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Meine Welt


Hallo. Mein Name ist Mia. Mehr braucht ihr nicht über mich zu wissen. Wollt ihr nicht wissen. Niemanden interessiert es, wer ich bin. Ich bin eine Einzelgängerin und das ist, glaub ich, auch ganz gut so. Ich bin lieber für mich. Das war schon immer so. Meine Eltern halten mich für gestört, weil ich immer allein sein will. Aber ich bin normal. Ein ganz normales Mädchen in seiner eigenen Welt. Nicht mal meine Eltern wollen noch etwas mit mir zu tun haben. Das hat mich anfangs schon ein bisschen traurig gemacht. Aber ich hab mich dran gewöhnt niemanden zum reden zu haben. Ich habe eigentlich keine Hobbies, ich häng einfach immer irgendwo ab. Am liebsten beim Brunnen im Park. In der Mitte des Brunnens befindet sich ein wunderschöner, aus Stein gemeiselter Elf. Er hat mich schon immer fasziniert. Er zieht mich an, fast schon magisch. Man könnte fast sagen, diese Marmorfigur ist mein einziger Freund. Schon traurig. Aber nicht für mich. Ich bin das ja gewohnt. Ich besuche meinen Freund sehr oft, setze mich vor den Brunnen und schaue ihn einfach nur an. Ich hab ihn auch schon mal berührt. Er war kalt, hart. Es hat mich zutiefst geschockt, ich weiß nicht was ich erwartet habe. Etwas weiches? Menschliches? Auf jeden Fall ist das, was hier steht mein ganzes Leben. Schule habe ich abgebrochen. Brauch ich nicht. Ich brauche nur meinen Elfen. Meinen Elfen und mich.

Ein Wunder


Es ist Montag. Meine Eltern sind wie immer früh arbeiten gegangen und ich habe bis Mittag geschlafen. Gegessen habe ich nur Cornflakes. Ich habe nie Hunger. Bin ja auch nur Haut und Knochen. Jetzt geh ich erstmal wieder zu meinem Freund in den Park. Er wartet sicher schon auf mich.
Der Park ist fast menschenleer. Umso besser. Ich steuere gleich auf den Brunnen zu und setze mich auf den Rand. Erstmal eine rauchen, das brauch ich jetzt. Langsam ziehe ich an der Kippe, dann werfe ich sie auf den Boden und zertrete sie. Ich drehe mich zu dem Elfen um und betrachte ihn wieder. Er ist so wunderschön. Ich will gerade wieder aufstehen und gehen, als ich von irgendetwas stark geblendet werde. Ich kann meine Augen nicht öffnen, das Licht ist so grell. Auch strömt mir eine unglaubliche Hitze entgegen und ich falle zu Boden. Dann verliere ich das Bewusstsein.
Als ich wieder zu mir komme, liege ich auf dem kalten Boden und ich bin ziemlich benommen. Es dauert ein wenig, bis ich mich aufrichten kann. Unsicher auf den Beinen drehe ich mich zu meinem Freund um. Doch dann der Schock: er ist weg! Mein einziger Freund ist nicht mehr da! Wo kann er denn nur sein? Verzweifelt wirble ich herum und vor mir steht ein Junge. Ein Junge mit blasser, glatter, perfekter Haut. Kurzen goldenen Haaren und nichts an außer einem Tuch dass um seine Hüften gewickelt ist. Besonders stark fallen mir seine magischen, tiefblauen Augen auf. Dann erkenne ich: der wunderschöne Junge ist mein Elf! Mein aus Stein gemeiselter Elf!
"Wer bist du?", frage ich unerwartet lässig.
"Mein Name ist Jerome." Die Haare in meinem Nacken stellen sich auf. So eine engelsgleiche Stimme habe ich noch nie zuvor gehört! Ihr Klang ist schöner als jedes Lied!
"Ich bin nur deinetwegen hier. Du hast mich gerufen", erzählt Jerome. Ich bin so verwundert, kann mich nicht bewegen, nichts sagen. Mein bester, einziger Freund ist lebendig! Etwas so Wunderbares hätte ich mir nicht mal erträumen lassen. Ich muss stark an mich halten, um nicht zu weinen, vor Glück.
"Wieso hast du mich gerufen?", fragt Jerome. Ich reisse mich zusammen und antworte.
"Wann habe ich dich gerufen?"
"Heute. Deine Gedanken haben mich aus meiner Hölle befreit. Dank dir!" Was? Ich verstehe echt null und Jerome scheint das zu merken.
"Vor vielen tausend Jahren wurde ich zu einem Leben als Steinfigur verdammt. Mein Bruder wollte mich damals töten, weil ich das Vermächtnis meines Vaters übernehmen sollte und nicht er. Bei dem Kampf zwischen uns ist er gestorben, Mutter hat es gesehen und mich daraufhin versteinert. Ich war all die Jahre bei vollen sinnen und habe alles, was um mich herum geschehen ist, wahrgenohmen. Und ich habe deinen Ruf wahrgenommen, deinen Ruf nach Hilfe. Nach Rettung aus deinem tristen Leben. Da haben die Götter entschieden, dass ich meine Strafe abgessesen habe und mich befreit dir zu helfen." Wow. Ich bin sprachlos. Ich habe meinen besten Freund gerettet! Am liebsten würde ich Jerome umarmen, doch ich beherrsche mich.
"Wie wirst du mir helfen?", will ich wissen. Jeromes Antwort kommt sofort.
"Ich werde dich mitnehmen. In meine Welt. In die Welt der Elfen."
"Was? Nein!", rufe ich empört. Ich hasse mein Leben, ja, aber ich will trotzdem nicht weg. Andererseits, was habe ich denn schon zu verlieren?
"Es ist deine Wahl. Du entscheidest." Das klingt gut.
"Aber: du hast nicht lange Zeit. Entscheide dich schnell", mit diesen Worten verschwindet Jerome. Ich will noch schreien "Verlass mich nicht!", doch es ist zu spät.
Irgendwie glaube ich gar nicht, dass das gerade passiert ist. Aber der Steinelf ist weg. Das ist der eindeutige Beweis. Ich muss nach Hause und eine Entscheidung treffen.

Die Reise


Ich sitze in meinem Zimmer und überlege. Was habe ich denn in meinem Leben? Einen großen Freundeskreis? Auf keinen Fall! Eine liebende Familie? Fehlanzeige. Also spricht doch eigentlich nichts gegen ein Leben mit Jerome in einer anderen Welt... Eine andere Welt. Das klingt so dumm. Ich war nie ein Fan von außergewöhnlichen Dingen und jetzt will ich in eine fantastische Welt reisen und dort ein neues Leben führen.
"JA!", schreie ich. "Ja, ich will es!" Plötzlich verdunkelt sich alles. Mein ganzes Zimmer löst sich in schwarzen Nebel auf, ich verliere den Boden unter den Füßen, weiß nicht, wo ich bin. Nord, Süd, alles durcheinander! Alles schwarz! Meine Kleider werden von einem unnatürlich heftigen Stoss weggerissen und wirblen für kurze Zeit um mich herum, dann verglühen sie in diesem seltsamen Nebel. Scham erfühlt mich. Ich bin nackt im nichts. Auf einmal sehe ich Bilder, Bilder aus meinem Leben. Die anderen Kinder, die mich früher immer fertiggemacht haben, das Kindermädchen, das immer auf mich aufgepasst hat. Und auch mein Hündchen, dass mich therapieren, zu einem normalen Mädchen machen sollte. Aber ich wollte keinen Hund habe ihn nicht beachtet. Als nächstes taucht das Bild des Steinelfen vor meinen Augen auf. Mein Herz schlägt schneller und in meinem Bauch fühlt es sich ganz komisch an. Dieses Gefühl wird noch stärker, als Jerome als lebendiges Wesen vor mir auftaucht. Ich will das Bild berühren, doch es verschwindet wieder und taucht ab in den unheimlichen Nebel. Ich merke, dass ich mich in Jerome verliebt habe. Ich habe mich in meinem besten, einzigen Freund verliebt. Ob das so gut ist? Wenn er mich nicht will, wäre das ein Weltuntergang. Was soll ich nur tun? Mir wird schwarz vor Augen. Und ich verliere wieder mein Bewusstsein.

Elfenweld


Ich wache auf und ein seltsames Gefühl von Glück lässt mich die Augen öffnen. Als erstes Sehe ich einen Baum, mit schimmernden Blättern und einem Stamm, ohne jeden Makel. Ein perfekter Baum. Ich muss lachen. Was ist schon ein perfekter Baum? So ein blöder Gedanke. Verwundert merke ich, dass ich gar keine Angst habe. Auch keine Trauer, Wut oder sonst ein negatives Gefühl. Ich fühle mich warm, voller Wonne. Und Glück. Überwiegend Glückseligkeit. Ich setze mich auf. Weiches Gras streicht mir in sanftem Wind über die Beine. Meine Haut ist so blass, so wie die von Jerome. Jerome! Wo mag der bloß sein? Vielleicht kommt er ja gleich? Ich muss mich schleunigst anziehen! Aber da merke ich, dass ich schon ein weises Kleid aus samtweichen Stoff trage und es mir absolut perfekt passt. Meine Haare haben sich auch verändert: sie sind seidig, glatt und nicht mehr pechschwarz, sondern rotbraun. Wie aus dem Nichts steht Jerome vor mir. Er sieht schöner aus, als ich ihn in Erinnerung habe. Viel schöner. Das hier ist seine Welt. Hier ist sein Zuhause und jetzt auch meines.
"Wie fühlst du dich?", fragt er.
"Fantastisch.", sage ich.
"So geht es jedem nach der Verwandlung." Verwandlung. Ich habe mich verwandelt. In eine Elfe. Merkwürdiger Gedanke.
"Was muss ich jetzt machen?", frage ich.
"Was du willst. Wir leben hier im Einklang mit der Natur. In der Elfenstadt jedoch musst du arbeiten. Dort gibt es sehr viel Leid. Sehr viel Gewalt. Nur der König benennt Gesetze. Er ist das Oberhaupt unseres Volkes." Mir bleibt der Mund offen stehen. Ich muss nichts tun? Ich kann tun, was immer ich will. Super! Ich spüre wieder die Schmetterlinge in meinem Bauch. Das muss Liebe sein, verdammt!
"Jerome! Ich..." Oh nein! Was soll ich ihm jetzt sagen?
"Ja? Hast du etwas auf dem Herzen?" Diese Stimme! Sie macht mich irre.
"Ehrlich gesagt, ja. Ich habe mich in dich...verliebt." Jetzt ist es raus. Ich hab es überstürzt. Es ist vorbei. Ich muss wieder zurück.
"Ich fühle auch etwas ganz besonderes für dich. Du hast mich in letzter Zeit oft besucht." Ja! Er liebt mich auch!
"Ich lasse dich jetzt allein. Du musst dich jetzt hier erst einmal einleben. Ich lasse dir Zeit. Danach können wir über andere Dinge reden." Ich nicke. Jerome verschwindet.
Diese Welt ist eigenartig. Alles ist mir so vertraut. Der kleine Bach vor dem Baum. Das magische Gras, die Sonne, die mich sanft wärmt und alles in ein goldenes Licht taucht. Es ist alles wie in einem Traum. Einem guten Traum.

Bis in die Ewigkeit


Ich bin nun schon 3 Monate hier. Ich bin mit Jerome zusammen. Unser erster Kuss war der Wahnsinn!
Es war perfekt. Mondlicht erhellte meinen Baum und die Umgebung. Jerome wollte mich besuchen und mir gute Nacht sagen. Dann ging alles ganz schnell. Ich hatte mich gerade gewaschen und war nackt. Jerome war erst verlegen, doch dann hat er sich zu mir vorgebeugt und mich auf die Stirn geküsst. Ich habe ihn dann gepackt und leidenschaftlich auf den Mund geküsst. Es war ein Gefühl ohne gleichen.
Jetzt machen wir das mehrmals am Tag, aber es ist trotzdem noch unglaublich. Jeder Kuss ist das beste, was ich fühlen kann.
Doch unser Glück soll nicht lange bestehen. Es ist ein etwas kälterer Tag und ich sitze mit Jerome im Gras. Dann sagt er etwas, was mich rasend macht.
"Wir werden für immer zusammen hier bleiben. Bis in die Ewigkeit." Bis in die Ewigkeit? Wie konnter er das einfach so beschließen! Ich vermisse meine Eltern und vor allem mein Zimmer, wo ich so schön allein war. Das Leben hier ist besser aber da ist so eine merkwürdige Sehnsucht nach meinem vertrauten Heim. Ich erzähle es Jerome und er schaut mich nachdenklich an.
"Willst du nicht mehr mit mir zusammen sein?"
"Doch! Selbstverständlich! Aber nicht bis in die Ewigkeit. Ich will zu meinen Eltern! Ich liebe sie doch!" Jerome schweigt. Eine Träne rinnt ihm über die Wange. Es erfüllt mich mit Schmerz, aber ich will nicht immer in dieser Traumwelt hierbleiben. Ich muss zurück!
"Ich verstehe dich.", sagt er, steht auf und geht. Ich hasse mich für das, was ich gesagt habe.
Eine Woche später. Jerome hat eine Entscheidung getroffen. Ich darf zurück und er wird mich begleiten. In meine Welt. Wir werden dort die Ewigkeit verbringen. Oder zumindest einen Teil davon.
Die Rückreise ist für mich ähnlich wie die Hinreise. Doch es ist nicht mehr so aufregend. Ich weiß ja, was dabei rauskommt.

Zuhause


Ich wache auf. Es ist Nacht und ich bin im Park. Nackt. Meine Haut hat wieder ihre kleinen Makel und meine Haare sind wieder schwarz. Schade, aber so muss es sein. Ich bin wieder da. Die vertraute Luft tut mir gut. Mein Körper fühlt sich wohl. Aber wo ist Jerome? Ich schaue mich um, doch er ist nicht da. Dann bleibt mir mein Herz stehen: der steinerne Elf sitzt wieder auf seinem Platz!
"JEROME! JEROME!", brüller ich. Aber er rührt sich nicht. Plötzlich merke ich auch, dass ich gar nicht mehr nackt bin sondern meine üblichen Klamotten trage. Was ist hier los?
"Ich bin nicht für deine Welt gemacht. Ich werde von den Göttern hier festgehalten. Ich muss erneut eine Strafe absitzen." Jeromes Stimme! So wundervoll- aber dass was sie sagt, ist das schlimmste, was meine Ohren je vernommen haben. Lange Zeit stehen ich am Brunen und weine. Schaue Jerome an, der aus Stein ist.
Habe ich mir das alles nur eingebildet? Diese Frage stelle ich mir sehr oft, aber in der Elfenwelt war alles so wunderbar real.
Ich werde die Wahrheit nie erfahren.

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Tag der Veröffentlichung: 13.10.2011

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