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SCRIPTED REALITY


"DAS GEHT SO NICHT, GUTE FRAU!" Brüllte Hajo Sattmann die gute Frau an.
Die gute Frau guckte verlegenen Auges in die Runde.
Zu dieser Runde gehörten ein Kameramann Plus Assistent. Ein Tonmann Plus Assistent. Ein Lichtmann ohne Assistent. Und der Aufnahmeleiter - Hajo Sattmann - der sich als einziger eine Assistentin hielt.
Diese Assistentin fungierte - Zwecks des schmalen Budgets - auch als Visagistin. Und ganz Profi machte sie sich nun ernsthafte Sorgen um das Make - up rund um die verlegenen Augen der guten Frau.
"DAS GEHT NU WIRKLICH NICH!" Brüllte Hajo erneut. "SIE MÜSSEN SICH SCHON AN UNSEREN VORGEGEBENEN TEXT HALTEN!"
"Aber so spricht doch kein normaler Mensch." Erwiderte die gute Frau mit einem ebenfalls verlegenen Stimmchen.
"WIE EIN MENSCH ZU SPRECHEN HAT, ENTSCHEIDET IMMER NOCH UNSERE MARKETINGABTEILUNG!"
"Aber es handelt sich hier doch um eine Doku - Soap. - Also... so eine Art Dokumentation! Da sollte doch etwas Echtes gezeigt werden." Wagte die gute Frau mutig zu widersprechen.
" GUTE FRAU," brüllte Hajo und hatte so langsam die Faxen dicke, " HAT IHNEN NIEMAND ERKLÄRT WIE DAS HIER SO LÄUFT...? HAT SIE NIEMAND AUFGEKLÄRT...? ALSO GUT! DANN NOCHMAL VON VORNE: WIR ARBEITEN HIER AUSSCHLIEßLICH NACH DREHBUCH, DENN NACH UNSERER ERFAHRUNG IST DAS ECHTE LEBEN ZU LANGWEILIG UM ES INS FERNSEHEN ZU SCHAFFEN. UND WAS DEN TEXT BETRIFFT: ES KOMMT NICHT DRAUF AN WAS SIE SAGEN, SONDERN WIE! SO RICHTIG HÖRT EH KEINER ZU. WAS WIR WOLLEN SIND EMOTIONEN: WIR WOLLEN TRAUER, WUT, ÄRGER UND EINE ORDENTLICHE PORTION HASS!
KÖNNEN SIE UNS DAS LIEFERN?
SIE WOLLEN DOCH INS FERNSEHEN?"
"Ja, schon... ich dachte nur...?"
"DENKEN SIE NICHT, GUTE FRAU. MACHEN SIE EINFACH DAS WAS WIR IHNEN SAGEN!"
"Also schön."
"NA BITTE... GEHT DOCH! DANN MAL ALLES AUF ANFANG!"

Und Hajo Sattmann fragte sich als er seinen fett gewordenen Hintern in einen improvisierten Regiestuhl fallen ließ, zum 96sten Mal an diesem trüben Tag, womit er diese Scheiße eigentlich verdient hatte?
War er nicht immer ein guter Sohn gewesen?
Ein hilfsbereiter und treusorgender Mensch?
Ein Mann mit reichlich sozialen Kompetenzen?

Doch diese Olle da, die gute Frau da mit dem verlegenen Blick, die hatte doch irgendwie Recht; so richtig Recht mit ihrer Sicht auf das was er hier machte. Mit ihr. Den Anderen. Und auch mit sich selber.

Hajo erinnerte sich an seine Zeit auf der Akademie. Die Filmhochschule. Und was sie dort alle für wahnsinnig große Idealisten waren. Die zukünftigen Weltverbesserer; die investigativen Berichterstatter unsagbar obszöner Skandale in der Politik, im Wirtschaftsleben.
Was war davon noch übrig geblieben? Fragte er sich.
Wo waren seine Ideale abgeblieben? Seine Überzeugungen? Und sein Kampfgeist?
Anstatt jetzt hinter einer heißen Story um Korruption im Bauausschuss hinterher zu jagen, sitzt du jetzt hier mit diesen Amateuren die dir das wahre Leben vorspielen sollen; diese absurden und zutiefst bescheuerten Hausfrauen - Dramen um Eifersucht, Neid und verletztem Stolz. Und das in Serie. Eine Sendung dämlicher als die vorhergehende. Und immer weiter. Und Immer dämlicher. Man glaubt irgendwann das es keine Steigerung mehr geben könnte. Und ist dann selbst überrascht das es geht.
Bravo Hajo, sagte eine Stimme in seinem Kopf, weit hast Du es gebracht. Eine Stimme die verdächtig nach der guten Frau klang.

Doch wie immer wenn Hajo mit Selbstzweifeln und seinem Ekel vor sich selber kämpfte, erklang eine zweite Stimme in seiner Birne. Eine Stimme die ihm weh tat; eine Stimme die seine Seele zerwühlte, eine Stimme die verdächtig nach der seines Chefs klang:
Über was beklagst Du dich denn?
Dir geht es doch besser als den meisten Menschen!
Und das mit den Idealen? Ideale sind was für Träumer - ewig hungrigen jungen Träumern! Ideale schleifen sich ab. Überzeugungen sind was für Verlierer. Wir müssen uns anpassen, Hajo, unseren Markt bedienen. Du hast es doch weit gebracht, Mann. Das is n feiner Job. Immer noch besser als Werbespots für Damenbinden produzieren, Alter. Oder verkackte Dokumentationen über das widerwärtige Paarungsverhalten in europäischen Königshäusern drehen. Nee, dass willste doch auch nich. Du willst den sicheren Job. Das gute Gehalt. Denn einer muss ja die Miete zahlen, die Familie ernähren, die nächste Rate für deinen Himbeer roten 911er Porsche berappen. Und die extra Nase Koks zum Monatsende zahlt sich auch nich von alleine, Du blöder Sack, also reiß Dich am Riemen...! Und Willkommen in der Realität!

"TON AB!"
"KAMERA AB!"
"UND BITTE...!" Brüllte Hajo Sattmann, wie eh und je.


Impressum

Texte: harryaltona
Bildmaterialien: Günther Gumhold/www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 20.04.2012

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