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Alltägliches



Bequem auf seinem Sofa liegend, lauscht er den Geräuschen aus der Küche, welche manchmal den Ton des Fernsehers überlagern.
Es ist Sonntag und seine Ehefrau bereitet das Mittagessen zu.
Dieser Geruch von Braten, Kartoffeln und irgendwelchen anderen Köstlichkeiten, erinnerte ihn an seinen nagenden Hunger.
Die Augen geschlossen, rief er in die Küche: „Martha, ist die Zeitung schon durch? Oder hast du den Jungen noch nicht gesehen?“
„Was hast du gesagt?“ Fragte sie und tauchte kurz im Türrahmen auf. „Ich habe dich bei dem Lärm in der Küche nicht verstanden.“
„Ich habe dich gefragt“, stellte er die Frage fast beleidigt mit schläfriger Stimme ein zweites Mal, „Ob du zufällig weißt“, tief Luft holend, „ob die Zeitung schon da ist?“
„Och so“, sagt sie als hätte sie eine andere Frage erwartet, „Ich weiß es nicht. Bin die ganze Zeit mit dem Essen beschäftigt“ und verschwindet wieder.
Nach einer Pause, in der die Ehefrau geräuschvoll in der Küche hantiert, ist ihr Mann erneut, unter sichtlichen Anstrengungen beim sprechen, zu vernehmen: „Hast du den Müll schon runtergebracht?“
Ein etwas gequält wirkendes Lachen ist statt einer Antwort zu hören.
Nach einer Weile, wieder mit betont gelangweilter Stimme:
„Martha?“ Lang gezogen spricht er ihren Vornamen aus, „was gibt es denn zu Essen?“
Seine Ehefrau erscheint nun vollends in ihrer stattlichen Größe im Wohnzimmer. In den Haaren noch Lockenwickler, das Gesicht gerötet von dem geschäftigen Hantieren und der Hitze am Herd, blickt sie auf ihren vor sich hindösenden Mann nieder.
Ihre befleckte Schürze umspannt ihre üppige Figur so stramm, das zu befürchten ist, ihr könnten gleich die Nähten platzen. Ihre in die Hüften gestemmten Hände, weisen noch Spuren von Speiseresten auf.
Sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn wischend, sagt sie den Kopf schüttelnd: „Das habe ich dir doch schon heute Morgen gesagt, mein Mann. Eine Suppe vorweg, dann den Schweinebraten, Kartoffeln, Knödel, Rotkohl mit allem Drum und Dran.“
Ihren Mann erwartungsvoll anschauend, wischt sie ihre Hände in der Schürze ab. Beugt sich zu ihm herunter und fragt ungläubig:
„Schläfst du etwa?“
„Warum gibt es keinen Nachtisch?“ Fragt er, anstatt einer Antwort. Ohne dabei seine Augen zu öffnen,
„Ich habe vergessen den Pudding aufzukochen. Kann ich aber eben noch schnell machen.“
Er öffnet seine Augen, um sie dann sofort wieder zu schließen während er sagt:
„Das wäre lieb von dir.
Und dann könntest du, wenn du den Müll runterbringst, doch wegen der Zeitung noch einmal nachsehen, oder?“ Nun dreht er zumindest den Kopf etwas und schaut über die Schulter zurück, seine geplagte Ehefrau an.
„Könntest du nicht den Müll runterbringen und nach der Zeitung sehen?“ Fragt sie unerwartet keck.
Ihr Mann überlegt einen kleinen Moment, „weißt du,“ sagt er dann und dreht sich schwerfällig, leise stöhnend auf die Seite, „wenn ich jetzt den Müll runterbringe und die Zeitung ist noch nicht da, dann muss ich nachher noch einmal runterlaufen.“
„Ja aber“, bringt seine Ehefrau als Einwand, „wenn sie jetzt noch nicht da ist, kann ich sie ebenfalls nicht mitbringen. Ist doch so.“
„Da hast du selbstverständlich Recht. Aber“, er macht eine kleine Kunstpause, „du musst sowieso den Müll raustragen und dabei gehst du die wenigen Schritte zum Postkasten und schaust nach. Oder nicht?“
Seine Ehefrau sieht ihn überlegend an und nickt resignierend mit dem Kopf, „das stimmt. Habe ich nicht überlegt.
Ich werde nur eben noch den Pudding zubereiten und dann bringe ich den Müll runter, um bei der Gelegenheit nach der Zeitung zu sehen. Ist das gut so?“
Ohne auf die Antwort zu warten kehrt die Ehefrau in die Küche zurück.
Als die vertrauten Geräusche aus der Küche wieder zu hören sind, schließt er seine Augen wieder und zieht seufzend an seine Zigarette.
Diese Sonntage können einen fertig machen
Seine Ehefrau spricht sich währenddessen in ihrer Küche aufmunternde Worte zu.
Plötzlich hebt er alarmiert den Kopf. Sich langsam aufsetzend, drückt er seine Zigarette im Aschenbecher aus.
„Du sag mal Martha“, fragt er in die Küche, “hast du eigentlich gestern das Bier aus dem Keller geholt?“
„Oh!“ Klingt es erschrocken aus der Küche, „oh, nein! Das tut mir leid. Das habe ich total vergessen.“
„Macht doch nichts. Ist nicht so schlimm.“ Tröstet der geplagte Mann gönnerhaft seine Ehefrau, „wir essen doch sowieso erst einmal und dann habe ich im Moment eben kein Bierchen zum trinken.“
„Ich kann doch, wenn ich von draußen komme und keine Zeitung da ist, eben schnell in den Keller gehen und Bier mitbringen“, sucht seine Ehefrau schuldbewusst nach einer Lösung.
„Und wenn die Zeitung schon da ist, kannst du ja lesen bis wir essen und ich hole nachher das Bier herauf.“
„Das ist eine fabelhafte Idee“, antwortet der Mann ein Gähnen unterdrückend, „dann kann ich vor dem Essen doch noch ein Bierchen trinken. Aber nehme unbedingt eine Tasche mit, die komplette Kiste ist zu schwer für dich!“
Lachend hört er seine Ehefrau sagen: „Du bist ein Schatz! Aber das wäre doch nicht das erste Mal das ich die Kiste schleppe.“
„Wenn sie aber nun, nur die Zeitung mitbringt?“ Und er machte Anstalten sich zu erheben, „aber vielleicht ist doch noch ein Bier auf der Terrasse“, murmelt er leise und selbstzufrieden, als er seine alte Liegeposition wieder einnahm.

Während seine Ehefrau mit dem Müll auf die Strasse geht, schaltet er den Fernseher an, um sich für den Moment zu zerstreuen. Er hasste diese langweiligen Sonntage. Gäbe es da nicht die Phasen der Erholung und des Müßiggangs, er käme ins Grübeln ob es nicht besser sei, einer stressigen täglichen Beschäftigung auch am Sonntag nachzugehen. Allerdings, das Essen ist wesentlich besser als dieser Kantinenfraß.

Das geräuschvolle aneinander stoßen von Bierflaschen, unterbrach ihn in seinen Gedanken.
Mühsam erhob er sich und ging schleppenden Schrittes in den Flur. Seine Ehefrau stand im Flur mit einer Kiste Bier vor dem Bauch.
Darauf lag die Zeitung, welche er sie lächelnd ansehend, mit der Frage an sich nahm:
“Was denkst du, wann können wir essen?“
Sich langsam umdrehend ohne auf eine Antwort zu warten, wollte er in das Wohnzimmer zurückgehen.
„Kannst du bitte mal den Kühlschrank für mich öffnen?“ Fragte ihn seine nach Luft ringende Ehefrau statt einer Antwort.
„Selbstverständlich“, beeilte er sich mit einer Antwort. Vorwurfsvoll klang aber der Nachsatz: „Habe ich dir nicht vorhin gesagt, nehme eine Tasche mit, weil die Kiste für dich viel zu schwer ist.“
Und öffnete ihr dabei mit der rechten Hand die Tür, nahm sich mit der Linken sie ansehend eine Flasche aus der Kiste, mit den Worten: „Dann kannst du dich ja wieder um das Essen kümmern.“
Vergrub seine Hände in den Hosentaschen und ging mit seiner Zeitung unter dem Arm, zurück in das Wohnzimmer.
Während er sich stillschweigend niederließ, konnte er anhand der Geräusche erkennen, das sein Bier kalt gestellt wurde und gleichzeitig das zubereiten der Mahlzeit betrieben wurde.
Mit sich und der Welt zufrieden, schlug er die Seite mit der Sportberichterstattung auf um dabei ein Gläschen zu trinken.
Aber die Flasche war noch ungeöffnet. Verärgert sah er auf die verschlossene Flasche und schimpfte leise vor sich hin.
„Was für ein Esel ich doch bin! Eben war ich noch in der Küche!“
Eine Zigarette aus der Packung nehmend, betrachtete er sinnierend die Bilder seines Vereines in der Zeitung.
„Martha“, rief er nach einer Weile seine Frau, “kannst du mir bitte den Flaschenöffner an den Kopf werfen Ich Depp habe ihn vergessen, “ und drehte sich dabei auf dem Sofa um und blickte in Richtung Küche.
Wenn sie es nun tatsächlich macht, schoss es ihm durch den Kopf.
Das klickende Geräusch von Flaschen die aufeinander gestapelt wurden verstummte und seine Ehefrau kam ohne ihn anzusehen, mit hochrotem Kopf in die Stube und legte den Öffner wortlos auf der Sofalehne ab.
Ihr nachsehend, konnte er erkennen wie sie sich mit ihrer Schürze den Schweiß aus dem Gesicht wischte.
„Lass dir ruhig Zeit“, rief er besänftigend hinter ihr her, „ich lese noch den Sport und trinke mein Bier, das ich übrigens selbst aufmachen muss!“ Konnte er sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. Gleichzeitig aber, hoffte er auf einige Worte der Anerkennung von ihr.
Die kamen auch prompt, „das ist nett von dir“, lobte sie ihren Mann emotionslos nun zum wiederholten Male.

Nach einer guten Stunde, er war auf dem Sofa eingenickt, wollte seine Ehefrau den Tisch decken und bat um seine Hilfe.
„Kannst du deine Zeitung und den Aschenbecher bitte auf den Stubentisch zurückstellen, damit wir essen können?“ Sie fragte ihn vorsichtig und sah auf ihren auf dem Sofa liegenden Mann hinunter.
Ihr Mann erwachend als sie ihn anspricht, brummelte schlecht gelaunt, „na klar doch“, dann aber sich aufrichtend, „Oh je, meine Beine sind mir eingeschlafen. Du musst eine Weile Geduld haben“, mit einem gequälten Gesichtsausdruck fährt er fort, „ich komme gleich“, und rieb sich dabei mit beiden Händen stöhnend die Unterschenkel.
Seine Ehefrau sah ihn eine Weile nachdenklich an. Nahm schließlich die Zeitung, den Aschenbecher und legte beides auf den Stubentisch.
„Ist schon gut“, sagte sie, „ich mache das schon.“
„Oh ist das Unangenehm“, jammerte ihr Mann fortwährend, „ich kann mich kaum bewegen.“
„Armer Kerl“, sagte sie ungerührt mit versteinerter Miene, während sie begann Teller und Besteck reinzutragen.
„Glaubst du mir nicht?“ Fragte er mit weinerlicher Stimme, „Wenn es dir so erginge, ich würde mit dir leiden!“
„Gewiss“, sagte sie, blieb stehen und sah ihn an, „du würdest mit mir leiden“, eine leichte Ironie lag in ihrer Stimme. „Du würdest mit mir leiden“, wiederholte sie das eben Gesagte langsam, „wie soll das gehen?“
Seine Beschwerden waren wie weggeblasen als er sie barsch anfuhr „wie soll ich das verstehen? Habe ich mich nicht immer rührend um dich gekümmert, wenn es dir schlecht erging?“
Seine Frau sah ihn kampfeslustig an, schlug dann aber die Augen nieder und sagte beschwichtigend: „Natürlich! Resignierend fügte sie hinzu: „Du bist immer für mich da, um mir das Leben so angenehm wie möglich zu machen.“
„Eben“, seine Stimme klang wieder versöhnlich, „wie es mir möglich ist.“
Bedeutsam und zielgenau waren seine Worte gewählt.
Jetzt taten ihm anscheinend wieder die Beine weh und er begann erneut, sie mit den Händen zu reiben.
Seiner Ehefrau war dies nicht entgangen und so nahm sie ihre Tätigkeit den Tisch zu decken wieder auf.
Ihr Mann erhob sich und humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seinen angestammten Platz.
Mit noch immer unnatürlich verzogenem Gesicht, sah er seiner Ehefrau zu, wie sie Stück für Stück und Schale für Schale herein trug, bis alles mühsam Vorbereitete auf dem Tisch stand.
Als sich alles an seinem Platz befand, stellte er lapidar fest, „das hast du wieder wunderbar gemacht“, hatte dabei aber nur Augen für die dampfenden Gerichte auf dem Tisch.
Ohne seine Augen von den Köstlichkeiten zu nehmen, fragte er seine Ehefrau: „wenn du noch einmal in die Küche musst, kannst du mir noch ein Bierchen mitbringen?“ Und begann ohne aufzusehen mit dem auffüllen seines Tellers.
Seine Ehefrau die sich gerade hingesetzt und mit dem Essen beginnen wollte, legte das Besteck zurück, stand wieder auf und ging das Bier holen.
„Mein Glas“, wieder ohne aufzusehen, „es steht noch auf dem Tisch. Sei doch so gut.“
Auf halbem Wege stehen bleibend, schaute sie ihm zu wie er alles nur so in sich hinein schaufelte und sog das erste Mal die Luft tief durch die Nase ein.
Es stand so etwas wie Unmut in Ihrem Gesicht, als sie ihren kauenden Gatten ansah.
„Tut mir leid“, sagte er kaum verständlich, von schmatzenden Lauten begleitet, „hätte ich an denken sollen.“ Sein Mienenspiel indessen sagte etwas anderes.
An den Tisch zurückgekehrt, füllt sie nach dem Öffnen der Flasche, ihren geplagten Mann das Glas.
Ohne den Blick vom Teller zu nehmen, tastete seine freie Hand nach dem Glas um glucksend zu trinken, bevor er sich den nächsten Bissen gierig in den Mund schob.
Seine Ehefrau betrachtete ihn mit Missfallen von der Seite. Es fielen ihr spontan einige Dinge ein, die er zur ihrer Freude ebenso eilfertig erledigen dürfte.
Als sie ihren Teller ebenfalls füllte und zu essen begann, schob er seinen rücksichtslos in die Tischmitte und griff mit beiden Händen an seinen dicken Bauch. Die Schüsseln samt Inhalt wären beinahe auf den Boden gelandet, hätte seine Ehefrau nicht geistesgegenwärtig zwei der Schalen festgehalten.
Schien ihn nicht zu interessieren und es blieb auch unerwähnt.
„Oh, und jetzt eine rauchen!“ Stieß er jappend nach Atem ringend hervor.
Als seine Ehefrau lautstark ihr Besteck auf dem Teller ablegte, hob er die Hand und bemerkte freundlich:
„Bleibe ruhig sitzen. Ich kann einen Moment warten!“
Sie erhob sich dennoch und brachte ihm das Gewünschte.
„Du bist ein wahrer Schatz“, sagte er sie rülpsend ansehend, „ich bleibe auch sitzen, bis du fertig gegessen hast.“
Mit einem nicht zu deutenden Blick erwiderte sie den Seinen und begann erneut mit dem essen.
„Wolltest du nicht mit dem Rauchen aufhören?“ Wechselte sie das Thema, „jedenfalls hast du es gesagt.“
Du weißt doch, “ begann er und rieb sich dabei seinen dicken Bauch, „bei soviel Stress, den ich nun einmal habe, muss ich wenigstens noch diesen Spaß haben. Ich bin schließlich keine Hausfrau. Bei den Tätigkeiten, so wie sie bei dir anfallen, ist es sicher einfach mit dem aufhören. Du hast es doch nur deshalb geschafft.“
„Bitte?“ Empört erhob sie nun zum zweiten Mal die Stimme, „bei meiner Arbeit ist es leichter? Was denkst du dir eigentlich? Du bist Rentner und hast in den zwei Jahren von deinem sogenannten Stress, sage und schreibe 26 Kilo zugenommen. Auch hast du jede Menge Freizeit. Die du sehr gewissenhaft nutzt, wie ich finde!“
Schob dabei ihrerseits den Teller in die Tischmitte, ohne wirklich gegessen zu haben. Der Appetit war ihr scheinbar vergangen.
„Geht es schon wieder los?“ Die Stirn in Falten gelegt, beugte er sich zu ihr herüber und musterte sie scharf.

Impressum

Texte: © Harry Reinert Jede Verwendung des Textes bedarf der Genehmigung des Autoren
Tag der Veröffentlichung: 30.12.2008

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