würd er schtatt bella – predicha!“

 

Aus den „Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.“

Vom 29. März 1913

 

Scheußlich! secht d’r Karl zom Luisle –

‘s ganz Programm ischt jetzt verpfuscht,

Oschtra – ond a solcher Hemmel –

Do vergoht oim d’Wanderluscht!

Schad für onser Rucksackveschper,

Dös i gerscht scho reserviert;

Weil i drauß beim Sonnascheine –

Uf a Picknick reflektiert!

Ond schtatt dessa heult d’r Hemmel –

Träna, wia – a Krokodil;

Onaufhörlich fliaßt d’r Rega –

Ond zu Wasser wird ‘s Idyll!

Wollt mit dir mi heut verloba –

Wär d’r Hemmel hell ond klar:

Aber dös ischt doch koi Wetter ­

Für a glücklich liebend Paar!

Gwiß net – Schatz – seufzt druf ‘as Luisle –

So ischt ‘s Liaba koi Genuß;

Wässrich wia d’r Hemmel eba –

Schmeckt do d’r Verlobongskuß!

Drom laß heut d’Verlobong schtecka,

Mir send deshalb doch vereint –

B’halt dein Reng em Wechtatäschle,

Bis a d’Sonna wieder scheint!

 

Aus den „Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.“

Vom 6. September 1913

 

(…) Nachdem i mei Zemmer besichticht ond ällas en beschter Ordneng gfonda han – ben i d‘ Schtiag wieder nonter. So, – han i zu mei’s Bruaders Bua gsagt– i lauf jetzt a bißle en Wald schpaziera; denn mit ‘em Mittagessa wird’s doch net so pressiera! Mei’s Bruaders Bua – a Ma‘, mit dem m’r schwätza ka‘ – hot gsagt – gang no Vetter – ond verlauf di a bißle – no schmeckt dir’s nochher om so besser; aber schlag Ois muascht wieder do sei – mir hent heut hausgemachta Empfangsnudelsupp, ond wenn dui z’lang uf em Tisch schtoht – bleibt d’r Löffel drenn schtecka – du woisch jo! Brauchscht koi Sorg han Bua – han i gsagt – i treff mit militärischer Pönktlichkeit ei!

Nachdem i anderthalbmol om da Degerlocher Exerzierplatz romglaufa be – ond dene Halbnackete ond Ganznackete Schportmenscha ihrem To ond Treiba gnuag zuaguckt ghet han – han i mi uf ma Bänkle häuslich niederglassa – ond be scheints – woiß d’r Teufel selber net – a bißle ei’dost! Uf oimol schreit oiner mir en d’Ohra nei: „Na hören Sie man bald auf mit die Musik – Sie wollen hier wohl Promenadekonzert jeben wat?“ Wia’ni d’Auga ufmach – schtoht so a grasgröaner Süaßholzraschpler vor mir – en oiner Hand a Wasserfläschle ond en d’r andra a Buach! Was ischt denn los – han i gsagt – was wöllet denn Sia Schlangafanger von mir – ha?! Sie sind man wohl Sägwerkbesitzer wat, daß Sie dem Deubel ein Ohr wegschnarchen – oder wollen Sie man wohl mit die Propeller von der Zeppeline in Konkurrenz treten – wat?! O  Sia  ausgmärkelter  Schpendla-schpitzer – han i gelassa gsagt – mit Ehne laß i mi en koi Gfecht ei – mit Ehne tät i sonscht Gfohr laufa, daß Se mir en d’r Hand verbrechet! Sie sind jewiß Alkoholiker wat?! Dat trifft man sehr häufig bei die Schwaben – sehen auch janz versoffen aus! O du elender Bohnaschteckafatzke – han i jetzt töbert – dei Milchsuppagsicht nemmt natürlich koi Farb a – du bischt amol z’misserabel, daß du dein Geischt aufgibscht – weil koin hoscht, du Quellwassersüffel du waitageter! Mir Schwoba haltet treu zu dem Schprüchle, dös i vor Johra amol em a guata Freund gewidmet han ond dir jetzt au zuaruafa möchte:

 

Halt fescht am Alkoholgenuß,

No brennt dei Geischt wia Schpiritus!

Vom Wasser wirscht du zom Orakel

Do schtenkt dei Geischt wia Onschlittfackel,

Daher d’r Name – Geischtesdackel! [72]                   W. L.

 

(Worterklärung: Vetter = hier: Oheim / waitaget  bzw. wetaget (von Wehtag) = widerwärtig)

 

 

 

 

 

Aus den „Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.“ Vom 27. September 1913

 

Ischt m’r au en ällem weiter,

Was da Fortschritt a’belangt –

Schtemmt mi ‘s Leba doch net heiter,

Weil mir vor d’r Zuakonft bangt!

 

Vor d’r Zuakonft muaß oim bange,

Dös zeigt onser Gegawart –;

Denn ‘as menschliche Verlanga,

Schlächt a’fanga aus d’r Art!

 

Wia ischt onser Jugend bschaffa –

Em Betraga – ond em Fleiß?

Maischtens send se frech wia d’Affa

Ond d’rbei no nasaweis!

 

Buaba rauchet Zigarettla,

Weil sowas die Jugend ziert –

Ond pussiera teant scho d’Mädla,

Eh‘ se kaum recht konfermiert!

 

Ond d’r allergrößte Schote –

Onsrer hochmoderna Zeit

Dös ischt o’fehlbar die Mode;

Denn bloß d’Kloider machet d’Leut!

 

Gucket no, wia schick die Weiber –

Wia schtenknobel ond adrett;

D’Mode schpielt mit ihre Leiber

Ond d’r Hanswurscht ischt ‘s Barett!

 

Hoorfrisura – könschtlich gwoba,

Daß es tausendfach erschallt:

„Wer hat dich so hoch do droba –

Aufgebaut du schöner Wald!“

 

Faßt m’r dös no älles z’sämma,

Ond denkt, was die Zuakonft beut –

Könnt m’r sich wahrhaftich gräma,

Om die „gute alte Zeit!“ [73]

 

Aus den „Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.“

Vom 11. Oktober 1913

(…)

D’r ewich Kampf uf dera Welt –

Ischt dös – i wills Euch saga:

„Mir hent z’viel Leut – ond z’wenich Geld,

Dös tuat sich schwer vertraga!“

Es würd a mancha Wonda ghoilt,

Läg ‘s Geld net so uf Haufa –

Ond wär a bissle meh vertoilt,

M’r könnt viel leichter schnaufa!

Doch därf halt nex vollkomma sei,

Denn ‘s Leba ischt a Haschpel –

Ond will m’r von de Beer da Wei,

No quetscht m‘rs en d’r Raschpel!

Drom die Moral von der Geschicht –

I will‘s net übertreiba –

Es wird – bis einscht d’r Haschpel bricht,

En Ewichkeit so bleiba!

 

Mei Gegaschtand – mei Karlena – ischt wieder wohlbehalta in ihrer Behauseng ei’troffa! Als Reis’präsent hot se a paar schöne rote Backa ond a Gewichtszunahm von etliche zwanzig Pfond mit hoimbrocht – es ischt dös a Resultat, wo m’r eigentlich mit z’frieda sei ka‘! Du gfallscht m’r Alta – han i gsagt – ond han ihr en herzhafta Kuß uf ihre Zinoberbäckla nufbrennt – siehscht wahrhaftig aus, wia wenn du erscht achtzeah vorbei wärscht – so frisch ond gsond, so laß i mir‘s gfalla!

Was moinscht denn, i han au ganz meiner Gsondheit glebt – em Wildbad – ond freu mi selber über den guata Erfolg – aber – jetzt komm i henter di Alterle – hot se demonschtriert – wia hoscht du dei Leba zuabrocht?! Du siehscht m’r grad net sonderlich aus, wia wenn du en dene sechs Wocha bloß Teinacher Wasser tronka hätt’scht!

Ja Karlena – sei no so guat – du wirscht doch mir en meine alte Täg net zuamuata, daß i no ‘s Wassersaufa a’fang – han i gsagt – em Uebricha han i recht ond schlecht glebt, wia Hiob!

Ond ‘s Kanzleirats Rösle – wia schtoht’s mit dera? hot se mi jetzt prüafend examoniert.

I han koi Ahnong! han i gsagt – was woiß i, wo sich dös Luader romtreibt! Uf em Volksfescht ischt se ihrem Dragoner en d’Händ nei glaufa – ond seither han i se mit koim Aug meh gseah!

Ja, – ond vorher? Do ischt se mit dir romzoga! – sei no ehrlich ond sag mir’s, denn i erfahr’s jo doch – überhaupt – was hot denn so a alter Esel wia du eigentlich no uf em Volksfescht verlora – sag mir no dös!

Was ander Leut au – Karlena – han i gsagt – ond wenn au d’r Dichter Lesseng einscht gsagt hot – „a wahrer Mensch muaß fern von Menscha sei“ – so dreh i doch da Schtiehl rom ond sag – a rechter Ma’g’hört onter d’Leut!

Ja, dös ischt scho recht – aber net onter d’Weibsleut! – wia du’s em Brauch hoscht – abatte net onter solche wia dös Züttele von‘s Kanzleirats – verschtanda!

Jetzt, laß doch aber amol dös Mädle aus em Schpiel – Karlena – ond tua dei Kapothüatle ronter – ond mach dir‘s bequem, guck do han i dir a klei’s G’schenk als A’denka – falls i vor dir ens Gras beißa muaß – ‘s ischt grad net viel, aber freua wird di’s doch – ‘s ischt a herzichs Porträt von ons alle Wengerter – de ältschte aus d’r Altschtadt! Em Bilderblättle werdet m’r au verewicht – ischt dös net äller Ehra wert Karlena – ha?!

Jetzt do hört doch älles uf – was – du läscht au no dein alta Kopf em Bilderblättle brenga! I muaß saga – du siehscht wirklich recht onternehmend aus uf dem Bild – a Haltong hoscht, wia wenn du no’amol vor Paris Vorposchta schteh müascht! Natürlich dei Freund Krabbadusel därf au net fehla, als Original vom Knausbieraklub!

Hoscht du vielleicht an dem Bild ebbes auszsetzet Karlena – ischt dös net wirklich solid – ond wahrheitsgetreu – ha?!

Solid isch – wirklich solid – aber ganz wahrheitsgetreu isch net, denn – wenn dös d’r Fall wär – müaßtet mendeschtens a paar Eme Wei druf markiert sei – oder hent ihr den henter de Kulissa verschteckt?! Wahrhaftich ‘s ganz Bild macht da Ei’druck – wia wenn ihr d’Aposchtel von d’r Friedenskonferenz wäret – de reinschte Engelsköpf! I werd’s aber dennoch en Ehra halta – als de letschte Wengerter vom Bohnaviertel!                     W. L.                                     

 

 (Worterklärung: abatte / aparte = insbesondere / Eme = Eimer)

 Nun gibt es aber tatsächlich ein Foto von 1913, auf dem die alten Weingärtner abgebildet sind, und zwar im Buch von Eugen Dolmetsch „Bilder aus Alt-Stuttgart“.[74] Man sieht zehn von ihnen, in zwei Reihen angeordnet. Und in der hinteren Reihe steht Wilhelm Löffel senior neben Rudolf Bühler (dem Krabbendusel). Auch die anderen werden benannt. Spricht der erfundene Knöpfle nicht von diesem Foto?

 Aus den „Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.“ Vom 18. Oktober 1913

 

Goht m’r mit sich selber z’Rot,

Was der Johrgang zeiticht hot?

Läßt sich net viel Guates saga,

Denn onendlich send dia Klaga;

‘s ischt a Liad – dös bis zom End –

Ganz ond gar koin Rüthmus kennt!

Onsrer Großmachtsymphonie –

Mangelt schtets die Harmonie,

Ond des Johres Poletik –

Wird niamols a Moischterschtück!

Außer dene falsche Nota,

Kommet täglich Hiobsbota –

Köndiget a bösa Zeit,

O’glück, dös zom Hemmel schreit!

‘s gibt koi Ruah ond koi Versöhna,

Reich an Jammer ond an Träna –

Gottvergessa – wia noch nie, –

Ischt dös Lebens Melodie!

Mitta onter Friedensreda –

Schmettert schtets dia Kriagstrompeta,

Onter all‘ dem Weltarommel,

Raschelt die Revachetrommel!

Totschlag – Raub – ond Massamord –

Ischt dös Liades Schlußakkord!

 

Aus den „Ansichten des Weingärtners Knöpfle vom Bohnenviertel.“

Vom 28. Dezember 1913

 

(…) Also i will net von meiner Perso ausgeh – aber Weihnachta ischt – ond bleibt a schö‘s Fescht! Es hot emmer sein b‘sondera Reitz – der en d’r Bescheerong gipfelt ond mit meh oder weniger Befriedigung endet! I muaß saga – i han‘s an d’r Bescheerong dösmol wieder net fehla lassa – so daß mei Karlena dermaßa überrascht gwä ischt, daß se sogar – ganz gega onser Schtandesgewohnheit – ihre Honiglebkua-chalippa zu ma Küßle gschpitzt hot!

Ja waaas – hot se gsagt – wo se dia verschiedene Sächla ond Päckla gseah hot – dia i ontrem Chrischtbom ufgschtapelt han – dös ghört älles mir?! –

Aelles, Karlena – älles! – han i gsagt – guck’s no a – ‘s wurd recht sei so – i denk, daß i dein Gschmack verrota han!

O Ma‘ – puh – was ischt denn dös? Rahmkäs – ond glei fönf Loibla – puh – ond wia der schtenkt! Ja, sonscht hoscht nex gwißt?!

Mach no weiter, Karlena – mach no weiter!

Ach was, do ka‘scht me jetzt doch beleidicha – ond was ischt denn dös?! Schmiersoifa – awas – Kerle, saudommer – woisch doch, daß e no en halba Kübel ont’rem Wasserschtoi schteh han – wer wird au so ‘s Geld ausgä!

Aber Karlena – han i mir erlaubt zu saga – hoscht du net selber gsagt – i soll, wenn i je ebbes kauf, z’erscht an d’Haushaltong denka?!

Freile – aber wia kommscht no auf so en Blödsenn – vergeudescht dei Geld mit Rahmkäs ond Schmiersoifa – ha!

Jetz mach doch aber weiter, Karlena – om was de bitt – ond schempf m’r net, am heilicha Obend!

Jetzt will i seah – was do raus kommt – hot se gsagt – Alterle, wenn dös au wieder ebbes domms ischt – fliagt dir’s aber an Kopf!

Äls zua, Karlena, – wenn Luscht hoscht, dös gibt koi Loch!

Ei d’r tausendsasa – en Belz – en Belz – jetzt laß i mir’s gfalla – – dösmol hoscht mein Gschmack verrota – koi größera Ehr hättscht du mir wahrhaftich net a’to könna! Aber – noi – was ischt denn dös – koi Belz, – a – a – jetzt laß mi no geh – a Bettvorlag!

Schwätz no net raus, Karlena – han i gsagt – dös ischt weder a Belz – gschweige denn a Bettvorlag! Dös ischt a Muff, wenn’s wissa witt – a zwoischläfricher Muff – noch d’r neuschta  Fasso  ond  Mode – ond  wenn jetzt net zfrieda bischt, no schteckscht dir halt en gottsnama en Schtecka d’rzua!

Hajo! be i amol a Ga’s – do ka’scht seah Ma‘, wia oi’fach i en d’r Welt romlauf – ganz o’bekümmert om d’Mode; aber – i will di gwiß net beleidicha – a Belz wär mir fascht liaber gwä – woisch doch, daß den, wo i vom Brautschtand no her han – d’Schaba so zuagrichtet hent!

No machscht halt dös andre Päckle au voll uf, Karlena – han i gsagt – no wird sich dös Gewönschte scho fenda!

Richtich – der guat Ma‘ – ha jo – dös ka’ni jo gar nemme wett macha! Denk doch au, Ma‘, daß dös ausghaust ischt – m’r könnt jo grad moina – mir häbet’s so – abatte en ‘ra Zeit – wo doch überall für de notleidende Wengerter gsammelt wird!

Dös goht ons nex a, Weib – mit de Schtuagerter Wengerter hot koi Mensch Bedauerniß – mir könnet ällaweil no a bißle protza – wenn’s au schwer fällt! Uebrigens, was moischt au, was mi d‘r ganze Schmotz koscht hot? – D’r Muff ischt vom Rädichkarle sei’m verschtorbena Schpitzer ond d’r Belz vom Seelesbeck seiner Angorakatz, wo den Herbscht an Altersschwäche krepiert ischt – mag leicht sei, ka‘ m’r no für d’Kürschnerkoschta ufkomma, oder moinscht net au?!

So, so – ha, no laß i mir’s gfalla – aber – aber – – ach was!

Was hoscht denn jetzt no für Bedenka, Karlena, ha?!

Gar koine, Ma‘, aber i woiß jetzt gar net, wia i mi rewaschiera soll, i han nämlich net viel Geld ausgä – a Paar Herkuleshosaträger vom Aellerweltshosaträgerweller in d’r Kalberschtroß han i dir kauft – en schöna Gruaß, hot er gsagt – ond du sollschts gsond verreißa!

Dös isch äller Ehra wert, Karlena, han i gsagt, hoffentlich werdet’s de letschte no net sei!

 Jo – ond do – hoscht no a paar Päckla „Graus o’verwüaschtliche Pfeffermönzle“, daß wenn von d’r Nochbere kommscht, dös saure Gschmäckle mit verdecka ka’scht – ond mir mit deim Alkoholdonscht net emmer d’Schlofschtub verpeschtescht!

I dank dir, Karlena – es ischt ällerdengs a schlechte Rewasch ond i könnt mi fascht beleidicht fühla – wenn i net ganz gwiß wüßt, daß du bloß uf mei Gsondheit aus bischt!                                                                             W. L.

 

 Das Jahr 1914

 

Das Jahr 1914 erhält von Knöpfle keine Vorschusslorbeeren. Im Gegenteil! Er sagt: „I muaß saga – i han dös alte Johr leichten Herzens verabschiedet – ond zom Neua han i mi selber no net beglückwönscht; aber zu was au? Es kommt so selta ebbes besser’s noch, denn so wia wirklich dia Aktzia schtandet – ischt au vom neua Johr net viel bessers zu erwarta!“[75]

Seine Beiträge im ersten Vierteljahr wirken wie die Ruhe vor dem Sturm. Der Wintersport früher und jetzt ist Thema, die Konkurrenz des bayerischen Biers gegenüber dem Wein, der auch ausländischem weichen muss, natürlich wieder die Narrheit des kleinen Karnevals und des ganz großen:

„Närrisch ischt doch ‘s ganze Leba, / Onser Dasei – Lomperei –; / Denn, daß Menscha je gegeba – / Ischt die gröschte Narretei!“[76]

Und so närrisch geht’s nun auch am Wammestisch zu, wo sich die verschiedenen politischen Parteien gegeneinander positionieren. Der Wirtin ist’s recht, denn sie schenkt mehr aus. Stuttgart als ausufernde Großstadt – mit dem neuen, doch schon wieder zu kleinen Bahnhof, ebenso mit der zu kleinen Markthalle – und auch die Degerlocher Klagen der Zurücksetzung seit der Eingemeindung kommen erneut zur Sprache. Nur der Frühling wird überschwänglich begrüßt (am 14. März). Doch er hat auch seine negativen Seiten: Während sich die Fußballer im Dreck wälzen, kann der Landmann so nichts pflanzen. Dagegen hält der Tod reichliche Ernte:

 

D’r März dös ischt d’r Erntemond,

Do macht d’r Tod Visit;

Denn wer grad en da Weg ehm kommt –

Nemmt er ens Schlepptau mit!

Er frogt net lang, wia goht’s – wia schtoht’s –

Hoscht au dei Sach em Reina?

Er schlächt sei tötlichs Glächter a,

ond lernt de Lebiche ‘s weina!

 

Ein langer Wochenbeitrag am 28. März über Ideale (nämlich bei den Frauen die Mode allgemein und der Geldbeutel des Mannes, bei den Männern im Besonderen die aufkommende Hutlosigkeit) bietet die Urfassung zweier Gedichte, die später überarbeitet in Knöpfles letztes Buch von 1929 „Kraut ond Rüaba“ aufgenommen sind: „Das Lied vom Ideal“ und der „Hommelskauf“. Bei Letzterem geht es um einen blinden Zuchtstier, der eine Brille braucht. Die spätere Fassung vom Ideal führt die Ansprüche der Frau und die der Männer viel weiter aus. Hier als Ausschnitt die Ideale der Männerwelt in der ersten Fassung:

 

D’r Oine suacht sei Ideal –

Dort oba bei de Schtern;

D’r andre schtillt d’r Sehnsucht Qual –

Nachts onter d’r Latern!

D’r Dritte liabt da Sonnaschtrahl,

D’r Vierte hangt am Mond –;

Em Fönfta ischt sei Ideal –

A Schlachtbrot mit sechs Pfond!

D’r Sechste schwärmt für die Natur,

Als wahres Menschakend –

D’r Siebte liabt die Nacktkultur –

Aus ganz gewisse Grönd!

D’r Achte hält mit Seel ond Leib –

Am Geldsack fescht wia Zeck‘;

Em Neunta ischt a gattichs Weib

Sei ganzer Lebenszweck!

D’r Zehnte nennt die Reinlichkeit

Sei höchschtes Ideal,

D’r Elfte hot am Dreck sei Freud –

D’r Zwölfte am Skandal!

I han jetzt bloß a Dutzend zählt,

‘s ischt a bescheid‘na Zahl;

Doch sieht mr draus, daß d’Männerwelt

Gar reich an Ideal!

 

 Auch im Mai (am 9. Mai) begegnen wir der Urfassung eines späteren dreistrophigen Gedichts „April ond Mai!“, das für „Kraut ond Rüaba“ noch überarbeitet wurde. Wo aber bleibt die große europäische Politik? Dass die „Welt falsch ist“ und der Mensch ein „Bösewicht“[77], das wird noch einmal als eine Quintessenz vom Knöpfle deutlich gesagt. An der Geschichte von Mexiko demonstriert er (am 2. Mai) in Versen die Pervertierung eines ursprünglich verheißungsvollen Beginns bei den Azteken mit dem Aufkreuzen der ausbeuterischen europäischen Entdecker und folgert: „Was d’r Balka für Europa ischt, dös ischt Mexiko für d‘Amerikaner – a Schmerzenskend wia’s em Buach stoht – a enternatzionaler Gaunertommelplatz für Rebellazüchter ond andre zweifelhafte Lichter.“

Er selbst wendet sich jetzt viel lieber den großstädtischen Belangen seiner Stadt und den verlässlichen Jahreszeiten zu, besucht eine Gesundheitsausstellung in Stuttgart und etwas später das Freilichttheater im Bopserwald mit einer Aufführung von Schillers „Räubern“. Zur Modeausstellung im Königsbau, während der er Extrabeiträge verfassen darf, geht er aber nicht, sondern schickt seine Karlena hin, mit der er wiederum streitend und schlichtend manch bissigen Dialog führt. Erst im Juli wendet er sich noch einmal der Politik zu und bewertet die brenzlige Lage, doch mit einem letzten Beitrag am 10. August lässt Wilhelm Löffel seine Kunstfigur von seinen Lesern Abschied nehmen.

 

 

 

 

Aus den „Ansichten des Wengerter Knöpfle vom Bohnenviertel“. Vom 16. Mai 1914

 

I be doch ganz gwiß grad au koi Dommkopf ond sirmel wahrhaftich scho lang gnuag uf dera koschtbillicha Welt rom – en der i scho manches Wonder erfahra han –; aber daß amol en onsrem naive Schtuagert a Gsondheitsaus-schtellong zu schtand kommen tun täten würde, dös hätt i mir nia träuma lassa! Wenn nämlich a Mensch vor fufzich – ach was – i will no saga vor dreißich Johr gsagt hätt’, daß m’r d’Gsondheit je amol zom Gegaschtand d’r Ausschtellong macha könnt – ha – den hätt m’r beim Blitz uf d’r Schtell schnapsgargelt oder zom mendeschta einer akuta Hirnbollaverrenkong bezüchtigt; denn früher ischt d’Gsondheit no koi so rarer Artikel gwä, daß m’r hätt b’sonders viel Kapital draus schlaga könna!

Früher hot m’r überhaupt net gwißt, was en dem Wörtle Gsondheit für a kolossaler Wert schteckt, weil m’r jeden normala Menscha mit halbwegs geregeltem Apetitt ond ditto Schtuahlgang als durchaus gsond betrachtet hot ond dös mit Recht: denn erscht die Entwicklong d’r Großschtadt hot zur Entdeckung d’r Nerva gführt ond schtatt Manna – Batzilla regna lassa! Was hot m’r früher äls für Krankheita ghet? Dös ischt a Bagatell gwä gegenüber dem Heer, wo m’r jetzt ufzähla ka’! Als Kend hot m’r de rote Flecka ghet – schpäter vielleicht a paar mol da Wochadüppel oder sonscht a klei’s Uebel, dös m’r mit dem Beinama Halsbräune bezeichnet hot – ‘s Bauchweh hot m’r mit Wurmsoma vertrieba ond ‘s Seitaschtecha ischt vom Wachsa herkomma! Huaschta – Katarrh ond Heiserkeit hot m’r net als Krankheit betrachtet, sowenich wia d’ Schnuppet, dui m’r heut no net achtet! Außrem Katzajammer ischt eigentlich bloß no d’ Altersschwäche en Betracht komma – a schmerzlosa Krankheit – fascht de oizich – wo m’r hot mit Beschtemmtheit saga könna, daß se tödlich ischt, ond an der au früher tatsächlich de maischte Leut gschtorba send!

Wia sieht’s do d’rgega heutzutag aus; wo honderttausend Krankheita ‘s menschliche Leba tagtäglich bedrohet ond oim en Form von Batzilla henter da Schpeck ganget, sodaß onsere Hygienepredicher ond Schpezialwissaschaftler bald gar nemme gnuag Nama für onsre moderne Krankheita uftreiba könnet! Je moderner onser Leba wird, deschto meh Hygiene erfordert’s – Hygiene ischt zurzeit de gröscht Wissaschaft, dui glei noch em Kopfrechna kommt ond dui sich jeder moderne Mensch o’eigna soll – damit er sei Leba net em O’verschtand de Mitfresser ond de Batzilla opfert!

 

Hygienisch – wissaschaftlich –

Wird die Zeugong sich gedacht;

Wissaschaftlich – hygienisch –

Wird dr Mensch zur Welt jetzt bracht!

 

Hygienisch – wissaschaftlich –

Kocht mr jetzt da Kendlesbrei,

Wissaschaftlich – hygienisch –

Säure- ond batzillafrei!

 

Hygienisch – wissaschaftlich –

Wandelt jetzt dr Mensch sei Bah’,

Daß er einscht au wissaschaftlich –

Hygienisch schterba ka‘!

 

Ja, i sag no – was mr früher für Blödsenn ghalta hot, dös ischt jetzt zur Wissaschaft worda! A Gsondheitsaus-schtellong – was hätt mr sich do vor dreißich-vierzich Johr dronter vorgschtellt?!Vielleicht a paar so kräftiche Kerle wia da Rößleswirt von Kannschtatt selich, der durch sei wohlhabends Ausseah d‘Franzosa zom Frieda zwonga hot; oder a Portzio Wengerter, dene dr Weischtoi a Glasur ens Gsicht zeichnet hot, daß  sich zeah  Generatziona drenn  schpiegla könnet – bis se da Glanz verliert! Ja, dös wär so o’gfähr vor vierzich Johr mei A’sicht gwä, wenn es sich selbichsmol om a Gsondheitsausschtellong ghandelt hätt! Jetzt aber, nochdem dui Sach soweit gediah ischt, muaß mr die Fahne der Wissaschaft hochhalta ond dem großzügicha Onternehma von Herza Glück wönscha, uf daß es dem Land ond Volk zom Sega werde! (...)

 

(Worterklärung: gargeln = zu gurgeln / Wurmsoma = Wurmsamen)

 

 

Ansichten des Wengerter Knöpfle vom Bohnenviertel.

Vom 20. Juni 1914

 

Wia oft en onsrem moderna Leba muaß m’r den geflügelte Schpezialausdruck höra: „So muaß komma, d’Leut glaubet jo nex meh!“ I möcht fascht behaupta, daß dös landläufiche Schprüchle, dös meiner A’sicht noch bloß d’Lomperei erfonda hot – hie ond da doch a bißle ernschter gnomma werda därf; denn die Menschheit ischt heutzutags koi Hoor besser – als anno dazumal zu Noah’s Zeita, wo der kolossale Wolkabruch ganz Mesopothama mit ällem was do kreucht ond fleucht onter Wasser gsetzt hot! I halt nämlich dui Gschicht von dr Sentflut en dem Senn für koi Märle, dieweil onser allgewalticha Natur von jeher dozua berufa gwä ischt – die Menschheit von Zeit zu Zeit zu maßregla, uf daß se sich net ei’bildet – d’Welt sei bloß für sui alloi do! Wenn i au net en d’Elementarschual ganga be – aber so viel woiß i au, daß mit de Element oi für ällamol net z’gschpassa ischt; denn dös send amol oifach onsre direckte Vorgesetzte, vor dene jeder Mensch ohne Ausnahm Reschpeckt han muaß – ob er no will oder net!

 

„Was isch d’r Mensch wenns Element –

Dem er oft trotzt – dös er verpönt,

Mit Donnerschlag uf d’Schulter klopft –

Ond so sei frecha Goscha schtopft?!

No dätscht er z’sämma, wia’na Krott –

Ond barmesiert beim liaba Gott;

Wenn d’Element en mores lehra –

No fangt er erscht a, sich z’bekehra!

So war‘s scho früher zu Noahs Zeit –

Ond so war‘s gerschtern, so isch’s heut,

D’r Mensch glaubt emmer erscht an Gott –

Wenn er sich sieht en höchschter Not!

Bei Weiber – Wei – ond Sonnaschei’,

Do fallt em nia d’r Herrgott ei’ –

Erscht, wenn es rengsom blitzt ond kracht,

Mahnt’s Gwissa ehn an Gottes Macht!

Drom Mensch – bekämpf dein Größewah’ –

Guck di net für da Herrgott a,

Denk koiner, daß er weiter sei –

Als wia ‘na handvoll Aepfelbrei!

Wer anders denkt ond anders schpricht,

Der haut sich selber ois ens Gsicht –

Dieweil dös Hemmels Element

Da Schtandesonterschied net kennt!“[78]

 

So, dös wär soweit die Ei’leitong zu dem Wolkabruch, der onsern südöstlicha Schtadttoil samt de omliegende Ortschafta dui Woch onter Wasser g’setzt hot! Es ischt loider a trauricha Tatsach, daß emmer dia da maischta Schada hent bei solche Naturereignis, dia mit em Erdreich kämpfa müaßt, ond so an ihr Scholla gebonda sen – dös ischt d’r Wengerter ond bei ons jetzt hauptsächlich d’r Gmüasgärtner, dem dös O’wetter en o’ersetzlicha Schada zuag’füagt hot!

 

Am Montag send no guater Denga

D’Schtuagerter noch Hedelfenga,

Hent aus Nasaweisichkeit –

Toils zwor au ganz hilfsbereit –

Ihrer Kleidong o’geachtet,

Dia Verwüaschtonga betrachtet!

Hent en Mitleidsschoppa tronka,

Send bereits em Schlamm versonka –

Ond send hochbefriedicht hoim,

Hos ond Schtiefel voll mit Loim!

Dankend, daß dui Kataschtrofa –

Ihr Besitztom hot net troffa;

Schtiftet se no irgendwas –

Großmüatich en d’Notschtandskaß!

Aber bald druf – schlag mi ‘s Blechle,

Wird zom Schtrom ‘as Nesabächle;

Denn a graus’cher Wolkabruch –

Macht de Schtuagerter sein B’such!

Es braust a Ruaf wia Donnerhall,

Durch Keller, Sutterai ond Schtall:

D’r Nesabach, d’r Nesabach –

Der überschwemmt mei’ Schlofgemach!

O je, o je, o jemine –

Der Wolkabruch macht älles he!

Mir könnet jetzt mit Hedelfenga,

So zemlich ‘s gleiche Liadle senga!

Also war d’r erschte Schtreich –

Ond d’r zwoite folgt sogleich!

Nebadruß em Emmahofa –

Hot dui Wasserkataschtrofa

Aelle Gärta demoliert,

Wo dui Gegend sonscht geziert!

Mischtbeetfenschter – Zäu ond Bretter –

Aelles ischt zom Donnerwetter,

Ond a Haufa Schutt ond Schlamm,

Bildet jetzt en trotz’cha Damm!

An d’r Wei’schtoig hot’s da Plonder –

Sammt de Maura obaronter,

Ond jetzt lacht d’r Sonnaschei’ –

Mitta en dös O’glück nei,

Tuat von oba so o’gfähr

Als ob gar nex gscheha wär!                                  W. L.

 

Aus den „Ansichten des Wengerter Knöpfle vom Bohnenviertel.“

Vom 27. Juni 1914

 

Dös Freilichttheater em Bopserwald hot seine Reißmathissimusvorschtellonga au wieder begonna: loider –, daß i so saga muaß – aber wohr isch!

 

Hockt m’r do, bis nachts om Zehne,

En dös Waldes düschtre Grönda –

Kriagt m’r uf dem Kanapene,

Wahrlich gruselichs Empfenda!

Kommt dös wohl von Schillers Räuber?

Macht’s dös Turmes Moderduft?

Oder macht’s der Menschentleiber –

Mohr – ond Schufterle der Schuft?!

O bewahre, liaber Vetter –

„D’Räuber“ send a Schtück voll Pracht;

Bloß dös konschtant schlechte Wetter

Ischt – was oin so gruslich macht!

M’r ka durchs Feld net pirscha,

Es schmeckt oim au koi Frucht;

Dr Preschtleng ond die Kirscha –

Hent boide d’Wassersucht!

Ond goht dös Deng so weiter,

Bleibt onser Johr so naß –

No g’rennt a d’Milch em Euter –

Ond leer bleibt ‘s Butterfaß!

No wird – kreutzdonnerkeidel –

Au ‘s Herbstg’schrei net arg groß,

No schwendet ‘s Geld em Beutel –

Ond d’Schulda bleibet bloß!    [79]

 

(Worterklärung: Keidel = Keil)

 

 Aus den „Ansichten des Wengerter Knöpfle vom Bohnenviertel.“ Vom 20. Juli 1914

 

Früher ischt mr mit seim Mädle,

Gar schneidig uf da Tanz

Ond hot beim Wei’ gar mächtich

Gschwärmt für da Jongfrakranz!

M’r hot manch’ Liedle gsonga,

Von seliger goldner Zeit;

Die Saite send jetzt gschpronga –

Ganz anders klengt es heut!

D’r Wei’ der schmeckt jetzt schpanisch

Ond ‘s Liad wird imitiert,

Noch alter Väter Weise

Wird nemme musiziert!

Aus Variatziona

Do wird viel O’senn gschtanzt,

Uf den jetzt onser Jugend

Ond Halbwelt Tango tanzt!

Koi Polka, Walzer, Dreher

Wird jetzt meh eschtemiert,

Dieweil blos no d’r Tango

D’r Liebe Saite rührt!

Koi Volksliad wird meh gsonga,

Es wird verpönt, verlacht:

Seitdem d’r Gassahauer

Blos no Furore macht!

Schtatt „‘s Röslein auf der Heiden“

Wird „s’ Puppchen“ jetzt verehrt,

Ging d’Sonn’ em Oschta onter,

Wär’ bald die Welt verkehrt!

 

Warum Wilhelm Löffel seinen Knöpfle abtreten lässt, ist sicher auch durch die neue Berichterstattung bedingt. Denn bereits am besagten 10. August werden „Letzte Drahtnachrichten“ mit den „letzten Kriegsdepeschen“ breit eingerückt, während Knöpfles viel kleiner gedruckte Abschiedsrede wie an den Rand geschoben wirkt. Schon am 18. September erscheint eine ganze Seite Verlustliste gefallener Württemberger. Platz ist da für solche Wochenendplaudereien nicht mehr, und die Zeitungen werden auch zunehmend dünner.

Überraschend ist nur die Begründung des erfundenen Knöpfle, dass er sich seinem Vaterland zur Verfügung stellen wolle, und zwar zusammen mit seinen Trinkkumpanen, dem Seelesbäck und dem Rädichkarle. Menele, die nun tatsächlich drei ihrer Buben hergeben muss, hält ihm völlig richtig entgegen: „So alte Kerle rettet ‘s Vatterland nemme.“ Knöpfle aber will sich unbedingt zum „Landsturm“ melden – „Om Haus ond Hof zu schütza!“ Ein kaisertreuer Veteran von 1970 / 71 und überzeugter Patriot eben!

 

-----------

[66] Dieses Gedicht ist am 29.3.1922 im NYSW nochmals, aber verändert abgedruckt. 2. Vers: Es goht halt so em Leba; – 3. Vers: Da Bauer freut sei Haufa Mischt, – 10. Vers: Kost er mit gaila Dirna; – 14. Vers: Da Mensch noch Freuda schnappa, –

[67] Späterer unveränderter Abdruck im NYSW, am 11. Oktober 1922.

[68] Späterer Abdruck im NYSW, am 14.12.1921. Geändert die 2. Zeile: „Koscht’s vornweg glei a Ei’trittsgeld“. Der letzte Vers ist dort metrisch fehlerhaft, das „net“ ausgelassen.

[69] Am 4. Januar 1913.

[70] Davon berichtet wird am 16., 23., 30. August und auch noch am 6. September 1913.

[71] Am 4. Oktober 1913

[72] Erweitert im NYSW, am 13.7.1921: Halt fescht am Alkoholgenuß; / Doch meide jeden Ueberfluß – / So brennt dei Geischt wia Schpiritus! / Beim Wasser wirscht du zom Orakel / Do schtenkt dei Geischt wia Onschlittfackel – / Daher d’r Name: „Geischtesdackel!“

[73] Später nochmals publiziert in: NYSW, am 12 Oktober 1921. Verändert neben Kleinigkeiten: Vers 7: „Denn dös menschliche Verlanga“ – Strophe 6: „Gucket no, wia schick dia Weiber – / Wia verirrt manchmol em Gschmack; / D’ Mode ziert jetzt älle Leiber, / Selbscht beim gröschta Bettelpack!“ –

[74] Bilder aus Alt-Stuttgart, Nacherzähltes und Selbsterlebtes von Eugen Dolmetsch, Steinkopf-Verlag, Stuttgart, 1930. Das Foto: auf Seite 129.

[75] Am 4. Januar 1914.

[76] Am 21. Februar 1914.

[77] Am 25. April 1914.

[78] Auch dieses Gedicht ist später, allerdings sehr verkürzt, in Wilhelm Löffels Buch „Kraut ond Rüaba“ aufgenommen worden; unter dem Titel: „Dr Mensch ond d’Element“ (S.52).

[79] Verkürzte Fassung (nur Vers 1 bis 12) im NYSW, am 6. September 1922.

Überblick: Die Jahre 1914-1924

Die Kriegsjahre 1914 bis 1918 sind wiederum, will man etwas über Wilhelm Löffel erfahren, eine magere Zeit. Literarisch ist er zunächst nicht ganz von der Bildfläche verschwunden. Im Kriegsjahr 1915 gibt der Mähler-Verlag unter dem Titel „Schwoba-Humor – für unsere Feldgrauen“   eine Sammlung schon 1906 publizierter Einzelwerke heraus. Im Kriegsjahr 1916 dagegen stößt man in „Heiteres, Spitznamen und Anderes“ auch auf zeitlich Näherliegendes: Zwei satirische Karnevalsbeiträge sind abgedruckt, einer von 1913 mit dem Namen „Im Märchenlande“,[80] eigentlich ein Schlaraffenland, und dann eine 1914 gehaltene Kapuzinerrede „frei nach Schiller“ (nämlich nach dem 8. Auftritt von „Wallensteins Lager“). Die Scheltrede des Karnevalisten allerdings bezieht dabei auch die augenblickliche politische Lage mit ein.[81]

Die nächsten zwei Jahre verschwindet Wilhelm Löffel in der Versenkung. Im Adressbuch wird er – nach dem Verkauf des Kurhotels im September 1918 – im folgenden Jahr als „gewesener Wirt“ aufgeführt, 1920 bis 1925 dann als Platzmeister[82] bei den Städtischen Elektrizitätswerken – den späteren Technischen Werken. Bei dieser Tätigkeit als Platzwart hat er es sicher nicht belassen, sondern sich auch um die Buchhaltung gekümmert und nebenher geschrieben; einerseits ab 1920 wieder neue Beiträge für Amerika und andererseits durchaus auch für die Elektrizitätswerke. Dort erschien im März 1924 eine erste, im Nachlass erhaltene Nummer mit dem Namen „Der Umformer“ – „Generalanzeiger für elektrische Gemütlichkeit und Erreger der Lachmuskeln“, für die der „weit über die Grenzen Europas bekannte Wengerter Knöpfle aus Stuttgart“ verantwortlich sei. Für ihn ist ein „Unterhaltungswinkel“ eingerichtet. Dort steht auch die Quelle für sein späteres witziges Gedicht „Falsch verbonda“[83] :

 

Ein Metzger vom Lande hatte im Schlachthofe eine Fuhre Fleisch geholt. Als er zu Hause ankam, bemerkte er, daß er das Hirn seines geschlachteten Viehs dort gelassen hatte. Er telephonierte sofort nach dem Schlachthofe wegen des vergessenen Hirns, wurde aber unglücklicherweise mit dem Rathause verbunden, wo er den lakonischen Bescheid bekam: „Falsch verbunden, wir auf dem Rathause haben kein Hirn!“

 

----------

[80] Leicht veränderter Nachdruck der „Pudelnärrischen Ansichten…“ vom 1. Februar 1913 im StNT.

[81] Am Ende der Rede steht: „Zum Karneval 1914 gedichtet, kann dieses Gelegenheitsgedicht heute als prophetisches Mahnwort betrachtet werden.“

[82] Mit wechselnden Wohnungen; 1919: Eugenstraße 12,1 /1920: Herdweg 47,2 /1921-27 Ludwigstraße 27, 2.

[83] Später als Gedicht in Wilhelm Löffels Buch „Kraut ond Rüaba“, S. 35.

New Yorker Schwäbisches Wochenblatt (1920 und 1921)

Das Jahr 1920

 

Es ist verwunderlich, dass Wilhelm Löffel seine Kolumnen nicht auch wieder im Stuttgarter Neuen Tagblatt aufnehmen konnte. Offenbar hat er zweimal versucht, mit einer anderen Rubrik „Allerhand Schnurren“ Fuß zu fassen: am 5. April 1921 und noch einmal am 17. Mai. Der erste Beitrag entspricht dabei jenem am 27. April 1921 in New York mit dem Titel „Original-Schwobaspätzla vom Wengerter Knöpfle“. In beiden ist auch Wilhelm Löffels Gedicht „‘s hot‘s scho dau!“[84] abgedruckt.

Doch es gibt auch noch einen anderen Startversuch in der Filderzeitung, und zwar schon 1920,[85] mit dem Titel „Viehlosofische Betrachtonga vom Wengerter Knöpfle“. Dabei stellt er sich, wie schon 1908, ganz neu vor, aber mit einem anderen dritten Vornamen: „Mei Name ischt Johann, Jakob, David Knöpfle aus em Schtuagerter Bohnaviertel.“ – Ebenfalls ein vergeblicher Anlauf!

Anders als in Stuttgart ergeht es ihm in Amerika. Am 10. November 1920 eröffnet er wieder seine Kolumne, die er aber mit folgender Überschrift und zwei Untertiteln versieht:

 

Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.

Dr Bappscha.

A Stuagerter Original von W. Löffel.

 

Wer kriagt en onsera gegawärticha Zeit – wo dr Humor am Galga baumelt ond dr Materialismus Burzelböm schlächt, – wo dr Egoismus en älle Eck ond End Juhe schreit ond onser en o’durchdrenglicha Nebel gehüllte Zuakonft koin freudicha Hoffnongsschemmer ufkomma läßt – wer kriagt do net ‘s Hoimweh noch de frühere goldne Zeita? I woiß zwor net, obs älle Leut so z’Muat isch – aber mir goht’s amol so. Wenn i vierzich Jährla z’rückdenk – an mei schöna Jugendzeit ond an dös behagliche Spießbürgerleba, no fallet mir ällerhand drolliche Sächla ei‘ (…):

So han i au amol a’fangs de acht’zger Johra – mit meim Vatter seelich uffs Volksfescht dürfa – ond do hot dr Pappscha an dr Neckerseita a Bude ghet, mit dem neua Schlager: „Ein Blick in das Jenseits“. Do send d’Leut aus ond ei’ganga wia em a Daubaschlag. Dr Pappscha als Embräsario isch vor dr Bude gstanda ond hot mit seiner näsalicha Speck-stemm fortwährend gschria: „Immer reinspaziert – meine Herrschaften! Die Gelegenheit ist günstig! Versäumen Sie nicht, einen kostbaren Blick in das Jenseits zu werfen! Eintritt für Erwachsene nur zwanzig Pfennige – Kinder – Hunde und Militär, vom Feldwebel abwärts zahlen die Hälfte! Immer rinn ins Vergnügen – fortwährend Platz und Zutritt meine Herrschaften!“

„Komm Bua“ – hot mei Vatter seelich gsagt – „dös ischt ebbes für di – do ka’scht ens Hemmelreich nei gucka!“ Also – send mir mitnander nei en d’ Bude – aber, – aber – noi – so a Schwendel!! Do send mr gstanda wia dr Ochs am Berg. Z’erscht hot mei Vatter mi a Weila a’guckt – ond no han i wieder mein Vatter a’guckt – ond so hent mir ällaweil ‘s Jenseits    gsuacht ond nex gfonda. Jetzt ischt mei Vatter seelich naus ond hot da Pappscha reig’holt – er möcht doch für sei guats Geld net zom Narra ghalta werde ond wissa – wo dös Jenseits ischt?! Saudomms Publikom – hot dr Pappscha gschria – seahnt Ihr denn net dös Loch en dr Zeltwand? Also – no glotzet doch naus! Ond no hent mir nausguckt – mei Vatter seelich ond i – ond was hent mir gseah? Aelles blos koi Hemmelreich – drfür aber de ander Seita vom Necker. Wenn no den Pappscha dr Satan hola tät! Han i em nausgeh mein Vatter seelich saga höra. Dr Satan hot en zwor net gholt – aber bald druf d’ Bollezei – dui hot em ’s Handwerk glegt.

 

Diesem „Bappscha“ (= Pappjean, der Zettelankleber) hat Wilhelm Löffel schon früher in seinen „Stuttgarter Originalen“ ein Gedicht gewidmet. In der hier ausgelassenen Partie malt er seine Wunderlichkeit im Detail aus.

Erst im zweiten Beitrag (am 15. Dezember) ergreift nun der andere Knöpfle, Löffels Kunstfigur, wieder das Wort unter der bekannten, leicht veränderten Überschrift „A’sichte vom Wengerter Knöpfle aus ‘em Bohnaviertel“. Der Patriot und Veteran des siebziger Kriegs möchte wieder an die alte Freundschaft anknüpfen, dankt für die tatkräftige Unterstützung „en schwerer Zeit“ und will seinem „Humor nach alter Weise wieder freia Lauf“ lassen:

„So will i wieder frisch ans Werk, / Wenn d’ Sorga au mi drücka – / Ond zönftich der verdrehta Welt, / Amol am Zeugle flicka! / I nemm durchaus koi Blatt vor’s Maul –/ Ond mach au koine Faxa; / I schwätz wia’s grad oms Herz mir ischt – / Ond mir dr Schnabel gwachsa!“

 

Und wie ist es ihm jetzt ums Herz? Auch er beschwört zunächst wieder einmal überschwänglich die „frühre goldne Zeita!“, mit Bachschtoikäs ond Renderschmalz, um aber sehr schnell auf den jetzt unverständlichen Weltkrieg einzugehen, den kopflosen Patriotismus, „wo d’ Flamma der Begeischterong ons zu älle Knopflöcher rausgfahra send“, und er sinniert ernüchtert über Schuld und Ursachen. Dabei geht er bis zu Friedrich dem Großen und dem preußischen Militarismus zurück, geißelt verheerenden „Größewah" und versagende „Düpplomadie“. Noch in der nächsten Woche (am 22. Dezember) bleibt er beim Thema, befasst sich jetzt mit dem „o‘heilvolla Revolutzionsschturm“ von 1918, der das Staatsgebäude weggefegt hat, und schreibt:

 

A Haus ei’reißa goht bekanntlich viel schneller ond leichter – als a neu’s baua! Ond wenn i ergo notgedronga em Senn han – mei  alts  Häusle – dös  baufällich worda  ischt – durch a neu’s zu ersetza – so prüaf i vorher – wenn i gscheidt be – noamol ‘s alte – dös mir seither da Denscht to hot – ond en dem i mi glücklich ond wohl gfühlt han – obs vielleicht net durch a gröndlicha Renovatzio mei Leba vollends aushaltet; denn – ob mirs nochher en meim neua Haus au no so wohl ischt – wia em alta – sell han i net uf em Briafle! Ond so hätt‘ mr meiner A’sicht noch mit onsrem alta Schtaatsgebäude au verfahra solla – no ständet mir jetzt net obdachlos do ond wüßtet wenigstens, wo mir onser Haupt he‘lega sollet! Jetzt grabet mir scho zwoi Johr am a neua Fondament zom neua Bau – ond könnet absolut koin feschta Grond fenda – geschweige denn, daß mir wisset – wo mir ‘s Material herbrenga sollet – ond de babylonisch Verwirrong von anno dozumol – ischt a Bagatell gegenüber dr jetzicha – wo onter onsrer Bauleitung grassiert! (…)

 

Und was ist denn mit der neu proklamierten „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?“, so fährt er fort und stellt ihre Glaubwürdigkeit, wie schon früher, in einem Gedicht in Frage. Eine Art Credo sind ihm dagegen Schiller-Zitate: Strophen aus dem „Lied von der „Glocke“ und aus dem Gedicht „Die Worte des Glaubens“, und er hält sie Kommunisten und Krakeelern als beherzigenswerte „Schlager“ und zugleich als „Volltreffer für onser verroschtetes Gemüt“ entgegen, ja, auch jenen, die mit Schiller lieber „Räuberles“ spielen und sich gewissenlos bereichern.

Dann erst, im nächsten Wochenbeitrag (am 29. Dezember), kommt er auf seine Figuren und engeren Freunde zurück und berichtet, wie sie den Krieg überstanden haben. Fast alle leben noch, mussten aber zum Teil ihre Buben verlieren, Menele sogar zwei und ihr Mann ist auch gestorben. Rösle, die sich bei Kriegsausbruch zum Roten Kreuz gemeldet hatte, kam andererseits mit einem unehelichen Büble wieder zurück. Der Seelesbäck hat nichts eingebüßt, nicht einmal sein Bauchschmalz, und die Nochbere konnte ihre Wirtschaft als „Goldgrüable“ erhalten. Knöpfle selbst sei nur noch selten bei ihr, weil er sich aus Geldmangel das Wirtshausleben habe abgewöhnen müssen, während seine Karlena eher unter der „Futterklemme“ leide. Das ist natürlich für die Spender in Amerika geschrieben!

 

 Das Jahr 1921

 

Knöpfle wirkt im ersten Drittel von 1921 ziemlich niedergeschlagen. Er politisiert jetzt heftig und empört gegen die unerbittlichen und unversöhnlichen Peiniger – vor allem das beutegierige Frankreich – mit ihren Hetztiraden auch in Amerika und träumt laut vom alten deutschen Reich der Väter im Geist seiner Dichter und Denker, für das er wieder eine Zukunft erhofft. Kraftquell sind sie ihm wie auch die letztlich ausgleichende Natur. Ein Höhepunkt in dieser Zeit ist dann über Pfingsten die Begegnung mit dem ehemaligen König von Württemberg und nun nach seiner Abdankung: „Herzog Wilhelm zu Württemberg“.

Zu seinem Geburtstag am 25. Februar – zugleich der Geburtstag von Wilhelm Löffel – hat er ihm zunächst auch im Namen der Landsleute in Amerika einen Brief geschrieben[86], worauf er ihn zusammen mit der Gesangsabteilung der Stuttgarter Kickers in Friedrichshafen besuchen darf:

 

A’sichte vom Wengerter Knöpfle aus ‘em Bohnaviertel.

Am 15. Juni 1921

 

Stuttgart, 20. Mai 1921.

 Mr secht ällamol so em Allgemeina, wenn mr a Reis macha tät – no könn mr was verzähla – ond dös trifft bei mir au zua! I be nämlich ganz o’verhofft zu’ra Pfengschtreis komma – dui mir meiner Lebtag en a’gnehmer Erennerong bleiba wird! Es ischt drbei ällerdengs a bißle omschtändlich zuaganga – hot sich aber dennoch zom Schluß en Wohlgefalla ufglöst – ond so will i Euch – meine liabe Landsleut dös Gschichtle Hoor ond klei verzähla!

Dr Sengkohr vom Schtauchbalesverei „Stuttgarter Kickers“ – dessa Weltruaf sich weit über Gaisburg erschtreckt, hot über Pfengschta a Sängerfahrt an da Bodasee beschlossa – ond om zugleich ‘s A’genehme mit em Nützlicha verbenda zu könna – hent sich dia Schportsherra zu ‘ma kleina Bsüachle bei onsrem Könich en Schloß Friedrichshafa a’gmeldet – mit dem Bemerka, daß se dort en dr Schloßkirch zu Ehra seiner einschticha Majeschtät – a Kirchakonzert vera’schtalta wöllet! Mei Freund – dr Hofküchenmoischter ond Oberhofkotlettbatscher Michel Hanselmann – der nebabei bemerkt a alts treu’s Mitglied von de Schtugerter Kickers ischt – hot müassa dui A’gelegaheit bei seim hoha Herrn Prenzipal en die Wege leita – ond es ischt au a’schtandslos genehmicht worda!

I be grad sella Obend bei meiner Nochbere gwä, wo dia Schportsherra am Wammestisch den Ausflug als beschlossena Tatsach proklamiert hent. „Herrschaft nei“ – han i gsagt – „dös wär jetzt au mei Fall – gschwend so a klei’s A’schtandsbsüachle bei onsrem Könich z’macha – ond den guata Ma’ mit ‘ra kleina A’schproch zu erfreua!“ – „Der Wonsch soll dir werda – Knöpfle!“ – hot mei Schualkamrad, der schöne, dicke Emil gsagt. „Mir machet onsrem Wilhelm dui Freud – ond brenget da  Wengerter  Knöpfle mit!“ „Ja,  liabe Leut – dös ischt bälder gsagt als ausgführt; wenn bei mir no dui verdammt komisch Geldbeutelentzöndong net wär – no liaß i mir dös gar net zwoimol saga; aber so isch loider nex z’machet!“ han i mit schmerzlichem Bedaura erwidert. „Ach was – dös läscht du no ganz ruhich onser Sorg sei!“ hot dr schöne, dicke Emil gsagt. „Du gohscht oi’fach mit – ond präparierscht di uf a ordentlicha A’schproch für onsern Könich – ond domit baschta!“– „Also – guat – wenn die Lage so liegt – no läßt mr se liega!“ han i gsagt – ond han mi so gwasi verpflichtet. „Guat Knöpfle“ – es bleibt drbei – am Pfengschtsamschtich Ponkt Zwölfe bischt onter dr Uhr am Bahhof – ond nemmscht von mir dei Billet en Empfang!“ hot mei Schualkamrad – dr schöne, dicke Emil beim Ausanandergeh gsagt. – ond was der secht, dös hot emmer Hand ond Fuaß.

Wia i aber am Pfengschtsamschtich – Ponkt Zwölfe senkrecht onter dr Uhr a’komma be – ischt mei schöner, dicker Emil mit koim Aug zu erblicka gwä – ond au von de andre Schportsgenossa han i weit ond broit koin gseah! Es schlächt viertel – halber – dreiviertel – ond dr Zug dampft ab: „Behüt dich Gott, es wär so schön gewesen, behüt dich Gott – es hat nicht sollen sein!“ Mit dera Melodie em Herza ben i wieder dr Hoimet zua. Mei Gegaschtand – mei Karlena – hot guckt wia net gscheidt – wo se mi hot wieder a’rücka seah. „Ja, bischt denn scho wieder do von deiner Könichsreis – Ma’? Ha, dös ischt aber amol schnell ganga!“ hot se mit zynischer Betonong gsagt. I han z’erscht a Weile gar nex gschwätzt – blos mei Kofferle en a Eck neig’feuert – ond nandernoch mein Reisea’zug ronterzoga. „Wia, Ma’ – schwätz doch – was hots denn gä, daß du so verschtemmt ond o’verrichteter Sach wieder hoimkommscht – ha?!“ – „Versetzt hent mi dia .... noi i sag net was – regelrecht versetzt – Karlena – ischt dös net zom Schiaßa?!“ – „Horch Ma’ – dös ka’ i aber net verschteh – jetzt ischt doch dr Könich scho von deim Bsuach onterrichtet ond älles vorbereitet – wia send denn no deine Freund em Schtand – ond könnet di oifach versetze – dös ischt mir wirklich a Rätsel ?!“ – „Mir doch au Karlena – was moinscht denn, worom i so verschnupft be!“ – „Wart no Alter – jetzt will i glei deim schöna, dicka Emil seim Weib a’telefoniera – ond dera saga, daß dös koi A’schtalt sei, wia mr di als Woisabua behandla tät!“ hot mei Karlena gsagt – ond ischt wia a geölter Blitz zur Nochbere nüber ans Telefo.

Wia se no wieder rüberkomma ischt, secht se: „O Ma’ – du bischt a andrer Hamballe – du hättscht doch solla scho om halb Zwölfe onter dr Uhr sei – dös ischt also blos von dir wie­der a großer Leichtsennsfehler – ond do ka’scht gar nex Bessers to, als mit em nächschta Zug nochfahra – wenn du di net o’schterblich blamiera witt!“ – „Dös isch glei gsagt Karlena – aber vor heut Nacht om Ois fahrt koi Zug meh noch Friedrichshafa! – do han i mi scho erkon­dicht!“ – „No fahrscht halt Gottsnama heut Nacht om Ois! Ob du heut  Nacht uf  dr  Eisebah  zuabrengscht –  oder  mit  deine  Schportsfreund en Ravensburg rompokulierscht – dös wird sich gleich bleiba!“

Von meiner nächtlicha Reis – dui i von Ulm em a Viehwaga han macha müassa – will i ganz schweiga – i be also mit anderthalb Schtond Verschpätong glücklich en Friedrichshafa a’komma – ond von meim Schualkamrada – em schöna – dicka Emil am Bahhof feierlich empfanga worda. Ond wo’ni no vom Versetza – ond so weiter a’gfanga han – hot er blos gsagt: „Schwamm drüber – an Pfengschta därf mr’s net uf de letscht Minut a’komma lassa – ond wenn i gwißt hätt, daß du so a alter Langweiler bischt Knöpfle – no hätt i di mit em Auto abhola lassa!“ Noch ma  kleina   Frühschtück  uf  dr  Hafateraß  send  mir en  gehobener Pfengscht­stemmong dr Schloßkirch zua. Onser Könich ischt pönktlich zom Konzert erschiena – ond hots ‘s ganze Programm – dös sich glänzend abgwickelt hot – mit großem Entressa verfolgt. Noch em Kirchkonzert hent mir ons am Schloßgartapawillo zom Empfang vom Könich – ond zua meiner A’schproch ufgschtellt. Es hot au gar net lang dauert, ischt er mit elaschtische Schritt – trotz em a Jonga uf ons zuakomma ond hot sich en liebenswürdichschter Weis – ond mit bewegte Wort für onsern Bsuach ond den musikalische Konschtgenuß herzlich bedankt. Ond wo mi no dr Vorschtand extra als da Wengerter Knöpfle vorgschtellt hot – ischt der guate Ma’ uf mi zua – ond hot mir so herzlich d’Hand verschüttelt, daß mir’s ordelich wohl to hot – ond glei druf mit folgender A’schproch begonna han:

 

Durchlauchtichschter Herr Herzog!

I ka’s gar net saga – wi mi dös freut, daß mir’s heut vergönnt ischt – mi persönlich onsrem liaba o’vergeßlicha Landesvatter – mit dem i heuer zom fufzichschtamol am gleicha Tag mein Geburtstag han feira dürfa – vorzuschtella! Wo in nämlich ghört han, daß dr Sengkohr von de Stugerter Kickers über Pfengschta a Sängerfahrt an da Bodasee nuf macht – ond zugleich onsern vielgeliebta Könich en dr Schloßkirch durch en herzerhebenda Gsang ehra will: do han i zu meim Gegaschtand – meiner Karlena gsagt: „Weib – also dösmal hebet mi koine zeah Gäul – die Gelegaheit ischt gönschtich – i gang mit de Kickers noch Friedrichshafa zu onsrem Könich – i woiß gwiß, der guate Ma’ hot sicher a Freud, wenn er wieder amol a Häufle von seine wackre Schwoba om sich sieht – dia ‘s Herz no am rechta Fleck sitza hent – ond dene ihr Gsennong onder dene Schwendela’fäll dr heuticha Zeit – Gott sei’s dank – no net Not glitta hot!“ – „Ja, ja“ – hot mei Karlena – mei Gegaschtand gsagt – „do wird onser Könich gwiß en d’Schweiz gucka, wenn er seine Schtuagerter Früchtla – mit dir Schollabuffer an dr Schpit­za – a’walza sieht! Wega mir – gang mit Gott – ond sei au brav, daß mr net z’Schanda wirscht – ond nemm di fei vor em Seewei’ en acht – net daß du seekrank wirscht – hosch ghört?! Ond wenn du je mit onsrem Könich ens Gschpräch kommscht – no schwätzscht mir koin Lohkäs raus – ond sechscht au viele herzliche Grüaß von mir – ond dia Stuagerter Weiber häbet ihren Könich no net vergessa!“

„Do soll’s gwiß net fehla – Karlena“ – han i gsagt – „i werd deine Grüaß wortgetreu ausrichta – ond deine Rotschläg befolga!“ So send mir jetzt hierher komma an die herrliche Geschtade des Bodasees – ond freuet ons ufrichtich – onsern über alles geliebta Könich en onsrer bescheidena Mitte begrüaßa zu dürfa – ond zugleich Zeugnis ablega, daß onter seim Schwobavolk emmer no kerndeutsche Männer hot – dia furchtlos ond treu zu ihrem alta Könichshaus halte! Wenn au der o’heilvolle Novemberschturm anno Achtzeah – die Bande zwischa Fürscht ond Volk mit brutaler Gwalt verrissa hot – so werdet doch die Bande onsrer Herza – mit dene sich no heut jeder echte Schwob an sei Könichshaus gebonda fühlt – durch koi menschlicha Gewalt zu lösa sei! Möge dui babylonisch Verwirrong – dui wirklich onter dr Menschheit wüatet – dr Pfengschtgeischt bald en Gottvertraua verwandla – ond dr Vernonft endlich wieder zom Sieg verhelfa!

Onsrem allverehrta hoha Könichshaus aber – wollet mir jederzeit – en Freud ond Leid – onser A’hänglichkeit bewahra ond mit dem schwäbischa Wahlschpruch bekräfticha:

 

„Das Herz voll Lieder froh und frei,

Dem Staufenbanner ewig treu;

So rufen wir – trotz Haß und Neid:

Hoch Herzog Wilhelm allezeit!“

 

I sag Euch – liabe Landsleut – dr König hot glacht ond gweint vor Rührong – so hot en mei A’schproch grührt – ond nochdem er mir noamol ordelich d’Hand verschüttelt – ond viele Grüaß an mei Karlena mir en Uftrag geba hot – hent mir ons zom Fotegrafiera ufgschtellt – om so die schöne verlebte Schtond en Schloß Friedrichshafa – zom Adenka an onsern Könich au no em Bild feschthalta zu könna. Domit ischt der offizielle Toil onsrer Bodaseereis erledicht gwä – ond dr Obend – ond nächschta Tag ischt dr schwäbischa Gemüatlichkeit voll ond ganz g’opfert worda, so daß jeder von ons – schmerzlos uf seine Koschta komma ischt – ond no lang von dera schö verlaufena Sängerreis schwätza wird!

 

Diese Einladung vom einstigen König nach Friedrichshafen ist auch im Jubiläumsbuch der Stuttgarter Kickers aufgeführt und sogar die Fotografie im Schlossgarten abgebildet. Knöpfle bzw. Wilhelm Löffel steht darauf ganz in der Nähe des Herzogs Wilhelm in der zweiten Reihe.[87]

 

Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle aus ‘em Bohnaviertel.“

Am 25. Mai. 1921

 

Liabe Landsleut! Gohts denn bei Euch – en Amerika au so trocka her, wia bei ons en Deutschland – Ha? Trotzdem daß mir en politischer He’sicht fortgesetzt vom Rega en Dachtrauf kommet – seahnt mir ons en landwirtschaftlicher Beziehong – durch den Ausfall von dr Wenterfeuchte – dösmol bös ufs Trockene gsetzt! Net gnuag, daß scho ganze Exischtenza uf em Trockena sitzet – ond sogar bei viel Leut dr Verschtand am ei’trockna ischt – jetzt ischt au no durch dui a’haltend Trockaheit onsere Flüß ihr Exischtenz lahm glegt!

Dr Landma‘ – ond Jeder, der sich halbwegs om dia Vorgäng en dr Natur bekömmert – sieht heuer mit gemischte G‘fühl dr Entwicklong onsrer Vegedatzio entgege – ond dr April, der sonscht en dr Regel da Sauhond macht – ond sein Senf drzua gibt – hot ons heuer meh gschadet als gnützt! Jetzt goht der wetterwendische Gsell seim End entgege, ohne daß mir Vera’lassong hättet – dem obligatorische Schpielverderber a Träne nochzuweina; denn er hot ons heuer en dicka Schtrich onter onser Rechnong gmacht!

 

 „Dr April, der alte Sönder,

Hot ons heuer recht betört;

Früahleng, Sommer, Herbscht ond Wenter –

Aelles hot er ons bescheert!

 

 Sonnich, wonnich – hot der Schlengel,

Sich dös Johr bei ons ei’gführt;

Aber bald druf hot der Bengel –

Ons mit Schnee ond Froscht traktiert!

 

Jetzt, daß er ischt am verenda,

Reut en scheints sei Missetat;

Ond er möcht zom Guata wenda –

Was er an ons gsöndicht hat!“

 

Ja – jetzt, daß en de südlichere Laga fascht durchweg neuzich Prozent an Obst ond Wei‘ verfrora send – ond dem karrackterlosa Tropfa sei Regierongszeit gleivoll abglaufa ischt – jetzt schlächt er zmol en mildera To‘ a – ond will durch en warma Rega sei Schandtat rei’wascha! Wenn aber dr Mensch an sei oiges Bruschtuach schlächt, no muaß er eigentlich zu seiner Schand saga, daß er grad so wetterwendisch ond karrackterlos – ond om koi Hoor besser ischt – als dr April!

 

„Der Mensch, der will blos emmer tadla –

Ond ischt doch selber ‘s gröschte Viech;

Es würd en aber viel meh‘ adla –

Leg‘ er da Maßschtab meh‘ an sich!

 

Wohl macht d’Natur au ihre Fehler,

Doch gleicht sie‘s emmer wieder aus;

Dr Mensch jedoch, der alt Kraköhler –

Der fallt schtets mit dr Tür ens Haus!

 

Es dreht sich sein Verschtandpropeller –

Schtets emmer blos oms oigne „Ich“;

Drom ischt ond bleibt er a Kraköhler –

Der d’Welt verdirbt mit seine Schprüch!

 

Er ischt no – wia vor dausend Johra,

Ob Heid, ob Jud – Türk oder Chrischt –

Ond würd er äll‘ Tag neu gebora –

Er bleibt a grasser Egoischt!“                               

(…)

 Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle aus ‘em Bohnaviertel.“

Am 20. Juli. 1921

 

Stuttgart, 25. Juni 21.

Liabe Landsleut!

Onser liaber – ehrawerter Herr Feuersee – en dem  sich täglich – ond  beim  Vollmondschei  au  nächtlich – die  schtattliche Jongfrau Johanneskirch so gottvoll schpiagelt – ond om den – em  Schatta  der  Kaschtania – onsre  Lia-bespärle so gern luschtwandlet, schtoht scho längere Zeit beim Schtugarter Publikom – durch falsche A’schuldichonga – em a ganz übla Geruch; – so – daß er von der Stadtverwaltong onter Bollezeiufsicht gschtellt worda ischt! – Ja, es hot sogar net viel gfehlt, so wär em – ohne grichtlicha Entscheidong – von onsre Gsondheitsfanaticher ‘s Todesurteil gschprocha worda; wenn onser wohllöblicha Stadtbauenschpektzio net en letschter Minut – uf Grond einer gröndlicha Vorontersuachong – mildernde Omschtänd bea’tragt hätt! Es ischt jo oinestoils richtich, dös Aus- ond A’seha vom Herr Feuersee – hot en letschter Zeit zemlich viel zu wönscha übrich g’lassa – was em i aber net amol für übel nehma ka‘; denn soviel dui Ontersuachong ergeba hot – leidet er schtark an Onterernährong – durch dui selbscht-verschtändlich – seine Organ arg en Mitleidaschaft zoga worda send! Aber von ‘ra Verschleimong oder peschtilenzarticher Ausdönschtong – wia a gewisses Sortiment von Leut behauptet – ischt gar koi Red – ond, wenn onser Schtadtverwaltong dem arma Kerle jeden Tag en Ei‘lauf von frischem Quellwasser macha läßt, no wird er bald wieder uf em Damm – ond sei Schtuahlgang normal sei!

 Dui Tragödie vom Feuersee – ischt nämlich a Fall, wia er bei de Leut em gewöhnlicha Leba tagtäglich dausendemol vorkommt; denn schlecht gmacht ischt mr viel bälder – als wieder rei’gwascha – ond, wenn onser Feuersee schwätza – oder dichta könnt, hätt er jedenfalls sei Loid scho lang en d’ Welt nausgschria! Weil i mi aber en sei trauricha Lag ganz guat nei’schtella ka‘ – ond emmer no a mitleidichs Herz für den arma Schlucker han – will i an seiner Schtell sei Empfenda zom Ausdruck brenga!

 

„Was muaß i – armer Feuersee,

An Schmähwort net erdulda;

Mr brengt mi om mei Renomee –

Ganz ohne mei Verschulda!

 

Toil saget – i sei a Kloak –

A Bruatschtätt blos für Schnoka;

Mei Wasser häb en Jauchegschmack –

Ond ischt doch äll‘s verloga!

 

De andre brengt ihr Konsequenz –

Uf den verrückta Trappa:

Dia zeihet mi dr Peschtilenz –

Ond möchtet mi begraba!

 

O – wia send aber d‘ Leut so schlecht,

So falsch ond deschparate:

Daß i z’letscht no verzweifla möcht,

An onsres Herrgotts Gnade!

 

Kommt her – ond gucket uf mein Grond

Ihr Nörgler – ond – ihr Hasser!

I schtenk net – ond be kerngesond,

Wia meine Fisch em Wasser!

 

I selber – be jo om mei Reiz –

Durch Euch ihr Schergoischt komma;

Ihr hent aus Schparsamkeit ond Geiz

Mir Ent‘ ond Schwana gnomma!

 

 

Ond – daß i koine Wella schmeiß –

Wia einscht – isch net mei Fehler;

Mir ghört blos au a beßra Schpeis,

Dös merkt Euch – ihr Kraköhler!

 

Drom laßt en Zuakonft mi fei geh,

I be net dr Nesabach;

I hoiß ällweil no “Feuersee” –

Ond dank schö – für so a Schmach!”

 

Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle aus ‘em Bohnaviertel.“

Am 17. August 1921

 

Stuttgart, 21. Juli 1921.

Liabe Landsleut! Trotz onsre erdrückende Sorga – trotz Wucher – Schwendel – Armut – Elend ond Kommer – rengt sich en onsrem kleina Schwobaländle dr Humor allmählich doch wieder durch – ond dös ischt meines Erachtens koi schlechts Zeiche, sondern a Beweis, daß en onsrem Schwobavolk – dr guate, alte Kern no net verschtickt ischt; denn dös Liadle:

 

„Freund, ich bin zufrieden –

Geh es, wie es will – –“

 

lebt do ond dort wieder uf – ond wenn mr heut us dr broita Masse a Schtichprob macha tät – käm emmer no a schöner Prozentsatz von ufrichtiche ond pflichttreue Schwoba raus – uf dia dös Versle paßt:

 

„Ufrichtich – ond gradraus,

Guatmüatich bis dort naus;

Wenn sei muaß – au saugrob –

Dös ischt dr Schwob!“

 

Wenn mir ons allmählich selber wieder fendet, so hent mir dös en erschter Linie onsrem deutscha Liad zu verdanka! Dr deutsche Männergsang ischt wirklich eifrich am Werk – durch die Macht dös deutschen Liedes – Balsam uf dia wonda Herza onsres Volks zu lega – ond da deutscha Geischt aus dem Bann der Omnachtong ond Verzweiflong zu befreia! So kommt endlich dös alte Sprüchle wieder zu Ehra:

 

„Wo man singt, da laß dich ruhig nieder.

Böse Menschen haben keine Lieder!“

 

So sengt es – ond klengt es wieder, em liaba, trauta Schwobaländle – ond wenns au hie ond do no a bissele schwer fallt, so herrscht jetzt em allgemeina doch dui A’sicht, daß zu ‘ma schlechta Märkt – a guater Muat ghört – ond, daß mit dem beständicha jammra ond wehklaga koi Hoor besser wird! Ond wenn sich jeder bewußt ischt, daß mir dui Berechtichong hent – zu leba – so soll au jeder drzua beitraga helfa – onsrem wurmstichicha Dasei de heiter Seita abzugewenna – ond dia kerniche Wort aus Goethes Schatzgräber beherzicha:

 

„Tages Arbeit – Abends Gäste,

Saure Wochen, frohe Feste –

Sei dein künftig Zauberwort!“

 

„Ein frohes Fest“ in diesem Jahr war, weil das Cannstatter Volksfest ausfiel, ein Schützenfest als Ersatz. In drei Kapiteln (am 31.8., 7.9. und am 21.9.) lässt es Knöpfle in einem turbulenten Geschehen mit seinen Figuren aufleben, im Karusselltanz der Männer ums Rösle mit ihrem „Verlobungsdusel“, bis ihr aber Knöpfle am Schluss theatergerecht einen soliden Mann besorgt. Doch die „sauren Wochen“ überwiegen. Inflation, Steuerschraube und die immensen Reparationszahlungen lasten schwer auf Staat und dem einzelnen Bürger. Hochwillkommen sind also Gaben aus Amerika, Knöpfle bittet darum, und in einem Dankgedicht nennt er sogar die Spender und reimt ihre Namen oder fügt sie in den Vers, wie er es auch in seinem langen Spitznamenwerk überaus einfallsreich vorführt. Doch zunächst seine Ausführungen über die wirtschaftliche Lage:

 

 

Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle aus ‘em Bohnaviertel.“

Am 13. Juli 1921

 

Stuttgart, 17. Juni 1921.

Liabe Landsleut! Wia mr zur Zeit allgemei hört – ond liest – soll mit dene Liabesgaba aus Amerika – dia so viele Träna trocknet hent – jetzt Schluß gmacht werda; weil dr Lebensmittelmarkt en Deutschland so reichlich beschickt sei, daß Jederma‘ – ohne A’seha dr Perso‘ – älles – was zu seiner Leibesnahrong ond Notdurft ghört – en o‘begrenzte Quantitäta – aus em heimatlicha Born schöpfa könn! Dös schtemmt ällerdengs auffallend – denn, wenn mr wirklich en dr Großschtadt dia Schaufenschterauslaga betrachtet – kommt oim o’willkürlich dös Versle en Kopf:

 

„Warum in die Ferne schweifen?

Sieh, das Gute liegt so nah!“

 

Wenn mr aber fortgesetzt seine Konsegwenza aus em leera Geldbeutel ziah muaß – no ziaht’s oim beim A’blick von dene viele schöne ond guate Sächla – wahrhaftich ‘s Herz em Leib z’samma – ond mr fendets direkt ärgerniserregend, daß onser falscha Welt mit de arme Leut so ‘s Michele macha mag! Ond wer zählt net heutzutag – bei ons en Deutschland – zu de arme Leut? Fönfachtel send meh oder wenicher uf d’ Wohltätichkeit a’gwiesa – weil ihr Verdenscht net ausreicht – ond zwoiachtel müaßt oms Alter schaffa, wia d’ Ochsa, weil se da Schtaat nebaher au no verhalta müaßt; denn oiachtel ischt enternatzional – dia sauget onsern Schtaat aus – ond legat ihr eroberts Geld em Ausland a – jetzt saget mir, was bleibt do für onser armes Volk no übrich?! Wenn onserois halbwegs wieder so bürgerlich leba wollt – wia vor em Kriag – no müaßt beim Blitz jeder a Menischtergehalt beziah – ond dös ischt heutzutag a Heidageld – laut onsrem Valutaschtand:

 

Drom mach i gar koin Hehleng draus,

Mir send so arm wia Kirchamaus;

Zom leba braucht mr eba Geld –

Ond dös ischts, wora’s ons jetzt fehlt!

Was nützt ons d‘ Arbeit ond dr Fleiß?

Was net verschlengt dr Wucherpreis –

Dös wird oim voll durch d‘ Schteuer gnomma,

Wia soll mr do no vorwärts komma?!

Guckt mr en Metzgerlada nei‘?

Do hanget Ochsa, Render, Schwei‘;

Doch guckt mr en sei‘ Portmanee –

No muaß mr hongrich weiter geh!

An d’ Kloidong därf mr gar net denka,

Obwohl de schönschte Stoff ons wenka;

Dieweil a oi‘zga Mahlzeit scho –

Verschlengt da ganza Tagesloh!

Tuat mr amol sich was erlauba,

No muaß mr – ‘s ischt jo kaum zu glauba –

De ganz Woch mit seim Maga trutza,

Wo bleibt do – saget mir – dr Nutza?

 

O – ja! Wer Geld gnuag hot – ond jeden Tag en Honderter verbraucha därf – der ka‘ jetzt richtich satt werda – dös brengt koin A’schtand – wer aber mit dr oinzelna Mark rechna  muaß – dr Pfennich  schpielt jo koi Roll  meh – der  ischt noch wia vor – übel dra – ond dös ischt en onsrem schwergeprüafta – krampfhaft vera’lagta – arma Deutschland – weitaus d‘ Mehrzahl!

 

„Gefährlich isch da Leu zu wecka“ –

So hot dr Schiller einscht verzählt;

Jedoch dr schrecklichste dr Schrecka –

Dös ischt, wenns nötich Geld oim fehlt.

 

Drom – liabe Landsleut – wenn Ihr ons koine Liabesgaba meh schicka könnet – no send wenigschtens so güatich – ond vergesset net, daß dr amerikanische Taler bei ons em a hoha A’seha schtoht – ond viel drzua beitraga ka‘, daß ons arme Schlucker ‘s Zäpfle net voll ganz nonterfallt! I woiß  jo wohl, daß  bei  euch au net  älles Gold ischt – was glänzt – ond daß Ihr au viel z‘ kämpfet hent; aber dös woiß i au gwiß, daß Ihr Eure Landsleut en dr alta Hoimet net em Schtich lasset – den Beweis hent Ihr scho aberdausendmol ons gliefert – ond schtoht mit eherne Lettra onauslöschlich en onsre Herza gschrieba! (…)

 

Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle aus ‘em Bohnaviertel.“

Am 27. Juli 1921

 

Ein langes „Dankgebet“ – in manchmal holprigem Knittelvers – hat Wilhelm Löffel, alias Knöpfle, den zahlreichen Spendern gewidmet: immerhin vierzehn Gewürdigte und auch noch das Wochenblatt selbst! Hier ein paar Verse aus dem ersten Teil und danach den Schluss mit der Bitte um weitere Gaben.

 

Mei Herzensdank an erschter Schtatt,

Gebührt em „Schwäbischa Wochablatt“;

Hätt‘ dös net meine Gschichtla druckt –

Hätt koi Mensch noch em Knöpfle guckt!

Weil aber onser liaber Herr Heß

A Freud hot schtets an meine Schpäß;

So dank i’s ehm an erschter Schtell,

Daß net versiegt mei Dichterquell!

Ond weil i scho am danka be,

Will i mein Weg jetzt weiter geh –

Ond alle dene danka no,

Wo mir bisher scho Guats hent to!

D‘ Frau Bertha Rößler von Rock Island –

A alte Dam – mit viel Verschtand,

Hot mir scho mancha Freud bescheert –

Durch Gaba – ‘s ischt viel Dankes wert!

Von „Woodburn“ – dr Georg Armbruschter

Als „Helfer en dr Not“ – a Muschter;

Er schpart da Bissa sich vom Mond –

Ond schpendet Hilf zu jeder Schtond;

Drom sei em jetzt ond allezeit –

A herzlichs „Vergelts Gott!“ geweiht!

Hans Wunderlich aus „Washington“,

Fred Huber au en „Hamilton“,

Dia hent da Knöpfle net vergessa –

Ond send em treue Helfer gwesa;

Euch treue Helfer – en dr Not –

Sag vielmols i – „vergelts Euch Gott!“

(…)

Alle – alle durch die Bank –

Sag i noamol herzlich Dank!

Schreibet bald, wias Euch ergeht –

Ond vergeßt da Knöpfle net;

Denket schtets an sei Malhör –

Denn er ischt koi Millionär!

Mit em Dichta – liabe Zeit,

Kommt mr heutzutag net weit –

Ond mr hot äll Tag sei Not,

En dem Kampf oms täglich Brot!

So will i mein Reim jetzt schliaßa –

Ond es tuat Euch herzlich grüaßa,

Aus dem liabe Schwobaland –

Dr Knöpfle ond sei Gegaschtand!

 

----------

[84] Später in Wilhelm Löffels Buch „Kraut ond Rüaba“, Stuttgart 1929, S. 24.

[85] Eine Oktobernummer von 1920. Der Text ist im Nachlass 3, in ein Wirtschaftsbuch eingeklebt, vorhanden.

[86] Publiziert am 20.3.1921 im New Yorker Schwäbischen Wochenblatt. Nachzulesen in: Hartmut Löffel, „Kraut ond Rüaba, Vermischtes aus dr Scheuer, Talfeldverlag, Biberach 1996, S. 40-43.

[87] In: 70 Jahre Sportverein Stuttgarter Kickers, 1899-1969, herausgegeben vom Sportverein Stuttgarter Kickers e. V., 1969. Die Fotografie ist auf Seite 73. Neben dem Herzog nach links: stehen in der ersten Reihe zwei Sänger – und zwischen diesen ist in der zweiten Reihe Wilhelm Löffel zu sehen.

 

New Yorker Schwäbisches Wochenblatt (1922 und 1923)

Das Jahr 1922

 

In den Jahren 1922 und 1923 spitzt sich die wirtschaftliche Lage noch mehr zu. Geldentwertung und Teuerung potenzieren sich bis zur Währungsreform Ende 1923. Dazu kommt die politische Bedrängnis, vor allem von Frankreich aus, so mit der Besetzung des Ruhrgebiets im gleichen Jahr. Knöpfle spart nicht mit giftig satirischen Pfeilen: auf den „Dauerbrandredner“ Briand und auch auf seinen Nachfolger Poincaré, den „Boinerkarle“ (gemeint ist der „Sensenmann“). An aufgeklärte Staatslenkung glaubt Knöpfle schon lange nicht mehr. Am 10. Dezember 1921 – zugleich in der ersten Nummer des „Schwobablättle“ (vom 4. Januar 1922) – schreibt er:

 Was send heut onsre Schtaatalenker?

Send‘s Idealischta – große Denker?

Send‘s Weltbeglücker – oder Helda –

Dia heutzutag zom Wort sich melda?

O Gott bewahre, dös send Menscha,

Dia blos sich selber Glück teant wönscha;

Dia – om sich ‘s Leba a‘gnehm zu bereita –

Tagtäglich über Leicha schreita!

Dia – om sich selber zu beglücka –

Em oigna Hochmuat fascht verschticka;

Dia schtets beim selba Grondsatz bleiba:

„Mit de Domme muaß mr d’ Welt omtreiba!“

 

Bei solchen Zuständen ist es schwierig, unbeschwert Karneval zu feiern, den die Regierung übrigens verbietet und andernfalls – so liest man am 29. März 1922 – mit einer „horrenden Luxussteuer“ belegt. Also zahlen die närrisch Gestimmten und der Staat hat eine weitere Einnahmequelle.

Wilhelm Löffel greift allerdings beim Abgesang auf „Prenz Carneval“ auf eine frühere Darstellung zurück,[88] und den Beginn des Frühlings im Anschluss daran bezieht er aus einer Märzkolumne von 1914.[89] Schatztruhe sind für ihn jetzt öfters schon vorhandene Beiträge. Freilich sind die jetzigen um einiges länger, und neben seinen „A‘sichta“ beginnt er in der Mitte des Jahres auch noch seine biografische Erzählung „Als ich wiederkam“ mit dem Zusatz: „Eine wahre Geschichte aus dem Leben. Von Wilhelm Löffel alias Knöpfle“. Beide Kolumnen stehen mehrfach nebeneinander, sodass jetzt der erfundene Knöpfle, also die Kunstfigur, und der wirkliche Knöpfle, also Wilhelm Löffel, nebeneinander herschreiben.

Ob der so Beanspruchte wohl ein Honorar in Dollar erhielt? Denn die Inflation klettert unaufhörlich weiter. Im folgenden Jahr gibt es sogar Reichsbanknoten von „einer Bil-lion Mark“! Dies sieht jetzt Anfang 1922 noch etwas anders aus. In einem Artikel vom 8. März 1922 ist im „Schwobablättle“ Folgendes zu lesen. Hier ein Auszug:

 

Das vergangene Jahr (1921) brachte eine Erhöhung der Briefporti von 80 Pfennig auf zwei Mark. (...) Die neue Teuerung hat die Preise gegen den Ansatz im Jahre 1914 durchschnittlich um 2000 Prozent erhöht, und noch ist kein Ende abzusehen. Das Pfund Butter kostet jetzt 45 bis 50 Mark (vor drei Wochen noch 25 Mark), ein Ei vier bis fünf Mark (letzten Sommer 1,50 Mark, im Frieden 10 Pfg.). Innerhalb eines Monats stieg der Laib Brot von 8 auf 14 Mark! (...) Im Frieden stand der Kartoffelpreis auf 1,20 bis 2,40 Mark pro Zentner und stieg in dürren Jahren, wie 1911, bis auf 3 Mark. Voriges Jahr kostete der Zentner 50 Mark, gegenwärtig schon bis 150 Mark (...). Die 40 000 Mark, die ein gutbezahlter Arbeiter mit Familie heutzutage verdient – wie mancher Universitätsprofessor und Gelehrter wäre froh, wenn er so glänzend stünde – diese 40 000 Mark reichen knapp für des Lebens Notdurft aus, entspricht doch ihre Kaufkraft einem Friedenseinkommen von jährlich 2000 Mark! Die von Woche zu Woche steigenden Preise machen jede systematische Aufbesserung der Gehälter unmöglich (…).

 

Auflockerung und Erheiterung in dieses Leben voller Existenzsorgen bringen Knöpfle Besuche aus Amerika, zunächst vom Polsterkarle, der nach dreißigjähriger Abwesenheit wieder in Stuttgart ist, wo er in einem Polstergeschäft zum Dekorateur ausgebildet wurde; dann findet im Juli – mit Knöpfle im Mittelpunkt – sogar ein Amerikanerfest in Stuttgart statt; und am Ende des Jahres kommt noch die ausgewanderte Anna Nill zu Besuch, die auch im „Schwo-bablättle“ schreibt.

Polsterkarle stellt sich auf der Suche nach dem Autor Knöpfle unerwartet am Stammtisch ein, wird dort fröhlich aufgenommen und ins Trinken eingeführt[90], denn in Amerika herrscht Alkoholverbot! Im Gespräch stellt sich heraus, dass Knöpfle und Polsterkarle in die gleiche Bürgerschule gegangen sind, umso mehr sind sie sich zugetan! Also wird kräftig und ausgedehnt gefeiert. Dies gibt Knöpfle als Winzer die Gelegenheit, wieder einmal die Weintrinker gegen die Limonade- und Wassertrinker auszuspielen – ein Thema, das er zuletzt Mitte 1921 ausgeführt hat [91] und jetzt noch einmal aufgreift.

 

 Aus denA’sichta vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“

Am 26. April 1922

 

„Laß di’s no net reua – Karle!“ han i gsagt – „wenn du au a’scheinend onter die Räuber grota bischt – so ka‘ni jetzt doch scho konschatiera, daß du di en der kurza Zeit wahrhaftich scho bedeutend zu deim Vorteil verändert hoscht – ond wenn du bei ons am Wammestisch a Abonnema nemmscht – solang du em Schwobaland uf Bsuach weilscht – no garantier i dir, daß du en vier Wocha nemme dös schnädiche Male bischt wia heut – do siehscht du no om hondert Prozent besser aus – ond kommscht als a ganz anderer Mensch wieder nüber über da Bach – hoscht mi verschtanda?!“

 „O jes“ – hot mei Polschterkarle gsagt – „so saufen, wie Ihr Kerls – das bring ich nimmer fertig – ich muß mich erst drauf trainieren; aber das muß ich offen gestehen – ein anderer Humor kommt einem in die Glieder – als bei Kaffee und Selterswasser!“

 „Wenn dös merkscht – no bischt net uf em Holzweg Karle!“ – han i gsagt – „bei ons wird jo au viel Wasser predicht – aber sein Moscht ond sein Wei‘ läßt sich dr Schwob onter gar koine Omschtänd wegnehma – so wenich als dr Bayer sei Bier – ond dr Konjaklandser vom großa Vatterland sein Krombierafusel – denn:

 

Dorüber send mir Aelle oinich –

Dr Mensch braucht für sei leiblich Wohl,

Om seine Sorga zu vergessa,

Hiabot a Gläsle Alkohol!

Was ischt dr Mensch – getränkt mit Wasser?

A Griesgram ond a fader Tropf;

Hot blaue Därm ond koi Kurasche –

Ond obadrei en Wasserkopf!

Wär Schiller blos beim Wasser blieba,

Hätt er niemals die Räuber gschrieba!

Hätt Göthe net mit Wei schtudiert –

Hätt er ‘s Bapier omsonscht verschmiert!

Drum trinkt, solang der Becher winkt!

Trinket alle Tage!

Ob man Jenseits auch noch trinkt –

Das ist eine Frage!

 

Mr braucht wega sellem absolut koi Tronkebold sei, wenn mr a Wei’zah ischt – zudem ischt dr Wei a Gottesgab ond de bescht Arznei seit Menschagedenka! A guats Tröpfle Wei regt doch da Geischt besser a – als wenn oiner en Kübel voll Wasser sauft – dös gibscht doch au zua – Karle?!“

„O jes – Freund Knöpfle, du sprichst derb – aber grundgut – du hast mir schon immer Spaß gemacht – wie bin ich meinem Schicksal dankbar, daß ich dich von Angesicht zu Angesicht jetzt kennen gelernt habe!“

„Dös ehrt mi wirklich Karle, daß du a Freud an mir hoscht, woischt – es gibt au andere Leut, dia ‘s Gegatoil von mir behauptet – aber dös scheniert mi net! Was moinscht – was onsre alte Deutsche saga tätet – wenn se dia Quellwasseraposchtel ond Limonadefatzke seah tätet – wo wirklich en dr Welt romlaufet! Glaub mir sicher, Karle – dia kämet aus Walhalla en de Wolka herniedergfahra – ond würdet sämtliche schnapsgargla! Wem geltet denn onsre schönschte Liader en dr Hauptsach? Onsrer herrlicha Natur – dr Liabe ond dem Wei – ond em Heldatom!“

 

„Mit Rheinwein füll den Becher!“

So hoißt a schönes Liad –

Dös jedem alta Zecher

Gar tiaf sitzt em Gemüat!

„Im Herbst, da muß man trinken,

Da ist die rechte Zeit!“

So hoißt a altbekanntes

Dr Zünfteherrlichkeit!

„Der Wein erfreut des Menschen Herz!“

Wem ischt dös net bekannt?

Mit seiner trauta Melodie –

I glaub ‘s ischt vom Uhland!“

 

(Worterklärung: schnädich Male = schnätteriges Männlein, bzw. mageres)

 

Es war der damalige Oberbürgermeister Lautenschlager, der das schon früher bestehende Amerikanerfest wieder auf den Plan brachte und betreute. Vielleicht auch als Dank für Knöpfles engagierte Fürsprache in vergangenen Jahren für ihn als Kandidaten? Bevor es nun aber stattfinden konnte, war erst einmal besseres Wetter ins Auge zu fassen. Nicht solches wie am Ostersonntag!

 

 

Aus denA’sichta vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“

Am 17. Mai 1922

 

Stuttgart, 23 April 1922.

Liabe Landsleut! Mit onsre Oschterfeiertag hent mir dösmol – was d’ Witterong a’belangt – schlecht abgschnitta; denn onsre Wandervögel ond sonschtiche Naturschwärmer – dia a’gelockt durch dui Hochsommertemperatur vom Karfreitich ond Oschtersamschtich – en o’gezählte Schaara mit Sack ond Pack – mit Weib – Kend ond Kegel – mit Sang ond Klang – mit Mandolin ond Gitarr onsrem schtaubicha Schtuagert uf a baar Tag lebewohl gsagt hent, send durch den kolossala Wetterschturz am Oschtersonntich dermaßa ei’gsoift worda, daß sich a Schtoi hätt drüber erbarma möga! Nämlich so – wia dene Herrschafta ob dem prachtvolla Wetter am Oschtersamschtich ‘s Wasser em Maul z’sammaglaufa ischt, so ischt’s en am Oschtermötich hondertfach zu de Schtiefel nausglaufa! I han mir’s aber halba denkt, daß dös Früahrot am Oschtersonntich onsre Wanderer koin bsondra Sega brengt – ond o’willkürlich ischt mir dös Reiters Morgaliad[92] durch da Kopf ganga, wobei i zu folgender Parodie komma be:

 

„Morgenrot – Morgenrot –

Du bist gar ein schlimmer Bot‘!

Bald verspürt man deine Folgen,

Denn schon künden düstre Wolken –

Einen nassen Feiertag!

 

Kaum gedacht – kaum gedacht –

Ward der Lust ein End gemacht!

Gestern noch – o welche Wonne –

Schien verlockend unsre Sonne,

Heute gießt’s ohn‘ Unterlaß!

 

Ach wie bald – ach wie bald –

Schwindet Schönheit und Gestalt!

Gestern noch von Glanz umflossen,

Heute triefen Rock und Hosen –

Morgen Schnupfen und Katarrh!

 

Darum still – darum still –

Füge dich stets in April!

Oeffnet er des Himmels Schleußen,

So geh‘ lieber nicht auf Reisen,

Merk es dir – o Wandersmann!“

(…)

 

Am 7. Juni bespricht Knöpfle noch die scheiternde Konferenz von Genua – eine andere Art von Wettersturz! Ungeschminkt bringt er seine Weltanschauung auf den Punkt und macht sich – wieder einmal – über den von Grund auf fragwürdigen Menschen keine Illusionen:

 

Stuttgart, 15. Mai 1922.

Liabe Landsleut! I han‘s scho oft gnuag gsagt – ond sag‘s ällamol wieder – wia schö könnt’s doch uf dr Welt sei, wenn d’ Leut net so gottserbärmlich falsch – verloga – niederträchtich – abgschlaga – schiefrich – schofel – gehässich – mißvergönschtich – widerschpenschtich – händelsichtich ond habgierich wäret! I könnt jo no viel so friedaschtörende Eigaschafta ufzähla, mit dene de heutich Menschheit renomiert; aber i moi älls, es gnügt vollschtändich – om da Wahrheitsbeweis domit a’trete zu könna, daß onter dene obiche Begleiterscheinonga die Herschtellong eines dauernden Weltfriedens a ganz verfehlta Sach ischt! I verschtand jo em Grond gnomma herzlich wenich von dr Bolledick – aber soviel verschtand i beim Blitz au, daß wenn mir so weiterwurschtlet, dr Hentra mitsamt de Hose kaput ischt!

Dr Weltfrieda ka‘ meiner A‘sicht noch erscht garantiert werda, wenn dr Kampf oms Dasei abgschafft wird; aber der Diplomat wo dös fertich brengt wird ewich o’gebora bleiba! Daß mr aber mit a bissle guata Willa – ond Nächschtaliabe Vieles en dr Welt besser geschtalta ka‘– dorüber herrscht jedenfalls koi Zweifel; so lang natürlich dr Egoismus zom Hemmel schreit – suachet mir vergebens die Brüaderlichkeit! (…)

 

Ein Fest der Brüderlichkeit war dann freilich das Amerikanerfest! Knöpfle gibt am 26. Juli einen Bericht davon. Dieser steht neben seiner üblichen Kolumne, dem Bericht seiner Kunstfigur, in dem es um einen Ausflug der „Wammestischgesellschaft“ auf die Schwäbische Alb geht. Und als wer tritt jetzt Wilhelm Löffel selbst auf? In einer kleinen Passage schiebt er den Seelesbäck und dessen Frau ein, und auch seine Frau Karlena ist zugegen. Wer sie wohl gespielt hat? Diese räse und eifersüchtige Frau! Wahrscheinlich musste seine wirkliche Frau Pauline einspringen.

Dieses Fest ist in zwei Teile gegliedert: den offiziellen mit Reden bedeutender Leute und dann den privaten mit Begegnungen, Verbrüderungen und viel Bier. Redner sind der Staatspräsident im Namen der württembergischen Regierung, dann der amerikanische Konsul und schließlich Oberbürgermeister Lautenschlager, der für die Liebesgaben aus Amerika dankt, vor allem aber auch für die Milchkühe, die zur Linderung der Not hergeschickt wurden. Ein Chor mit schwäbischen Volksliedern schließt sich an und zwischendurch spielt noch eine Militärkapelle. Und Knöpfle? Seltsamerweise schreibt er nichts von einer eigenen Ansprache oder einer kleinen Lesung, dagegen vom Händeschütteln, Anstoßen und Sich-feiern-Lassen. War er gar nicht offiziell eingeplant? Hier der Anfang seines Berichts:

 

 Knöpfle über das Amerikanerfest, das am 4. Juli 1922 stattfand:

 

Stuttgart, 5. Juli 1922.

Liabe Landsleut!  Gerscht hot  en  onsrem  herrlicha  Schtadtgarta ‘s erschtmol wieder – seit anno Vierzeah – ‘s Amerikanerfescht stattgfonda; ond i sag Euch – schö isch gwä – rechtschaffa schö – ond klappt hots en älle Toil! Ja – viel Leut hent sogar gheult, aber es send lauter Freudaträna gwä – Träna dr Rührong ond dös Wiedersehens! Es reut mi gwiß net, daß i dera freundlicha Ei’ladong von Louis Neuffer ond seiner liebenswürdicha Schweschter Mischtres Dobler – Folge gleischtet han; denn en größera Gfalla hättet mir dia zwoi liabe Leutla wahrhaftich net erweisa könna. Mei Freund, dr Seelesbäck, der zur Zeit au Bsuach von drüba hot – hot sich mir a’gschlossa – ond so send mir denn – er mit seiner Chrischtena ond i mit meiner Karlena gerscht Mittag em Palmreicha Schtadtgarta zua – voll Erwartong der Dinge, die da komma sollet – ond sie send komma, Landsleut die Masse; aus ganz Deutschland send se z’sammagschtrömt:

 

„Wer zählt die Onkels all ond Danta,

Dia gaschtlich sich zusammafanda?

Aus Cleveland – Ohio – Kansas –

Von Illinois – Iowa – Texas;

Von Philadelphia ond von Missouri –

Von Baltimore ond vom Mississippi!

Von Washington – Dakota – San Franzisco,

St. Louis – North East und von Chicago;

Von New York City – aus de Kolonien –

Von Woodhaven ond von Brooklyn!

Kurzom – i glaub – ‘s hot koi Schtaat gfehlt,

Der net zom Schternabanner zählt!“

 

Liabe Landsleut! I sag Euch – es war mir a Wonne, dene viele Leserna ond Leser vom Neujorker Schwobablatt – dene Mischtres – Missis ond Mischter von Herza die Hand zu drücka – om Zeuge zu sei, von der ufrichticha Freud – wo soviele an Tag glegt hent, ihrn Knöpfle von A’gesicht zu A‘gesicht kenna zu lerna!

Mir send nämlich kaum recht do gwä – hot scho dr Mischter Agschter aus Schigago gschria: „Wo ischt dr Knöpfle? Doher zu ons – do ischt heut dr Wammestisch – net bei dr Nochbere!“

I han guckt wia Donner em Sommer, wo‘ni halb Schigago zmol om mi rom versammelt gseah han; aber kaum ben i uf meine fönf ehrwürdiche Buachschtaba gsessa – – no hent se mi scho wieder an en andra Tisch gholt; mei Karlena – mei Gegaschtand ischt ganz außer sich worda – ond mei Freund – dr Seelesbäck, hot‘s könna gar net begreifa, daß em a Menscha von meim Kaliber soviel Heil widerfahra ka! (…)

 Im zweiten, sogenannten gemütlichen Teil überfällt sie dann doch ein heftiges Gewitter, nicht so schlimm wie an Ostern, aber so, dass „älles auseinander gschtoba ischt, wia em a Zirkus, der en Brand grota ischt“. Nur Knöpfle hält noch ein bisschen durch und kommt abschließend zu seinem Resümee, dass es ein schönes Fest gewesen sei und dass er es sich jedes Jahr wünsche. Zu hören ist aber später davon nichts mehr!

 

Die Kolumne  neben dem Bericht vom Amerikanerfest (am 26. Juli 1922) ist bereits als Fortsetzung im Gang. Die Ausflugsdebatte und dann der beschwerliche Aufstieg für die schwergewichtigen Männer zum Lichtenstein und zur Nebelhöhle – Seelesbäck schafft es nicht – werden ausgedehnt in fünf Kapiteln erzählt[93] – und sind ebenfalls willkommene Ablenkungen von der wirtschaftlichen Not und der bedrohlichen Zukunft! Doch die Existenzsorgen drängen sich wieder in den Vordergrund.

In politischer Hinsicht ist Knöpfle, obwohl er immer wieder behauptet, mit Politisieren aufhören zu wollen, äußerst ungehalten und knöpft sich (in der Kolumne vom 20. September) Poincaré, den „Boinerkarle“, vehement vor, den er einen „gehässigen Diktator“, „fanatischen Lügenbeutel“ und ein „Reptil in Menschengestalt“ nennt, durch dessen Machtpolitik jetzt auch der Mark vollends der Garaus gemacht worden sei. Und er folgert:

 

„I glaub nämlich heut no net, daß Deutschlands Vernichtong dr Willa vom französischa Volk ischt, sowenich es dr Willa von onsrem Volk gwä ischt, ons mit dr Welt zu verfeinda; gewöhnlich ischt es bloß dr persönliche Ehrgeiz Einzelner, dia uf Koschta der Masse – ohne ihr Gewissa zu prüafa – sich en Nama machet – ond wenns net en Guatem goht, so muaß eba Gwalt a’gwendet werda!“

 

Aber am Ende eines aufrüttelnden Gedichts ruft er diesem harten Poincaré, „Europas unheilvollem Stern“, versöhnlicher zu: „Nimm ab der Welt die sorgenschwere Bürde – / Und such‘ die Wahrheit, welche Wunder tut! / Denk‘ stets, der Haß heilt keine Wunden, / Nur durch Liebe kann die Welt gesunden!“

Doch die Bürde der eigenen Welt ist eben nicht so leicht loszuwerden und der Absturz der Mark fatal. So fügt er noch folgendes Gedicht hinzu:

 

‘S ka vor Obend anders werda,

Als am früha Morga war;

Denn en schwendelhafter Höhe –

Kursiert heute der Dollar!

 

Ond je höher, daß er klettert,

Deschto meh sind mir bitschiert;

Weil mr ons em Ausland jetzo –

Für koin Pfennich meh gwittiert!

 

Doch der Uebel gröschtes Uebel –

Bei der Dollerkletterei –

Ischt daß d’ Preis dr Lebensmittel

Machet Konkurrenz drbei!

 

Was nützt’s, wenn mir jetzt en dr Woch

Dreidausend Mark kassieret –

Ond send gezwonga den Verdenscht

Durch hondert z’ dividieret?!

 

A A’zug – der einscht siebzich Mark –

Hot koschtet fix ond fertich,

Der kommt uf fufzeahdausend –

A’gmessa gegawärtich!

 

Ond d’ Schtiefel – ach du liaber Gott,

Dös soll dr Kuckuck hola!

Fönfhondert koschtet jetzt alloi –

Blos a baar lomp’che Sohla!

 

Ond will mr a baar Neue sich –

Em Lada heut verbassa,

Muaß mr bereits a Monatsghalt

Uf oin Sitz liega lassa!

 

Wenn mr bedenkt – a Pföndle Floisch

Koscht jetzt en blaua Lappa –

Ond für a Pföndle Schweineschmalz

Muaß mr glei zwoi berappa!

 

A Pföndle Mehl koscht fufzich Mark,

Zwoi Oier vierazwanzich;

Vom Butter wird oim jo jetzt ‘s Maul

En nächster Zeit net ranzich!

 

 

So isch mit ällem – durch die Bank,

Wer will dös no erschwenga?

Dös muaß doch oin zu guater Letscht

Voll zur Verzweiflong brenga!

 

 

 Aus den „A’sichta vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“

Am 27. September 1922

 

Stuttgart, 9. September 1922.

Liabe Landsleut! Es ischt hemmelschreiend, wia‘s wirklich en dr Welt zuagoht! Uf dr oina Seita wisset d‘ Leut nemme, was se mit ihrem viala Geld a’fanga sollet – ond uf da andra ischt Gottes Armut em a Säckle! Dös ischt aber net blos bei ons so – noi – dös ischt baldvoll über­all gleich! En Amerika drüba – ka‘ jetzt dr Farmer kaum meh seine Erzeugnis absetza, weil dr Welthandel schtockt – er muaß sei Fruacht buachschtäblich verderba lassa – ond mir en Deutschland wäret gschleckt froh, wenn mir den Woiza hättet – wo drüba zom Kamee naus­goht! Wia send doch do onsre Baura glückliche Leut – dene kälbert a‘fanga dr Holzschlegel uf dr Böhne – ond send trotzdem net zfriada – ond schömpfet über Schteura ond Abgaba – mitt­lerweil könnet se ihre Scheffelsäck mit Bapiergeld fülla, daß ens bald zom Dachlada naus­wachst – ond dr arme Schtädter – dem mr jeden Pfennich Schteuer am Loh abziaht, ka‘ bald­voll neba de gfüllte Scheura verhongra! Dös ischt oizich ond alloi dem Deufelswerk von Versailles zu verdanka – dem Schandfetza von Friedensvertrag – durch den de ganz Welt en Mitleidaschaft zoga wird!

 

Pfui Deufel! Welt – mir graut vor dir –

Die Menschheit ist verrückt!

Sie ruaht net, bis die Ehrlichkeit

Em Schwendel voll verstickt!

 

Onser schwäbischer Dichter ond Denker Wieland hot scho vor hondertzwanzich Johr gsagt: „Soll es je mit dr Menschheit besser werda, so muaß die Reform net bei Regierongsforma ond Konschtitutziona – sondern bei jedem einzelna Menscha a’fanga. Die tiafschte Quelle menschlichen Elends liegt en dr falscha Schätzong der äußeren Dinge, in dem Bleigewicht des tierischen Teils über da vernönfticha – en dr Verdorbeheit dr Sitta – en dr täglich zuanehmenda Weichlichkeit, Trägheit, Ueppigkeit, Abschtompfong des moralischen Gfühls ond em Egoismus! Wer koi tiaferes Gfühl von seine Pflichta hot – ka au koin richticha Begriff von seine Rechta han!“ Dös, was der Ma scho selbichsmol bemängelt hot – dös gilt für ons heut doppelt; denn solang dr Mensch net bei sich selber a’fangt – sein tierischa Toil abzulega – ond net lernt – seine geischtiche Fähichkeita zu edlere Zweck zu verwenda – solang wird au ‘s Elend net aus dr Welt gschafft!

I muaß grad noamol uf onsre Baura z’rückkomma, dia jetzt so en dr Wolla sitzet – ond ons arme Schtädter blos no über d‘ Axla a’gucket – weil sia jetzt d‘ Herra send – Herra – dia nex ausgeba – sondern blos ei’nehma wöllet! Dr Bauer braucht koi Reklame – koin Märkt ond nex meh – d‘ Wucherer ond  d‘ Schiaber holet’s  em aus em  Haus ond Schtall raus ond zahlet horrente Preis ond gebet fürschtliche Trenkgelder – dös dr arme – hongriche Schtädter älles wieder doppelt ond dreifach zahla muaß! Wo ischt früher amol em a Baurahaus a Klavier zu seha gwä? Nirgends – höchstens beim Schultes ond do oft net, wenns net grad a Schreiberschultes gwä ischt. Gucket amol jetzt en dia Baurahäuser nei – wo früher zwoi ond dreihondertjähriche Hemmelsbettlada gschtanda send mit Spreuersäck – do schtandet jetzt Mahagonimöbel – Nußbaum matt ond glanz – hell ond donkeleichene Schlofzemmerei’richtonga mit Budoar – hochmoderne Bettlada mit Schprongfedermatratza – Harmoniom ond Klavier – Schäßlong – oichene Büffee – Schreibtisch ond Kredenza – Gobelin ond sogar dr Perserteppich därf net fehla! Was dr Grichtsvollziaher em arma Mittelschtand en dr Schtadt pfändet – oder was verarmte Rentner ond ältere Leutla verkaufa müaßt – om ihr Leba zu frischta, dös wandert ufs Land – ond feiert dort en onsre  wohlhabende  Baurahäuser en naivem  Glanz sei  Aufer-schtehong. (…)

Jetzt wo die Teurong mit o’barmherzicher Wucht über ons herfallt – ziahet dausende Schtädter em Samschtich Nochmittags naus ufs Land – ond hamschtret Früchta – Oier – Butter – Mehl – ond zahlet jeden Preis – ja, gebet sogar no extra Gratifikatziona – no dösweg, daß ‘ens koi andrer wegschnappt! Was send die Folga? Dr Bauer hot ‘s Geld – ond dr Hamschterer hot d‘ Waar – ond dia wo drhoim send – en ihrer Bescheidaheit – hent’s Nochgucka – ond dürfet leer schlucka – oder warta, was übrich bleibt – ond vom ausgräuberta Ländle no uf reellem Weg rei‘kommt! Dös wär aber älles net, wenn em Welthandel durch a Konsortiom von Oberschiaber – dia präsidieret – ond d‘ Welt regieret – net d‘ Flügel gschtutzt würdet; denn no würd dr Farmer drüb en Amerika jetzt koi Bettler – ond onsre Baura wäret koine Protza – ond jeder könnt om en a’nehmbara Preis leba – ond könnt senga: „Freund ich bin zufrieden!“

 

Der unverhoffte Besuch der Anna Nill mit ihrem Mann Jakob im Oktober ist noch einmal ein willkommenes Aufleuchten eines ganz anderen Sterns! Sie ist früher aus Mössingen ausgewandert, verbringt aber dort immer einmal wieder ihre Ferien und wollte jetzt beim Gang aufs Stuttgarter Konsulat nach einem Einladungsbriefchen der Karlena gleich hereinschauen. Als Knöpfle nach Hause kommt, sind sie bereits da. Und Karlena öffnet ihm die Haustür.

 

 Aus den „A’sichta vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“ Am 8. November 1922.

„(Anna Nill bei Knöpfles.)“

 

Stuttgart, den 8. Oktober 1922.

(…) „Gelt Ma‘, do muaschst gucka, was i für Bsuach kriagt han? Was moinscht au, wer dia Herrschafta send?“

„Ganz gwiß aus Amerika!“ han i o’vermittelt gsagt.

„Freile – ond woischt au wer? Frau Anna Nill mit ihrem geliebta Jakob! Gelt Alter, dös hättest du dir doch net träuma lassa?“

„Noi – gwiß net, aber dös freut mi jetzt außerordentlich, weil i von dr Anna scho soviel em Neujorker Schwobablättle glesa han – ond es mir jetzt so o’verhofft vergönnt ischt, daß mir ons von A’gesicht zu A’gesicht begegnet; drom grüaß Euch Gott von Herza!“ (…)

 Donnerwetter! han i denkt, dös Feuer, wo aus dene schwarze Aeugla leuchtet – dös ischt koi so gewöhnlichs Alltagsweib – dui ka‘ sicher meh als blos Brot essa – aus dem Gsicht schprüaht Geischt ond Temperament – do isch koi Zweifel.

 

Als Anna Nill nun seine Karlena lobt, dass sie ihr gefalle, weil sie „‘s Herz no am rechta Fleck hot“, hakt Knöpfle vorsichtig nach, bevor er dann eine Geschichte – für die Leser in Amerika also eine Erzählung in der Erzählung – einschiebt:

 

 „Aber von mir werdet Se wohl a bissle enttäuscht sei!“ han i mir erlaubt zu saga.

„Ja, worom denn au enttäuscht? A Ma‘, der so nette Sächla ens Schwobablättle schreibt, von dem ka‘ mr doch net enttäuscht sei!“ hot d‘ Frau Anna temperamentvoll erwidert – ond ihr geliebter Jakob hots beschtätigt.

„Ja, – wisset Se – Frau Nill – i sag dös net omsonscht; denn es gibt Leut, dia sich ontrem Knöpfle en ausgemärkelta – alta – abghärmta Eigabreitler vorschtellet: aber von der Sorta send Sia jo gottlob net – dös han i uf da erschta Blick rausgfonda. Wisset Se – Frau Nill – i han no net so lang au en Bsuach aus Amerika ghet – es war au a älters Ehepaar, da Nama will i net a’führa – ond tuat au nex zur Sach – kurzom, mir hent bei meiner Nochbere a Schöpple mitnander tronka – ond hent so nebabei au von onsre trauriche Zuaschtänd gschwätzt – (…) Jetzt wia i so verzähl, merk i, daß mei Landsmänne mi so vielsagend fixiert – ond koi Aug von mir läßt, als ob se hätt saga möga: Dir siaht mr koi Not a! Halt – han i denkt, do muascht doch glei amol uf da Busch klopfa, dös Weib soll net moina, daß i koi Menschakenner be – ond au a bissle Gedanka lesa ka!  „Net wohr – Frau Soundso – Sia hent sich jedenfalls ontrem Knöpfle a andra Perso vorgstellt – i sieh‘s Ehne guat a?!“

„Wahrhafticher Gott – ja!“ ischt se glei losplatzt – „i han mir en richticha Dichter vor­gstellt, mit lange Hoor – ond hemmelblaue Auga – wisset Se – so wia dr Schiller – ond ab­gmagert bis uf d’ Knocha; so han i Sia mir denkt! Aber nehmet Se’s mir net en Uebel – Sia sehet eher em a Metzger gleich – als em a Dichter, den Ei’druck han i von Ehne uf da erschta Blick kriagt!“

Bomms! jetzt hoscht dei Fett! – om den Preis hättst könna dei Gosch halta! hätt a andrer denkt; aber i be en der Beziehong net so verschrocka – ond han herzlich lacha müassa über dös naive Urteil. „Wisset Se – Frau Soundso – dös nemm i Ehne gar net übel; denn i han dös Ehne Wort für Wort an de Auga abglese – ond be jetzt au gar net überrascht von Ihrer Antwort! Sia ghöret eba au zu dene Schablonamenscha, wo ‘s Leba oberflächlich betrachtet – ond dodurch gern zu ma falscha Schluß kommet! Mr hot scho manchen Menscha äußerlich für intelligent ghalta – ond sobald er ‘s Maul ufgmacht hot – ischt dr Blödsenn Scheffelweis über d‘ Lippa gflossa! I ka’ nex drfür, daß i scho mit ma dicke Kopf uf d’ Welt komma be – ond mei Aeußeres net dozua a’geta ischt, bei oberflächliche Menscha bsondere Sympatia zu erwerba; aber dös dürfet Se versichert sei – Frau Soundso, i dank heut no jeden Tag meim Schöpfer, daß er wenichstens mein Geischt mit Schönheit ausgeschtattet – ond mir dui Gab verlieha hot – emmer frisch von dr Leber weg die Wahrheit zu saga – ond  dös zu  verdamma, was  an dr  Menschheit faul ond krank ischt!“

Uf dui Erwiderong meinerseits – hot mei Landsmänne a rots Köpfle kriagt ond sich domit entschuldicht, daß mr eba em Allgemeina ontrem ma Dichter blos solche Persönlichkeita verschteh könn – wo ihr Lebtag am Hongertuach naget – ond blos dösweg so lange Hoor traget, daß se Geld schparet – ond dorom so bleich ond mager send, weil – na – weil en ihr Dichtkonscht nex ei‘brengt; aber bei mir sei jo grad ‘s Gegatoil dr Fall – denn i seh tatsächlich gsond ond wohlgenährt aus!“

„Gott sei dank! aber wenn Se mi vor zwoi Johr gseah hättet – liabe Frau – würdet Se ganz anders urteila; do ben i wia Vogelscheuch en de Kloider ghangt – ond d’ Sorga hent mi schier en Boda neidruckt – ond wenn i jetzt wiader blüah ond gedeih, so han i dös blos meine Freund ond Gönner en Amerika zu verdanka, dia heut no a Herz für da Knöpfle hent!“ (…)

 

Knöpfle will dann noch von Anna Nill wissen, was sie denn von dieser Geschichte hält, worauf sie die inneren Werte ins Feld führt; und er forscht weiter, wie sie zu ihrer alten Heimat steht. Ja, die liebe sie über alle Maßen, antwortet sie, nicht aber so das Vaterland, weil es seinen Bedrängern nicht die Stirn biete und sich so im Ausland verächtlich mache. Beglückt verabschiedet man sich, und Knöpfle beschließt seine Ansichten mit diesem Satz: „So fehlet ons Leut – no wärs bald besser mit ons beschtellt!“

Sein letzter Beitrag in diesem Jahr, am 13. Dezember 1922, könnte unter dem Eindruck der kritischen Bemerkung von Anna Nill entstanden sein. Denn Knöpfle bietet nun den Bedrängern in einem Rundumschlag die Stirn, vor allem dem begehrlichen Frankreich, aber auch England, Serbien, Polen und Italien. Die Reime fließen ihm nur so heraus! Und dass das Ruhrgebiet wirklich besetzt würde, das traut er dem „Boinerkarle“ zu.

 

 

 Das Jahr 1923

 

Der Jahrgang 1923 ist auf dem Film nur unvollständig erhalten.[94] Die biografische Erzählung „Als ich wiederkam“ wird weitergeführt, im Juli und August sind „Stuttgarter Originale“ abgedruckt[95] und gegen Ende des Jahrs erscheint „Der Manöverhauptmann“ in Fortsetzungen. Knöpfles „Ansichten vom Bohnenviertel“ aber treten in den Hintergrund oder sind nicht mehr vorhanden.

Im Januar allerdings, der fast vollständig vorliegt[96], ist Knöpfles Aktivität überraschend groß: am 3. gibt es ein Kapitel aus der elterlichen Biografie „Als ich wiederkam“, am 10. eine Kolumne über den Seelesbäck und Rädichkarle, die sich zur Stadtratswahl aufstellen ließen, am 17. wiederum ein biografisches Folgekapitel und daneben seine „Ansicht“ über das Weihnachtsfest in Stuttgart, am 26. ein weiteres biografisches Folgekapitel und am 31. gar drei Beiträge: die Fortsetzung der elterlichen Biografie und dazu noch zwei „Ansichten“, einerseits über das eigene Weihnachtsfest und andererseits – als Dauerbrenner Knöpfles – über die Verwilderung der „heutigen Jugend“. Wilhelm Löffel hat sich also für das neue Jahr viel vorgenommen!

Beide, Seelesbäck und Rädichkarle, haben sich als Kandidaten um einen Sitz im Stadtrat beworben, aber nur Letzerem gelingt es, gewählt zu werden. Nicht nur deswegen sind sie sich jetzt spinnefeind, sondern auch wegen ihrer politisch gegensätzlichen und jeweils eigensüchtigen Parteizugehörigkeit. Knöpfle, der keinem seiner zwei Freunde eine Stimme gegeben hat, entwickelt nun zuerst seinen Landsleuten seine eigene Einstellung und anschließend bei einer Begegnung mit dem jetzt überstolzen Rädichkarle auch noch ein zweites Mal:

 

Obwohl i jo von boide a guater Freund ond Altersgenosse be, so han i an dr Wahl doch koim von Boide mei Stemm gä; weil i als Parteiloser – mir blos solche Männer auserwähl, von dene i woiß, daß se koine Sonderentresse verfolget – ond blos das Allgemeiwohl em Aug hent – ond dia ihr Mäntele net emmer noch em Wend hänget – was eba grad bei meine boide Freund – loides Gottes – dr Fall ischt! (…)

„Es dürft mir aber au koiner als Kandedat ufgstellt werda – der net über en a’gemessena Horizont verfüagt – ond über de Parteia mit seiner Gsennong schtoht!“ han i mir erlaubt mit Nochdruck zu betona.

„Aha – dös ischt scheints uf mi g‘spitzt!“ hot dr Rädichkarle gsagt.

„Dös han i net gsagt – Karle, aber a getroffener Hond bellt – ond i muaß dir offa ond ehrlich saga, daß du mir als Freund liab ond wert bischt – was i wieder en der Eigaschaft als Stadtrot von dir net behaupta ka‘, weil du als Mitglied von deiner Partei stets an Sonderentressa gebonda bischt – ond so dr Allgemeiheit verdammt wenich nütza wirst! (…) Ond so isch mit älle Parteia – durch die Bank – oi’seitich bis ufs Tezät – obs no bürgerliche oder Arbeiterparteia send! Jetzt woischt mei A’sicht Karle – ond wirst mi jetzt au versteh, worom i dir an dr Wahl koi Stemm gä han!“

 

Und worum geht es in den besagten zwei „Ansichten“ übers letzte Weihnachtsfest?  In der ersten stellt Knöpfle die Reichen, die Schieber und Wucherer, die sich die verlockenden Auslagen noch immer leisten können, den Armen und Hungrigen gegenüber. Dieser drastische Kontrast – in festlichen Reimen! – ist natürlich auch eine Aufforderung an die Helfer in Amerika, weitere Gaben zu schicken. Und die dringende Bitte, die Landsleute auch im nächsten Jahr nicht im Stich zu lassen, schließt sich explizit an.

Bei der Schilderung des privaten Festes zwei Wochen später greift Wilhelm Löffel auf eine frühere Fassung zurück, die wir schon kennen (vom 28. Dezember 1913). Es handelt sich erneut um die Bescherungsszene, in der Knöpfle seiner Frau unter anderem ein Hunde- und ein Katzenfell schenkt. Seltsam, dass er zum zweiten Mal auf diese Geschenkidee gekommen sein soll! Doch er ist im Produktionszwang. Die Spalten im Schwabenblatt sind lang! Und ein Dollar ist ein sehr guter Verdienst!

 

Aus den „A’sichta vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“

Am 17. Januar 1923

 

(…) Riasagroß – wird heuer die Zahl derer sei, dia ‘s Weihnachtsfescht bei Wassersuppa ond Kartoffel en ‘ra kalta Stub verleba müaßt; während en de Paläscht onserer Schiaber ond Wucherer ontrem strahlanda Tannabaum Orgia gfeiert werda – wo Schenka ond Delikatessa en leckerer Dekoratzio da Gabatempel zieret – wo dr Schampanier mussiert ond die Kognakflasch zirkuliert – wo Dank dem gespickta Portmannee – dös Liad erklingt: „Ehre sei Gott en der Höh!“ – Ja, beim duftenda Gasbrota – fühlt mr net der Erde Beschwerda – wo dr Geldsack triumphiert: „Ond Frieden auf Erda!“ Ja, bei Auschtra – Kompott ond Kaviar – do lebt sich’s herrlich – wonderbar! Bei Wei ond Sekt – do läßt sich’s fröhlich lalla: „Ond de Menscha – de Menscha ein Wohlgefalla!“

Wia anders doch – sieht’s bei solche Leut aus – / dia koi Schmalz ond Mehl hent – ond kaum Brot em Haus! / Dia ihrn letschta Pfennich müaßt zsämmastiera, / daß se Kohla sich kaufet – om net zu verfriera! / Dia statt en Bier – Wei – Moscht oder Kaffee – / blos Wasser zom trenka – ond Heubloamatee! / Dia koi Wolla hent – om sich Schtrömpf zu stricka – / ond koin Fada, ihre Lompa zu flicka! / Dia hentrem Ofa könnet koi Katz fürelocka – / was bedeutet für solch Arme onsre Weihnachtsglocka? / Gibt’s wohl für solch Elend au no en Refrai – / ond was mag dene Aermschte ihr Weinhachtsliad sei? / I kenn do blos zwoi: „Im Grabe ist Ruh“ – / oder: „Fallt ein ihr Hügel und decket mich zu!“

 

Die Schwierigkeit der Bescherungsgeschichte liegt darin, dass er seine Karlena zwar überreichlich beschenkt, in dieser Notzeit aber nicht so spendabel sein kann, und die Helfer in Amerika lesen ja mit! Bei der leichten Überarbeitung der Erzählung fällt die kostspielige Trinklust Knöpfles heraus, und Karlena bohrt am Schluss in einer neu hinzugefügten Partie noch weiter, ob er die Felle von Hund und Katze teuer bezahlt habe. Das kann er aber entkräften, weil er beiden Kumpanen früher schon einmal unbezahlt geholfen hat. Die Katze ohne Fell entsorgt er überdies in seiner eigenen Miste. Karlena ist nun zufrieden und sie können „Stille Nacht – heilige Nacht“ singen.

Hier nun ihre bewusst billigen Geschenke in beiden Fassungen:

 

Die Fassung vom 28. Dezember 1913:

 

„Aber i woiß jetzt gar net, wia i mi rewaschiera soll, i han nämlich net viel Geld ausgä – a Paar Herkuleshosaträger vom Aellerweltshosaträgerweller in d’r Kalberschtroß han i dir kauft – en schöna Gruaß, hot er gsagt – ond du sollschts gsond verreißa!

Dös isch äller Ehra wert, Karlena, han i gsagt, hoffentlich werdet’s de letschte no net sei! Jo – ond do – hoscht no a paar Päckla „Graus o’verwüaschtliche Pfeffermönzle“, daß wenn von d’r Nochbere kommscht, dös saure Gschmäckle mit verdecka ka’scht – ond mir mit deim Alkoholdonscht net emmer d’Schlofschtub verpeschtescht!

 

Die Fassung vom 31. Januar 1923:

 

„Aber i woiß jetzt gar net, wia i mi rewaschiera soll – i han nämlich net viel Geld ausgä – a paar Herkuleshosaträger vom Aellerweltshosaträger Weller en dr Kalberstroß – han i dir kauft; en schöna Gruaß – hot er gsagt – ond du sollsts gsond verreißa!“

„Dös ischt äller Ehra wert, Karlena, hoffentlich werdets de letschte net sei!“ han i gsagt

„Ond do han i dir no a Packet Gesondheitskräutertee, weil du emmer an Verschtopfong leidest!“

 

Die Ausfälle Knöpfles gegen die Jugend (vom 31. Januar) sind wieder einmal von großem Unverständnis geprägt. Verludert bis verdorben sei die nachwachsende Generation, dass man sich fragen müsse, wie so „onser einscht so blühendes Deutschland wieder zu Ehr ond A’seah komma soll!“ Dass schon unmündige Jugendliche – und auch noch vor der Hochzeit! – bereits Kinder kriegen, empört ihn in einem Gespräch mit einer Nachbarin, die das auch noch verteidigt, so sehr, dass er ausspuckt und mit einem „Pfui Deufel“ wegläuft. Inwieweit sich Wilhelm Löffel dabei selber artikuliert, ist natürlich nicht sicher, doch vier Wochen später (am 28. Februar), wenn er die Aneignung des Ruhrgebiets durch die Franzosen geißelt, da wird man schon den O-Ton des Autors heraushören dürfen:

 

Wenn aber – ja wenn? – onser Volk einich bleibt ond ausharrt, so wird onser Regierong dem Boinerkarle beweisa, daß der Reifall an der Ruhr – ond dr Rheifall bei Schaffhausa doch zwoi verschiedne baar Stiefel send – onser Jugend sengt zwor heut scho:

 

„Lieb Vaterland magst ruhig sein,

Der Poincare fällt gründlich ‘rein!“

 

Es mag sei, wia’s will, aber soviel isch jetzt scho sicher, wenn mr d‘ Franzosa alloi wurschtla läßt – ischt Europa ruiniert – ond Deutschland wird dr Tummelplatz kriagerischer Horda werda – zerstampft – zerrissa ond zertreta – ond dovor mög dr Hemmel ons bewahra! – Jetzt send mir an dem Ponkt a’gelangt – wo’s bei ons uf Gedeih ond Verderb goht – ond do hoißt’s: „Alle Mann an Bord!“ Durch die Abschnürung vom Ruhrgebiet – wird onser Schwobaländle hart betroffa; denn in Punkto „Kohla“ send mir scho vorher emmer d‘ Stiafkender gwä – om so härter wird jetzt onser Industrie dr Schlag treffa – wenn der ohnehe magere Zua­gang von Kohla – voll ganz ens Stocka kommt; denn no kommt d‘ Arbeitslosichkeit – ond mit der kommt O’zfriedaheit – d’ Hongersnot ischt so wia so scho em A’marsch – mit onsre Bapierfetza könnet mir nex meh a’fanga – ond – no sitzt dr Krach! (…)

Meiner Nochbere han i für da Wammestisch – en A’betracht onsrer vaterländischa Not – den Vers überreicht:

 

„Wer no en Karrackter hot,

Wem sei Nas no höher stoht;

Wer sich no als Deutscher fühlt –

Wer net mit dr Masse brüllt,

Wer net krankt an seim Verstand,

Der tritt ei‘ für’s Vatterland!“

 

Am 13. Januar hat der damalige Reichkanzler Cuno den „passiven Widerstand“ – mit Streik, Arbeitsverweigerung, Schließung von Zechen usw. – verkündet. Er dauerte bis zum 26. September. Die „Bapierfetza“ andererseits haben noch bis zur Währungsreform Mitte November Gültigkeit. Dann wird umgetauscht: 1 Billion Papiermark entspricht nun 1 Rentenmark.

Knöpfle meldet sich kurz vorher, am 14. November, mit einer letzten erhaltenen „Ansicht“ zu Wort. Allerdings ist das Stuttgarter Briefdatum schon der 18. Oktober. Noch kennt er also den weiteren Verlauf nicht. In seiner Kolumne geht es wieder einmal um den Stammtisch. Er hat der „Nochbere“, die die nötige Ausschenkware nicht mehr bezahlen kann, geraten, einen betuchten Mann zu heiraten und die Wirtschaft zu schließen. Der Seelesbäck will aber eine Sitzung einberufen, um eine Hilfsaktion zu beschließen. Dafür soll es ein Fässchen aus seinem eigenen Keller geben, mit Tafelbrötchen und sogar Aufschnitt. Das Treffen kann also ausführlich stattfinden. Nur stellt sich am Ende heraus, dass die Heirat der Nachbarin bereits feststeht und die Wirtschaft an eine Bank vermietet ist. Seelesbäck hat leider sein Fässchen umsonst gestiftet!

Das Ganze klingt wie ein Abschluss. Oder ein Abschied? Knöpfle hat Ende November auch noch den letzten Teil seiner Erzählung „Der Manöverhauptmann“ beigesteuert. Nur eine Fortsetzung der „Schtuagerter Originalmenscha“[97] ist noch angekündigt. Allerdings schon am 1. August! Ist sie erschienen? Der Film von 1924 existiert in großen Teilen nicht, und wenn ja, sind keine Beiträge mehr zu entdecken. Warum hat Wilhelm Löffel aufgehört – bis 1929 (mit einer kleinen Ausnahme 1925)?

Ende 1920 hatte er schon einmal zwei Monate lang geschwiegen und begründete dies am 14. Dezember so:

 

Ihr werdet wohl scho lang denka, wo schteckt denn wirklich au dr Knöpfle? Ischt er denn onsrem liaba Schwo-bablättle ganz o’treu worda – oder – hot en gar der neue Ausstichwei vorzeitich onter da Boda brocht?! Zu Eurer äller Beruhichong will i Euch saga, daß weder ’s oine – no ‘s andre dr Fall ischt – sondern dr wahre Grond ond Sachverhalt lediglich dorin zu suacha ischt, daß en onsre wirkliche abscheuliche Zeitläufta – dr Dichter ond Denker – wenn er net von Haus aus mit irdische Güater gsegnet ischt – oder sonscht no a ehrbars Handwerk drneba treibt, o’rettbar da Hongertod schterba muaß! Om dös zu verhüata, han i mein Dichter ond Denker an da Nagel ghenkt – ond han mi wieder ufs Handwerk gstürzt – ond Tag ond Nacht gschafft wia Bronnaputzer– om mi ond mein Gegaschtand – mei Karlena – halbwegs no uf em Exischtenzminimom erhalta zu könna! (…) I han mir deshalb au fescht vorgnomma ghet, mei brotlosa Konscht ganz aufzugeba, weil jo heutzutag doch älles en Wend gschwätzt ischt, was mr secht – ond dr Profet jo sowiaso nex gilt en seim Vatterland; aber – i han scho gseah – i brengs net ganz fertich – denn i be eba amol gottsnama so a mitteilsama Natur, dui nex en sich nei’drucka ka‘ – sondern jederzeit gern sich en älle Details gröndlich ausschpricht. (…)

 

----------

[88] Das Gedicht „I sags grad – wia’s oms Herz mir ischt“ stammt aus der Kolumne vom 10.2.1912 (siehe oben) und der Abgesang auf „Prenz Carneval“ aus jener vom 24.2.1912.

[89]Textpartien sind aus der Kolumne vom 14.3.1914 eingefügt.

[90] In zwei Kapiteln, am 19.4.1922 und am 26.4.1922.

[91] Am 13.7.1921. Das Gedicht ist aber jetzt überarbeitet und gekürzt.

 [92] Von Wilhelm Hauff, vertont von Friedrich Silcher. 1. Strophe: „Morgenrot, Morgenrot, / Leuchtest mir zum frühen Tod? / Bald wird die Trompete blasen, / Dann muß ich mein Leben lassen, / Ich und mancher Kamerad!“

[93] Am 12. Juli, 19. Juli, 26. Juli, 2. August und 16. August.

[94 März, April, Juni, September, Oktober und Dezember fehlen. Auch sonst gibt es Lücken.

[95] Am 18. Juli (als Fortsetzung) und am 1. August.

[96] Aus den „Ansichten“ vom 10. Januar geht hervor, dass vor der Wahl noch ein Streit am Stammtisch stattgefunden hat. Dieser Beitrag ist nicht erhalten.

[97] Am 18. Juli geht es um den „Lachkarle“, wie er sein scheußliches Lachen und Singen kultiviert. Es geht dann um seinen Tod 1902 und sein Eintreffen vor der Himmelstür. Petrus weist ihn ab, aber Lachkarle stellt sich schwerhörig und schafft es letztlich doch hinein. Der Dialog ist ein Gedicht und stammt aus Wilhelm Löffels Buch „Witz und Humor“. Auch dem „Güllananz“, der sich trotz seines Berufs als Jauche- und Mistträger nie gewaschen, auch nach Branntwein gestunken habe und betrunken Bubenstreichen zum Opfer gefallen sei – ist dort schon ein Gedicht gewidmet. Jetzt ist es in den Beitrag vom 1. August eingefügt. Eine weitere Figur ist eine Frau, die „Küahschreinere“, die verwahrlost mit Tieren zusammenlebt, der aber eines Tages eine Sau bis zum Leonhardsplatz entspringt – und der später noch mehr Unheil widerfährt.

 

Überblick: Die Jahre 1924-1929

 

Wie schon gesagt, war Wilhelm Löffel 1924 beim Stuttgarter Elektrizitätswerk angestellt, und er hat zum Karneval die erste Nummer einer hauseigenen Zeitschrift mitverfasst. Leider sind weitere Nummern nicht erhalten. Er ist also auch noch literarisch am Werk! Und doch scheint es sich für uns bis 1929 um eine lange Atempause zu handeln. Im April 1925 allerdings taucht Knöpfle noch einmal überraschend im New Yorker Schwäbischen Wochenblatt auf – mit zwei „Ansichten“ und dem Abdruck seiner schon bekannten Spitznamenreimung. Ein unerwartetes Intermezzo! Was treibt ihn jetzt um und noch einmal her? Hören wir in den Anfang der Ansichten vom 15. April hinein:

 

Mein Name ischt deutscher Michel – einst von Gottes Gnaden – heute Schwerstarbeiter ohne mildernde Umständ ond ‘s ärmschte Gschöpf onter dr Sonna! – Em Juli – 1870 ischt mei Mutter – de alt ehrwürdich Germania, vom Geischt deutscher Einheit befruchtet worda – ond em Januar 1871 hot se mi onter brausendem Jubel ond Viktoriasalva fascht schmerzlos gebora! – Meiner Mutter ihr Leibarzt – dr Bismarck, hot selbichsmol gsagt, so a Monschtrom vom a Siebamonatkendle sei em als Geburtshelfer en seiner langa Praxis no net onter d‘ Fenger komma – a Beweis, daß i vom a guata Soma abstamma tät! – Mir ischt scho en dr Wiaga a langs Leba ond a bewegta Zuakonft profezeit worda ond i glaub, daß mir ‘s Schicksal koin so domma Stroich gspielt hätt, wenn meiner Mutter ihre Gvattersleut koin Fatzke aus mir gmacht hättet! Aber so ben i em Oigadünkel als Hanswurscht ufgwachsa ond därf mir jetzt von dr ganza Welt ‘s Gloria blosa lassa! – ond statt uf Lorbeera därf i jetzt uf meine Pfandschei ausruah! So hock i jetzt wega dem verdammta deutscha Militarismus scho sechs Johr uf dr A’klagebank ond muaß mir älle Schandtata nochsaga lassa! (…)

 

Was für eine Missgeburt er sei, muss er sich anschließend im Einzelnen sagen lassen. Er empört sich aber darüber, wie seine Mutter jetzt behandelt wird, doch auch sie fällt aufgebracht in Schimpftiraden über ihren ungeratenen Sohn her, der ihr ganzes Vermögen vertan habe und an den jetzigen Verhältnissen schuld sei, ja, sie schreit sogar voll Wut, dass man ihn hätte am besten gleich „em erschta Bad versäufa solla“! Dass er sich einmal auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen solle, wenigstens diesen Rat befolgt er gehorsam, geht also reihum, aber immer wieder abgelehnt, zu verschiedenen Ärzten: nach dem Leibarzt auch zum Tierarzt, dann zum Naturheilkundigen, der ihn aber ebenfalls weiterschickt zu einem Schmid, um sich von ihm sein Gewissen stählen („a’stähla“) zu lassen, und wenn auch dies nicht helfe, solle er eben beim Weller in der Calwerstraße ein paar Herkuleshosenträger zum Aufhängen besorgen. Überall angeschnauzt, abgewiesen, unheilbar krank und „von Gott ond dr Welt verlassa“ spricht er sich in folgendem Gedicht aus:

 

 

 

 

 

Verlassa, verlassa –

Verlassa ben i;

Alle Welt tuat mi hassa,

Koi Staat mag meh mi!

Dös brengt mi zom Rasa,

Dös tuat mir so weh,

Daß i jetzt für andre

Dr Sendabock be!

 

Mei Nachbar – dr Franzma,

Der läßt mir koi Ruah;

Er ziaht mir ei Hos ra

Ond ‘s Hemed drzua.

Ond schrei i om Hilfe –

Verhallt all mei Weh,

No merk i recht deutlich,

Wia verlassa i be!

 

Ond drüba em Oschta –

Do rupf mi dr Pol;

Dr Michel zahlt d‘ Koschta,

Für den Aellerweltskohl.

Wia soll dös no enda,

I woiß mir koin Rot;

Vielleicht kommt bald oiner

Ond schlägt mi voll z’tot!

 

Dieses Gedicht ist schon einmal am 1. Juni. 1921 in seinen „A’sichta“ publiziert und ebenso auf den deutschen Michel, der dort „oin Stoßseufzer om da andra geh Hemmel schickt“, bezogen.

An diese Jeremiade schließt sich in der nächsten Woche (am 22. April 1925) ein Seitenstück mit dem gleichen zeitlichen Ausgangspunkt an: Knöpfles Trinkfreunde wollen bei der Nachbarin, die unversehens wieder ihre Wirtschaft führt, die „Reichsgründung“ feiern. Seelesbäck erwartet ihn schon und wirft ihm fehlende Vaterlandsliebe vor, weil er nicht nur nicht das Datum im Kopf hat, sondern auch noch als Feldsoldat von Sechsundsechzig und Siebzig den Anlass ablehnt: „I mach mir aus derlei Gschichta nex meh – dös war amol!“ Die Festrede soll er doch halten und zur Metzelsuppe kommen! Nicht einmal die Namen der wartenden Kumpanen locken ihn, erst als der Seelesbäck ihm ‘s Rösle nennt, die überraschenderweise wieder drüben serviert, ist er überredet.

Auf eine Festrede ist zwar Knöpfle nicht vorbereitet, aber er ist zuversichtlich: „Do verlaß i mi uf onsern Herrgott, der hot mir no jedesmol de richtiche Wort ei‘geba!“ Die sind dann aber gar nicht so, wie erwartet, denn Knöpfle beginnt mit dem „schwergeprüften“ deutschen Michel und seiner „hochbetagten“ und „ehrwürdigen Mutter Frau Germania“. Dann aber kommt er zu seinem schon früher geäußerten Hauptpunkt, nämlich der Abschaffung aller Parteien! Stattdessen solle es eine überparteiliche Partei der Einigkeit geben und mit dem Schiller-Zitat „Seid einig – einig – einig!“ (Tell, 4. Akt, 2. Szene) verhindert er jeglichen Widerspruch.

Von diesem politischen Standpunkt wird Wilhelm Löffel alias Knöpfle auch in den folgenden Jahren nicht mehr abgehen.

 

Die lange Spitznamenreihung des dritten Beitrags vom 29. April ist einerseits ein humoristisches Gegengewicht zur augenblicklich schlimmen Lage, andererseits aber auch ein Beispiel der guten alten Zeit, der „Stuttgarter Spießbürgerzeit“, in der es eben noch ganz anders gewesen sein soll!

 

Was kann man über die folgenden Jahre sagen?

Im Adressbuch von 1925 wird Wilhelm Löffel weiterhin als „Platzmeister“ geführt, und er wohnt auch noch in der Ludwigstraße 27 (der späteren Löffelstraße). Nach Degerloch hat es ihn mächtig hinaufgezogen und auch noch einmal zum Wirtsein – als Nachklang des Winzerberufs. 1926 und 1927 findet man ihn als „Schankwirt“ der Bürgerstube in der „Wilhelmstraße 16“, der heutigen Felix-Dahn-Straße. Schankwirt war in der Regel eine Nebenbeschäftigung, und Wilhelm Löffel hat wohl in dieser Zeit seine Anstellung im Elektrizitätswerk beibehalten.

Im Buch „Liebes altes Degerloch“[98] liest man zur Bürgerstube: „Ab 1914 wurde im Erdgeschoß dieses Hauses eine Schankwirtschaft betrieben, das Bürgerstüble. Gegen Ende des ersten Weltkrieges wurde es zur Volksküche. Sein letzter Wirt war für kurze Zeit Wilhelm Löffel (…). Dann dienten die Räume von 1928 bis 1950 der Evangelischen Gemeinschaft als Betsaal.“

Die nächsten Jahre ließ sich Wilhelm Löffel als „Kaufmann“ ins Adressbuch eintragen, 1928 wohnte er in der Karlstraße 10, 1929 in der Ludwigstraße 13 und ab 1930 in der Ludwigstraße 5. Daneben befand sich dann tatsächlich – wie bei seiner Kunstfigur – eine Wirtschaft, nämlich „Die Rose“, zum schnellen Hinüberwechseln! Dem Wirt und seiner Frau hat er sogar einmal (1934) zu ihrem dreißigsten Hochzeitstag ein Gedicht gewidmet.[99]

 

[98] Siegfried Schoch / Frank Nopper, Wegra Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1985, S. 51.

[99] Iin „Liebes altes Degerloch“ (s. Fußnote 98), S. 114.

 

New Yorker Schwäbisches Wochenblatt (1929 und 1930)

 

Noch einmal veröffentlicht Wilhelm Löffel 1929 ein Buch: „Kraut ond Rüaba, Gedichte, Humoresken und Anekdoten in schwäbischer und hochdeutscher Mundart“, dieses Mal nicht bei Mähler, sondern im Felger-Verlag Stuttgart. Und warum nicht mehr bei Mähler? Hat dieser ohne die Stuttgarter Kolumnen um das einst große Echo gefürchtet? Immerhin war er dem „Wengerter-Knöpfle“ überaus gewogen und hat noch 1937, zwei Jahre nach dessen Tod, zusammen mit Werken von Eugenie Huß und Ludwig Palmer eine Auswahl publiziert.[100]

Wilhelm Löffel jedenfalls versucht, im New Yorker Schwäbischen Wochenblatt wieder eine Plattform zu erhalten. Wie auch schon früher fühlt er erst langsam vor. 1908 hat er vor dem eigentlichen Beginn seiner Kolumnen ein paar Texte aus einer Schrift „Knöpfles Tagebuch“ vorgeschaltet, dies 1920 ähnlich mit dem Titel „Allerhand Schnurren“ versucht, und jetzt lässt er drei Texte aus seinem neuen Buch abdrucken: zuerst die Erzählung „Dr Gottliable“ – „a wohr’s Geschichtle vom Knöpfle“ (am 8. Juli), danach (am 2. Oktober) das Gedicht „Falsch verbonda“ und schließlich (am 20. November) noch ein zweites „Net dr Müah wert“– beide ohne Angabe des Verfassers! Doch erst im April 1930, dem Jahr der Weltwirtschaftskrise und von Notverordnungen, meldet er sich mit seinen „Ansichten“ zurück. Und zwar so:

 

A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.

Am 9. April 1930

 

Liabe Landsleut! Vor ällem a herzlichs „Grüaß Gott!“ I bitt vielmals om Entschuldigong, daß i em Schwoabablatt scho so lang nex meh han höra lassa! Aber wia’s eba so goht, en onsre wetterwendischa Zeitläufta, mr ischt kaum meh Herr über sich selber – ond wenn mr morgens au mit de beschte Vorsätz ausgoht, so kommt mr Abends gewöhnlich mit de dreckichste Absätz hoim! Dös hoißt mit andere Wort: „Es kann vor Abends anders werden, als es am frühen Morgen war“ – oder no besser g’sagt: Dia Johr dorei‘ emmer gega da Strich ganga. Wenn i Zeit ghet hätt zom schreiba, no ischt gewöhnlich der Omstand ei’treta, daß i koi Luscht ghet han ond wenn i amol Luscht ghet hätt zom schreiba, ischt wieder der fatale Omstand dazwischa komma, daß i koi Zeit ghet han.

Mancher von dena alte Schwoabablattleser wird sich ällerhand Gedanka gmacht han, was wohl au aus dem alta Bohnaviertelskrattler Knöpfle worda ischt? Ob der Kerle au no lebt, oder ob er au scho den Weg alles Fleisches ganga ischt? Om dui Frog glei vorweg illusorisch zu macha, möcht i mi von heut ab em Schwoabablättle wieder zom Wort melda – ond Euch versichera, daß i en meiner Gsennong emmer no dr Alte blieba be, wennglei mi ‘s Schicksal en punkto „Geldbeutel“ zemlich stiafmütterlich behandelt.

I han überhaupt d‘ Hoffnung scho lang ufgä, je amol wieder uf en gröana Zweig zu komma, weil onser Finanzamt derart henter älle ehrliche Leut her ischt, daß ganz aus­gschlossa, jemals wiader hoch zu komma!

 

So bleib i halt als Erdagascht

Voll sitza uf meim dürra Ascht –

Ond tua so weiter schufta.

Vielleicht kommt bald dui Glegaheit,

Wo mr no gschwend en d’ Ewigkeit

Mit Volldampf ka verdufta!

 

Für heut möcht i amol bei meine alte Bekannte drüba en Dollaria a bissele Omschau halta, aber do wird’s wohl au hoißa: „Er zählt die Häupter seiner Lieben und sieh, es fehlt manch teures Haupt!“ (…)

 

Und nun fragt er namentlich nach diesen alten Bekannten – es sind fünf –, beklagt sich über das Versäumnis, Briefe zu beantworten, oder, auf Besuch in der Stadt, nicht einmal bei ihm hereingeschaut zu haben, und er macht sogar auf zwei Schweiger ein nachforschendes Gedicht.

In den folgenden „Ansichten“ greift der erfundene Knöpfle die alten Figuren und Freunde wieder nahtlos auf, und auch die Nachbarin betreibt wie eh und je ihre Wirtschaft. Man fragt sich natürlich, wie alt sie denn nun sind, so der Seelesbäck, der noch immer sein Geschäft führt, oder dieser Knöpfle selbst, der ja einst 1866 und 1870/ 71 im Krieg als Feldsoldat mitgekämpft hat. Da muss er ein paar Jahre vor 1850 geboren sein wie Wilhelm Löffels Vater, der aber 1916 starb. Neben dieser Kunstfigur Knöpfle schreibt der wirkliche Knöpfle und beginnt im Lauf des Jahres mit seinen „Jugenderinnerungen“.

Die Hauptthemen sind nun einerseits die politische Lage, wobei sich Knöpfle / Wilhelm Löffel mehrfach auf seine Parteilosigkeit und Überparteilichkeit beruft [101], andererseits rückt er eigene Werke ins Blickfeld oder greift alte „Ansichten“ wieder auf. Zum Beispiel die Schilderung des Pferdemarkts von 1909 (damals am 24. April), die jetzt überarbeitet und weiter ausgeführt ist, ebenso eine daran angehängte Geschichte über Steckzwiebeln. Hat Knöpfle doch jetzt auch in dieser Zeitung viel mehr Platz zur Verfügung!

 

 A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.

Am 14. Mai 1930

 

Liabe Landsleut! Dr Stuagerter Pferdsmärkt, der jo bekanntlich scho seit Urgroßvatters Zeita emmer em April abghalta wird, spielt sich scho seit mehrere Johr uf em Cannstatter Wasa ab, weil dös bescheidene Stuagert von einscht, mit seim behäbicha Spiaßbürgertom sich en de letschte Johrzehnt trotz Weltkriag, Hongersnot ond Enflatzio zu ‘ra moderna Großstadt mit ällem drom ond dra‘ entwickelt hot. Aber trotzdem von Johr zu Johr dr Autoverkehr onser Pferdefuhrwerk emmer meh vom Schauplatz dr Großstadt verdrängt, hot dr Stuagerter Pferdsmärkt eigentlich no nex von seiner A’ziahongskraft verlora – em Gegatoil – seit d‘ Gäul für d‘ Großstädter zur Rarität worda send, hot sich dr Stuagerter Pferdsmärkt zu ma kleina Volksfescht gestaltet – ond es tät bald Not, daß mr‘n onter de bürgerliche Feiertäg ei’reiha würd. Freilich, von religiöser Bedeutong ischt so a Pferdsmärkt grad net, denn do – wo’s d‘ Baura ond d‘ Händler mitnander z‘ to hent, wird net an’s Beta denkt, sondern mitonter sogar recht heidamäßich gfluacht; hauptsächlich wenn sich oiner vom andra über d‘ Ohra ghaua fühlt.

Do ka‘ mr aber nex dra macha – so isch eba ‘s Gschäft – ond wenn dr Pferdsmärkt au koi bürgerlicher Feiertag ischt, dösweg wird er außer de Intressenta aus Stadt ond Land no von verschiedene dausend Bommler aus älle Kategoria bsuacht, wobei natürlich au a Heer von Arbeitslose mit ei’grechnet ischt, dia zwor da Kohl net fett machet; aber emmerhe sends au Leut – dia, wenn se au nex verzehret, de andre wenigstens da Platz versperret. Ja, sogar d‘ Spatza – dia scho lang wega Mangel an ihrer Liablengsspeis, de sogenannte „Roßbolla“ – Stuagert verlassa hent, send ohne Ei’reiseerlaubnis en Legiona uf em Pferdsmärkt ei’troffa, om sich amol wieder an ihrem höchsta Feschttag gehörig satt fressa zu könna. Jeder wo’s halbwegs richta ka‘ – goht uf da Pferdsmärkt on handelt dort en „Blässa“ ei, mitonter langts au blos en Spitzer – je nochdem!

 

Vom Onter- ond vom Oberland,

Vom Donau- ond vom Neckarstrand;

Vom Schwarzwald ond dr rauha Alb,

Vom Hoheloh’scha allenthalb,

Kurzom rengsom aus älle Gäu

Strömt onser Schwobavolk herbei.

Ond jedes fend sein Spaß –

An edler Pferderaß‘.

Dr Oine handelt om a Stuat –

Em andra schmeckt dr Wei so guat –

Ond mancher onterdessa,

Verwischt da schönschta Blessa!

Weil uf em Pferdsmärkt außer Gäul,

Au älle Rassa Hond send feil;

Goht mancher drbei uf da Leim

Ond brengt no – statt ‘ma Pudel –

Bei fröhlichem Gedudel –

Da schönschta Spitzer heim!

 

Statt aber auf den Pferdemarkt zu gehen, beschließt Knöpfle gegen den Rat seiner Karlena, in seinem Wengert Zwiebelchen zu stecken, und stapft mit seinem Tragekorb auf dem Rücken im Buttenschritt los. Auf dem Charlottenplatz kommt aber „dr Zellrichfrieder“ mit seinem kleinen Lastwägelchen vorbei, überredet ihn zum Pferdemarkt und nimmt ihn mit – zu anderen Trinkgenossen! Den Korb mit den Steckzwiebeln übergibt Knöpfle dem Wirt zur Aufbewahrung. Nach reichlich genossenem Wein kriegen alle Appetit und bestellen Griebenwurst mit viel Zwiebeln – aber o Schreck, auf den Tellern sind Knöpfles Steckzwiebeln! Und der Wirt hat auch noch den weitaus größten Teil in die Metzelsuppe geschüttet. Daraufhin entschuldigt er sich mit ein paar Extrafläschchen. Knöpfle aber bringt seiner Karlena einen Blessen (en „Blässa“) mit nach Hause.

 

 

 

 A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.

Am 9. Juli 1930 [102]

 

Liabe Landsleut! I be no froh, daß onsere Stuagerter dösmol bei dem herrlicha Pfengschtwetter uf ihre Koschta komma send, was „Ausflüg“ ond „Naturgenuß“ a’belangt hot. En Punkto „Geldbeutel“ wird dui Sach – hauptsächlich bei de broita Massa – glaub i, wesentlich anders ausgseah han; aber liaber Gott – älles ka‘ mr en dr heuticha Zeit net verlanga, denn: Guat Wetter – Frieda – Gesundheit – getreue Nachbarn – ond dergleicha, sollt eigentlich em biblischa Senn dr Menschheit an so Täg vollständich genüaga; aber – erschtens, ischt dös Wörtle „Frieda“ emmer stark vom Geldbeutel abhängich, – zwoitens, – koschtet oim sei Gsondheit doch au a schös Geld – ond drittens, ka‘ mr blos mit seim Nochber guat auskomma, wenn mr finanziell so g’stellt ischt, daß mr’n net braucht! Aber jetzt schnell wieder z’rück zur Natur:

 

„Die Welt wird schöner mit jedem Tag,

Man weiß nicht, was es noch werden mag!“ [103]

So hot einscht a Dichter gsonga –

Aus dankbarem Herza mit kendlichem Gmüat,

Enmitta der prachtvolla Holderblüat –

Ischt em dös Liadle entspronga!

 

Die Welt wird schöner mit jedem Tag! Ja, wenn mr dös no au von de Leut saga könnt; aber dia werdet doch gehässicher ond rücksichtsloser mit jedem Tag – mr woiß wirklich net, was dös no werda mag! Wenn mr jetzt en der gottvolla Natur Omschau haltet – ond sieht, wia älles grünt ond blüaht ond Früchte treibt; wenn mr en Feld ond Wald dem Gsang der Vögel lauscht, könnt mr sich wahrhaftich ei’bilda, mr wär em Paradies. Sobald mr aber uf a Landstroß kommt – ond siaht dia Auto rasa – ond hört dia Motorräder rattra – ond sieht, wia se em rücksichtslosa Tempo Staub ond Gstank produzieret – ischt au scho dr ganze Nimbus weg. Nemmt mr no schliaßlich no a Zeitong zur Hand – ond überfliagt die ällerhand Tagesneuichkeita, seufzt mr o’willkürlich: „Man weiß nicht, was es noch werden soll!“ Ja, dös ischt eba grad dös, daß die Natur emmer Maß ond Ziel ei’haltet – ond do, wo se amol über d‘ Schnur haut – au wieder en Ausgleich schafft; aber dr Mensch – dös über alles erhabene „Atom“ em unermeßlicha Weltall – woiß net, was zu seim Frieda deant!

 

Wohl kündets dr montere Finkaschlag:

„Die Welt wird schöner mit jedem Tag!“

Wohl flötet die Nachtigall melodisch süß:

„Die Welt – ja die Welt ischt a Paradies!“

Wohl jubelt die Lerche aus lichtblauer Höh‘ –

Als könnt onser Welt blos aus Wonne besteh‘.

Kommt aber dr Mensch mit seiner Qual,

Macht er die Welt zom Jammertal;

Drom wird es schlemmer mit jedem Tag,

Mr woiß net, was es no werda mag.

O Menschlein – greif net zur Ueberkultur –

Nemm endlich a Beischpiel an der Natur!

 

Ja, ‘s ischt a’fanga troschtlos, was dr moderne Menschageischt net älles zeiticht! Uebernatürlicher Ehrgeiz uf dr oina Seita – ond beischpielloses Hochstaplertom uf dr andra – ond drzwischa drenn sitzt dr Ehrliche ond ka‘ sich nemme rega, weil em dr Schwendel d‘ Gurgel zuadruckt!

 

Mord ond Totschlag – Ehebruch –

Werdet förmlich züchtet,

Nex wird ohne Richterspruch

Güatlich meh geschlichtet.

Gmeinde-, Amts- ond Landgericht,

Werdet überlaschtet,

Weil dr Mensch – der Bösewicht –

Weder ruaht, no raschtet!

Aelles führt glei zom Exzeß,

Koi Mensch ischt meh bsonna;

Zu was führt mr denn d‘ Prozeß?

Aelle werdet gwonna!

Ond der Schpruch: „A Mann – a Wort“ –

Fliagt zom alta Eise;

Lug ond Trug ischt heut dr Schport,

Dui War steigt em Preise!

(…)

 

 In vier „Ansichten“ kommt Knöpfle auf die Belange der Amerikaner und im Besonderen der Schwaben zu sprechen. Zunächst (am 10. September) setzt er sich engagiert für das Publikationsorgan – das „Schwobablatt“ ein, dessen Weiterbestehen durch fehlende Abonnenten in Gefahr ist. Dann (am 17. September) ist die verheerende Hitzewelle in Amerika Thema. Während in Deutschland der Ernteertrag durch Regen geschmälert sei, habe der dortige Farmer ein Jahr umsonst gearbeitet, schreibt er anteilnehmend: „Ond ihr, meine schwergeprüafte Landsleut ond Farmer hent Euch drüba bei Eurer Bachofahitz em Schweiß Eures A’gesichts amol  wieder a Jährle omsonscht  plogt; ond  dös wär  schliaßlich net amol ‘s Ärgscht, wenn net au no ‘s Vieh em Hondertdausend noch z‘ Grond ganga wär bei dera Glegaheit.“ Und er fügt noch in einer Ausweitung hinzu: „Es ischt aber au wirklich uf dr ganza Welt älles hentrefür ond durchanander; überall Revolte en dr Natur – wia bei de Menscha.“ In einem langen, elfstrophigen Gedicht geht er am Schluss etliche Länder mit ihren verheerenden Krisen durch.

In der dritten „Ansicht“ (am 8. Oktober) kommt er wieder einmal auf sein Lieblingsthema, den Gegensatz zwischen Wasser und Alkohol, zurück und zieht, den „Wasseraposteln“ widersprechend, das amerikanische Alkoholverbot mit heran, das nur zum heimlichen Saufen verleite oder „daß sich d‘ Leut durch dös Imitatzions­gsüff ihr Gsondheit ruinieret“. Dagegen sei der Wein, wie schon in der Bibel stehe, eine „Gottesgabe“: „I be nämlich der A’sicht, daß ‘s Wasser meh für da oberflächlicha Menscha ischt – ond dr Geischt wenich Wasser vertraga ka‘; denn: I glaub net, daß der geistreich denkt, / Wo ‘s ganze Johr blos Wasser trenkt!“ Und: „dös alkoholfreie Leba, wia’s onsre Wasseraposchtel sich zur Aufgab machet, ka‘ net als Evangeliom betrachtet werda, denn dös herrliche Naturprodukt dr Wei‘ – für den onser liaba guata Sonna ihr ganza Kraft ufwendet, ischt scho seit Noah’s Zeita als a herzerquickends ond göttliches Getränk gepriesa worda – ond ankert sogar fescht en dr chrischtlicha Religio, wo mr sich’s heiliche Abendmahl niamols ohne Wei‘ denka    ka‘ –“[104]

In der vierten „Ansicht“ (am 15. Oktober) berichtet Knöpfle wieder einmal über einen Besuch aus Amerika: Diesmal ist es jener „Mischter Armbruschter“, ein ehemaliger Schwarzwälder, den er bereits als großherzigen Spender in seinem Dankgedicht (am 27. Juli 1921) poetisch gerühmt hat. Der ist aber jetzt gar nicht beglückt von den Verhältnissen und Erfahrungen in Deutschland, und politisierend kommen sie sich näher. Knöpfle bringt am Schluss das Elend der Diplomatie durch eine Parodie im Rhythmus von Heines Loreley auf den Punkt.

 

 

 A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.

Am 10. September 1930

 

Liabe Landsleut! So oft i wirklich ‘s Neujorker Schwäbische Wochablatt en d‘ Händ kriag – ond les dort em Mischter Heß sei Briafkaschtarubrik durch, no fend i emmer meh, daß der guat Ma‘ mit seiner Schwobazeitong tatsächlich net uf Rosa bettet ischt; denn er muaß sozusaga seine neue Abonnenta gegawärtich grad an de Hoor herziahga. Dös scheint mir koi guats Zeiche vom Schwobatom drüba zu sei. Schämt sich denn a’fanga dr Schwob a Schwob zu sei – oder wia ischt denn dös Deng eigentlich, ich ka‘ mir koin rechta Vers druf macha?!

I moi äls – dia Schwoba drüba überm Ozean solltet doch no so viel Luscht ond Liabe zom alta Vatterland han, daß se em Johr die baar Doller fürs Schwobablatt opfera könnet, dös sich doch gwiß älle Müah gibt – seine Leser mit dr alta Hoimet uf em Laufende zu halta.

A Zeitong – wia ‘s Schwobablatt, wo sich schpeziell bloß do druf verlegt, für onsre Landsleut en dr neua Welt a geischtreicha Brücka zur alta Welt zu schlaga, ka‘ meiner A‘sicht noch gar net hoch gnuag ei’gschätzt werda, wo doch bald jedes Kuahheft drenn benamst wird – ond dr Herausgeber au sonscht em onterhaltenda wia em bolitischa Toil aus dr alta Welt en jeder Beziehong z’sammaträcht, was seine Zeitongsschpalta vertraga könnet.

I geb jo zua, daß mancher – oder gar viel – ihr alta Hoimet en koim bsonders guata A’denka hent – ond schliaßlich au dösweg ausgwandert send, weil en dort ‘s Leba uf irgend a Art verekelt worda ischt – oder weil se uf dr heimatlicha Scholla oifach nemme fort komma send. Aber do dra‘ ischt eigentlich ‘s Vatterland an ond für sich net schuld, sondern bloß d‘ Leut, dia em Kampf oms Dasei‘ anander ‘s Leba so sauer machet wia dr Doppelessich; doch dös ischt hüba wia drüba gleich – do dreh i d‘ Hand net om drwega. Aber wenn au grad oiner für sei alta Hoimet nex meh übrich hot, vergessa ka‘ mer se trotzdem nia – denn ob er will oder net – a bißle Entresse hot er schliaßlich emmer no an dem Ort, wo seine Wiege schtand.

A mancher von euch liabe Leser wird saga, was woiß denn dr Knöpfle wia‘s en Amerika aussieht – ond wia mir Schwoba drüba eig’schtellt send? Der ischt doch sei Lebtag net für’s Bohnaviertel nauskomma – ond woiß bloß bei seiner Nochbere ond bei ‘s Raffa Menele z‘ Degerloch droba B’scheid! I will jo gern zuagä, daß i koi viel gereister Ma‘ be – obwohl i scho verschiedene europäische Großschtädt en Augaschei gnomma han; aber au recht gern wieder hoim be mit dem Liadle em Herza:

 

„Aber doch ist’s am schönsten,

Beim Liebchen zu Haus!“

 

Drfür han i aber dui Gottesgab, daß i mi für älles – was en dr Welt vorgoht, entressier – ond i sag mir, der – wo a Entressa hot an dem, was wirklich uf dr Welt vorgoht, der ka‘ überall mitschwätza – ob er no em Bohnaviertel oder en Siddebellebes – oder en Amerika sitzt. D‘ Hauptsach ischt, wenn mr sein Geischt so ausbildet, daß en dr Körper jederzeit als sein Schtellvertreter uf d‘ Reis schicka ka‘.

Liabe Landsleut! Ihr dürfet versichert sei, wenn sich mei Geischt net soviel mit Euch beschäfticha würd, täts doch mir net em Schlof ei’falla – mi mit Euch em Mischter Heß seim Schwobablatt zu onterhalta!

 

Drom liabe Landsleut hört mei Bitt,

I hoff, se wird was nütza:

Laßt könftich onsern Mischter Heß

Net gar so trocka sitza –

Ond abonniert sei Schwobablatt,

Wia’s Schwobaleut tuat fromma –

I mach a Wett – ‘s wird Jed’s drbei

Uf seine Koschta komma!

 

I woiß, es ischt a harte Zeit –

Wo Jederma‘ hot z‘ kratza;

Doch wer a Freud am Schwobablatt –

Der opfert dia baar Batza –

Ond denkt, mr läßt jo oft em Johr

So manchen Dollar schwenda,

No därf dr Preis vom Schwobablatt –

Da Butta au net benda!

 

A Zeitong frißt en Haufa Geld

Sie guat zu redigiera;

Denn bis mr do uf d‘ Koschta kommt,

Hoißt’s dauernd: „Abonniera!“

Dr Heß, als Schwobaredakteur –

Hot do grad nex zu lacha,

Wird er net fleißich onterschtützt –

No muaß er Schulda macha!

 

 

Ond dös – ihr liabe Schwobaleut –

Bitt i – doch abzuwenda,

Endem von Euch a jedes sorgt

Für treue Abonnenta.

Daß mei Wonsch en Erfüllong goht,

Dös mag dr Hemmel geba;

Es lebe hoch ‘es Schwobablatt –

Dr Mischter Heß drneba!

 

(Worterklärung: Kuahheft = Gehöft? Gemeint: Kuhdorf)

 

Das Jahr 1930 klingt – nach einer Katastrophenschau am 26. November[105] – mit fünf Gedichten Wilhelm Löffels aus, aus seinem Buch von 1929 „Kraut ond Rüaba“: Am 3. Dezember sind „Von de Kirschastoiner“, „Dr Lompasammler“ und „Vom „Ausstichwei’“ ohne weiteren Text abgedruckt.[106] Am 24. Dezember folgen noch „Närrischer Liederkranz“ und „Das Mißverständnis“.[107] Diese beiden sind mit „Knöpfle“ unterschrieben.

 

----------

 [100] Im Mähler-Verlag: „Heitere, lustige Schwobakoscht. Allerlei lustige Geschichten, Erzählungen, Gedichte bekannter schwäbischer Verfasser“.

[101] Am 20. August nimmt er zur Wahl des Reichstags mit seiner „Parteiwassersucht“ Stellung; am 27. August zur Frage einer großen Staatspartei,  spricht sich jedoch gegen jeglichen „Leithammel“ aus; und am 1. Oktober kritisiert er die bestehenden Parteien – die Nazis aber so: „Vor Hogakreuzler mach i ‘s Kreuz, / Dia teant mir z’viel scharmützla; / Ond i be – wenns an‘s Wähla goht, / Net grad für’s Nerva kitzla“.

[102] Überarbeitete Wiederaufnahme der Ansichten vom 25. April 1914. Auch die Gedichte sind verändert.

[103] Aus Ludwig Uhlands „Frühlingsglaube“.

[104] Im Nachlass befindet sich unter dem Titel „Viehlosofische Betrachtonga vom Wengerter Knöpfle“ eine weitere, überarbeitete Fassung.

[105] Abgedruckt in: Hartmut Löffel (Hrsg.), Kraut ond Rüaba, Wilhelm Löffel (Knöpfle), Vermischtes aus dr Scheuer, Talfeldverlag, 1996, S. 58-60.

[106] Im Felger-Verlag Stuttgart: S. 30/31; S. 9; S. 25/26.

[107] Ebenda: S. 37/38; S. 41.

 

New Yorker Schwäbisches Wochenblatt (1931 bis 1933)

Das Jahr 1931

 

Das Jahr 1931 ist, wirtschaftlich und politisch gesehen, eine harte Zeit aufgrund ständig neuer Notverordnungen und des wachsenden Parteienstreits. Beides wird auch in die Runde des „Wammestischs“ hineingetragen. Einerseits klagt die Nachbarin und Wirtin über mangelnde Gäste, andererseits gibt es auch Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern – jetzt auch zum Teil Rechts- und Linksradikale. Besonders zugespitzt ist der Zwist im Beitrag vom 20. Mai vor der Oberbürgermeisterwahl, die aber Lautenschlager, von Knöpfle wieder unterstützt, noch einmal gewinnt. Knöpfle versucht zwar immer wieder, Versöhnlichkeit herzustellen, aber er ist selber nicht mehr der Alte, kann die Stammtischbrüder zum Teil nicht mehr ertragen und fängt sogar Streit an. Das ist zwar auch ein erzählerischer Trick, aber doch fehlt jetzt der tragende und fröhliche Humor.

 

Von den 16 erhaltenen „Ansichten“, die neben den „Jugenderinnerungen“ in diesem Jahr erschienen sind, spielen sieben am Stammtisch. In den ersten Beiträgen vom 7. und 14. Januar feiert Seelesbäck seinen 60. Geburtstag (da erfahren wir einmal ein Geburtsdatum! – Knöpfles / Wilhelm Löffels Sechzigster im Februar andererseits wird gar nicht erwähnt!). Der großzügige Seelesbäck lädt umfangreich ein, doch Knöpfle will gar nicht hingehen, weil er dessen Protzerei nicht mehr ertragen kann. Erst als ihn seine Karlena dazu drängt, gibt er nach, verdirbt aber dort die Stimmung und mahnt seinen Noch-Freund, auch für die Not anderer zu spenden. Mit Erfolg! Später allerdings ist es Seelesbäck, der am Stammtisch – wegen einer Leberschwellung! – lange fehlt und nur noch Wasser trinken soll, was ihn ziemlich schlaucht und charakterlich verändert. Knöpfle holt ihn aber wieder in die Runde zurück – und Seelesbäck kann, wie zu erwarten, nicht mehr beim Sprudel bleiben, lebt aber dafür wieder auf.

Auch Knöpfle hat gesundheitliche Probleme. Eine Schreibpause im Juli erklärt er mit Krankheit und einem notwendigen Besuch beim Arzt, den er (am 5. August) ausführlich schildert. Als dieser ihn fragt, wo es denn fehle, führt er seine „Geldbeutelentzündung“ an, die leidigen Steuern und Notverordnungen, die seinen Blutdruck steigerten, Herzbeklemmungen bewirkten und einen Schlaganfall möglich machten. Und als der Arzt weiterforscht, wie alt er denn sei, antwortet er: „Sechzich vorbei, Herr Dokter!“ – Aha! Die Kunstfigur Knöpfle ist das also nicht, sondern Wilhelm Löffel selber. Doch der Arzt moniert nur den Blutdruck und eine hochgradige Arterienverkalkung als „zeitgemäße Alterserscheinung“, empfiehlt ihm eine andere Ernährung ohne Fleisch- und Mehlspeisen, vor allem aber ohne Wein und Most! Und sein Fazit: „Ihnen fehlt rein gar nichts, als eine vernünftige Lebensweise.“ Doch Knöpfle hat Bedenken und hält ihm entgegen: „Dös ischt aber a großa Zuamuatong, Herr Dokter. I glaub net, daß mei Körper so a Omwälzong vertraga ka!“ Doch der Arzt wird deutlich: „Uebrigens ist mein Rat eine ärztliche Notverordnung, wenn Sie sich an diese nicht halten, werden Sie in Bälde erledigt sein; damit Gott befohlen, Herr Knöpfle!“ Das wirkt! Und er stellt vierzehn Tage lang seine Ernährung um, leidet bei Wasser, Milch und Grünfutter, bis er sein eigenes Rezept befolgt, im Keller „a Krüagle Wei“ holt und „a Büffschteckle“ dazu isst, dass selbst Karlena ein Einsehen hat und ihn sogar zur „Nochbere“ schickt: „dass du wieder en andera Humor kriagscht!“. „Ond dös beweist älles!“, schließt Knöpfle. Wilhelm Löffel wird noch vier Jahre leben.

Knöpfles weitere Themen sind wieder einmal (am 3. Juni und 16. September) zwei Gespräche mit dem armen Menele über das vernachlässigte Degerloch, begleitet vom schwärmenden Übereinstimmen beider, wie viel besser doch die „gute alte Zeit“ war. Durchaus humoristisch kommt (am 18. März) erneut Knöpfles pessimistisches Menschenbild zum Ausdruck! Vor allem aber wird (am 30. September und 7. Oktober) über die herzbeklemmenden Notverordnungen Klage geführt.

 

Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“

Am 18. März 1931

 

Liabe Landsleut! Es zeigt sich loider von Tag zu Tag emmer meh, wia d‘ Menschheit durch onser trauricha Wirtschaftslag – net blos bei ons en Deutschland, sondern uf dr ganza Welt physisch ond moralisch ronterkommt; so daß i mir vorgnomma han – von heut ab dös Wort „physisch“ vom Vieh abzuleita – ond en Zuakonft „viehsisch“ so zu schreiba! Erschtens – verschtohts so dr Bauer besser ond zwoitens, nemmt es sich so en dr schwäbischa Ortografie viel schöner aus – ond drittens, hots au da richticha Senn gegenüber onsrer heuticha Welt­a’schauong; denn es wird hoffentlich koi vernönfticher Mensch behaupta wölla, daß dui zur Zeit bsonders menschafreundlich ischt! So rücksichtslos – wia heutzutag dr moderne Mensch mit seim Nebamenscha umgoht, so verkehret net amol Zulukaffer mitanander – ond dia send jo gwiß no nia wega dr Höflichkeit gschtroft worda! Es ischt jo scho lang schprüchwörtlich, daß mr von jeher mit de Domme d‘ Welt omtrieba hot; daß aber heut Millionavölker – dia sich rühmet, an dr Schpitze moderner Welta’schauong ond Kultur zu schteha – von ‘ra hand­voll goldbeschlagene Großmagnata dirigiera lasset – ond wega dene Geldgötza am Honger-tuach naga müaßt, dös schtoht gwiß net en onsres Herrgotts Schöpfongspla‘ gschrieba! – Mr sieht eba deutlich, daß von dene viele Philosofa – dia heut uf dr ganza Welt uftretet ond ihr Weisheit verzapfet – blos a Achtel tatsächlich philosofiert, während de übriche Neuachtel buchstäblich „viehlosofieret“! I möcht aber net erleba, daß mirs goht wia sellem Baura – der vom Finanzamt om fufzich Mark rei’ghängt worda ischt, weil er sich en dr Rechtschreibong net auskennt – ond ans „Viehnanzamt“ gschrieba hot, mr möcht em doch an seiner Schteuer a Drittel nochlassa! (…)

 

 

 Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“

Am 10. Mai 1931

 

Liabe Landsleut! Schtuagert schtoht wirklich em Zeicha dr Oberbürgermeischterwahl – ond dös bedeutet emmerhe a klei’s Sensatzionönele für onser Landeshauptschtadt, sintemal ond alldieweil onsre radekale Parteia von lenks wia von rechts sich de ällergröscht Müah gebet – onsern altbewährta – ond en jeder He‘sicht humana ond populära Oberbürgermoischter Dokter Lautaschlager mit ‘s Deifels Gwalt von seim verantwortungsvolla Poschta kurzer Hand abzusäga. Bis dia Zeila drüba em Schwobablatt erscheinet, send d‘ Würfel längscht gfalla – ond Ihr werdet aus meim heuticha Briaf urteila könna, ob dr Knöpfle mit seiner Weissagong amol wieder da Nagel uf da Kopf troffa hot oder net!

Es mag sei, wia’s will – denn schätza ka‘ fehla; aber i be der feschta Ueberzeugong, daß onser altei’gsessena Bürgerschaft sich von dene radekale Element – sei’s von rechts oder lenks – net so leichten Kaufs über d’ Ohra haua läßt; denn do müaßt jo grad d‘ Schrift lüaga – ond dort schtoht deutlich gschrieba: „Und ihre Werke folgen ihnen nach!“ – Es wird natürlich hart uf hart geh, dieweil onsre Kommunischta sich mit em Moswitter Torgler aus em großa Vatterland zom Wettschreit rüschta – ond onsre Natzi en militärisch ausgebildeta ond Schtadt­verwaltongs ei’gebildeta – an älle Schträng ziehenda – ond hauptsächlich sich om de arme Leut bemühenda Ma‘ – da Herr Schtadtamtmann Dokter Schtrölin als Kandedata ufschtellet – verschtanda?! Also dös gibt scho a bissele a Kraftprob – aber i geb d‘ Hoffnong trotzdem net uf – ond trau meine Kernschtuagerter no soviel zua, daß se onsrem alta „Oberober“ treulich d‘ Schtanga haltet – ond em durch sei Wiederwahl beweiset, was se en dene zwanzich Johr seiner onermüadlicha Amtstätichkeit schuldich send. (…)

 

 

Es war dr Bsuach am Wammestisch

dui Zeit dorei recht mager –

daß z‘mol dort wieder Leba isch –

macht dös Wort „Lautaschlager“!

Z’erscht wird verzapft dr neu‘schte Witz,

den Jeder hot uf Lager,

z’mol kommt mr aber wia dr Blitz –

zur Wahl vom Lautaschlager.

Dös ischt a Thema – höret Leut –

vom Oberbürgermoischter!

Do hoißt‘s mit oimol Spaß bei Seit,

denn dös erhitzt dia Goischter!

„Mir brauchet – fangt a Schneider a

mit Eifer jetzt zu reda

„als Oberhaupt en neua Ma‘,

der sorgt für ons Proleta!

Daß Jed’s sei oiges Häusle hot –

ond ‘s täglich Brot zom Leba,

uf daß mr net von früah bis schpot

muaß en de Sorga schweba!

Drom wähl i Torgler, denn der hot

dös nötich Maul zom schwätza,

der ka‘ da ganza Gmoinderot

wenn‘s sei muaß au – versetza!“

 

„Dös wär soweit ganz guat gebrüllt“,

secht druf dr Natzi Peter;

„doch send Sia do net recht em Bild,

zom „Ober“ taugt net Jeder!

Mir hent en Ma‘ – moi der hot Schneid,

schreibt obadrei sich Dokter;

der ka‘ verkehra mit de Leut,

dös isch koi so „Verschtockter“!

Der woiß, om was sich‘s z‘ Schtuagert dreht –

ond wird sich net scheniera,

dia hochwohlweise Gmoinderät

noch seiner Pfeif z‘ dressiera!

Drom wähl i Schtrölin, dös’scht mei Ma‘,

der hot no was uf Lager;

zu dem, do därf koi Torgler na –

ond au koi Lautaschlager!“

                       

„O schwätzet no koi Letta raus!“

schreit jetzt dr Apeteker,

„bei Euch schpuckts scheints em Oberhaus –

Ihr send mir saubre Feger!

Wer wird en so‘ nra Pleitezeit

au no so Omtrieb macha?

Ihr glaubet wohl – Ihr wäret gscheit –

noi, Ihr send net recht bacha!

Dr Lautaschlager ischt der Ma‘ –

der Schtuagert ka‘ regiera,

koi Torgler ond koi Schtrölin ka‘

mir dorin emponiera!

Drom hoff i au mit Zuaversicht,

es bleibt beim Lautaschlager;

mir hent zur Zeit koi bessers Licht

für onser Schtadt uf Lager!“   [108]

 

 

 

 

Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“ Am 7. Oktober 1931

 

Liabe Landsleut! Loider ka ‘ni Euch gegawärtich net viel Heiteres aus meiner nächsta Omgebong berichta, denn wia i jo scho mehrmols en meine frühere A’sichta betont han, isch mit dr schwäbischa Gemüatlichkeit nemme weit her! Dia Notverordnonga, wo andauernd vom Schtapel glassa werdet, üabet em allgemeina en solcha Druck uf da Geldbeutel aus, daß oim bald älle Luscht an dem scho ohnehe wurmstichicha Dasei vergoht.

 

Es ist fürwahr ne schlimme Zeit,

in der wir wirklich leben,

kein Mensch will für die Ehrlichkeit

mehr einen Groschen geben.

 

Wohin man schaut hat Lug und Trug

das Szepter in den Händen;

der wo schon hat, kriegt nie genug,

wie kann das glücklich enden?

 

Dort drüben in Dollaria –

verfault Baumwoll und Weizen,

dieweil die Börsenherrn allda –

sich gegen Ausfuhr spreizen.

 

Daß der Kaffee im Preise steigt,

tut man ins Meer ihn senken;

es wird dadurch der Welt gezeigt,

wie edel Menschen denken!

 

In deutschen Landen ist die Not –

indes aufs Höchst‘ gestiegen,

ob für den Winter reicht das Brot

wird draußen totgeschwiegen.

 

Doch drüben über dem Kanal

lehrt auch die Not den Britten,

daß er sich nun durch Deutschlands Fall

ins eigne Fleisch geschnitten.

 

Dagegen zeigt der Gall’sche Hahn

sich voller Kampfgelüste,

er fängt gar laut zu krähen an

nun auf Europas Miste!

 

Mir däucht fast ‘s wär der Völkerbund

nur zu dem Zweck geschaffen,

damit wir schneller auf dem Hund,

vorerst sind wir die Affen!

 

 Das Jahr 1932

 

Von 1932 liegen bis Oktober 16 Beiträge vor, davon sind zwei der neuen Rubrik „Aus Knöpfles Familienchronik“ zugeordnet.

Wie nicht anders zu erwarten, ist Knöpfles erste „Ansicht“ (am 10. Februar) mit der Würdigung des neuen Jahrs überaus pessimistisch gestimmt und vor allem der Beginn wieder einmal voller Misstrauen:

„Milliona Glückwönsch send wieder austauscht worda, dia toils von Herza komma ond zu Herza ganga send; aber de maischte werdet wohl dr Oberflächlichkeit anheim g‘falla sei; denn das Dichten und Trachten dös menschlichen Herzens ischt jo bekanntlich böse von Jugend auf!“

Und er kommt angesichts der wirtschaftlichen Lage zu seinem wenig hoffnungsvollen Fazit:

„Ond dia Schulda, wo se ons am laufenda Band nufghängt hent, werdet ons au em neua Johr treu bleiba – ond so tröschtet mir ons mit dem Schprüchle: „Gottes Wort und Schulden währen ewiglich!“

Daran schließt sich etwas später ein philosophisch-theologischer Dialog an – zwischen der Milchfrau Menele, die ihn besucht, und dem vom Leben belehrten Knöpfle:

 „Ja, ja – Herr Knöpfle, wenn mr gschtorba send, hot de arm Seel ihr Ruah – ond äller Jammer a End, sell isch wohr; aber bis soweit ischt, goht oft manches Wässerle da Bach nonter! A Beischpiel, Herr Knöpfle, i han en Nochber – der glotzt da ganza Tag zom Fenschter raus – ond markiert da kranka Ma‘, dem fehlt aber net, was onter da Nagel goht – dem schmeckt ‘s Essa ond Trenka, der goht regelmäßich zu seim Obendschöpple – ond schömpft über d‘ Leut, räßoniert über d‘ Schtadt ond Schtaat – ond dr himmlische Vatter ernährt en doch! Onserois muaß sich sei Lebatag rechtschaffa schenda ond ploga – ond kriagt ‘s Deifels Dank; wisset Se, Herr Knöpfle, so koin großa Onterschied sott onser Herrgott grad doch net macha, wo bleibt denn do d‘ Gerechtichkeit?!“

„Dösweg schtoht en dr Bibel: der Gerechte muaß viel leida om seines Namens Willa, Menele! Ond weil mr jo bekanntlich d‘ Wohret net o’gschtroft saga därf, döshalb verleget sich d‘ Leut uf da Schwendel – ond riskieret liaber ihr Seelaheil ond ‘s Zuchthaus, eh se dr Wahrheit die Ehre gebet – ond dora krankt die Geschichte – weil’s halt gar so fürchterlich menschelet!“ (…)

 

Und was hat das Jahr sonst noch zu bieten?

Der japanisch-chinesische Krieg, wie weit er auch entfernt sein mag, beunruhigt  Knöpfle (am 24. Februar) und eine Auseinandersetzung mit dem machtlosen Völkerbund ist ihm wichtig. Er entwirft sogar das Szenario eines Weltkriegs und geht in einem Gedicht den kriegerischen Beitrag einzelner Völker durch, vor allem jenen der ihm suspekten Franzosen.

Trotz dieser drohenden Katastrophe wendet er sich im nächsten Beitrag dem für einen Schwaben weltbewegenden Thema der Herstellung von „Schwobaspätzla“ zu und fühlt sich sogar berufen, auf die neue Spätzlesmaschine eines Freundes ein Gedicht zu machen und für sie zu werben.

 

Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“

Am 9. März 1932

 

Liabe Landsleut! Heut muaß i Euch amol a bißle ebbes von meiner Schpatzaweisheit verzähla, aber net zu verwechsla mit dene Schpatza, wo sich uf dr Schtroß om d‘ Roßbolla balget, sondern do handelt sich’s om d‘ Schwobaschpätzla! I woiß gwiß, dr Schwob mag no soweit weg von seiner alta Hoimet sei – ond mag no so trutza mit onsrem vaterländischa Syschtem – ond wenn er au älle Brücka zu seim alta Mutterland henter sich abbrocha hot, so glüschtests en halt doch ab ond zua noch onsrer schwäbischa Hausmannskoscht – ond ganz besonders noch de Schwobaschpätzla – verschtanda?!

Früher send dia kleine Schwobaschpätzla älle uf em Schpatzabrettle von Hand mit em Messer ens kochend Wasser eigscherrt worda; heut gibt’s ällerhand Schpatzamaschena, dia wohl zu onsrer Bequemlichkeit beitraget, aber em Grond gnomma dös Fabrikat net liefret, wia se von Hand eigscherrt werdet – ond worom? Weil bei de Maschenaschpätzla niamols dr Doig so schtabil hergschtellt werda därf, als für richtiche Schwobaschpätzla o’bedengt notwendich ischt, weil sonscht d‘ Maschena schtreikt – ond ‘s Resultat ischt, daß handgemachte Schpätzla drom viel kernicher schmecket als so kätschiche Maschenaschpätzla. D‘ Oier därf mr natürlich bei de Schpätzla net schpara – em andra Fall isch gscheiter mr macht glei gar koine – ond frißt da Doig aso!

Mei Karlena – mei Gegaschtand – hot sich au bisher – älle Spätzlesmaschena zom Trotz – net von dr alta Methode abbrenga lassa; aber jetzt hot mei Freund Paul Bastian, der en Obertürna a Maschenafabrik besitzt – a neu’s Patentschpatzabrettle erfonda – ond mit dem ka‘ mr genau de gleiche Schpätzla herschtella, wia von Hand, blos mit dem Onterschied, daß viel schneller goht, ohne daß mr sich drbei ploga muaß. Drom sag i:

           

Schpätzlesmaschena send heut ällerdengs modern,

doch ißt dr Schwob d‘ Maschenaschpätzla net so gern.

Er legt uf solche Schpätzla ganz besondra Wert,

dia mr vom Schpatzabrett ens kochend Wasser scherrt.

Ond daß en Zuakonft d‘ Hausfrau domit net so gschonda –

hot mei Freund „Baschtian“ a Schpatzabrett erfonda,

wo mr en zeah Minuta für a ganza Kompanie

ka‘ echte Schwobaschpätzla macha mit geringer Müh‘.

Drom, wer uf ächte Schwobaschpätzla no was hält,

sich ohne Zögra so ‘na Schpatzabrettle bschtellt!

 

(Worterklärung: kätschig = weich, klebrig, schwammig)

 

Ein weiteres Mal (am 22. Juni) wendet sich Knöpfle der Weltpolitik zu, die er mit einem Wurstkessel vergleicht:

 

„Heut ischt onser Weltbolledick mit ‘ma großa Wurschtkessel zu vergleicha, denn soviel wia en gegawärticher Zeit uf dr Welt z’sämmagwurschtelt wird, ischt – glaub i – seit Menschagedenka no net z’sämmagwurschtelt worda.“

 

Als Wurzel allen Übels bezeichnet er den Vertrag von Versailles, den der Franzose wie einen Augapfel hüte, dabei sei doch Deutschland eigentlich das Herz von Europa:

 

Net blos geografisch, sondern au anatomisch betrachtet, ischt Deutschland ‘s Herz von Europa; denn sobald mr‘s onter die Lupe der Bolledick nemmt, wird mr gewahr, daß, wenn dös Herz net intakt ischt, sofort wirtschaftliche Lähmonga uf em ganza Kontinent ei’tretet. Ond wenn heut – dös durch den Versailler Vertrag schwer a‘griffene Herz ufhört zu schlaga, ischt meiner A’sicht noch zu schliaßa – Europa au sofort erledicht – ond do möget dia Wonderdokter en Paris behaupta, was se wöllet.

 

 Im letzten Teil lässt Knöpfle dann noch die misstrauischen Kommentare der Welt gegenüber dem neuen Reichskabinett mit dem Reichskanzler von Papen – auch in Versen – vorbeiparadieren.

 

Dass dr Seelesbäck in Rom war und sogar als schwäbischer Delegierter bei einem internationalen Bäckerkongress den Papst gesehen hat und seine naive Schwärmerei darüber, ist (am 27. Juli) Knöpfles ironischen Einwänden ausgesetzt:

 

„I sag dir Knöpfle, so schö ond sorgalos möcht i’s blos amol oin Tag han, wia dr Bapscht; der hot wahrhaftich scho da Hemmel uf dera Welt! Dui Ruah ond der Frieda, wo do herrscht – do machscht dir oifach gar koin Begriff! Do merkscht nex von dem Hader onserer trauricha Welt, do siehscht  nex  von Armuat, do  gibts koine  Notverordnonga;  do  schpürscht nex von Geldknappheit, do blitzt ond gleißt älles von Gold ond Silber – kurzom – do moinscht grad du wärscht em Paradies!“ –

„Du machscht mir ganz ‘s Maul wässerich, Freund! Ja, no send’r gwiß au recht feschtlich bewirtet worda? I han scho g’hört, dr Bapscht häb so en schöna Wei’keller!“ –

„Do bischt uf em Holzweg, Knöpfle! Von dem hent mir nex gseah, jeder hot blos a Hoschtie kriagt, wia beim Abendmahl – ond a A’schproch hot dr Bapscht ghalta, von der i aber koi Wort verschtanda han; i woiß net, isch englisch, französisch oder lateinich gwä – ond jo, daß i’s net vergeß, sein Sega hot er ons au no gschpendet. Also, älles en ällem – ‘s ischt oifach großartich gwä!“ –

 

„I glaub dir’s gern, Bäck, aber i ka‘ blos dui Pracht ond Herrlichkeit vom Bapscht net begreifa, wo doch onser Heiland so a oifacher Ma‘ gwä ischt – ond en dem seine Fuaß-schtapfa er doch von Rechtswega eigentlich als Schtatthalter doch wandla sollte! Verschtohsch du mi Freund?“

 

Von den sonstigen Themen Knöpfles – vom Karneval, Pfingstausflug, vom Wengert und dessen Wein oder von der Natur überhaupt – ist nun nichts mehr zu hören. Nur von Degerloch nimmt er wieder einmal Notiz und setzt sich, auf dem Weg zu einem Begräbnis, neben zwei Frauen auf eine Bank, die heftig über den Verstorbenen und andere Bewohner sprechen, diese loben oder heftig durchhecheln. Als sie die Hauptfrage nach Gottes Gerechtigkeit anschneiden, der die „Lompa“ in Degerloch leben lässt, den guten und beliebten Verstorbenen jedoch frühzeitig von der Erde holt, kann Knöpfle seine Meinung anbringen:

 

„Wisset Se Herr – räudiche Schof gibts en jeder Gmeinde, blos ghairet no de selle schau bei Zeita o’schädlich gmacht, daß se de andre net a’schtecket – da vergrabt mr heut en Ma‘ – no Sia kennet en jo scheints au, da Wilhelm – onsern Ehrakommandanda von dr Degerlocher Feuerwehr?! Ja, der Ma‘ hat au seine Fehler ghet, wia jeder von ons; aber ehrlich ischt’r gwä – ond gradaus, reachtschaffa seiner Lebatag! Wär’s do net besser, onser Herrgott würd solche Menscha am Leba lassa – ond tät drfür so en Lompa am Kraga fassa, der seine Mitmenscha blos z‘ loid ond zom Schada lebt – ha?“ –

„Do hent Sia ganz recht, Fraule“ – han i gsagt – „blos därf mr dofür onsrem Herrgott koi Schuld gä; denn der züchtet koine Lompa! Blos d‘ Menscha send diejeniche, wo solche Gsetzer machet, daß dr Schwendel emmer ärger ens Kraut schiaßt  ond  schliaßlich koi  End meh  nemmt – verschtanda!“

 

Der zweite Teil der Ansichten in diesem Jahr bietet wiederum eigentliches Volkstheater, zunächst am Wammestisch (in vier Kapiteln)[109] und später beim Versuch Knöpfles, seiner Milchfrau Menele wieder einmal zu einem Mann zu verhelfen – dagegen dem Rösle in der gleichen Lage davon abzuraten (ebenfalls in vier Kapiteln).[110] Dialoge beherrschen dabei die Szene, und beide „Komödien“ enden mit einem überraschenden Schluss.

Am Stammtisch hat sich ein Berliner „Von Priesewitz“ eingestellt und drängt dazu, in den „Wammesklub“ aufgenommen zu werden. Nur Knöpfle ist dagegen, nämlich auch sofort wieder einmal allergisch gegen die Berliner „Revolverschnauze“, und schießt deftig zurück! Diese Animosität durchzieht seine „Ansichten“ von allem Anfang an – Ausdruck seines Widerwillens gegen überhebliches Preußentum und den damit verknüpften kriegstiftenden Militarismus. Freilich ist auch die Freude des Autors, den fremden Dialekt zu beherrschen, zu spüren! Am Schluss wird der Berliner als steckbrieflich gesuchter Hochstapler von der Polizei verhaftet. Knöpfle kann auf seine Menschenkenntnis stolz sein!

Im zweiten Handlungsstrang versucht sich Knöpfle dem Raffa Menele gegenüber als Heiratsvermittler und redet ihr in ausführlichen Gesprächen den Kandidaten Gottfried Trollinger, genannt Brommhommeler, ein; andererseits ist er, als dieser auf ‘s Rösle verfällt, geschickter Heiratsverhinderer, sodaß der zweimal Abgeblitzte „zwischa zwoi Stüahl nonterschnappt“! Dafür nimmt er letztlich eine biedere Dritte und eilt mit ihr zum Standesamt.

 

Fast wie ein Fremdkörper wirken im Rahmen der „Ansichten“ noch zwei eingeschobene Kapitel aus „Knöpfles Familienchronik“ (am 28. September und 5. Oktober). Sie gehören eigentlich zu den „Jugenderinnerungen“ von Wilhelm Löffel, sind aber hochdeutsch verfasst. Den hier porträtierten Onkel Karl stellt er allerdings als „Familienoriginal“ in die Reihe seiner anderen Stuttgarter Originale.

Es handelt sich um einen Bruder seiner Stiefmutter, die wir bereits aus den „Jugenderinnerungen“ kennen. Aufgrund einer Kinderkrankheit war er geistig zurückgeblieben und eben ein großes, heiteres Kind, das sich bei seinen hilfreichen Geschwistern durchvesperte, überall Raucherkunststücke mit seinen Zigarren veranstaltete und auch ein kräftiger Trinker war – ein Genießer, der nichts vom Kampf ums Dasein wusste, sondern als „Felix Immerfroh“ im Unterschied zu den Menschen um ihn herum sorglos in den Tag hineinlebte!

 

 

Das Jahr 1933

 

Das neue Jahr wird zwar wie gewohnt, aber mit den allergrößten Zweifeln erwartet und erst in einem zweiten Teil mit den üblichen, jedoch unnötigen Wünschen bedacht. Hier eine Passage mit dem Anfang:

 

 Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“ Am 11. Januar 1933

 

Liabe Landsleut! Aell Johr om dui ‘s Zeit, wenn dr Weihnachtsengel durch die Lande goht, wird en älle Zeitonga gschrieba ond von älle Kanzla ronterpredicht: „Und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ – Ond von älle Kirchtürm schallt’s – ond aus älle Wenkel hallt’s – ond em Radio tönt’s – ond uf de Gramophon kratzt’s – ond em Kenderschöale senget se: „O du fröhliche, o du seliche, gnadenbringende Weihnachtszeit!“ – Aber saget mir amol meine liabe Landsleut, ischt dös net Vorschpieglong falscher Tatsacha, wenn mr oim a’gesichts onsres Aellerweltschwendels so a Botschaft verkündet – ha? Wo ka‘ denn Frieda sei uf Erda, wenn mr d‘ Leut am Hongertuach naga läßt – ond d‘ Arbeitslosichkeit sich zur Grenzalosichkeit ausbildet – ond dr Weihnachtsengel en Geschtalt vom Grichtsvollzieher omananderhausiert – ha? Wo ka‘ denn Frieda sei uf Erda, solang Legiona Deifel en Menschageschtalt ihr O’wesa treibet – ond oi Nochber em andra d‘ Luft net gönnt – ond oi Schtaat uf em andra romreitet – ha? Wo ka‘ von ‘ra fröhlicha, selicha ond gnadabringenda Weihnachtszeit d‘ Red sei, solang dui hemmlisch Botschaft blos zu geschäftliche Zweck ausgnützt wird – ond dr Mensch en seim Egoismus – der zom Toil an O’verschämtheit grenzt, überhaupt net woiß, was zu seim Frieda deant!“ (…)

 

(Worterklärung: hausieren = von Haus zu Haus ziehen)

 

Zwei Wochen später (am 25. Januar) schildert Knöpfle seine Verwunderung an Sylvester, dass sich, trotz der Statuten, niemand am Stammtisch sehen lässt, entweder krank oder erschöpft ist, wie die Wirtin erklärt, oder sonst eine Ausrede hat. Aber an Dreikönig sind wieder alle und in großer Eintracht versammelt, und Knöpfle trägt ihnen, etwas verspätet, ein Neujahrsgedicht vor. Alles scheint wieder eingerenkt, und der Leser wartet auf eine neue, ausgedehnte Fortsetzung der „Ansichten“. Doch Knöpfle schweigt mehrere Wochen und meldet sich erst wieder am 22. März. Die politischen Ereignisse überschlagen sich! Das führt er selbst so aus:

 

 

 Aus den „A’sichte vom Wengerter Knöpfle vom Bohnaviertel.“ Am 22. März 1933

 

Liabe Landsleut! Ihr müaßt scho entschuldicha, wenn i wirklich net viel von mir höra laß, denn es fällt mir o’geheuer schwer, en dem Labyrint onsrer O’heil geschwängerta – von Neid ond Haß getränkta – arbeitslosa – o‘definierbara – komplizierta Gegawart, mein Geischt so zu konzentriera, daß i Euch überhaupt no ebbes mit Humor zu Gemüat führa ka‘.

Es ischt nämlich jetzt bei ons das dritte Reich so nahe herbeigekomma, daß mr scho sein heilicha Odem en älle Knopflöcher schpürt – ond wenns amol so weit ischt, no woiß mr – was gschlaga hot – verschtanda? Es ischt zuafällich heut grad Faschtnacht, aber vom a richticha Humor, wia mr’s sonscht an so Täg gwöhnt ischt – sieht mr weit ond broit koi Schpur. De maischte von dem Narra markierende Publikom verkehrt bargeldlos, endem se sich von oim Reschtera‘ zom andra so gratis durchfresset ond durchsaufet – worom? Weil‘s Arbeitslose send. Mr hört zom Beischpiel au blos alte Schlager senga, dia a’scheinend jetzt wieder ganz modern send ond vom Schtandponkt dr Wurschthaftichkeit aus geseha au tatsächlich zeitgemäß wirket. So hört mr oft aus Dutzende rauhe Kehla dös Liad hervorbrülla:

 

„O du liaber Auguschtin,

alles ischt hin – –!“

Oder:

„Du bischt verrückt mein Kind,

du muscht nach Berlin – –!“

Oder:

„Mir ischt alles eins, mir ischt alles eins,

ob i Geld hab oder kein’s!“ –

 

Ond do mitta nei en dös närrische Schaos schpeiet dia Parteia von Lenks ond Rechts Gift ond Galla für dui bevorschtehend Reichstagswahl. Ond ausgerechnet am Rosamontag, wo en Köln am Rhei‘ die Woga dös Karnevals grad am höchschta ganga send, kommt von Berlin die klägliche Kunde, daß onser Reichstagsgebäude en Flamma schtoht. A holländischer Kommunischt häbs a’zöndet! I sag blos, dr Deifel mag wissa, wer do äls d‘ Hand em Schpiel hot, koi Vatterlandsfreund net; denn der wo dös en Szene gsetzt hot, ischt net fürs deutsche Volk, sonscht hätt‘ er em net sei Werkschtatt vernichtet, dös ischt amol mei A’sicht! (…)

 

Den Humor liefert Knöpfle aber gleich nach, und zwar mit einem Gedicht über einen Bürgermeister im Schönbuch, der Steuern in die eigene Tasche gelenkt und die Bürger nach Strich und Faden ausgenommen hat – ein Beleg für Knöpfles pessimistisches Menschenbild und für ein zeitgemäßes Verhalten in einer wurmstichigen Welt!

 

Lasset mr für heut dös Thema – ond wendet onsern Blick em Schö’buach zua. Dort hot em vergangena Johr der dicke, wirtshausliabende Bürgermoischter von Waldabuach seine Bürger nandernoch zur Ader glassa, dös hoißt – es hent verschiedene finanziell bluata müaßa. I will Euch de ganz Affäre gschwend en Gedichtform expliziera:

 

En dem netta Schö’buachschtädtle

war jöngscht d‘ Gmoindekaß plombiert;

weil der dicke Bürgermoischter

d‘ Schteura falsch hot regischtriert.

Was der könna hot erhascha,

War für ‘s Wohl dr oigne Tascha.

So daß mancher – sapperlott –

jetzt zom Schada hot da Schpott!

So hot er en Bäckermoischter,

der durchaus guat situiert –

ond vier Häuser nennt sei oiga,

beinoh gänzlich ruiniert.

Honderte hot der em gnomma,

nex meh wird dr Bäck bekomma;

will er halbwegs wieder schnaufa,

muaß er schnell a Haus verkaufa!

Au beim Mondwirt dort am Buckel

ziaht er Geld für Schteura ei‘;

ond durch Onterschrift von Wechsel

legt er seine Bürger ‘rei.

Ja, er macht, potz Krutzitürka,

d‘ Bollezei no zu seim Bürga.

Aelle, älle hot er gnomma –

wer em grad en Weg isch komma!

Sogar en de letschte Schtonda,

dia er no em Amt verbracht,

hot er drüba bei ‘ma Bota

übrem Bach a Bsüachle gmacht.

„Jakob“ – secht er – „rück no raus,

i woiß, du hoscht Geld em Haus!“

Ond dr Jakob, der guat Ma‘ –

zählt em hondert Märkla na.

Jetzt isch Schluß mit dem Kapitel,

mancher trauert henterdrei –

ond der dicke Bürgermoischter

sitzt beim Wasser, schtatt beim Wei‘.

Ach, wer hätt‘ dös amol glaubt,

daß a schtädtisch Oberhaupt

von dr Gmoind wird so empfohla,

daß en könnt dr Deifel hola!

 

Die darauffolgende „Ansicht“ (am 29. März) ist wiederum an den Stammtisch verlegt. Der Reichstag ist nun gewählt, das Ergebnis wird aber von den Anwesenden verschieden aufgenommen.

 

Liabe Landsleut! Bis Euch dia Zeila erreichet, wird Euch der Sieg onserer Natze längscht bekannt sei. Also Deutschland ischt jetzt uf em beschta Weg, a nationalischtischer Staat zu werda. Onser Volk hot bei dr letschta Reichstagswahl vollends sein nöticha Senf drzua gä – ond – wer woiß, obs net besser ischt, als wenn mr d‘ Kommunischta sich hätt‘ über da Kopf nauswachsa lassa. Onser Parteischtaat därf wohl amol a End nehma, dera A’sicht ben i scho lang au. Ja, i be herzlich froh, daß i mi en dr Nochkriagszeit keiner bollitischa Partei meh a’gschlossa han, sonscht müaßt i jetzt au a Trauerband em Knopfloch traga, wia onser Herr Apoteker Schlommerponsch – der mit seiner Schtaatspartei so jämmerlich Fiasko gmacht hot.

 

Mit diesem Apotheker, ein ihn ständig nervender Kontrahent, setzt er sich im Folgenden auseinander, während der Seelesbäck als gebackener Natzi freudestrahlend und vermittelnd zwei Fläschchen Fellbacher stiftet. Letztlich kommen sich die beiden aber doch in einer Hinsicht nahe, nämlich darin, dass die Vielzahl der Parteien ein Fehler war und ihre Aufhebung ein Fortschritt ist. Knöpfle sagt:

 

I han Ehne seiner Zeit scho gsagt, daß außrem Zentrom sich koi bürgerlicha Mitte behaupta ka‘ ond wenn noamol so fönfazwanzich Klepperlesparteia en’s Leba grufa werdet; ond daß mit dr Zeit blos oine von onsre radikale Parteia ‘s Renna macht – ond so isch jetzt au komma.

 

Als der Apotheker später gegangen ist, zieht Knöpfle hochbefriedigt noch folgendes Fazit:

 

Dr Apoteker hot – wia scho so oft – guate Miene zom bößa Schpiel gmacht – ond mir nochher sogar ganz em Vertraua gsagt, daß ehn jetzt älle Parteia kreuzweis ond da langa Weg – em Wald ond auf dr Heide beim Mondschei begegna könntet, er wöll von koiner net meh wissa. „Guat so, Herr Apeteker, dös freut mi – ond wenn Se scho früher uf den Schtandponkt komma wäret“ – han i gsagt – „hätt’s bei ons gar koine Meinongsverschiedaheita gä – Salemaleikum!“

 

Das war das letzte Wort vom Knöpfle – denn es handelt sich zugleich auch um die letzte erhaltene „Ansicht“ – wobei nicht ganz klar ist, ob Wilhelm Löffel noch etwas hinterhergeschickt hat! Der vorliegende Film ist leider sehr lückenhaft und in den folgenden Jahren gilt das gleiche. Gibt es aber zwischendurch eine Nummer des „New Yorker Schwäbischen Wochenblatts“, so ist Knöpfle nicht mehr vertreten.

Das heißt aber nicht, dass Wilhelm Löffel nichts mehr geschrieben oder veröffentlicht hätte. Wie bereits erwähnt, gibt es 1934 in zwei Nummern des „Schwabenspiegels“ noch seine an „Feuerwehrles“ anknüpfende Geschichte „D‘ Belaschtongsprob“[111] und etwas später seine Ausführungen über den historischen Urbanpokal.[112]

Doch auch im Stuttgarter Neuen Tagblatt ist er nicht mehr zu finden. Aus einem Schreiben der Zeitung (vom 25. Februar 1941) an Wilhelm Löffels Frau Pauline geht immerhin hervor, dass sie der Redaktion eine Sammelmappe Knöpfles vorgelegt hat und dass „das Wirken ihres Mannes der grösseren Öffentlichkeit wieder in Erinnerung“ gebracht wurde.

 

 

----------

 [108] Dieses Gedicht ist am 24. April 1931 auch im „Stuttgarter Neuen Tagblatt“ (Nr. 188, Abend-Ausgabe) mit dem Titel „D’Oberbürgermoischterwahl em Wammesklub“ abgedruckt.

[109] Am 17.2.; 23.3.; 18.5; 25.5.

[110] Am 13.7.;10.8.; 21.9.; 12.10.

[111] „Der Schwabenspiegel“, Wochenschrift der Württemberger Zeitung, 28. Jahrgang, 1934, 13. Febr., S. 55/56.

[112] „Der historische Urbanpokal“, in: Der Schwabenspiegel, 1934, 28. Jahrgang, 13. Nov., S. 362 u. 363.

 

 

 

 

 

 

 

 

Nachbemerkung

 Wilhelm Löffel alias Knöpfle ist am 7. September 1935 unerwartet gestorben, und zwar während eines kleinen Ferienaufenthalts in einem Gasthaus in Weikersheim, dem Herkunftsort seiner Frau. Dort wurde er auch auf dem Friedhof begraben. Die Stuttgarter Presse schwieg.

 

Betrachtet man Wilhelm Löffels schriftliche Wiedergabe des schwäbischen Dialekts, so ist ein untrügliches Kennzeichen, dass es sich um einen Text von ihm handelt, die durchgehende Schreibung von „des“/„das“ als „dös“. Mit den Jahren nehmen andererseits die Auslassungszeichen ab (statt „d’r“ oder „m’r“ später „dr“ und „mr“ usw.). Das ist auch eine Möglichkeit, Texte zeitlich zuzuordnen.

Die Schriftsetzer standen beim Abdruck seiner Texte der Schwierigkeit einer ungewohnten Rechtschreibung gegenüber. Es gibt also immer wieder Druckfehler oder auch statt der schwäbischen Orthografie eines Worts die hochdeutsche. Manchmal freilich streut Wilhelm Löffel auch selbst hochdeutsche Wörter ein, besonders bei feierlicher oder sonstwie überhöhter Redeweise.

Offensichtliche Flüchtigkeiten sind, möglichst im Vergleich mit Parallelstellen, bereinigt worden.

 

 

Impressum

Texte: Hartmut Löffel. ISBN 978-3-9800141-6-8 // Abdruck von "Feuerwehrles" mit Genehmigung des Stadtarchivs Stuttgart: 2044/3.
Cover: Hartmut Löffel
Tag der Veröffentlichung: 14.06.2018

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /