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Eine neue Welt kaufen



Braune, irgendwie immer traurig blickende Augen in einem schmalen, noch sehr jungen Gesicht und blonde kurz geschorene Haare, das ist Heiner H.
Unternahm er etwas, dann mit antriebslosen und müde wirkenden Bewegungen. Er wohnt mit seiner Mutter in einer engen, dunklen Wohnung. Diese befindet sich in der dritten von neun Etagen, in einem Haus mit lärmenden Mietern.
Der Fahrstuhl, die Wände im Treppenhaus, alles war mit Graffitis beschmiert, und es gehört zu einer großen Siedlung, mit hohem Ausländeranteil. Einem sozialen Brennpunkt, wie es inzwischen viele gibt.

Sein Zimmer liegt immer im Halbdunkel.
Es wird nie richtig hell, weil die Häuser so nahe beieinander stehen, das nur wenig Licht durch die verschmutzten Scheiben der kleinen Fenster, herein fallen kann.
Seinen Blick in einen Streifen grauen Himmels gerichtet, den er zwischen den Häuserreihen gerade eben noch erkennen kann, sitzt er wie jeden Morgen in seinem Stuhl.
Als gäbe es dort oben etwas zu finden.
Ein Vorgang, der sich seit Jahren wiederholt.

Eingefallene Wangen, gerötete Augen und eine blasse großporige Haut, lassen vermuten, das er entweder krank , kaum die Wohnung verlässt, oder beides trifft zu.
In seinem schäbigen grauen Bademantel gehüllt, auf der Brust geöffnet so das man seinen schmuddeligen Schlafanzug sehen kann, reibt er mit der rechten Hand über sein spitzes unrasiertes Kinn. Während die linke Hand die Fensterbank packt und er sich so an das Fenster heranzieht.

Nun kann er auf die Straße hinunter sehen. Hier sitzen, sich langweilen und den wenigen Leuten die vorbei kommen nachsehen, bis sie in den Eingängen der Nachbarhäuser verschwanden oder einfach nur seinen Blicken
Das war das Tor zu seiner kleinen Welt. Kaum Abwechslung. Weil, die Personen wiederholten sich so häufig, das er sie alle kannte und schon fast vorher sagen konnte, welche Kleidung zu welchem Anlass getragen wird. Besorgung beim Supermarkt um die Ecke, schnell den Mantel über geworfen, die legere Kleidung darunter verbergend. Schuhe waren bei trockenem Wetter offen, also Sandalen oder ähnliches. Genauso beim Besuch des Nachbarn gegenüber.
Fuhr man mit dem Bus oder mit dem eigenen Auto in die Stadt, oder ging sich amüsieren, verriet es die Kleidung ebenfalls sofort. Jedenfalls ihm, der den ganzen Tag an Fenster saß.
Es ist leicht zu verstehen, das ein Verkehrsunfall auf der Straße, wetterbedingte Vorkommnisse, wie Schnee das es die Räumungsdienste nicht mehr schafften, oder so starker Regen das die Abflussrohre überliefen, willkommene Abwechslungen für ihn waren.

Immer mehrere Bücher in Reichweite und eines auf der Fensterbank liegend, welches er gerade las, hoffte er jeden Tag auf irgendein Geschehen.
Auf eine Abwechslung, egal welcher Art.
Die Anwohner aus den gegenüber liegenden Wohnungen waren an ihn gewöhnt und ignorierten ihn. Oder sie zogen einfach ihre Vorhänge zu.
Hatten sie sich anfangs noch gewundert, warum er immer am Fenster saß, wussten sie als er das erste Mal zum Arzt abgeholt wurde, das er nicht gehen kann und auf den Rollstuhl angewiesen ist.
Leider kam es sehr selten vor nachdem die Schulzeit vorbei und sie hierhin gezogen waren.
Nur routinemäßige Untersuchungen brachten noch etwas Abwechslung in sein tristes Leben. Die letzten drei Jahre seiner Schulzeit saß er schon im Rollstuhl.
Sein damaliger bester Freund, mit seinen Eltern fortgezogen, schrieb ihm zuerst regelmäßig und häufig. Dann wurde es immer seltener, bis die Briefe ganz ausblieben.
Seine anfängliche Trauer wich viel später dem Verstehen. Was sollte ein quicklebendiger junger Mensch, mit einem an den Rollstuhl gefesselten Spielkameraden denn schon groß anfangen, außer ihn durch die Gegend zu schieben.
Dass der darauf nicht so erpicht sein konnte, begriff er ziemlich schnell.
Und so fügte er sich irgendwann in sein Schicksal, zumal es im Laufe der Jahre immer wieder solche und ähnliche Erlebnisse für ihn gab.
Als Kind in den Zustand des behindert sein zu kommen, soll leichter für den betreffenden sein, als zu einem späteren Zeitpunkt. Versuchte man ihn zu trösten. Doch sagen das vermutlich nur Menschen, ohne eine solche gravierende Behinderung.
Die können klug reden.

In einigen Tagen wird er 22 Jahre alt und dann bekommt er etwas, auf das er fast zwei Jahre gespart hat , und das sein Leben total verändern soll und wird. Einen Computer oder richtiger ein PC, mit Anschluss an das Internet. Den wird er sich schenken.
Alles was er in die Finger bekam, hat er gelesen und sich gründlich informiert. Da wusste er genau, das benötige ich um aus meiner Isolation heraus zu kommen. Es beginnt eine neue Zeit, ein anderes, ein neues Leben.
Er kann es kaum noch abwarten, bis es endlich soweit ist und er mit anderen Menschen kommunizieren und sich austauschen kann. Endlich kann er die enge Wohnung verlassen und das mit Hilfe der aus seiner Sicht, segensreichsten Erfindung der letzten Zeit.
Hinaus in die weite Welt, hinaus, wann immer er es möchte. Trotz seiner Behinderung.
Seine Mutter wird wieder ihre schrecklichen Sendungen im Fernsehen genießen können, ohne seine nörgelnden Kommentare.
Während er in seinem Zimmer eine bunte, neue Welt für sich erschließen wird.

Wär`s doch schon so weit ….!
Harry Reinert
Hamburg
2000-11-29


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Tag der Veröffentlichung: 01.01.2009

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