Verlaufen
Winter in Nordschweden
Seit Wochen herrscht eisige Kälte. Der gefallene Schnee liegt fast 2 Meter hoch und noch immer schneit es leicht.
Ein Hof bestehend aus einem Haupthaus und zwei kleinen Nebenhäusern, ist hinter hoch aufgetürmten, geräumten Schnee kaum noch zu auszumachen.
Nur notdürftig ausgeleuchtet von einer großen Hoflampe, gibt es eine geräumte Fläche zwischen den Gebäuden. Über die eilig eine beigeweiß getigerte Katze vom Haupthaus kommend über den Hof springt, um hinter einer nicht ganz verschlossen Tür zu verschwinden.
Fallende Schneeflocken im bleichen Licht der Lampe, ist jetzt die einzige Bewegung.
Hinter zwei erleuchteten Fenstern ohne Vorhängen, ist vage eine Bewegung auszumachen. Eine kleine Gestalt nähert sich dem Fenster. Das Gesicht dicht an der Scheibe, hält sie vermutlich Ausschau nach der kleinen Katze. Doch die ist verschwunden.
Gegen Mitternacht, die Fenster sind dunkel, öffnet sich langsam die Eingangstür einen Spaltbreit und eine kleine Gestalt schiebt sich hinaus. Unentschlossen wirkend, schließt sie hinter sich die Tür und verlässt zögernd den Schutz des überdachten Eingangs Richtung Hof. Mehrfach sich umsehend, stapft sie durch den Schnee zu dem Nebenhaus in dem die Katze verschwand und drückt sich mühelos durch den engen Spalt.
Der Schneefall hat nachgelassen und es wirkt in dem wenigen Licht alles still und friedlich.
Die kleine Person, hinter der spaltbreit geöffneten Tür stehen geblieben, tastet sich nun langsam im Dunkel vor. Es ist Britta die 8.jährige Tochter des Hauses. Sie kennt sich hier genauesten aus. Vorsichtig umkurvt sie eine große Tonne mit brennbarem Abfall. Sich am Rand des Gefäßes festklammernd, steuert sie auf gestapelte Ziegelsteine an der Rückwand zu.
„Wo seid ihr den? Ich kann euch nicht sehen. Na kommt …“ raunt sie in das Dunkel, „damit ich euch sehen kann.“
Es raschelt unter den Steinen und langsam schiebt sich eine kleine Katze hervor. Kaum eine Handbreit Platz zwischen zwei Steinen reicht als Versteck für das Kätzchen.
Britta, die sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hat, erkennt deutlich wie sich das Kätzchen ihr nähert.
Schnurrend, sich an ihren Beinen reibend, spricht das Kleine plötzlich mit leiser feiner Stimme: „Wir haben auf dich gewartet. Wir haben Hunger.“
Ein zweites Kätzchen, ebenfalls aus dem Steinversteck hervorkommend, gesellt sich zu ihnen. „Ja, sogar ganz großen“ und schmiegt sich schnurrend an ihr anderes Bein.
Aufgestellt das Köpfchen Britta zuwendend, erreicht ihr kaltes feuchtes Näschen das Gesicht des sich bückenden Kindes.
„Na du kleine freche Maus“, flüstert ihr Britta verliebt zu, „geht es dir ein schon ein bisschen besser?“ Dabei streichelt sie zärtlich das Köpfchen der kleinen Katze.
„Der viele Schnee“, seufzt diese, „er macht mir so zu schaffen.“
„Nicht nur der Schnee, Maxine“, so nennt Britta die deutlich dunkler gestreifte Kleine, „auch der verlorene Orientierungssinn. Aus diesem Grunde seid ihr doch hier“ Dabei liegt Sorge in ihrer Stimme.
Sich niederkniend zu den Kleinen, holt Britta aus der Bauchtasche ihrer geblümten Schürze ein Paket hervor.
Oh, oh endlich, endlich “ rufen die Beiden aus und bedrängen sie übermütig in Vorfreude auf etwas zu essen.
„Hinsetzen!“ Befiehlt Britta streng und hebt dabei das Paket an. „Setzt euch.“
Sie mit Schiefgelegtem Kopf ansehend setzen sich die Kleinen unruhig wartend nebeneinander.
„Endlich etwas zu essen, “ lachen sie vereint als das Paket ausgebreitet vor ihnen liegt.
Johanna, die um vieles heller gefärbte Katze, hatte jetzt nur noch Augen für das Essen und schlang es in sich hinein. Während Maxine Britta ansieht, „wann gehen wir? Der viele Schnee, ich möchte wieder nach Hause.“
„Wir gehen heute Nacht“, sagt Britta lächelnd, „esst erst einmal etwas.“
Nun hat auch sie nur noch Augen für das Mitgebrachte. Gerade rechtzeitig um noch etwas abzubekommen.
Britta hockt mit den Beiden am Boden und sie fröstelt obwohl die kleinen Katzenmädchen sie zu wärmen versuchen. Als plötzlich der Ruf einer Eule erklingt. Unheimlich wird ihr immer wenn sie das hört. Doch diesmal schien es so, als habe sie darauf gewartet.
„Uuuhuuu“, klingt es lang gezogen, „wo seid ihr?“
„Hier sind wir!“ Riefen Maxine und Johanna aufgeregt, „hier, wir kommen!“
Und liefen in Windeseile hinaus,
Britta erhebt sich. Sie fror und war müde. Sie hat sich in die Gartenjacke von ihrem Papa eingehüllt, die er immer an dem Nagel in der Wand bei den Steinen aufhängt. Sich aufrichtend droht sie darin fast zu verschwinden. Nach draußen folgend, versucht sie ihre Händchen durch die Ärmellöcher frei zu bekommen.
Draußen angekommen saß auf dem Dach des kleinen Vogelhauses die Eule und blickte Britta erwartungsvoll an.
Die Kätzchen wuseln unter dem Haus hin und her und dabei rufen sie hinaufsehend wie wild durcheinander: „Hilfst du uns. Kannst du uns helfen? Wir müssen zu unserer Mutter. Schon seit Tagen wartet sie auf uns. Maxine hat keinen Orientierungssinn mehr und wir haben uns verlaufen. Wir müssen aber unbedingt …..!.
„Ruhe!“ Herrscht die Eule die Zwei an, „wie soll ich bei dem Durcheinander etwas verstehen. Ich brauche einen klaren Kopf! Klaren Kopf!“
Britta zugewandt spricht sie sanft: „Erzähle du mir Brittchen.“
Die Köpfchen auf den Pfoten im Schnee liegend, warten sie nun still und sehen unruhig zur Eule hinauf.
„Ach weißt du Clarissa, antwortet Britta, „die zwei haben sich hierher verlaufen und ich kenn mich doch noch nicht aus. Bei ihnen wohnen Pferde, Ziegen, aber nicht so viel - und Hühner, viele Hühner haben sie mir erzählt“ Eine Pause machend setzt sie fort, „wir können noch nicht richtig zählen.“
„Könnt ihr nicht. Ich schon. Ich schon.“ Die Eule dreht ihren Kopf im Kreis, das macht sie immer wenn sie überlegt.
Jäh stoppt sie, sieht Britta an und ruft:
„Davon gibt es hier nur Einen! Gibt nur Einen! Den alten Lundmark! Wenn ich die Kleinen so betrachte könnte Katte, “ der alte Lundmark ruft sie immer so, „ja, ja ... sie könnte die Mutter sein. Die Mutter sein. Das ist auch nicht weit fort von hier.
Aber der Fuchs! Der ist zurzeit genau da unterwegs, Unterwegs. Er hat Hunger. Kramt im Abfall von Lundmark herum, weil er keine Mäuse nicht fängt. Nicht fängt.“
Clarissa wiederholt gerne das Satzende mit wichtigem Eulengesichtsausdruck.
„Und?“ Fragt Britta, „kannst du uns helfen? Mutti guckt immer schon, weil ich abends so viel esse. Muss doch was für die Kleinen beiseite schaffen. Beiseite schaaa….,“ beinahe hätte sie sich wie die Eule auch wiederholt.
„Britta, das Beste ist, ich fliege mal schnell rüber. Ist ja nicht weit, auch für die Babys nicht. Überprüfe die frische mögliche Treckerspur. Treckerspur. Da können die Katzenkinder entlang laufen. Auch schaue ich natürlich wo der Fuchs steckt. Der Fuchs steckt. Bis gleich.“ Dann hob die Eule ab und verschwand in der Dunkelheit.
Die Schwestern sehen ihr nach und fingen an jämmerlich an zu miauen.
Britta hebt Maxine hoch. Es hat zu schneien aufgehört. Trotzdem hat sie ein wenig Schnee im Fell, das Britta mit dem viel zu langen Ärmel abputzt, „sie kommt doch gleich wieder Mäxchen und dann könnt ihr wieder nach Hause. Ist doch alles gut.“ Ihr kaltes Gesicht in das warme Fell des Kätzchens drückend. Setzt sie dann zu ihrer kleinen Schwester auf den Boden und sagt drohend: „Mache so etwas aber nie wieder hörst du? Du musst, bis du deinen Spürsinn wieder gefunden hast, an eurem Haus bleiben“ Ihre Schwester ansehend, „und du Hannchen, du passt auch schön auf, ja? Und nun kommt mit“, befiehlt Britta sich umdrehend zu Hannchen und Mäxchen, „warten wir in der Tenne auf Clarissa die Eule.
Kurze Zeit später muss sie sich von ihren kleinen Freundinnen verabschieden. Als die sich abwenden Richtung Treckerspur, laufen ihr Tränen über die Wangen.
Mäxchen, Anfangs unentschlossen, folgt Hannchen schließlich. Aber nicht ohne zigmal zurückzusehen, als wäre sie lieber geblieben.
Die Eule fliegt über den beiden Schwestern Kreise, muntert sie auf ihr zu folgen. Während Britta die Kleinen in der Spur des Treckers anfangs noch ausmachen kann, sind sie plötzlich verschwunden. Nun sind sie endgültig fort.
Wären die Zwei doch bei mir geblieben, denkt Britta traurig.
Aber es geht nicht. Mutter erlaubt es nicht. Britta wird sie im Frühjahr beim alten Lundmark ganz bestimmt besuchen. Ganz bestimmt und sie schluchzt leise in sich hinein.
Als Britta nach einer halben Stunde durchgefroren unter die Bettdecke kriecht, zieht sie sich die über den Kopf und weint. Ihr kleiner Körper schüttelt sich. Ihre Kätzchen sind fort. Die Knie angezogen schluchzt sie im Dunkel der Decke
Wann erlaubt Mutti mir endlich Kätzchen zu haben. wenn ich nicht mehr mit ihnen reden kann?
Langsam zieht sie sich die Decke vom Gesicht. Mit einem glücklichen und zufriedenem Lächeln auf ihrem tränenverschmierten Gesicht, flüstert sie: „Aber die Katzenmama hat ihre Kinder wieder.“
harry reinert
Texte: harry reinert
Bildmaterialien: harry reinert
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen vom Winter betroffenen Tieren Schwedens.