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Ein kleiner Held

Abgelegen, in einer großen Parkähnliche Anlage, steht ein altes zweistöckiges Gebäude.
Es ist sehr gepflegt, ebenso die Grünanlagen mit den vielen Angeboten zum Verweilen.
Einladend wirkt es auf jeden Betrachter. Wie eine Oase der Ruhe und der Geborgenheit.

Bei näherer Betrachtung und einem häufigeren Verweilen aber, entsteht ein veränderter Eindruck.
Es wirkt leblos.
Die Plätze zum innehalten sind immer leer.
Nur vereinzelt sind Menschen auf einer Bank oder vor dem Haus zu sehen.
Auch sind es stets Alte gebeugt Gehende, die sich nachdem sie die Strecke bewältigt haben, sich wie erlöst von den Strapazen niederlassen.

Es ist ein Seniorenheim, ein sehr ansehnliches und exorbitantes Gebäude mit kleinen Nebengebäuden, aber, eben ein Altersruhesitz, und da sollte man nicht so viel Leben erwarten.
Werden hier doch die abgeladen, die den jungen Menschen zur Last wurden. Gut gemeint natürlich, haben sie hier doch Kontakt zu ihresgleichen.
Aber wollen sie den, in dieser endgültigen Form?


*

Es geschah das ein kleiner 6jähriger Junge, mit seinen Eltern ganz in der Nähe wohnend, auf der Suche nach Abenteuern, eben diese Anlage für sich entdeckte.
Anfangs untersuchte er die nähere Umgebung der Nebengebäude, dann die Plätze an denen die „Alten“ sich treffen und Wohlfühlen sollen.
Sein Temperament und das furchtlose an dem kleinen Mann, verschaffte ihm schon bald Eintritt in das Haus derer, die doch besser und lieber unter sich bleiben.
Das der Alten.

Du uh, Tante Frau“,

 


sprach er die Pflegerin an, nachdem er wie selbstverständlich plötzlich in der Küche stand,
"was machen denn so viele Omas und Opas hier? Und ich, ich habe gar keine.“


„Ja was machst du denn hier, du kleiner Matz? Wo sind denn deine Eltern?“


„Och, die sind zuhause und machen irgend was.“


„Bist du weggelaufen?“


Fragte die Pflegerin neugierig und noch immer überrascht. Ein Kind hier in der Küche war neu. Auch während der Besuchzeit waren Kinder hier selten.
„Nein, Tante Frau, ich bin mit meinem neuen Rad hier“


Und deutete mit seinem kleinen Finger nach draußen,
„ da steht es.“


Die Pflegerin schaute sich das kesse Kerlchen nun genauer an. Wirr vom Kopf abstehende strohweiße Haare. Seine großen blauen Augen sahen sie erwartungsvoll durch die ins Gesicht fallenden Strähnen an.
Hübscher kleiner Kerl, dachte sie und so vertrauensvoll.
Er schob seine Hände in die Hosentaschen und stand nur da.
„Ich muss die Getränke und Kuchen raus bringen, willst du mitkommen mir helfen?“


„Oh ja, dann kann ich mit den Omas sprechen. Die sind immer lustig.“


„Die sind immer lustig?“


Ein wenig irritiert blickte sie auf den Fratz der so kräftig mit schob, das sie die Fahrt des Servierwagens ständig korrigieren musste, von oben herab an,
„was meinst du mit lustig.“


„Ja weißt du Tante Frau, die kennen so schöne quatschige Sachen. Die spielen immer mit mir.“


„Ich heiße Helga, sag lieber Tante Helga zu mir. Das würde mich freuen.“


Er sprang hoch und Helga wäre beinahe gegen den Türrahmen gefahren, weil er nicht mehr schob.
„Noch eine Tante Helga, “


krähte er vergnügt als sie im Essenssaal ankamen,
„ich hab’ drei, ich hab dreiei,“


und hüpfte neben Helga her.

Schlagartig war es still im Saal und nur das kleine hüpfende und lachende Kerlchen war noch hören.
Auch die quietschenden Räder des Servierwagens verstummten plötzlich.
Der kleine drehte sich zu seiner neuen Freundin um,
„warum bleibst du stehen Tante Helga?“


Und stemmte seine Hände in die Seiten,
„die Omis haben doch Hunger.“


„Ja und die Opa auch, ich weiß. Aber sag mal, wie heißt du eigentlich?“


Das Gemurmel hatte lauter als zuvor wieder eingesetzt und als ob alle hören wollten wie er wohl heißt, brach es ab und es wurde wieder still.
Der kleine Mann drehte sich die Hände noch auf den Hüften und die Ellenbogen deutlich in die Höhe nehmend um sich selbst, sah selbstbewusst auf sein Publikum.
„Woll’n wir Ratenspielen?“


Als er das fragend sich nun nach vorne beugte, brach schallendes Gelächter aus.
Unruhe auf den Stühlen machte sich breit und es wurden die ersten Namen laut gesagt, bis es aus allen Richtungen Namen gerufen wurden.
„Nein, alle falsch“,


sich auf die Knie fallen lassend, lachte er laut,
„nee alles falsch. Ich heiße Ole, weil meine Mama aus Schwedien kommt. Das ist ein Löwe der springt, das Land.“


Als er da so im Mittelpunkt stehend, alle möglichen Fragen zu beantworten verstand. Entstand eine Stimmung, wie Helga es hier noch nie erlebt hatte.
Der Kleine begeisterte ihre beiden Kolleginnen ebenso, wie ihre strenge Chefin, die herbei eilten ob des ungewohnten Lärms.

Das ehrwürdige Haus hat noch nie so in seinen Festungen gebebt, wie an diesem Tag.
Als der kleine Ole sich auf seine Fahrrad setzte, waren mehr Senioren auf den Beinen um ihn zu verabschieden, als es bei einem Probealarm.

Dem Kleinen Mann gelang es spielerisch, im verbleibenden Sommer die Herrschaften in den Garten zu entführen.
Es wurde plötzlich gelacht beim Austauschen der Erinnerungen.
Plötzlich bekamen die ein völlig anderes Bild.

Ole wurde verhätschelt wenn er mit den jung Gewordenen seine Verrücktheiten unternahm.
„Hahaa, ich hab die meisten Omas und Opas von der ganzen Welt.“


So hörte man ihn vor oder im Haus immer wieder Lachen und Krähen.


Epilog:


Alte Menschen befinden sich, das ist richtig, im Lebensabend.
Sie sollen da aber nicht auf die Nacht warten.
Die Hülle ist älter geworden, aber die Gefühle sind geblieben.
Lässt man sie weiterhin Teilhaben, können sie uns so viel geben.
Sind wir nicht auch aktiv abends?
Ohne den Kontakt mit jungen Menschen verändert sich doch die Wahrnehmung. Das was sie jung bleiben lassen würde, fehlt.
Wie soll die folgende von mir erdachte und durchaus mögliche Situation entstehen, lassen wir sie an unserem Leben nicht mehr teilhaben.
Nur ein Gedankenspiel:

Ein zwölfjährige Enkel kommt in die Gute Stube um seinen über alles geliebten Opa zu begrüßen.
Der wohnt oben und ist jederzeit verfügbar für den jungen Mann.
„Na Oppa, alles im Strumpf?“


Ein Blick in die leere Tasse von Opa werfend,
„na, noch’n starken Kaffee für’n starken Typ?“


„Gern mein Jung, danke.“


Strahlt er seinen Enkel an und sagt:
„Deine neue Jacke sieht echt geil aus. Die steht dir wirklich gut.“


Mischt er seine Ausdrucksweise und die seines Enkels ungerührt:
„Ächt näh, mein Kumpel fährt auch voll drauf ab!“




Warum also sollen sie im allein Dunkeln auf die Nacht warten?

 



© Harry Reinert,

Impressum

Texte: © Harry Reinert
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
die in der Gesellschaft alleine sind.

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