Renate haut drauf
Mein Freund Karsten ist mäßig stolzer Besitzer einer Kneipe am Hein - Köllisch - Platz, und da er n ziemlich Verantwortungsloser und fauler Halunke ist, hatte ich mich bereiterklärt dreimal in der Woche die Frühschicht in seiner Kaschemme zu übernehmen.
Schön...! Ich hatte schon schlimmere Jobs, und außerdem wirklich nichts Wichtigeres zu tun.
Frühschicht is öde. Kreuzlangweilig. Das kannte ich schon. Man hat Zeit 36 Mal hintereinander die Gläser zu zählen, den Tresen zu polieren und sich zu fragen wie man so dusselig sein konnte hierher zu kommen.
An meinem ersten Tag verirrten sich ganze drei Gäste in die gastlichen Räume des "Ahoi - Eck." Zwei von ihnen tranken Kaffee, die dritte ne Flasche Selters. Das war alles. Drei Gäste, von morgens um 8 bis Nachmittags um 4, selbst der olle Knacker der vor der S - Bahn Zeitungen verkaufte machte mehr Umsatz als ich.
Wie kriegte der Karsten das gewuppt?
Wie konnte er seine Rechnungen bezahlen?
Sicher nich von den paar Kröten ausse Frühschicht.
Aber das is ja nich mein Bier. Ich hatte andere Sorgen, nämlich die drängende Frage nach meiner geistigen Gesundheit. Denn wenn man die Hälfte seines Tages damit zubringt nur den Fliegen beim fliegen zuzugucken, kann das auf die Dauer ziemlich deprimierend sein.
Also errangierte ich mich irgendwie mit der Langeweile indem ich stets ein Buch mit mir rumschleppte um die ungastliche Zeit zum lesen zu nutzen. Und so kam ich mal wieder zu dem Vergnügen Hesse ´s "Steppenwolf" zu lesen, auch die "Deutschstunde" und "Der Mann im Strom" vom ollen Lenz vertrieben mir die Zeit, die mir blieb nach dem Kaffee servieren, dem Spülen und aufwischen der Kaffeepfützen die die alten Knacker hinterließen.
Bis eines Tages Renate auftauchte.
Sie erschien an einem kalten Januarmorgen so kurz nach Mittag, setzte sich an die Theke und orderte Kaffee (Na klar!) mit Cognac (Das war mal was neues!) Ich verstaute die "Deutschstunde" hinter den aufgereihten Schnapsbuddeln und guckte sie mir mal näher an.
Sie muss so Mitte dreißig sein, dachte ich, gute Figur, knackig und geschmeidig und gut gepolstert, da wo es sein muss. Nur ihre rot gefärbten Haare die sie straff nach hinten gebunden hat, fallen etwas aus dem Rahmen. Genauso ihre ganze Erscheinung. Sie wirkt sehr selbstsicher, ausgeschlafen und geradezu cool; eine Frau die schon eine Menge gesehen und erlebt hat, eine Frau, der man nichts mehr vormachen kann. Ich ging mal zu ihr hin und redete mit ihr.
Nun, Renate (etliche Männer werden sie unter ihrem Künstlernamen Madame Natascha kennen.) hatte schnell geschnallt, dass ich ein recht harmloser Zeitgenosse bin und keinerlei Interesse habe ihre unschätzbaren Dienste in Anspruch zu nehmen. Und sie kam mit ein paar spaßigen Geschichten rüber. Denn sie übt den überaus skurrilen Beruf einer Domina aus. Gleich da oben an der Straße, im Studio für kreative Strafmaßnahmen.
Mittlerweile kommt sie fast an jedem Tag an dem ich Dienst schiebe vorbei, trinkt ihren Kaffee mit Cognac und wir plaudern recht ungestört über das Für und Wider ihres Handwerks.
Sie schätzt natürlich das immens hohe Einkommen, da sie ohne "Beschützer" arbeitet, und die Arbeitszeiten sind auch in Ordnung. Besonders aber schätzt sie das unbegrenzte Ausleben ihrer Kreativität bei der Arbeit. Was sie daran stört sind hauptsächlich die Ansprüche ihrer Kunden. Was sie deutlich auf den Punkt bringt, sobald sie den ersten Cognac inhaliert hat.
"Ihr Typen seid alle bescheuert!" Lautet dann ihr Urteil.
"Ach wirklich?" Frage ich, während ich ihr Glas auffülle, nur mal so um sie n bisschen anzufeuern.
Dann schmeißt sie mir so einen Blick zu der eindeutig mitteilt das ich es doch wohl besser wissen müsste. Was ja auch stimmt.
"Ihr seid alle beknackt, habt ne Macke, n Schaden. Und ihr wisst nie wann ´s genug ist. Ihr wollt immer noch mehr und mehr, immer noch ein wenig mehr Demütigung, immer noch ein paar Schläge mehr, auch wenn ´s euch nich gut bekommt. Ihr seid unersättlich, krank seid ihr!"
"Mag schon sein," stimme ich vorsichtig zu, "das es da n paar Exemplare von uns gibt die ´s gern mal übertreiben mit ihre Triebe. Und sei doch froh drüber. Is n gesichertes Einkommen."
"N paar?" Schnauft sie verächtlich, "Ich kenn ne Menge von euch, und die, die ich kenne sind allesamt verkorkste und kaputte Missgeburten!"
"Na ja, deine Kundschaft repräsentiert nicht gerade die ganze Bruderschaft." Werfe ich ein, bin mir aber selbst nicht ganz sicher dabei.
"Kann sein," erwidert sie, "doch nimm nur mal den Patienten den ich letzte Woche verarztet hab. Kannte kein Ende, der Mensch, wollte immer noch n Schlag, n Tritt, ne Ohrfeige, auch wenn ihm schon das Blut an den Beinen runter lief, er ganz blass wurde, ganz außer Atem, Schmerzen in der Brust hatte, immer noch mehr... bis wir den Notarzt rufen mussten. is das etwa nich maßlos...? Und bescheuert...? Und richtig krank?
"Aber sicher doch," bestätige ich, und dann: "Du bist doch ne clevere Person, du weißt doch Bescheid, kennst dieses ganze psychologische Gesülze von wegen Schuld und Sühne. Und das die vermeintlich Starken gerne glauben sie müssten sich erniedrigen, sich demütigen lassen, für das was sie der Welt schlechtes angetan haben."
"Klar kenn ich den ganzen Mist, und vermutlich is sogar was wahres dran wenn ich so meine Kundschaft unter die Lupe nehme. N gutes Beispiel is dieses Oberschwein von gestern. Gepflegter Typ, schicker Anzug, Krawatte, so in meinem Alter. Man sieht ihm förmlich an das er ne große Nummer mimt. Erzählt er is Filialleiter vonner Bank in Norderstedt und nun sucht er n bisschen Abwechslung und neue Spannungsmomente in seinem durchgeplanten und stressigen Leben. Er wäre Anfänger in Sachen professioneller Bestrafung, sacht er. Also empfehle ich ihm erst mal das Einsteigerpaket. Sehr soft und vollkommen ungefährlich, versichere ich ihm. Und schon kriegt er ganz glasige Augen. Wir legen also los. Besser gesagt ich lege los. Er, ganz nackich und blass und schwammig kriegt erst mal ne verbale Abstrafung. Ich erzähl ihm was er doch für n verlotterter Sauhund is, dass er n wirklich hässlicher Anblick und überhaupt wertloser als n Batzen Scheiße is. Aber das kennt er wohl schon, zeigt kaum ne Reaktion, immer nur: Ja, Madame... und Danke Madame...! Ich leg mich also n bisschen ins Zeug. Lass ihn meine Stiefel ablecken, dann verpass ich ihm ne Latexhaube, bind ihn ans Kreuz und fang an ihm ordentlich den Arsch zu versohlen. Und so langsam kommt er in Fahrt, er zappelt rum, windet sich, wimmert und bettelt und sein Ding wird hart. Richtig grässlich sieht er aus. Ich verpass ihm als krönenden Abschluss noch ne Wachsbehandlung wobei er kreischt wie ne 10 - Jährige die gerade ihr erstes Schamhaar entdeckt. Ich mach ihn los. Und er, ganz männlicher Eroberer, versucht tatsächlich mich zu packen, mir seinen ekelhaften Pimmel rein zustecken. Also so was kommt bei mir gar nich gut. Ich scheuer ihm eine, so richtig aus vollem Herzen, und frage den dämlichen Scheißkerl ob er nich ganz dicht is. Er schnallt ´s wohl. Und ich sach ihm er soll sich gefälligst selbst seinen schrumpeligen Spargel schälen. Der Schweinekerl is angefressen, rubbelt dann aber brav an sich rum, doch es will nich richtig vorangehen. Das dauert und dauert, und dauert mir zu lang. Also was machen? Frag ich mich, da seh ich doch diesen kitschigen Adventskranz rum liegen. Hat wohl jemand vergessen wegzuschmeißen. Ich guck also das Ding an und bemerke die Tannenzapfen da drauf; die sind schon ganz trocken und gehen leicht auseinander. Ich schnapp mir so n Teil, und RUMMS...! Ich ramm ihm den Zapfen achtern rein, so richtig mit Schmackes. Er macht JUUUUCH, und schon ham ´wer den Salat. Der feine Herr is fertig. Fein gemacht, sach ich zu ihm, während er hastig in seine Klamotten steigt, mich anguckt wie n ertappter Eierdieb, der Saukerl.
Dann bis nächste Woche. Verabschiede ich ihn. Und er sacht tatsächlich: Jawoll Madame! Und wackelt von dannen der wackere Freier."
"Ischa gediegen... das is ja ma n fertiger Typ." Sag ich, und wundere mich still über den Geschlechtsgenossen.
"Waaaa...? Und das war noch einer von der eher harmlosen Sorte. Ich könnte dir noch ganz andere Sauereien erzähln!"
"Nee, lass ma. Das reicht mir schon, mehr muss ich gar nich wissen."
Ich fülle unsere Gläser, wir trinken einen, auf die Verkorksten, die Kaputten, auf die, die am Ende hier den Schnaps bezahlen. Doch eine Sache lässt mir keine Ruhe, ich frag sie:
"Sach ma, was is eigentlich aus dem Tannenzappen geworden?"
"Ach ja... ich weiß gar nich... nich so drauf geachtet... hat ihn wahrscheinlich mitgenommen, ihn immer noch achtern drin. Na ja... kein Wunder... Is ja n Banker! Die nehmen doch alles mit wat se kriegen können!"
Wir gucken uns an.
Dann prustet es aus uns raus. Wir lachen bis die Bude bebt, die Gläser umfallen und uns die Tränen runter laufen.
Es dauert ziemlich lange bis wir uns wieder einkriegen. Ich spendier uns noch einen. Zum Abschied. Denn die Renate hat gleich noch n Termin. Sie muss noch bei einem drauf hauen.
Texte: harryaltona
Bildmaterialien: N Lo renz/www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 16.01.2013
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