Abends auf der Terrasse
Noch immer ist es sehr, sehr warm und kein Lüftchen will sich regen.
Die Sonne steht schon tief am Himmel und liefert die Beleuchtung für einen lauen Sommerabend. Tiefgelbes Sonnenlicht taucht alles in warme, weiche Farben und wirft lange Schatten.
Kein Vogel macht mit seinem Gesang auf sich aufmerksam.
Nur das Zanken und Weinen von spielenden Kindern in der Nachbarschaft, sowie das dumpfe Röhren eines in der Ferne vorüberfahrenden Motorrades unterbricht für den Moment die Stille.
Sonst herrscht eine wunderbare Ruhe.
Der Mieter eines Mehrfamilienhauses, sitzt allein auf seiner Terrasse und schlürft hörbar seinen frisch aufgebrühten Tee.
„Was für ein herrlicher Abend“
murmelt er in den abendlichen Himmel blickend und seufzt:
„Jetzt einen Spaziergang machen, das wäre was. Aber alleine, das macht das keinen Spaß.“
Eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrgenommen und ein Geräusch von Schuhen auf den Gehwegplatten, erregt seine Aufmerksamkeit.
Sich dem zuwendend, wird er auch schon unerwartet angesprochen und in seinen Überlegungen gestört.
Es ist eine junge Frau. Sie balanciert vermutlich auf Zehenspitzen und hüpft ein wenig auf der Stelle um über die Hecke sehen zu können, welche den Garten eingrenzt. Denn sie war nur kurz am Anfang ihrer Frage zu sehen.
Er schmunzelt mit Blick auf die Hecke, wo eben noch kurz ihr Gesicht zu sehen war.
„So sehr groß kann sie aber auch nicht sein.“
Er ist amüsiert ob ihrer Hüpferei.
Hörbar stellt er seine Tasse auf den Unterteller, erhebt sich und fragt in ihre Richtung auf die Hecke blickend:
„Was haben sie eben zu mir gesagt?“
Die Belustigung über die hüpfende Unbekannte ist deutlich heraus zu hören.
„Ich war eben in Gedanken und habe sie nicht verstanden“,
entschuldigt er sich bei der Unbekannten
„ können sie bitte noch einmal wiederholen, um was es geht?“
Ein gewisses Interesse ist vorhanden, bei seiner Bitte, die Frage zu wiederholen. Glaubt er doch, diese Frau aus dem Supermarkt zu kennen.
Ist sich aber nicht sicher. Sollte es aber so sein, dann ist es diese aparte, zierliche Person, die er aufmerksam und neugierig beobachtet, wo immer er ihr begegnet.
Sie anzusprechen allerdings, hat er sich bis heute nicht getraut. Nur mit den Augen verfolgend. Unbemerkt und zwar so lange es möglich war, das hat er schon getan. Allerdings mit gebührendem Abstand.
„Ich wollte von Ihnen nur wissen“,
stellt sie ihre Frage erneut,
„ob vielleicht ein Ball in ihrem Garten liegt?“
Vermutlich hat sie sich wieder auf die Zehenspitzen gestellt und einen Hüpfer getan, denn ihr Gesicht erscheint kurz über der Hecke, um dann sofort wieder zu verschwinden.
„Mein Sohn vermisst seit Gestern Nachmittag seinen Ball",
klingt ihre Stimme durch die Hecke herüber,
„und ich dachte, ......vielleicht ist er in Ihrem Garten?“
„Nein“,
antwortet er freundlich,
„hier liegt kein Ball.“
Langsam am Beet vorbei über den Rasen gehend, bittet er durch die Hecke sprechend:
„aber kommen sie doch herein und gucken sie selbst.“
Sein Tempo beibehaltend, bewegt er sich gemächlich zur Pforte am Ende seines Gartens, die er zeitgleich mit der Unbekannten erreicht.
Vor ihm stehend, kann er sie endlich ungeniert und ohne störendes Strauchwerk aus der Nähe betrachten.
Sie trägt ihr dunkelblondes Haar zu einem kräftigen Zopf geflochten. Was sehr vorteilhaft aussieht und zu ihrem hübschen, schmalen Gesicht ausgezeichnet passt.
Ihre dominierenden hellblauen Augen, blicken ihn jetzt neugierig und fragend an.
Was für Augen denkt er und sagt die Pforte öffnend:
„Guten Abend, ich heiße Carl-Heinz. Sehen Sie sich bitte um, vielleicht habe ich den Ball ja übersehen.“
„Danke, das ist sehr nett von Ihnen, aber ich möchte Sie wirklich nicht stören.“
„Stören? Ganz im Gegenteil“,
sie anlächelnd, tritt er einen Schritt zurück und machte eine einladende Handbewegung,
“kommen Sie, ich freue mich über ein wenig Gesellschaft. Wir können doch gemeinsam suchen.“
Und denkt: vielleicht eine Tasse Tee trinken.
Traut sich aber nicht sie zu fragen-
Sie betritt den Garten und sieht sich dabei suchend um, als würde sie nach dem vermissten Ball Ausschau halten, während er die Pforte hinter ihr schließt.
Etwas linkisch und verunsichert geht er neben ihr her, durch seinen Garten.
Ein ungezwungenes Gespräch will ihm nicht so recht gelingen. Irgendetwas ist plötzlich zwischen ihnen, das ihm seine eben noch vorhandene Selbstsicherheit genommen hat.
Und einen Ball, - finden sie natürlich auch nicht.
Sein Herz in die Hand nehmend und sich einen Ruck gebend, fragt er nachdem er sich mehrfach geräuspert hat, mit belegter Stimme:
„Darf ich ihnen einen Tee anbieten? Ich habe ihn gerade frisch gebrüht.. äh.. gemacht... ich meine natürlich aufgebrüht. Oder müssen Sie gleich wieder weg?“
„Nein, nein“,
beeilt sie sich zu sagen,
„mein Sohn weiß, dass ich wegen des Balles hier bin und ..., “
eine kleine Pause machend,
„sonst wartet niemand auf mich.“
Amüsiert seine Unsicherheit bemerkend, setzt sie sich schmunzelnd auf die kleine Gartenbank und rückt sich ein Kissen im Rücken zu recht.
Er hat Mühe seine Freude über die angenommene Einladung zu verbergen.
Ihm war auch nicht entgangen, wie sonderbar sie ihn angesehen hat.
Jetzt, da sie ihm lächelnd direkt in die Augen sieht, spürt er erneut dieses Kribbeln das aus der Magengegend kommend über den Rücken gehend, auf dem Kopf endet.
Ich bin rot geworden, denkt er und sie hat es sicher bemerkt.
Was einen weiteren Adrenalinschub zur Folge hat.
„Ich finde Sie sehr nett.“
Bemerkt sie mit einem eigentümlichen Lächeln nachdem er aus der Küche zurückgekommen ist und wieder neben ihr steht.
Der Gastgeber schenkt schrecklich nervös und ungeschickt Tee in die eilends geholte Tasse.
Der Duft welcher von ihr ausgeht und ihre Nähe, lähmen seine Gedanken und die Motorik für den Moment.
Während sie den Tee mit dem Löffel umrührt, fällt sein Blick auf ihre unberingte Hand.
Hatte sie nicht eben gesagt, es warte niemand sonst auf sie?
Nun konnte er sie endlich ohne aufdringlich zu wirken ansehen.
Kleine Fältchen um die Augen und um den Mund, sind sicherlich Lachfalten und lassen ihr Alter nur erahnen.
Sie gefiel ihm ausgesprochen gut und er schätzte sich einfach nur glücklich, jetzt in ihrer Gesellschaft zu sein.
„Sie sagten eben, es würde niemand auf sie warten? Ist ihr Lebenspartner noch auf der Arbeit, oder ...?“
„Nein, “
antwortet sie ohne Umschweife auf seine Frage,
„ich lebe mit meinem Sohn allein.“
Er musste schlucken und sagte ohne sie anzusehen:
„Ach so, ja, - mir geht es ähnlich, “
seine Tasse zum Mund führend sieht er sie an, vergisst zu trinken und kippt sich den Tee auf sein Hemd.
Das ignorierend, stellt er seine Tasse wieder ab und sieht sie - ohne etwas zu sagen- einfach nur an.
Ihre Augen, das Gesicht, der Mund, unfähig sich zu bewegen, sie einfach nur ansehend, sitzt er ihr wortlos gegenüber.
„ Ihnen geht es ähnlich?“
Fragt sie die merkwürdige Situation unterbrechend und muss plötzlich lachen.
„Wir sitzen uns, Erwachsene, wie die Kinder gegenüber. Ich heiße Karin, “
eine Hand auf ihre Brust legend als wolle sie auf sich zeigen,
„und finde, wir sollten uns unserem Alter entsprechend zwanglos unterhalten, uns sammeln und wieder einkriegen.
Ich suche tatsächlich den Ball meines Sohnes und habe nicht gewusst, das ...“
sie macht eine kleine Pause, zieht lächelnd das Wort in die Länge,
„duu... zu diesem Garten gehörst.“
Irgendwie erleichtert das Eis gebrochen zu haben, sieht sie ihn nun erwartungsvoll an.
„Ich bin froh, das duu...“
er lacht befreit,
„den Ball suchst. Ich bin wirklich sehr, sehr froh darüber.“
Er betrachtet sie nur. Lächelt und es hat den Anschein, dass er ihr etwas mitteilen möchte.
Nach einer Weile sagt er dann auch leise:
„Meinen Namen habe ich ja schon gesagt. Aber Kalli oder Kalle ist besser als der blöde Doppelname.
Du hast aber recht. Ich bin noch immer nicht ganz gefasst. Du hast mich völlig durcheinander gebracht.“
Hörbar lässt er die Luft entweichen. Die Erleichterung darüber, ihr es gesagt zu haben, ist ihm deutlich anzumerken.
„Denkst du ich habe das nicht bemerkt?“
Sie lacht wieder. Sich etwas vorbeugend sucht sie seine Augen und sagt ernst:
„und ich habe es genossen.“
Sie lachen wie zwei Menschen, die sich für den Moment einfach wohlfühlen.
Sich zurücklehnend, atmet er tief durch und sieht seinen Gast lange an.
„Weißt du Karin“,
und legt seine Hand auf die ihre:
„die Hülle wird zwar sichtbar älter. In uns aber, denke ich, bleibt alles nahezu unverändert. Ich empfinde noch immer so wie in jungen Jahren. Weil, die Gefühle haben sich für mich nicht verändert. Ich werde verlegen, bin weinerlich, verliebt und was es sonst noch alles gibt, fast unverändert, so wie früher“
Es kam ihnen so vor als würden sie sich schon ewig kennen.
Lange noch saßen die beiden auf der Terrasse und tauschten sich aus.
Dabei kamen sie sich immer und immer näher.
In allen Bereichen.
Weil ich nicht an Zufälle glaube, kann ich noch träumen.
Solche Dinge geschehen einfach.
Texte: Copyright bei Harry Reinert
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An alle die noch träumen können.