Herr Mackensen hat ne Erscheinung
„... teilen wir Ihnen mit, dass eine weitere Zusammenarbeit mit Ihnen nicht in unserem Interesse ist. Wir kündigen daher den bestehenden Arbeitsvertrag mit Ihnen fristgerecht zu letzten des Monats.“
Herr Mackensen las den Brief noch einmal, inzwischen zum vierten Mal, und konnte dennoch nicht so recht glauben was er da lesen musste. Nur langsam sickerte der Sinn in sein Hirn, doch endlich erfasste er die bodenlose Botschaft.
Na, dachte er sich, das war ´s dann wohl. Schon wieder mal n Job inne Grütze, Scheiße nochmal!
Nicht das er diese Arbeit geliebt hätte. Weit gefehlt. Doch es war zumindest eine Arbeit; etwas was ihm half über den Tag zu kommen, etwas was ihm dabei half nicht völlig zu vereinsamen.
Geliebt hatte er diese Arbeit wirklich nicht. Es war ein grausiger schmutziger Job, obendrein noch schlecht bezahlt. Doch immer noch besser als gar nichts. Fast hätte er sogar geglaubt ein wichtiges und nützliches Mitglied dieser Gesellschaft zu sein.
Doch damit is jetzt wohl Essig.
Herr Mackensen ist 54 Jahre alt, ein ungelernter Hilfsarbeiter mit zunehmenden gesundheitlichen Problemen. Und er weiß ganz genau, dass er so auf die Schnelle keine neue Anstellung finden wird.
Schicht im Schacht, Herr Mackensen.
Zurück also in die Hartz – 4 Abhängigkeit; zurück zum Antragstellen, zu sinnlosem Gelaber über seine berufliche Situation, zu den immer gleichen Erklärungen über sich und sein Leben. Dazu kam noch die Auflösung seiner Selbstständigkeit bis auf ein Minimum an Eigenverantwortung.
Es war ja nicht das erste Mal, dass ihm solches widerfuhr. Doch jedes mal war es wieder furchtbar lästig und äußerst unangenehm. Wie ein Schiss in die neue Hose. Da half nur eins: Sich mal wieder so richtig die Birne voll zu dröhnen; sich die Kante geben, sich volllaufen lassen bis Oberkante Unterkiefer.
Gesagt. Getan. Gestern hat er dann ne Party gefeiert. Nur mit sich allein und für ´s eigene Gemüt. Ne Kiste Bier, ne Flasche Doppelkorn, dazu ne Ladung alte Blues – Musik.
Das war gut gewesen.
Die Flasche hatte er dreiviertel leer, die Kiste zur Hälfte weg gesoffen, dazwischen ne kalte Bockwurst und die herzergreifende Stimme von Robert Johnson. Das war uuuuunheimlich gut. Er hatte sich guuuuut gefühlt. Jung und stark und voller Elan und Zuversicht.
Jetzt, am Vormittag, fühlt er sich überhaupt nicht mehr gut. Elend is ihm. Furchtbar schwindelig und flau im Magen. Kurzum: Katastrophal. Kaum kriegt er die Augen auf. Rote Nebel kreisen vor seinen Pupillen. Doch hinter dem Nebel, hinter dem Gespinst aus Alkohol geschwängerten Schlieren, meint er etwas zu erblicken; etwas was vorher nicht dagewesen war und mit Sicherheit nicht hierher gehört. Angestrengt bohrt er seinen Blick durch das Wohnzimmerliche Chaos aus leeren Flaschen, vollen Aschenbechern und durchgeweichten Zeitschriften.
Da, jetzt sieht er es, ganz deutlich, klar und eindeutig.
Da ist jemand.
Eine Person. Sitzt da in einem seiner ausgeleierten Sessel und guckt ihn an.
So was aber auch. Und das kann ja wohl nich sein. Ein furchtvoller Schrecken durchfährt ihn, von oben bis unten. Hellwach ist er jetzt. Reibt sich die schmerzenden Augen und verdammt stillschweigend sämtlichen Schnaps, seine jahrelange Einsamkeit und die daraus resultierende aktuelle Halluzination. Denn was sollte es sonst sein?
„Moin Mackensen. Biste endlich wach, oller Schluckspecht?“
„Heilige Scheiße!“ Entfährt es ihm. Das kann ja wohl nich angehen. Jetzt sabbelt seine Hallu auch noch. Kann ja wohl nich angehn! Er hätte diese fette Scheiß – Wurst nich essen sollen. Er guckt jetzt mal genauer hin, so Richtung Sessel.
Da sitzt immer noch jemand. Er erkennt es deutlich. Es is ne Frau. Verdammt nochmal! Ne richtige Frau, noch recht jung und knackig und Wunderwunderhübsch und mit zarten lieblichen Augen. Rotes lockiges Haar fällt in warmen Wellen bis auf ihre knuffigen Schultern. Sie trägt ein weißes Nachthemd und ein magisches Lächeln. Mackensen räuspert sich.
„Was n hier los? Wer bist n du? Und wie biste hier überhaupt reingekommen? Und wieso hab ich so Scheiß reale Hallus?“
„Ich bin ein Engel, Mackensen, wie ich reingekommen bin weiß ich nicht… und sag nicht immer Scheiße!“
„Engel…? So n Quatsch! Das is doch hier ne Verarsche! Sowas wie versteckte Kamera oder so n Quark. Ich wette das Arschloch von Hausmeister hat dich reingelassen, wa?“
„Ich kenne keinen Hausmeister, und ne versteckte Kamera gibt’s auch nicht. Ich bin ein Engel und wurde hierher geschickt… und sag nicht immer Arschloch!“
„Ich glaub aber nich an Engel! Ich glaub, dass das hier ne ganz miese Verlade is. Gleich kommen hier irgendwelche Typen vom Fernsehen rein und lachen sich n Ast über den ollen blöden Mackensen. Isses nich so? Kannste ruhig zugeben.“
„Ich gebe zu ein Engel zu sein. Von den anderen Sachen die du da erzählst weiß ich nichts.“
„Wennde n Engel bist, wo sind dann deine Flügel, hä?“
„Flügel brauch ich keine. Und jetzt guck mal!“
Sie erhebt sich, schüttelt kurz ihr Haar zurecht, geht in die Knie und kurz darauf in die Luft. Schwerelos schwebt sie durch Mackensen ´s Stube, dreht drei Runden knapp unter der Decke und landet wieder auf dem knarzenden Sessel.
„Haste gesehen…? Stark, wa…?“
Mackensen kriegt das Maul nich mehr zu. Ungläubig zwinkern seine immer noch rot unterlaufenen Augen. Es entfährt ihm ein staunendes:
„Gottverdammtnochmal!!“
„Jetzt gehst ´e aber zu weit. Mackensen! Den Chef darfst ´e nich beleidigen!“
„Entschuldige. Ich bin nur… sagen wir mal, etwas perplex.“
„Na ja, das kann ich verstehen. Dies eine mal lass ich ´s noch mal durchgehen.“
„Und nu?“
„Was, und nu?“
„Ich meine, was willste hier? Und was willste von mir? Kann ich dir was helfen? Oder was anbieten?“
„Ach so, das meinste. Also, machen wir ´s kurz, ich wurde zu dir gesandt um deine Seele zu retten. Denn du bist in großer Gefahr.“
„Ach was? Das is ja ma ´n Ding!“
„Nicht wahr!? Du bist auserwählt!“
„Und wer hat mich auserwählt? War ´s Gott persönlich?“
„Das weiß ich nicht.“
„Für n Engel scheinste ziemlich wenig zu wissen.“
„Kann schon sein. Kennste viele Engel?“
„Nee, ich mein ja nur.“
„Dann sei nich so vorschnell mit deiner Meinung.“
„Und was is nu mit deinem angeblichen Gott?“
„Was soll mit ihm sein?“
Mackensen seufzt. So langsam geht ihm diese blöde Tussi auf die Eier – Engel oder nicht.
„Ich meine, es muss ihn ja wirklich geben, wenn er mich schon auserwählt hat.“
„Kann schon sein, ich hab ihn nie getroffen. Es gibt einen Dienstweg, Verwaltung eben, Verordnungen und Vorschriften. Is wie im Bezirksamt da.“
„Aha, und was is mit dir? Biste schon lange n Engel? Und wie biste überhaupt an den Job gekommen?“
„Ach, ich bin noch nicht lange dabei. Und wie ich dazu kam weiß ich gar nicht so genau; ging ziemlich schnell. Eben noch voll am Leben und auf dem Sprung Karriere zu machen als Model, und dann – Zack! Mein damaliger Lover, ein überaus eifersüchtiger Wüterich, hat mich und n Fotografen gekillt. Und schon war ich n Engel. Ist gar nicht so schlecht, man kommt viel rum, hat viel mit Menschen zu tun und das mit dem fliegen können is Hammer! Bloß die Klamotte is n bisschen eintönig. Aber dafür bleibt man Schlank – bis in alle Ewigkeit“
„Das glaub ich…! Fliegen können, könnt mir auch gefallen.“
Herr Mackensen denkt ans fliegen, doch davon wird ihm schlecht. Also denkt er an sich, und diesen Gott, und was der denn so von ihm will.
„Du bist also hier um meine Seele zu retten?“
„So lautet mein Auftrag.“
„Und was muss ich dafür tun? Denn wenn das darauf hinausläuft das ich so ein Hampelmann werden muss, der jeden Tag mit dem Wachturm inner Hand in der Fußgängerzone rumlungert, dann kannste das gleich vergessen, das is ma sicher!“
„Nee, diese Wachturm – Penner fahren eh auffem falschen Dampfer, die sind nich bei uns unter Vertrag. Es geht um dich, um deine Kernpersönlichkeit, deine Seele ist in Gefahr durch allerlei persönliche Enttäuschungen und Schicksalsschläge zu zerbrechen. Du musst dem Einhalt gebieten; du musst ihr einen festen Halt geben. Einen Glauben!“
„Ach nee, und wem hab ich das zu verdanken…? Mit meinem Schicksal und allem Scheiß? Wenn das man nich der große Zampano selbst ist, dein Chef da oben, dem angeblichen, dem ich das verdanke. Und an ihn soll ich jetzt glauben?“
„Es ist sein Wille! Und dein Ausweg!“
„Es ist also sein Wille! Aha, so einfach stellt er sich das vor? Na, das is ja ne feine Idee von ihm! Einfach glauben, und alles wird gut beim ollen Mackensen, wa?“
„Na ja, da gibt es noch n paar Einzelheiten…!“
„Ach was? Einzelheiten auch noch? So langsam geht mir das hier gewaltig auf die Eier, wennde verstehst! Wann hat sich der angebliche Oberheilige denn das letzte Mal hier blicken lassen? Weiß er eigentlich wie hier der Laden läuft? Dass es bei seiner Schöpfung nur noch um Fressen oder gefressen werden geht? Das hier unten Chaos herrscht? Das jeden Tag Hunderte Verhungern? Die Kriege? Sinnloses Sterben? Das ganze Elend? Ein Holocaust nach dem anderen!Das sich seine heiligen Hilfskräfte an Kindern versündigen? Naturkatastrophen überall! Und dieser geistliche Faxenmacher denkt, ich könnte so einfach an ihn glauben und dann wäre alles Friede, Freude, Eierkuchen, und dieser ganze Horror wäre erledigt?“
„Es ist nicht seine Schuld.“
„Natürlich nicht…!“
„Es waren alles eure Entscheidungen. Die Menschen entscheiden. Gott hat euch die Freiheit geschenkt zu entscheiden, Und ihr entscheidet… zum Guten, oder zum Schlechten.“
„Nette Ausrede für einen angeblich allmächtigen Schöpfer, kann ich da nur sagen.“
„Denk mal drüber nach.“
„Hab ich schon… und jetzt kannste wieder verschwinden. Um meine schimmelige Seele kümmer ich mich lieber selber, schlimmer als mit diesem ollen Pfuscher da in seinen Wolken kann ´s ja wohl nich werden!“
Mit diesen Worten schließt Herr Mackensen seine Augen, wundert sich still über diesen frechen Antrag, über diesen komischen Engel mit den wunderschönen roten Locken. Dann fällt er in tiefen traumlosen Schlaf.
Spät am Abend wacht er auf, nimmt eine Dusche, zieht sich an und geht in seine Stammkneipe. Er bestellt ein Bier bei Kuno, dem Wirt, und erzählt dann sein jüngstes Erlebnis. Alles sprudelt aus ihm heraus. Nette Geschichte, meint der Kuno, warst wieder hackedicht, wa? Und spendiert Herrn Mackensen ein Bier und n Doppelkorn. Mackensen bedankt sich, und stellt verwundert fest dass er den ganzen Abend über noch nicht einmal geflucht hat.
Texte: harryaltona
Bildmaterialien: Nero/www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 05.03.2013
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