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EIN GUTER JAHRGANG


Tagsüber
saß er immer auf dieser Bank
gleich gegenüber dem Supermarkt.
Er saß da,
in seinem zerfledderten
alten Regenmantel, den löchrigen
Schuhen, und seiner gesamten Habe
in zwei Plastiktüten
neben seinen Füßen.
Er saß da,
trank billigen Wein aus dem Tetra - Pack
und rauchte manchmal
ne Selbstgedrehte.
Er saß da,
bis zum Abend, dann war er
betrunken genug für die Nacht.
Er stand auf, nuckelte den letzten
Rest Wein aus seiner Papptüte,
schmiss sie in eine Mülltonne
und sagte: Ach,
das war n guter Jahrgang!

Die Leute
die vorbeigingen
verzogen angewidert
ihre Gesichter, oder
hoben mitleidig
eine Augenbraue.
Sofern sie ihn überhaupt
bemerkten.

Eines Tages
war er verschwunden.
Ich kam aus dem Supermarkt
und fragte mich
wo er abgeblieben war.
Vielleicht, dachte ich,
ist er tot, oder
er hat das große Los gezogen
und trinkt seinen Wein
aus goldenen Pokalen
in einer Villa am Meer
während ihm eine fette Nutte
die Füße massiert.

Doch wahrscheinlich
ist er einfach weiter gezogen,
auf eine andere Bank
in eine andere Stadt.
Wo er trinkt
bis er betrunken ist,
seine leere Weintüte
in eine fremde Mülltonne
wirft, und sagt: Ach,
das war ein guter Jahrgang.

Und die Leute werden
angewidert ihre Gesichter
verziehen, oder mitleidig
ihre Augenbrauen heben,
nur ein wenig. Und nur
wenn sie ihn überhaupt
bemerken.


Impressum

Texte: harryaltona
Bildmaterialien: Gerd Altmann/www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 01.05.2012

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