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Kopfschubbler

Kopfschubbler

Meine Schuhe sind an der Spitze durchgescheuert. „Das kommt vom Fußball spielen, das gibt wieder Ärger“, sage ich mir und bemerke zu spät den „Kopfschubbler“. Der kommt in Form der Tochter unseres Nachbarn. Sie beugt sich herunter zu mir und versucht mein ungekämmtes Haar zu ordnen. So empfinde ich es zumindest.
„Du bist so ein niedlicher kleiner Kerl“ mit den Fingern geht sie durch meine Haare, „aber kämmen solltest dich morgens. Oder Mutti bitten es zu tun.“ Nun streichelt sie mich auch noch und hebt mit der Hand mein Kinn in die Höhe. Jetzt blicke ich zu ihr auf. Habe ja auch keine Wahl. Geschminkt erkenne ich und - sie riecht angenehm. Ihre freundlichen blauen Augen strahlen mich an.
„Du hast ja ganz schwarze Augen mein Kleiner“ mit einem belustigten Lächeln und mir zublinzelnd, „die musst du mal waschen.!“ Dann lässt sie mich los und tippelt auf ihren Stöckelschuhen davon.
Ihr nachschauend überlege ich, das habe ich nun schon einige mal gehört und vielleicht stimmt es. Werde nachschauen gehen.
Die alten Holzstufen erklimmen, nicht einfach hochgehen, halte ich mich an den gedrehten Holzstäben die zum Handlauf führen fest und ziehe mich Stufenweise hoch. Erreiche so langsam unser kleines Zuhause unterm Dach.
Muttern höre ich schon, wie sie sich mit lauter Stimme in der Stube mit Tante Emmi unterhält. Über irgendetwas lachen sie laut während ich die Tür öffne. Es gab damals keine Knöpfe außen oder Sicherheitsschlösser. Nur die Klinke und einen einfachen Bartschlüssel, möchte man die Tür verschließen. Abgeschlossen allerdings, wurde bei uns fast nie.
Unbemerkt gelange ich in die Küche. Den einzigen Küchenstuhl, schiebe ich vorsichtig an das gusseiserne halbrunde Waschbecken. Über der fleckigen emaillierten Rückwand, befindet sich ein Spiegel in den ich nicht schauen kann, ohne mich zu erhöhen. Was sehe ich endlich in Position: schwarze Augen!
Nachdenklich stehe ich auf dem Stuhl und betrachte mein Gesicht. Sie hat recht, die Augen sind dunkel, fast schwarz. Meine Haut ist aber auch so dunkel, wie der Zigeuner der immer in den Mülltonnen nach Zigarettenkippen sucht.
Mein Entschluss steht fest. Ich werde jetzt einmal mein Gesicht heller machen und die Augen waschen.
Erst einmal vom Stuhl steigen. Unter dem Becken steht das weiße stinkende Pulver, das ich nun nehmen werde. Basta!
Wieder auf dem Stuhl stehend, sehe ich auf den Namen des Pulvers, ATA steht darauf, und mein Spiegelbild entschlossen betrachtend, beginne ich.
Nehme zuerst den Wachlappen vom Haken, lege den auf die Löcher vom Wasserablauf und drehe den Wasserhahn auf. Leise läuft ein dünner Strahl. So hört es niemand. Mit meinen Händen nehme ich Wasser auf und benetze damit mein Gesicht. Mama und Tante Emmi höre ich wieder lachen. So – jetzt von dem Pulver auf die Hände und ich beginne mich ungeschickt zu waschen.
Bäh, das stinkt und kratzt. Nochmal Wasser. Nun schäumt es ein wenig. Viel besser so. Die Augen denke ich, die auch, und beginne damit. Plötzlich brennt es, es brennt wie verrückt und mein intuitiver Versuch mit erneutem Wasser zu spülen, verstärkt alles nur. Was ist das? Ich falle vom Stuhl, stoße mit dem Kopf an den Schrank und beginne laut zu brüllen!
„Ich kann nichts mehr sehen Mama Es tut so weh“, plärrte ich so laut, dass die eben noch nebenan Lachenden, durcheinanderredend plötzlich neben mir stehen. Mich aufrichtend fragen sie einstimmig: „Aber Junge, was machst du denn nur für Sachen?“ Das laufende Wasser und das Scheuermittel entdeckend, „das gibt es doch gar nicht!“ Meine Mutter betrachtet mich kopfschüttelnd, „wie kommst du nur auf so was?“
Heulend mit den Fingern in den Augen reibend, bin ich außer Stande zu antworten.
Muttern hebt mich entschlossen hoch, hält meinen Kopf unter Wasser um das Putzmittel abzuspülen. „Mund zu, Augen auf!“ Befiehlt sie mir, was ich unter schwachen weinerlichem Protest auch folgsam mache. Es dauert eine ganze Weile, bis ich meine Augen wieder öffnen kann ohne die sofort wieder zu schließen. Aber endlich ist es dann soweit.
„Junge, was hast du dir bloß dabei gedacht? Du kannst dich doch damit nicht waschen ...“, mir die Packung dicht vor die Nase haltend, „… damit machst du deine Haut und die Augen kaputt!“
Die Moralpredigten der Beiden prasseln auf mich hernieder. Sie kennen mein Problem nicht.
Holpernd und schluchzend beginne ich mit meiner Erklärung. Augen schwarz, schmutzig, Zigeuner waren die Hauptaussage. Das Lächeln der Beiden irritierte mich anfangs zwar ein wenig, tat aber mir aber so unendlich gut. Und was mir als Erklärung für die Bemerkungen gesagt wurde, ebenfalls.
Also – Scheuermittel, nur einmal angemerkt, um das, habe ich für eine lange Zeit, einen riesigen Bogen gemacht.

 

14.01.2016
    © harry reinert

 

 

Impressum

Texte: harry reinert
Bildmaterialien: harry reinert
Tag der Veröffentlichung: 14.01.2016

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