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DER TAG AN DEM ICH (BEINAHE)
100 000 EURO GEWANN


Es war ein Samstag. Ein stinknormaler Tag.
Nach wochenlangen Regenfällen ließ sich die Sonne mal wieder blicken. Fett und glänzend hing sie da oben. Ganz so wie in einer schmucken Werbebroschüre der Freizeitindustrie. Immerhin ist es Anfang September und die ersten Blätter haben sich von den Bäumen verabschiedet.
Ich tue das was jeder durchschnittliche Lohnempfänger an so einem Tag tuen würde: Ich glotze in den Fernseher.
Gewiss, eine recht fragwürdige Beschäftigung, aber wenn man schlimm verkatert ist neigt man instinktiv zu absolut anspruchslosen Tätigkeiten. Über die Auswirkungen solch unvorsichtigen Treibens auf die geistige Gesundheit und die moralische Hygiene macht man sich im Zustand permanenter Schwindelanfälle und aufkommender Kotzgefühle in der Regel ja viel zu wenig Gedanken.
Abgesehen davon erfahre ich – in bequemer lässiger Seitenlage ruhend, den Kopf sanft ins Kissen gedrückt – allerlei schier unglaubliche Geschichten aus der weiten Welt, die mich vorübergehend ins blanke Staunen versetzen.
Zum Beispiel erfahre ich von einem eher unbekannten Politiker dass er nun endlich die Lösung unseres größten gesellschaftlichen Problems parat hat. Sein graues, totes Gesicht glüht geradezu vor Enthusiasmus bei dem Versuch der deutschen Öffentlichkeit seinen Plan zu erläutern. Dieser famose Plan – den er ganz allein ersonnen habe, so betont er dauernd – sieht vor, alle bis jetzt so unnützen Arbeitslosen als Sicherheitskräfte im öffentlichen Nahverkehr einzusetzen. Nach den bisher vergeblichen Versuchen radikaler muslimischer Glaubensbrüder irgendwas in unserem geliebten Vaterland in die Luft zu jagen, sollen nun diese – für die Allgemeinheit der Steuerzahler nicht mehr tragbaren – Sozialparasiten ihre bislang unnützen Existenzen sozusagen als menschliche Bombenspürhunde in den Dienst unserer geliebten Volkswirtschaft stellen.
Eine feine Idee, denk ich mir.
Ich sehe es direkt vor mir: Da ist eine 56 – jährige gelernte Floristin, geschieden, zwei erwachsene Töchter, seit fünf Jahren Arbeit suchend, beim Versuch mit Nagelfeile und Bindedraht eine scharfe Höllenmaschine in einem Bus zu entschärfen. Der kalte Schweiß rinnt ihr übers Gesicht, das Höschen längst nassgepinkelt, noch ein panisches Augenzwinkern bevor das Bombe explodiert und einen drei Meter tiefen Krater, gesprenkelt mit Fleischfetzen und Knochensplittern, hinterlässt.
Wirklich eine feine Idee, denk ich nochmal. Der Mann hat Mut. Oder er ist ein unglaublicher Vollidiot. Auf jeden Fall wird er es mit seinen schrulligen Ideen noch weit bringen in seiner Partei. Und je länger ich über diesen Stuss nachdenke, desto schwindliger wird mir. Ich wechsle den Sender.
Aha, die Sportschau. Bundesliga – Spieltag. Fußball, dass kenn ich. Da weiß ich Bescheid. Aber jetzt dabei zuzusehen wie eine Horde prepupertärer Millionäre in kurzen Hosen einem Ball eines bekannten Markenproduzenten hinterherrennt, ist dann doch zu viel für meine gereizten Nerven. Auch die Fußballer scheinen es mit den Nerven zu haben. Sie fußballern schlecht. Man spürt das sie gerne etwas anderes machen würden. Wie Golf spielen, sich einen brandneuen Ferrari kaufen oder zum Frisör gehen. Dauernd fahren sie sich mit den Händen durch ihre Haare, fummeln sich die Frisur zurecht…
Ich zappe sie weg.
Eine Gerichts – Show. Zapp. Eine Daily – Soap. Zapp. Kochsendung. Zapp. Etwas mit wilden Tieren. Ich halt `s nich mehr aus, all die bunten Bilder. Ich brauch ne Pause. Ich wechsle in den Videotext.
Da sind die Schlagzeilen:
Ein brandneuer Krieg im Nahen Osten!
Das Klima wandelt!
78 Tote bei Selbstmordanschlag in…!
Der Papst besucht seine deutsche Heimat!
Die täglichen Katastrophen in unserer cool und styleisch geformten Welt, die uns in der eigenen erlebnisfreien Existenz so schön zum Gruseln bringen; die uns die nötige Portion Paranoia liefert; die uns an die Wahlurnen treibt, um einen Volltrottel zu wählen der uns allen verspricht das alles wieder gut wird.
Weiter durch die Seiten.
Moment mal. Da ist doch was. Eine kurze Meldung unter Vermischtes: Der letzte König von Tonga ist nach 41 – jähriger Herrschaft im Alter von 88 von uns gegangen.
Na, das ist doch mal was.
Ich kann ihn mir so richtig gut vorstellen, diesen König ( nun ehemals.) von Tonga. Groß und Ebenholzschwarz, eine fiese Sonnenbrille verdeckt seine gelb unterlaufenen Glubschaugen und ein schmuddeliges Tier – Fell umspannt seinen unglaublichen Schmerbauch. Seine Untertanen knien vor ihm im Staub, während der König ( ehemalige ) sich auf einen gewaltigen, aus menschlichen Knochen zusammen gezimmerten Thron hievt um einen kleinen Imbiss ( kross gebratenes Wasserschwein garniert mit unsagbar exotischen Früchten ) zu sich zu nehmen. Im Hintergrund schwitzen seine Lakaien, gewaltige Kerle mit Staubwedeln vertreiben die fetten surrenden Fliegen von des Königs ( ehemals ) Ohrläppchen. Zur Entspannung und verdienten Unterhaltung tanzen 100 ausgesuchte Jungfrauen komplizierte erotische Tänze, melodisch untermalt von Bongo – Trommeln und himmlischen Harfen.
Ooooh ja, der muss n spitzenmäßiges Leben gehabt haben, denk ich mir, vielleicht könnt ich sogar sein Nachfolger werden ? Den Schmerbauch hätt ich schon, und wo Tonga liegt würde ich schon noch rauskriegen.
Ich klicke weiter durch die Seiten und lese:
Hund rettet Großvater vorm Altersheim!
Heidi K. ist schwanger. ( Wann eigentlich nich? )
Schumi fährt am schnellsten. ( Hahaha! )
Weiter, immer weiter durch endlos scheinende Seiten.
Ah ja, da sind die Gewinnzahlen vom Wochenende. Die Lottozahlen. Ich spiel kein Lotto, hatte noch nie richtig Glück beim Glückspiel. Und im Leben erst recht nicht.
Aber da war doch was? Da hab ich doch was!
Da hat mir doch jemand so ein Los geschenkt. Sogar ein Dauerlos. Von dieser Lotterie deren Erlöse Menschen mit Behinderung ( Sorry, Handicap.) zugute kommen; vor ein paar Wochen war das. Ich hab `s ganz vergessen.
Wo hab ich dieses verdammte Los hingetan?
Wo hab ich bloß…
Da fällt `s mir wieder ein. Tief in einer Schublade liegt der Schein , begraben zwischen alten Rechnungen und überflüssigen Flugblättern . Ich fummle es ans Tageslicht, streiche es oberflächlich glatt. Da stehen die Zahlen. Eine bestimmte Anzahl übereinstimmender Zahlen bestimmt den Gewinn. Zwei richtig Zahlen sind ein kleiner Gewinn, drei Zahlen ein erträglicher… usw. Mit zehn Richtigen kann man ein Haus mit Grundstück gewinnen. Aber wer will schon ein Haus? Ich persönlich lebe bereits in einem sicheren Versteck. Ich vergleiche die Zahlen. Da is nix dabei. Kein kleiner Gewinn. Ich gucke weiter… und da ist doch was! Da stimmt doch was überein! Da ist die drei! Hab ich! Da ist eine acht! Hab ich auch! Die fünf. Die ist auch auf meiner Seite! Nochmal die drei. Ich bin auf der sicheren Linie! Die eins. Nur bei mir, Baby! Ich bin auf der 100 000 Euro Schiene. Eine richtige Zahl fehlt noch. Auf dem Bildschirm steht eine sechs. Ich gucke auf meinen Zettel. Ist das eine sechs, oder was ? Ein Knick im Papier verstellt mir die Sicht. Ist das nu ne sechs, oder ne acht, oder was?
Oooh Mann, 100 000 Euro! Ich dreh n bisschen durch.
Ich kann `s nich richtig lesen, meine Konzentration lässt mich im Stich. Und meine Fantasie beginnt zu arbeiten… Immerhin, kein Wunder bei der Aussicht auf 100 000 Euros!
Was könnte ich alles anstellen mit diesen 100 000 Krachern?
Ich könnt mir ne neue Klobrille kaufen. Die alte hat nen fiesen Riss im Plastik, an dem man sich dauernd die linke Arschbacke einklemmt. Sehr schmerzhaft.
Und Bier könnt ich mir kaufen. Plus eine ernstzunehmende Menge weicher Drogen um möglichst schmerzfrei über die Runden zu kommen. Bei 100 000 Euro wär sogar noch etwas übrig.
Ich könnte mal wieder verreisen. Zum Beispiel nach Helsinki, da war ich noch nie…
Ich könnt mir ne neue Gitarre leisten mit nem pervers lauten Verstärker um meine ekligen Nachbarn in den endgültigen Wahnsinn zu treiben…
Ich könnte mir einen kleinen korrupten Beamten kaufen. Obwohl ich nicht weiß, was ich mit dem Kerl anfangen sollte…
Mir schwirren die Sinne, mir schwimmt der Verstand davon.
Ich könnt mir ne Knarre kaufen mit genügend Munition um einen Haufen Leute zu erschießen. Denn ich bin mir sicher mindestens ein Arschloch zu erwischen.
Jetzt reiß dich mal zusammen, ermahne ich mich, denk an was positives.
Ich könnt mir den Arsch liften lassen und n paar neue Hosen kaufen…
Ich könnt mir 10 Kilo Fett absaugen lassen, 1 Pfund Botox in die Fresse spritzen lassen, um bessere Chancen in den Redaktionen der Macht zu haben…
Jetzt dreh ich aber total durch… Dir fehlt immer noch die letzte Zahl, rufe ich mich zur Ordnung, Reiß dich zusammen, brülle ich in meiner heißgelaufenen Birne. Ich schnapp mir nochmal das Los. Halte es gegen das Licht… halte es unter das Licht… Und natürlich…
Ganz klar ist es jetzt zu sehen. Es ist eine acht. Keine sechs! Is nix mit Gewinn. Keine Chance auf die 100 00 Euro. Alles nur Wunschdenken… ein fader Traum.
Mir wird übel. Mir wird seltsam melancholisch. Mir ist danach, etwas kaputt zu machen. Ich knipse den Fernseher aus, schiebe eine CD vom ollen Muddy Waters in den HI – FI und lasse es krachen. Die Uhr zeigt 20:36. Zeit fürs erste Bier. Zeit diesen Tag für immer zu vergessen. Über eine neue Klobrille denk ich morgen noch mal nach…
Eben wieder nur ein stinknormaler Tag.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.05.2011

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