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Das Treffen




Der kleine Junge ist mutterseelenallein auf dem Spielplatz und es beginnt langsam Dunkel zu werden.
Sich umsehend, geht er langsam auf das Holzhaus zu, in welchem die Kinder tagsüber bei schönem Wetter spielen.
Es steht auf vier Pfosten zwei Meter über der Erde und man kann über eine kleine Leiter in das Innere gelangen.
Den ganzen Tag hat es ohne Unterbrechung geregnet. Der Sand, in dem die Rutsche steht, damit die Kinder weich landen, ist nass und dunkel.
Ebenso der Sand durch den er nun geht, um in das Haus aufzusteigen.
Er friert und hat die Schultern hochgezogen. Seine kleine Hand hält die Jacke vorne zusammen, während er mit der freien Hand, nach dem Seil neben der Leiter greift.
Sich festhaltend, steigt er langsam nach oben in das kleine Haus und setzt sich auf den kühlen Boden.
Es gibt hier zwei Fenster sowie den Eingang, die nicht geschlossen werden können und somit geht ein steter Wind durch den Raum.
Sich in die Ecke drückend, zieht er seine kurzen Beine an den Körper und macht sich noch kleiner.
Tränen laufen ein paar über sein Gesicht.
Seine strubbeligen kurzen Haare sind nass und es bilden sich am Ende der Haarsträhnen kleine Wassertropfen, die von dort aus auf den feuchten Holzboden fallen.
Seine Kleidung ist durchnässt und voller Sand. Auch klebt Sand in seinem kleinen Gesicht, in dem die Tränen deutliche Spuren hinterlassen.
Bekleidet mit einer hellen, leichten Sommerjacke die nun vom Regen durchnässt und dunkel gefärbt ist, spendet kaum noch Wärme.
Seine Beine umklammernd, legt er den Kopf auf die Knie und versucht seinen zitternden Körper zu kontrollieren.
Was ihm aber nicht gelingen will.

Nach einer ganzen Weile, es ist inzwischen Dunkel geworden, erhebt er sich und geht vor dem offen Fenster auf die Knie.
Hinausschauend als würde er jemanden erwarten, reibt er sich die Augen und unterdrückt ein Gähnen. Flüsternd mit tonloser Stimme sagt er zu sich selbst:
„ Mich friert und ich habe Hunger.“
Beide Hände auf den Fensterausschnitt stützend, erhebt er sich wieder. Sich umdrehend schlägt er Sand aus seiner Kleidung und erschauert frierend als er sich wieder zusammenkauert.
Zu Hause hätte seine Mutter ihn in die Wanne mit heißem Wasser gesteckt und anschließend richtig abgerubbelt.
Als würde er die Wärme spüren, zieht er die Luft geräuschvoll tief durch die Nase ein.

Plötzlich hört er unten Geräusche.
Ängstlich versucht er sich noch kleiner zu machen und so leise wie möglich zu sein.
Was ist das für ein Geräusch?
Sand knirscht, als würde sich jemand langsam gehend nähern.
Oder täuscht er sich?

Die Luft anhaltend, lauscht er angestrengt nach unten.
Ein Schauer läuft über sein Rücken. Vielleicht ist es sein Vater. Deshalb hält er sich doch hier versteckt. Sie wollten sich doch hier treffen.
Sein Vater ist ihm doch im Traum immer und immer wieder begegnet und vor einigen Tagen hat er ihm gesagt, dass er ihn hier treffen will.
Was aber, wenn er es nicht ist? Wenn es ein Fremder ist?
Er ist doch noch so klein und kann sich gegen einen Erwachsenen nicht wehren.
Angst schnürt seine Kehle zu und Tränen laufen wieder über sein Gesicht.
Die Augen weit aufgerissen und die kleine Faust auf den Mund gepresst sieht er unverwandt auf den Eingang.
Das Seil bewegt sich leicht und sein Herz beginnt zu rasen. Er wagt es nicht zu atmen.
Ein Schatten fällt auf den Eingang und plötzlich taucht ein Mann auf.

Leicht gebeugt, wegen des kleinen Eingangs, neigt der seinen Kopf auf die Seite, als würde er versuchen in der Dunkelheit etwas zu erkennen.
„ Bist du es Papa?“
Flüsterte der Kleine ängstlich fragend mit zitternder Stimme.
Noch leiser flüsternd, wiederholt er:
„ Papa? …. Bist du mein Papa?“
Er hat so schreckliche Angst.
Was, wenn es nicht sein Papa ist.
„ Papa, ich bin es, Karl – Heinz.“
Spricht er jetzt so leise, dass er sich selbst kaum hören kann.
Der kleine Kerl kann nun überhaupt nichts mehr sagen.
Er weint nur noch leise wimmernd und hält die kleinen Hände vor sein Gesichtchen.

Schluchzend fragt er tapfer nach einer Weile:
„Warum sagst du nichts?“
„Du musst nicht weinen, mein Kleiner“, antwortet der Mann unverhofft mit tiefer ruhiger Stimme,
„Ich bin nicht dein Papa, aber er schickt mich, weil ich dir etwas von ihm bestellen soll.“
„Du kennst meinen Papa?
Fragt er ungläubig und aufgeregt,
„wo ist er jetzt? Wie sieht er aus? Kann ich ihn auch sehen und treffen? Warum ist er nicht hier?“
Seine Stimme überschlägt sich, er atmet hastig.

Doch ganz plötzlich wird er ruhig, als müsse er über etwas nachdenken.
Die kurze Pause in der niemand sprach, beendet er zögernd, fast ängstlich fragend:
„Kennt er mich?“
„Sicher kennt er dich“,
antwortet der fremde Mann,
„aber er kann dich nicht treffen. Du bist doch schon ein großer Junge und solltest wissen dass dein Papa im Himmel ist. Von dort oben hat er die beste Sicht um auf dich aufzupassen.
Er hat mich zu dir geschickt, um dir mitzuteilen, dass er immer bei dir ist.
Egal wo du auch hingehst, was du auch machst, er ist immer bei dir.“

Der Kleine Mann sitzt auf dem Boden. Enttäuschung macht sich in ihm breit.
Sein Papa hat ihn hierher bestellt und er hatte schon so große Angst, um überhaupt hier zu warten. Und nun kommt er noch nicht einmal.
Als ob der Mann seine Gedanken erraten könnte, spricht er mit seiner dunklen angenehmen Stimme zu Karl-Heinz:
„Sieh mal, Kleiner Mann, dein Papa hat mich ausgesucht, weil ich dein Schutzengel bin und sowieso immer in deiner Nähe bleiben muss, damit dir nichts Böses geschieht.
Ohne mich wärest du jetzt vielleicht schon eingeschlafen und mit deinen nassen Sachen kannst du dir den Tod holen.“

Der Kleine sieht an sich herunter. In der Dunkelheit kann er so gut wie nichts erkennen, aber ihm wird jetzt wieder bewusst wie kalt ihm ist. Die Jeanshose klebt an seinen kalten Beinchen. Auch das neue T-shirt, das er nur wegen seines Papas angezogen hat weil er es ihm zeigen wollte, klebt an seinem kleinen Körper.
Seine Füße in den Turnschuhen sind als einziges noch trocken.

Den Kopf nach vorne schiebend, versucht er in der Dunkelheit das Gesicht des Mannes zu erkennen. Aber es will ihm nicht gelingen.

Sein Schutzengel, der das natürlich bemerkt hat, sagt leise lachend zu seinem Schützling:
„Mein Gesicht ist unwichtig, du wirst mein Aussehen sowieso wieder vergessen, wichtig ist dein Wohlbefinden. Dazu gehört auch keine Angst zu haben, weder vor mir noch vor dem was noch alles auf dich wartet.“
Karl-Heinz der aufmerksam zuhört fragt den Mann:
„Warum hat mein Papa mich so spät bestellt? Ich bin dafür, doch noch viel zu klein?“
„Dein Papa kann dich nur im Traum besuchen und mit dir reden, wenn du schläfst. Er hat dich auch nicht bestellt. Sondern du hast dich mit der Kraft deines Herzens, selbst hierher bestellt und damit dir nichts passiert, bin ich hier.“
Vermutlich lächelt er, als er wie in Gedanken leise sagt:
„Es gibt so viele Dinge mein kleiner Freund, die die Menschen nicht verstehen.“

Der Kleine fühlt in sich hinein und stellt fest, dass er nicht mehr friert. Auch sind seine Sachen wieder trocken. Er fühlt sich ganz merkwürdig und sinkt langsam nach hinten zu Boden.

Auf dem Rücken liegend schließt er seine Augen und es ist so als würde er träumen. Denn plötzlich steht sein Vater vor ihm in einem weißen, langen Gewand. Das Gesicht kann er nicht erkennen obwohl er sich sehr darum bemüht. Aber es muss sein Papa sein, denn er sagt auf einmal zu ihm:
“Höre mein Sohn, du musst mich nicht suchen, weil du mich stets neben dir findest wenn du mich brauchst. Und ich finde dich, wenn meine Anwesenheit von Nöten ist. Und irgendwann, werden wir wieder beisammen sein “

„ Papa - warum kann ich dein Gesicht nicht erkennen?“
Murmelt der Kleine fragend im Schlaf,
„und warum kann ich nicht bei dir sein?“
„Du kennst mein Gesicht doch von Bildern, so sehe ich aus. Und bei mir bist du immer, weil ich immer bei dir bin.“

Der Kleine ist etwas verwirrt und beim Nachdenken mit geschlossenen Augen spürt er wieder diese Müdigkeit.
Wo ist der Mann? Denkt er noch, und faltet seine Hände auf dem Bauch während ihm angenehm warm wird.

Seine Mama, schießt es ihm plötzlich durch den Kopf. Sie weiß doch gar nicht wo ich bin. Sie hat sicher schreckliche Angst.
„Mama.“ Seufzend ruft er im Schlaf nach ihr.
Er träumt und seine Mama sieht lächelnd auf ihn herab.
Es laufen Tränen über ihr Gesicht, während sie lächelnd mit ihm spricht.
Doch er versteht sie nicht.
Nun beginnt Karl-Heinz im Schlaf zu weinen und ruft leise wimmernd nach seiner Mama.

***

Das Gesicht seiner besorgten Mutter ist nun direkt vor ihm.
Träumt er noch immer?
„Karlchen, was machst du denn für Sachen?“ -
hört er sie fragen,
„was machst du nur für verrückte Sachen?“
Wiederholt sie.
Ihre Hand streicht zärtlich über sein Gesicht.
Kalle glaubt die vertraute Hand zu spüren und auch die Stimme scheint kein Traum zu sein.
Die Augen öffnend, blickt er blinzelnd in das Licht einer Taschenlampe.
Daneben entdeckt er im Halbdunkel seine Mama, die erleichtert auf ihn herunterschaut.

„ Mama!“ Ruft er erlöst und die Tränen fließen bei ihm, wie bei seiner Mama,
„ich bin so froh dass du da bist. Ich habe Papa gesehen und er hat gesagt, er ist immer bei mir.“
Es sprudelt das Erlebte aus dem Kleinen nur so heraus und seine Mama wiederholte beruhigend immer wieder:
„Ich weiß, mein Karlchen, ich weiß“.

Er hatte seiner Mama doch so viel zu erzählen.
Von seiner Angst, dem geheimen Treffen mit seinem Papa und dem Mann, seinem Schutzengel.
Ob es den wohl gibt?

Polizeiwagen die auf dem Spielplatz stehen, tauchen mit ihrem Blaulicht alles in ein unwirkliches, gespenstisches flackerndes Licht.
Während seine Mutter ihn fest an sich drückt, nachdem sie vom Holzhaus herunter gestiegen sind, bemerkt der kleine Ausreißer einen Mann neben einem der Autos.
Seinen Schutzengel!
Winkend, eine Hand zum Gruß erhoben, steht er in dem zuckenden Blaulicht und - ist plötzlich verschwunden.


Impressum

Texte: Copyright by Harry Reinert
Tag der Veröffentlichung: 03.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Den Sehnsüchten kleiner Kinder.

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