Weihnachtszeit
Drei Tage noch, dann ist Heiliger Abend.
Doch statt klirrender Kälte, statt Schnee, Schlitten und Schneeballschlachten, herrscht seit Tagen Schmuddelwetter.
Grau und regnerisch zu Weihnachten, typisch für den Norden Deutschlands.
Keine in winterliche Kleidung verpackten Spaziergänger mit Handschuhen, Schal und Mütze. Kein gefrierender Atem unter rot gefrorenen Nasen, sondern nur fröstelnde Passanten in durchnässter Kleidung und nassen Schuhen. Den Kopf zwischen die Schultern gezogenen hasten sie in den Schutz der Häuser.
Regenschirme und Mäntel prägen das Straßenbild.
*
Dem trüben Grau eines kurzen Wintertages, folgt früh und fast übergangslos, eine tiefe Dunkelheit.
Auf den nicht ausgeleuchteten Landstraßen die zur Stadt führen, herrscht ungewöhnliche Betriebsamkeit. Scheinwerfer nähern sich aus allen Himmelsrichtungen und werden zu langen Lichterketten vor der Stadt.
Es geht langsamer voran, je näher die Autos ihrem Ziel Stadt kommen. Häuser und Straßen, von dem Dauerregen dunkel, glänzen nass. Mit Plusgraden knapp über dem Gefrierpunkt ist es außerdem unangenehm kalt.
Im Licht der Straßenlaternen ist zu sehen, wie kräftige Windböen den Regen vor sich hertreiben.
Vereinzelt nur verlassen einige wenige Fahrzeuge eilig die Stadt. Ihre Lichter verschwinden rasch in der Dunkelheit.
Eine Dunstglocke aus Wärme und Abgasen liegt über der Stadt.
Auf den überfüllten Straßen und Gehwegen ist ein Vorwärtskommen kaum noch möglich.
In hoffnungslos verstopften Straßen, stehen die Fahrzeuge oder kommen nur im Schritttempo voran.
Reflektierendes Licht auf dunklen nassen Scheiben macht einen Blick hindurch in das Wageninnere fast unmöglich.
Kann man durch einen Zufall dennoch hineinsehen, erkennt man unter Spannung stehende, ungeduldig wippende Insassen. Aber auch regungslos Dasitzende und geduldig Wartende.
Weiße, wabernde Abgase sammeln sich im Licht der vielen Scheinwerfer und verbergen den nassen Asphalt. Nur langsam steigt der Dunst zwischen den stehenden Fahrzeugen auf um von dem Wind über den Autodächern vertrieben und aufgelöst zu werden.
*
Bunt blinkende Neonreklame über Hellerleuchteten Eingängen und Fenstern der überfüllten Geschäfte in denen moderne, verpoppte Weihnachtsmusik dröhnt. Nicht nachlassend in einem aussichtslosen Kampf gegen das Stimmengewirr.
Zwischen beleuchteten Tannenbäumen in den Verkaufsräumen, behängt mit funkelnden Kugeln und blitzendem Lametta, stehen die Kunden sich gegenseitig auf den Füßen. Weihnachtlich geschmückte Artikel zum Kauf animierend, liegen in künstlichen Winterlandschaften oder sind irgendwie, verkaufsfördernd dargestellt.
Schaufenster, Tresen und Vitrinen werden von Schaulustigen und Käufern in zwei und drei Reihen belagert.
Es herrscht ein unglaubliches Gedränge.
Das Licht aus den Häusern und das der Straßenlaternen, werden von dem nassen Asphalt der Straße und den Steinen der Gehwege zurückgeworfen.
Ströme von Menschen, mit Taschen und Paketen beladen, schieben sich in gegensätzlichen Richtungen, aneinander vorbei.
Andere drängen sich Schutz vor dem Regen suchend, in den Häuschen der Haltestellen, an überdachten Schaufenstern oder in den Eingängen der Geschäfte.
Zwischen den stehenden oder im Schritttempo fahrenden Autos, laufen Fußgänger eilig auf die andere Straßenseite. Auf den Übergängen der Ampeln schieben sich rempelnd, die Schnelleren, an die mit Regenschirm und Mantel bewehrten Langsamen, rücksichtslos vorbei.
Das Schimpfen der Überholten nicht beachtend, verschwinden sie im Gedränge.
*
Vor dem Eingang eines großen Kaufhauses, steht ein Mann regungslos und in Gedanken versunken.
Mit gesenktem Kopf starrt er auf den nass glänzenden Bürgersteig.
So gerade noch im Schutz des Daches mit dem Gesicht zur Straße, steht er leicht breitbeinig mitten auf dem Gehsteig.
Menschen drängeln sich achtlos vorbei.
Manchmal wird er sogar angestupst, aber er scheint es nicht zu bemerken.
Mit ausdruckslosem Gesicht beobachtet er, wie Regentropfen auf die nassen Fliesen des Weges fallen.
Vielleicht muss er daran denken, mit welcher Vorfreude er seinen Aushilfsjob angenommen hat.
Allein lebend in einer viel zu großen Wohnung, waren es jedes Jahr erneut, trostlose Tage. Erinnerungen an ausgefüllte Momente während der Adventszeit, holten ihn ein und machten ihn traurig. Wurde ihm doch bewusst, wie allein er im Grunde war.
Die Zeit vor Weihnachten war die schlimmste.
Doch dieses Jahr sollte alles anders werden
Er beabsichtigte fremden Kindern, deren Eltern und nicht zuletzt auch sich selbst, eine Freude zu machen.
Viel Lachen, reden und Spaß haben mit anderen Menschen, einfach unter ihnen sein.
Nicht mehr allein in der Wohnung sitzen.
Jetzt, Wochen später, bedauerte er seinen Entschluss. Das Wetter und die damit verbundene griesgrämige Stimmung des Publikums, waren ein Beweggrund.
Der Kommerz, die drängelnden, schlecht gelaunten auf Anstand und Benimm verzichtenden Kunden, die er in dieser Form nicht erwartet hatte, waren ein weiterer. Doch am ärgsten traf ihn die Fehleinschätzung seines persönlichen Rollenspiels.
Es kam einer ideologisch, vernichtenden Niederlage gleich.
Schien er doch für die Rolle, welche er zu spielen gedachte, geradezu prädestiniert.
Von großer, stattlicher Statur. Mit einer tiefen kräftigen Stimme ausgestattet und einem Faible für kleine Kinder, war er doch genau der Richtige.
Auch zählte er ebenso dazu, die Bereitschaft sich selbst und Anderen eine zu Freude bereiten. Sowie die Tatsache seit einigen Jahren Rentner zu sein, also genügend Zeit und das entsprechendes Alter zu haben.
Auch, das die Kinder aus der Nachbarschaft ihn geradezu liebten.
Doch welch ein fataler Irrtum war das. Weder sein Alter, noch seine Verkleidung und auch nicht all die anderen Attribute, halfen ihm dabei in seiner Rolle glücklich zu werden.
Die Mütter zogen entweder ihre Kinder von ihm weg, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Oder hielten nur kurz an, hörten ihm anfangs ungeduldig zu, um dann noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, wortlos im Gewühl zu verschwinden.
Was war das für eine Zeit.
Kleine Kinder traten ihm ans Bein oder zerrten an seiner Kleidung.
Versuchten seinen Bart zu ergreifen um daran zu ziehen, oder den großen Sack samt Inhalt, in ihren Besitz zu bringen. Während die Mütter daneben standen und ihre Kinder gewähren ließen.
Drohen mit der Rute führte zu Erheiterungen der lieben Kleinen oder trug zu Missfallenskundgebungen der Erwachsenen bei.
„Komm jetzt. Es ist genug.“ Dieser Satz fiel am häufigsten in Verbindung mit seiner Person und galt dabei noch nicht einmal ihm.
Keine Entschuldigung, weder mit Blicken noch mit Worten .
Die Kleinen, welche ihn mit großen staunenden Augen angesehen haben, konnte er fast an einer Hand abzählen.
Wenn sie dann auch noch versuchten, im Schutz ihrer Mütter sich hinter ihnen versteckend und sie vorwärts schiebend in seine Nähe zu gelangen, dann fühlte er sich großartig.
Diese besondere Mischung aus Angst und Neugier war in ihren kleinen Gesichtern zu lesen, wenn er sich zu ihnen herunter beugte.
Bei seinem Bemühen mit ihnen zu sprechen, klammerten sie sich an die Beine ihrer Mama und versuchten sich dahinter zu verbergen. Um aber sofort wieder, neugierig, mit weit aufgerissenen Augen hervor zu lugen, ob er sich wohl weiter näherte.
Was er selbstverständlich tat und genoss.
Das Kind für sich einzunehmen, entsprach seinem Wesen. Auch waren diese Eltern viel aufgeschlossener. Sie sprachen im Wechsel mit ihm und dem Kind, und halfen ihm so in seinen Bemühungen.
So machte es Spaß. So hatte er es sich vorgestellt
Aber leider war das die Ausnahme.
*
„ Watt macht `nu een Weihnachtsmann wenn wir keenen Schnee nich haben, für die janzen Rentiere, den Schlitten mit die Geschenke und so... wa ?“
Die Stimme holt ihn in die Gegenwart zurück. Seine Augen zucken nach rechts und gehen von den Füßen des Sprechers, langsam zu seinem Gesicht hinauf, ohne dabei den Kopf zu bewegen.
Seine künstlichen Augenbrauen schieben sich zusammen und es bildet sich eine tiefe Falte über seiner Nase.
Die modischen Turnschuhe und die dunkle Hose harmonierten ja noch.
Die gelbe Lederjacke aber, dazu das grüne Hemd, das war schon sehr schrill. Am schlimmsten aber, war der breite Binder mit Motiv.
Nämlich ein buntes Hawaimädchen nur mit einem Baströckchen bekleidet, auf hellblauem Grund.
Seinen Blick gewaltsam von dem Motiv lösend, sah er in ein nicht mehr ganz junges, blasses Gesicht.
Der Mann hat die Frage anscheinend ernst gemeint. Den Kopf etwas nach vorne schiebend, scheint er auf eine Reaktion des Weihnachtsmannes zu warten.
Ein dünner wie ein Strich ausrasierter Oberlippenbart, fiel ihm sofort ins Auge. Ebenso das der Mann schwarzes, halblanges und pomadisiertes Haar straff nach hinten gekämmt trug.
Seine grünlichen Augen blicken erwartungsvoll in seine Richtung.
Die Hände in die Seiten gestemmt, eine kleine Handtasche baumelt an seinen Handgelenk, wippt er ungeduldig auf seinen Zehen.
Den Kopf leicht schief gelegt, fragte noch mal :
„ Na, Männeken, wat is nu ? Sachste mia dat nu, oda wat ?“
Seinen Kopf langsam zu dem verwegen aussehenden Herrn drehend, überlegte er, was er sagen sollte.
Schließlich war er im Moment der einzige Weihnachtsmann weit und breit und musste gemeint sein.
Mit seinem typischen langen Weißen Bart und den großen roten mit Pelz abgesetzten Mantel, sah er ja auch genau so aus wie man sich einen solchen vorstellt.
Einen großen Jutesack hielt er ebenfalls in der rechten Hand. Der enthielt zwar nur Werbegeschenke, was man aber so nicht erkennen kann.
Unter seiner großen roten Mütze blitzen die blauen Augen des Weihnachtsmannes nun angriffslustig hervor.
Mit der freien Hand fährt er sich durch seinen weißen Rauschebart. Unter seiner dicken Knollennase sind zusammen gepresste Lippen deutlich zu erkennen. Die Gedanken jagen sich. Es ist ihm anzusehen, wie er nach einer Antwort sucht.
Plötzlich lacht er laut und irgendwie befreit auf.
Wer hat ihm den denn geschickt?
Die trüben Gedanken waren wie weggeblasen. Sein lautes und dröhnendes Lachen ließ die Umstehenden aufmerksam werden, was seinem Gegenüber, zweifellos ein Berliner, nicht so sehr gefiel.
Bleiben doch die Leute nun stehen und sehen zu ihnen hinüber.
In kürzester Zeit bildet sich eine Menschentraube, deren Mittelpunkt sie sind.
Der Weihnachtsmann dreht sich nun vollends seinem Gesprächspartner zu und sagt laut mit tiefer, ernster Stimme:
„Die Rentiere und der Schlitten wurden von mir zurückgelassen. Einen Kleintransporter mit Anhänger habe ich dafür mitgebracht.
Die Menschen auf Erden geben sich überwiegend nur noch fromm und wollen mich nicht mehr.
Ich stehe schon seit heute Morgen hier, doch kaum jemand nahm bisher Notiz von mir, mit Ausnahme von ein paar ungezogenen, streitsüchtigen kleinen Kinder.
Den Erwachsenen stand ich im Wege, sie hatten es so furchtbar eilig.
Wollte wirklich jemand mit mir sprechen, war das Kind so klein, dass es noch nicht in ganzen Sätzen mit mir reden konnte.
Die begleitenden Eltern aber die darauf hätten reagieren müssen, hatten für so einen albernen Kinderkram keine Zeit.
Es muss noch so viel gekauft und erledigt werden damit es ein gelungenes Fest wird. Christkind, Engel, Knecht Ruprecht und der ganze Kram, kann bis zum Heiligabend warten. Auch gibt es für das Fest eine CD mit Kirchengeläut und Kinderchor.
Das braucht man in der Folge irgendwie.
Schließlich sind wir Christen und es ist außerdem bequemer, als ins Gotteshaus zu gehen. Ansonsten gibt es den Gottesdienst inzwischen ebenfalls im Fernsehen, frei Haus.
Für alles ist gesorgt.
Also rasch wieder ins Getümmel. Es bleibt nicht mehr allzu viel Zeit.
Der anhaltende Regen zu Weihnachten ist Beleg, glaube ich, für das unchristliche Verhalten der Menschen auf Erden. Aus den Tagen der Besinnung und der stillen Einkehr, sind Tage der Rücksichtslosigkeit, der Übervorteilung, der Geltungssucht, des Lugs und des Betruges geworden.
Warum soll ich also noch mit dem Schlitten fahren und die armen Tiere den Strapazen einer solchen Reise aussetzen?
Es gibt mich nicht mehr.
Ich bin nur noch ein Requisit, das nach Belieben hervorgeholt wird,
und dann auch wieder zu verschwinden hat!
Als er sein Rede beendet hatte, erschrak er. War er das, der da eben gesprochen hat?
Sich bewusst werdend, dass die Umstehenden ihm zugehört haben.
Hört er da tatsächlich so etwas wie Zustimmung?
Die teilweise betretenen Gesichter erlauben den Rückschluss.
Weil er sich beim reden einmal um die eigene Achse gedreht hatte, muss der Mann, der alles ausgelöst hat, jetzt wieder vor ihm stehen.
Tat es aber nicht, er ist nicht mehr da.
Wo ist der Berliner, der die Frage gestellt hat, die ihn wach machte?
Alles suchen mit den Augen hilft nichts. Auch mehrfaches, um die eigene Achse drehen bringt keinen Erfolg. Nichts.
Er bleibt verschwunden.
*
Die Anspannung verlässt seinen Körper.
Er spürt plötzlich sein Alter und ist einfach nur müde.
Eben noch aufrecht stehend, bolzengerade, fällt er nun sichtlich in sich zusammen.
Nachdem einige Minuten vergangen sind, gibt es auch kein Publikum mehr.
Nur noch drängelnde, vorbei hastende Menschen, wie vorher.
Der Weihnachtsmann geht mit schleppenden Schritten und gesenktem Kopf, ohne sich umzusehen in das Kaufhaus zurück.
Er will nie mehr - ein Weihnachtsmann sein!
Texte: Copyright by Harry Reinert
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Den Glücklichen ....
... die immer hoffen.