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DAS HARTE LEBEN AM NÖRDLICHEN ENDE
EINER RECHT UNBEKANNTEN THEKE


An meinem ersten Abend
in der neuen Stadt suchte ich,
wie immer wenn ich irgendwo ankam,
nach einem Ort der geeignet schien
um sich vom öden Alltag
zu erholen und Entspannung verhieß.

Meistens war das
eine Kneipe.

Aber die richtige Tränke
zu finden ist genauso schwer
wie der einen Frau zu begegnen,
in die man sich sofort verliebt
und bedingungslos hingibt.

Äußerst selten.

Also marschierte ich durch dunkle Straßen,
überquerte einsame Plätze und Parkanlagen,
vorbei an Gaststätten, die mir
auf den ersten Blick nicht zusagten.
Entweder war es dort zu voll,
oder zu leer. Zu sauber, oder einfach
zu verlottert. Das Licht zu grell.
Die Atmosphäre stimmte einfach
noch nicht.

Dann,
am Ende einer schmalen Gasse
vernahm ich die ersten Anzeichen
alkoholbedingten Frohsinns, die
auf das baldige Ziel meiner Suche
hinwiesen: Unbestimmbare Musikfetzen
schwappten wie Sirup an mein Ohr,
das warme Licht einer 40 - Watt - Birne
bahnte sich mühevoll einen Weg
durch dreckverkrustete Scheiben
und Nikotingelbe Vorhänge.
Das alkoholsatte Kreischen
einer längst verblichenen Wirtshausschönheit
durchschnitt hart und klar und schmerzhaft
die bürgerliche Schlafenszeit.

Da ging ich dann rein.

Bierdunst und Zigarettenqualm
wogten in meine Lunge, kratzten bitter
an meinen Schleimhäuten, hustend
und mit tränenden Augen tastete
ich mich vor in diesen einzigartigen Geruch
aus zu lange getragenen Klamotten,
nassen Socken und WC - Spülsteinen.
Schemenhafte Gestalten hockten
wie angenagelt am Tresen.
Dahinter erhob ein Riese
mit roten Haaren sein Haupt
und seine Stimme:

" Neu hier in der Gegend ? "
" Grad´ angekommen !"
Antwortete ich wahrheitsgemäß.
" Na dann... Willkommen im Scharfen - Eck !"

Und der rote Riese
reichte mir eine Flasche seiner Hausmarke
über den feucht glänzenden Tresen.
Es war die mit Abstand kälteste Flasche Bier
die ich je in meinen durstigen Händen gehalten hatte.
Ich leerte sie in einem Zug,
und bestellte mit meinem eisigsten Lächeln
gleich noch eine.

Unterdessen erkundigten sich freundlich lallende Stimmen
nach meinem Namen, meinen Erlebnissen auf diesem Planeten,
nach meinen Plänen zukünftiger Natur, und einer aktuellen Idee
wie man die alte Heidi, die mit feuchten Lippen
an einem Cognac - Glas hing, für die noch junge Nacht
klarmachen könnte.

Pläne hatte ich keine, Ideen noch viel weniger,
aber mit ein paar spaßigen Erlebnissen konnte ich
durchaus dienen, wobei mich meine Erinnerungen
dermaßen entsetzten, dass ich glatt ne Lokalrunde
schmiss. Lautes Gejohle
und anerkennende Seufzer waren die Ernte
für diese gemeinnützige Tat, ernst zu nehmende Versicherungen
ewiger Freundschaft folgten alsbald - plus Schulterklopfer.

Die Nacht nahm ihren unvermeidlichen Fortgang.
Jemand mit offensichtlich musischen Gaben
fütterte die Musik - Box und drückte 23mal
" Er gehört zu mir " von Marianne Rosenberg.
Und ich stimmte ein
in den Chor besoffener Träumer und Aufschneider.
Ich soff das Bier, dass noch nie so gut schmeckte,
und ich sang diesen dummen Schlager
wie ich noch nie gesungen hatte. Arm in Arm
mit meinen neuen Saufkumpanen, die sich mehr und mehr
in altbekannte Seelenverwandte verwandelten.
- Marianne hatte keine echte Chance
gegen uns. Und je weiter wir dieser Nacht folgten,
desto tiefer grub sich mir die Erinnerung
daran ein. Und selbst das profanste Ereignis
schien einen zutiefst logischen Sinn zu ergeben.

Und irgendwann hing die dralle Heidi
an meinem Hals, flüsterte mir mit runzligen Lippen
und ranzigem Atem allerlei Schweinereien ins Ohr,
wobei sie ihre altersschwachen schlaffen Titten
an meinem Bauch rieb.
Für einen Delirium - gleichen Moment
war ich versucht ihr Angebot wahrzunehmen.
Aber dann besah ich mir beiläufig ihre Beine, und
vorbei war der schwache Augenblick. Ihre Beine
glichen zwei uralten verwachsenen und ausgetrockneten
Stöcken, über die ein gnadenlos böser Witzbold
die tote faltige Haut eines Elefanten geworfen hatte.
- Ich schob das alte Mädchen sanft zur Seite.

Ich soff weiter. Noch nie in meinem Leben
hatte ich sooooo einen Durst verspürt; noch nie
so eine unstillbare Sehnsucht nach seliger Trunkenheit.
Doch irgendwann gingen die Lichter aus
und es wurde Zeit zu gehen. Doch wohin...?
In solch einer Nacht konnte ich schwerlich
ins heimatliche kalte Bett fallen ! Also
schnappte ich mir eine letzte Flasche
und wankte ziellos hinaus in die einsame Nacht
wobei ich hartnäckig " Er gehört zu mir " grölte.

Meine Tage zogen zäh an mir vorbei, angefüllt
mit einem unterbezahlten öden Job, einem miesen Leuteschinder
der mir mit seinem fauligen Atem
seine Sicht auf die Welt einhauchte, und dafür sorgte,
dass mein Dasein die reinste Hölle wurde.
Ich ging immer öfter in die Kneipe.

Denn dort tobte das richtige Leben: Ein Leben
ohne Stechkarte, Akkordlohn und dem hitzigen
Konkurrenzverhalten genormter Spießerseelen;
die sich stets untereinander ihre Existenz mit immer neuen
Lebensversicherungen, Großbildfernsehern, Luxuskarossen,
Vorort - Häusern, Golfschlägern und eisernen
asozialen Verhaltensmustern rechtfertigen mussten.

Dieses Kneipen - Leben entblößte mich mit der Zeit
von allem überflüssigem Ballast: Den schalen Träumen
von Ruhm und Reichtum, sozialem Status und Unabhängigkeit.
Und ich nahm diese bitter - süße Pille der Erkenntnis,
spülte sie runter mit einem Mundvoll Bier, einem bissigen Lachen
und der Gewissheit, dass alles
in einem gerechten Ende mündet.

Eine Woche später wurde ich gefeuert, die darauffolgende Party
im Scharfen - Eck zur erinnerungswürdigen Legende.
Dann schmiss mich der Vermieter aus der Bude
und ich zog weiter. In eine fremde Stadt,
und auf der Suche nach einer geeigneten Kneipe
die etwas Entspannung verhieß...


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Tag der Veröffentlichung: 03.10.2011

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