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Es war Kurz vor Mitternacht, als sie einem Taxi entstieg, bezahlte und auf das Haus zuging.
Acht Tage ist sie fort gewesen und entsprechend neugierig, was sie erwartet.
Die Eingangstür leise öffnend, betrat sie den vertrauten Flur. Bekannte Gerüche empfingen sie.
Ihren Mantel musste sie auf der Kommode ablegen, auf dem Garderobehaken türmten sich Kleidungsstücke ihres Mannes.
Er hängt seine Sachen nie zurück in den Schrank, dachte sie und bekam wieder dieses ablehnende Gefühl.
War es richtig wieder nach Hause zu kommen?
Acht erholsame Tage hat sie bei ihrer Freundin verbracht und wähnte sich nun in der Verfassung, sich mit dem Problem Ehemann auseinander setzen zu können.
Sie haben lange und viel miteinander gesprochen, aber die Realität sieht meistens anders aus.
„Wusste nicht das er so viele schmutzige Schuhe hat“, schmunzelte sie ironisch, wissend das sie es war die regelmäßig Schuhe putzte.
Nun stand sie vor der verschlossenen Stubentür. Stimmen waren zu hören, aber sie konnte nichts verstehen.
Vorsichtig die Tür öffnend erkannte sie schnell, diese kamen vom lautgedrehten Fernseher. Sich umsehend betrat sie den Raum und sah ihren Ehemann schlafend nur mit einem Unterhemd und einer Jogginghose bekleidet, auf dem Sofa liegen.
Was für ein Chaos, dachte sie und kämpfte gegen das Gefühl an Ordnung zu schaffen.
Noch nie hat es so bei ihnen ausgesehen. Der Tisch war übersäht mit ineinander gestellten schmutzigen Tellern mit Besteck, dazwischen Tassen mit zum Teil halbvollen Gläsern. Abgewischt oder aufgewischt wurde seit ihrem Weggang auch nicht mehr.
Auf den Sesseln lagen wahllos übereinander gelegte, getragene Kleidungsstücke welche allesamt gereinigt und gebügelt werden müssten.
„Mein Gott!“ Entfuhr es ihr, „das sieht hier ja schlimm aus! Wie kann man sich so gehen lassen?“
Der Versuch, als sie ihren schnarchenden Mann betrachtete, sich irgendwo hin zu setzen blieb ein solcher.
Stehend dachte sie daran, sofort wieder zu gehen. Kehrte dem Schlafenden den Rücken und machte die wenigen Schritte Richtung verschlossene Küchentür.
Die Luft anhaltend mit einem unguten Gefühl, aber auch mit einer gewissen Spannung und Neugier, öffnete sie die Tür.
Bei dem Anblick prallte sie zurück.
Alles was es im Haushalt gab die Küchenarbeit betreffend, schien benutzt herumzuliegen. Die Lebensmittelreste von den Versuchen sich eine Mahlzeit zu bereiten, ergänzten das Gesamtbild.
So etwas hatte sie noch nie gesehen. Ihr Mann hauste wie ein Schwein im Stall. Der Gestank der von der Küche aus in ihre Nase stieg, veranlasste sie die Tür sofort wieder zu schließen.
„Was mache ich hier? Warum bin ich nicht geblieben, wo ich war? Ein solches Ferkel ist mir noch nicht untergekommen.“ Sagte sie leise zu sich selbst.
Bevor sie noch weitere Überlegungen anstellen konnte, drang die vertraute Stimme ihres Gemahles in ihr Bewusstsein. Vertraut auch deshalb, weil wie immer so etwas wie ein Vorwurf in der Stimme lag als er sagte: “Wo kommst du denn mitten in der Nacht her? Hat dich dein Lover rausgeschmissen? Kommst du nach Hause wie ein sich verlaufender Hund und willst deinen Platz wieder einnehmen?
Vielleicht, “ fuhr er fort, „möchtest du mir auch noch Vorwürfe machen?
Wenn Jemand das Recht dazu hat, bin ich es! Du hast mich wie einen Regenschirm im Bus zurückgelassen!”
Wie vom Donner gerührt stand sie da und war für den Moment nicht bereit sich umzudrehen. Sie wollte ihren Mann jetzt nicht ansehen. Er ist ein mieser kleiner Kerl, dachte sie. Das erste was ihm in den Sinn kommt, ist mich anstänkern.
Sich dann aber doch langsam umdrehend, betrachtete sie den Mann, den sie einmal geliebt hat. Es wurde ihr in diesem Augenblick bewusst, das es falsch war noch einmal hierher gekommen zu sein. Es gab keine Gefühle mehr, nur noch Mitleid.
Fälschlicher Weise hat sie das immer für Zuneigung gehalten.
Vor ihr auf dem Sofa hockte ein unrasierter, in schmuddeliger Unterwäsche steckender, unappetitlicher an einer Zigarette ziehender Mann.
Ihr Mann.
Er hüllte sich in Zigarettenqualm und sah sie durch diesen, aus rotgeränderten Augen an. Seine wenigen Haare waren fettig und wiesen zerwühlt vom schlafen in alle Richtungen.
Nach einem Glas greifend, halbvoll mit abgestandenem Bier und an den Mund führend, sagte er irgend etwas.
Das Blut rauschte in ihrem Kopf und überlagerte alle anderen Geräusche. Wie in Trance machte sie einige Schritte in seine Richtung und blieb dann stehen.
„Wir haben unser halbes Leben miteinander verbracht. Hast du das alles vergessen? Ich habe dich gepflegt, wenn du krank warst. Habe dir die Wäsche gewaschen, dich bekocht und war immer für dich da. Wenn ich unser ehemals schönes Zuhause und dich ansehe, kann ich mich selbst nicht mehr verstehen“.
Sie konnte ihn aber wieder verstehen als er sprach. Ihr Blutdruck hatte sich gesenkt und das Rauschen behinderte sie nicht mehr. Was sie aber hörte, war dazu angetan wieder wegzuhören.
„Nimm alles von dem du glaubst, dass es dir gehört und verschwinde einfach aus meinem Leben!“ Schrie er hysterisch und sein Speichel flog dabei durch die Luft, „lass mich einfach allein! Ich kann dich nicht mehr ertragen!“
Nahm dann einen letzten Schluck aus seinem Bierglas, fingerte nach einer anderen halbvollen Flasche um sich umgehend nachzuschenken.
„Hast du vergessen, “ fragte sie traurig klingend, „das ich das Haus geerbt habe, das mein Vater uns das Geld für das Auto und die neuen Möbel seiner Zeit gegeben hat?“
Sie wurde immer leiser und spürte wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. „Hast du das alles vergessen, Karl - Heinz?“
„Ich habe noch nie irgendetwas im Gegensatz zu dir vergessen. Ich weiß heute noch jede Kleinigkeit. Aber du hast vergessen wie ich ein Leben lang geackert habe, während du das bisschen Haushalt gemacht hast. Ohne mich hätte es keine Ordnung in deinem Leben gegeben. Ich habe alles für dich gemacht“, und nach einer kleinen Kunstpause, „wenn ich es für erforderlich hielt.“
„Das entspricht fast der Wahrheit“, erwiderte sie wieder gefasst, “nur du hast nichts für erforderlich gehalten. Bei allen Dingen hast du mich, mich selbst überlassen. Keinen Handschlag über die ganzen Jahre. Immer nur Martha hier, Martha da. Aber viel schlimmer ist, ich verspüre nichts mehr für dich. Gehe zum Spiegel und sehe dich an. Du bist ekelerregend schlampig. Meine Absicht ein vernünftiges Gespräch für einen sinnvollen Neuanfang mit dir zu führen, war eine Schnapsidee.
Du bist einen solchen nicht wert.“
Sie war erregt und ein wenig aus der Puste. Holte ein paar Mal tief Luft und fuhr fort:
„So, und nun werde ich gehen. Du hörst von meinem Anwalt. Könntest du mir ein Taxi rufen? Fragte sie und sah ihm dabei in die Augen.
Er konnte ihrem Blick nicht standhalten und sah in sein inzwischen wieder leeres Glas. Während er wiederum nach einer Flasche mit Inhalt suchte, sprach in schneidendem Ton: „Ich bin nicht dein Lakai. Außerdem wird die Rechnung von meinem Konto abgebucht, du hast ja keines, und ich bezahle nicht deine Gespräche. Du weißt doch wo die Telefonzelle ist. Oder gehe einfach auf die Strasse und halte ein Auto an. Scheinst davon ja was zu verstehen.“
Während er das sagte, steckte er sich eine Zigarette an und versuchte mit verschlagenem Blick so unauffällig wie möglich, in ihrem Gesicht zu lesen.
„Du kannst hier sowieso nicht schlafen. Nicht ohne meine Erlaubnis“, dabei sah er auf seine brennende Zigarette, „und die bekommst du nicht. Es läuft außerdem alles, ohne Ausnahme auf meinem Namen. Hast du das eventuell vergessen?“ Nun sah er sie kurz an.
Das Weiß war rot und er hatte ein eigentümliches flackern in seinen Augen. Das hatte sie nie zuvor bei ihm gesehen.
„Was bist du mies und schlecht“, sie suchte wieder vergebens seinen Blick, „und außerdem gibt es Gesetze. So einfach wie du es dir vorstellst, ist es nicht.“
„Informiere dich. Ich habe es bereits getan.“ Ihr war so, als hätte sie ganz kurz ein fieses Grinsen bei ihm bemerkt.
„So, und nun haben wir genug gesabbelt. Du hast mich böswillig verlassen und nun verschwinde wieder. Bevor ich handgreiflich werde und dich rausschmeiße!“
Er sah sie dabei höhnisch grinsend an, „soll ich nachhelfen?“
Sie sah in eine Weile an und als er Anstalten machte aufzustehen, drehte sie sich um und verließ das Zimmer mit den Worten: „Du hörst von mir und meinem Anwalt!“
Im Flur als sie sich ihren Mantel überzog, hörte sie ihn kreischend schreien: “ Ich lache mich tot! Bin gespannt wann ich wohl von euch Pfeifen höre. Luft! Luft, wenn sie heiß den Kessel verlässt!“ Sie hörte sein hässliches Lachen noch auf der Strasse.
Das also war ihr Ehemann, Kalle.
Den letzten Sonntag wird sie nie vergessen. Er hat ihr nicht nur die Augen über ihren Ehemann geöffnet, sondern sie wahrscheinlich in ein anderes und interessanteres Leben katapultiert.


Harry Reinert
16.05.2006

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Texte: Jede Verwendung des Textes, bedarf der Genehmigung des Autors
Tag der Veröffentlichung: 31.12.2008

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