Hast du keine Eltern mehr
bist du auch kein Kind mehr
Das Bild
Ein Bild meiner Eltern, das auf der Fensterbank seinen festen Platz hat, ist meine Gesellschaft wenn ich frühstücke.
Jeden Tag aufs Neue, spreche ich zu ihnen. Obwohl ich natürlich, keine Antwort bekomme.
Stelle ich den Beiden dann, oder richtiger mir, irgendwelche Fragen, dann ist das schon ein merkwürdiges Gefühl.
Es ist auch ein fragwürdiges Verhalten, das ich mir eingestehen muss.
Es gibt viele lebende und auch sehr, sehr lebendige Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung. Aber ich unterhalte mich mit dem Bild meiner verstorbenen Eltern. Das ist, glaube ich, schon etwas morbid.
„Seid ihr in meiner Nähe? Schaut ihr wirklich auf mich damit mir nichts zustößt?“
So oder ähnlich lauten meine Fragen. Je nach meiner psychischen Verfassung, beantworte ich diese dann auch.
Wenn ich in Gedanken versunken an dem Bild vorbei schaue, rede ich auch schon mal ungehört mit den umher hüpfenden und immer in Bewegung befindlichen Vögeln in meinem Garten. Es ist eine Lust, den kleinen Geschöpfen zuzusehen, wie sie sich innen- und außerhalb des Vogelhauses um das Futter streiten.
Dieses warme Gefühl, verstärkt aber auch das Gefühl von Einsamkeit.
Nachdem die kleinen Gesellen davongeflogen sind und wieder Ruhe eingekehrt ist, höre ich mich, wieder das Bild betrachtend, laut sagen: „Ich fühle mich einsam, ich bin allein.
Mama, Papa, könnt ihr da drüben, mir nicht helfen?
Egal wie!“
Dabei schaue ich lange Zeit auf das Bild und wenn ich dann in mich hinein höre, höre ich nichts. Zeichen geben sie mir jedenfalls keine.
Wenn meine Fragen in mir nachwirken, frage ich mich nach dem Sinn dieser Fragerei. Um gleich wieder zu denken, vielleicht hören sie mir doch zu. Es weiß doch niemand, auch die Wissenschaft nicht, ob es eine Möglichkeit der Hilfe gibt. Ich denke es gibt sie, allerdings nur in Form einer fiktiven, kommunikativen Lebenshilfe.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt, höre ich mit den Selbstgesprächen auf.
Es hat mir noch nie wirklich geholfen. Auch habe ich mich danach nie viel besser gefühlt.
So bedenke ich, sollte ich nicht selbst etwas unternehmen? Benötige ich Hilfe auf eine solche Art? Trage nicht ich die Schuld an meinem Alleinsein?
Mich zurücklehnend geht mein Blick an die Zimmerdecke. Meine Gedanken wandern wie so oft in letzter Zeit, in die Vergangenheit.
Mein Leben ist nun geprägt durch die Aktivitäten im Sportverein. Es erfüllt mich mit Stolz, wenn Dank meiner Bemühungen, Dinge sich in eine von mir bestimmte Richtung entwickeln, die erfolgreich sind.
Das bedeutet Erfolg wie ich ihn mir immer gewünscht und hart erarbeitet habe.
Aber was ist mit meinen persönlichen Dingen?
Dinge, welche erfolglos verlaufen und von mir nur schwerlich zu akzeptieren sind. Sie machen mich mehr als unzufrieden.
Glück in meinem privaten Leben will sich nicht einstellen. Zwingen kann man es nicht, das weiß ich.
Doch warum kommt es nicht von selbst?
Mai 2005
Vielen wird es so oder ähnlich in der Abfolge ihres Lebens ergangen sein.
Und es wird immer wieder geschehen.
Texte: Copyright by Harry Reinert
Tag der Veröffentlichung: 12.01.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
In Gedenken an eine Zeit der Einsamkeit