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NACHT ÜBER NACHT


BÄNG…! BÄNG…! BÄÄÄÄNG…!
Weckruf! Mit Baseballschläger auffen Tresen. Immer wieder!
Scheißladen, denkt Kurti, kannste vergessen. Aber echt jetzt!
Steht auf, guckt dem Wirt finster ins Mörderauge, schmeißt Geld nach dem trägen Wirtshauswanst.
„Raus hier!“ Sagt der.
Raus hier. Kurti saust raus. Und rein inne Nacht. Noch junge Nacht. Jungfrauennacht. Mit Lichtern an. Bunte Neonlichter. Rot. Blau. Grün. Dazwischen Dunkelheit. Fremde Finsterkeit. Kurti peilt den Kurs. Kurti setzt die Segel. Kurti schippert Richtung Mommsen ´s Magermilch – Palast.
Kurti auf seinem Weg. Vorbei an Huren, Junkies, Säufern, Totschlägern und den Typen vonne Heilsarmee. Vorbei an abenteuerlustiger Dorfjugend, heimlichen Höschenschnüfflern, Porno – Piraten und normal Verrückten.
Kurti dockt an. Zerrt die Tür ins Freie und schlüpft durch den Spalt. Drinnen is auch bekanntes Gesindel. Paco, Mustafa und die drollige Doris. Sitzen da am Tisch unter den bunten Bildern ausm TV. Trinken und reden. Reden und lachen und trinken.
Kurti rangiert seinen Salzstangendürren Körper ansehnlich und elegant vor die Theke. Der olle Mommsen dahinter. Zwinkert midde Augen. Zwinkert den Gläsern zu: den Flaschen, dem vergessenen Krempel, den Wänden. Mommsen zwinkert Kurti zu. Kurti kennt das. Der Mommsen hat ne Macke. N Schaden. N Tick. Oder so. Oder auch nich. Und auch egal.
Kurti hebt vier Finger. Kurti bestellt. Vier Eisbrand und vier Schwarze. Mommsen zockelt midde Finger innen Kühlschrank. Hievt Flaschen und Gläser vor Kurti auf. Zwinkert. Schleudert zur Begrüßung angemessene Worte in Kurtis Gesicht. Kurti nickt. Klemmt sich die Flaschen und Gläser und trottet hin zu der Lagerstätte ihm bekannter Gesichter, Geschichten und Lebensläufe.
„Tach!“ Sagt der Kurti.
„Tach auch.“ Sagt der Paco.
„Tach, du olle Wracktonne.“ Sagt die Doris.
„Gepriesen sei Dein Erscheinen!“ Sagt der Mustafa.
Kurti hebelt die Getränke auffen Tisch. Setzt sich auffen Stuhl davor. Zündet sich ne Filterlose an. Inhaliert. Und schließt nach Stunden, das erste Mal zufrieden die Augen. Doch schon nach gezählten drei Momenten tut es weh.
Eisbrand!
Da hilft nur Eisbrand, weiß der Kurti. Denn Eisbrand friert den Schmerz fort und befeuert die Seele. Bis hellrote Funken sprühen. Funken in die Nacht. Diese Nacht ist jetzt nich mehr jung. Doch noch nich zu alt.
Kurti nimmt die Flasche. Setzt sich das Ding anne Lippen. Wie ne Fanfare. Und lässt die herbe Flüssigkeit über seinen Knorpel schwappen. Durch die Röhre. Ab nach unten. Und mittendurch. Durch all den Schmerz, die Angst, Einsamkeit. Mitten durch dieses schwarze zittrige Loch, das manche Menschen Leben nennen. Und doch nich wissen wohin damit.
Schnell noch n Schwarzen nachkippen, denkt Kurti. Und kippt schnell den Schwarzen nach. Der Schwarze ist schön und gut, und natürlich schwarz; und füllt das tote faserige Loch in Kurtis Innerstem mit samtener Zufriedenheit:
Gut so.
Gut so, hier zu sitzen.
Gut so, hier zu sitzen mit den Genossen.
Gut so, hier zu sitzen mit den Genossen, und zu warten. Warten… auf die Dinge die da so kommen möchten.
Aber noch kommt nix.

„Welche Nacht ist denn heute?“ Fragt die Doris, und schaut dem Kurti ins grüne Seidenauge.
„Die dritte!“ Sagt der Kurti. Und bemerkt, dass sich seine Stimme langsam mit Wolken füllt. Mit sahnigen Wolken. Plüschwolken. Die seine Stimme so lauschig und bequem macht. Ganz genauso wie die Nächte. Diese Tintenblauen Nächte in denen so manches passieren kann. Und das man nicht verpassen sollte. Und das der Kurti auf keinen Fall verpassen will. Denn sicherlich wird es einfach göttlich sein… zutiefst magisch… herrlich himmlisch…
Doch hier und jetzt schein es noch weit entfernt. Das spürt der Kurti. Besser gesagt: Er spürt gar nichts. Kein gewisses Vibrieren. Nicht mal dieses leise pulsieren der Elemente, die Ankündigung wichtiger Veränderung, dieses feinsilbrige Zittern im limbischen System.
Nix da. Nada. Null. Nüscht.

Paco macht Pause. Glatt weggepennt. Mustafa macht Pause. Glotzt mit melancholischen Kamelaugen innen Fernseher. Doris macht Klimper – Klimper mitte Augendeckel. Drollig, die Doris. Der Rest sind Wachkomapatienten.
Kurti stellt die Beine gerade. Hievt den Arsch empor. Steht dann da. Wie so ein Mensch eben steht. Und guckt durchs schlierige Fenster. Guckt raus inne Nacht.
Kurti fährt die Antennen aus. Peilt den neuen Kurs. Und setzt nochmal seine Segel. Segel – noch neu genug – um ihn fort zu wehen. Wohin auch immer. Wohin auch wo hin. Erst mal wieder raus. Inne Nacht rein. Bunte Nacht. Strahlende Nacht. Rot. Blau. Grün. Und…
Mommsen zwinkert. Und furzt. Quasi zum Abschied.

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Tag der Veröffentlichung: 17.07.2011

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