Folgendes erschien am 12.09.2010 in einer lokalen Tageszeitung:
Entführung
In der Nacht vom 08. auf 09.09. 2010 ist die 14-jährige Lola entführt worden. Sie befand sich auf dem Nachhauseweg von der Schule und wurde seitdem nicht mehr gesehen. Die Eltern schließen aus, dass ihre Tochter weggelaufen sei. Diese Annahme bestätigte sich am darauf folgenden Tag. Die Familie P. bekam einen Anruf des Entführers dass es dem Mädchen gut gehe und er sie für immer behalten würde. Seitdem hat man nichts mehr vom Entführer gehört.
Liebes Tagebuch,
heute ist der 13.09. Ich schreibe das hier aus meinem Gefängnis. Ein Mann hat mich vor ein paar Tagen entführt. Er lockte mich in den Wald, indem er laut schrie. Ich wollte ihm helfen, doch dann packte er mich von hinten und schlug mir mit einem schweren Gegenstand auf den Kopf. Ich hab das Bewusstsein verloren und bin dann hier aufgewacht. Es ist kalt und dunkel in diesem Raum. Ich weiß nicht, wo ich bin. Wahrscheinlich in einem Keller. Es gibt ein kleines Fenster, doch das ist mit Holzbrettern zugenagelt worden. Die Tür ist aus Eisen und fest verschlossen. Überall stehen Kisten mit Dekoration, Fotos, Büchern und anderem Krempel herum. Das Buch hier habe ich auch in einer der Kisten gefunden. Es ist das einzige, was mich nicht verrückt macht. Es tut einfach gut, wenn ich meine Gedanken aufschreiben kann. Ich habe schrecklichen Hunger. Meinen Durst habe ich mit irgendeinem Wein gestillt, der hier rum stand. Es sind noch mehr Flaschen da, aber ich will nicht besoffen sein, das wär mir nicht von Vorteil. Wer weiß was dann passieren würde.
Ich werde mich jetzt schlafen legen, auf einer alten Matratze. Bis morgen.
Liebes Tagebuch.
Mein Entführer war da. Er ist heute Morgen herein gekommen und hat sich vor mich hingesetzt. Ich weiß nicht was er wollte. Irgendwann hat er mich geschlagen. Ins Gesicht. Es tut immer noch weh. Ich bin umgefallen. Auf den harten Boden und habe angefangen zu heulen. Laut und kläglich. Aber ihm war das egal. Er hat gelacht. Ein fürchterliches, ekliges Lachen. Dann ist er gegangen.
Am Nachmittag kam dann ein ungefähr 17 Jahre alter Junge. Er hat mir eine Pizza gebracht und Cola. Er hat sich zu mir gesetzt und mit mir gegessen. Geredet haben wir nicht. Ich habe solche Angst! Was soll das alles hier? Wieso bin ich hier? Der Junge ist dann auch wieder weg und ich war wieder alleine. Ich habe die Kisten nach einem schweren Gegenstand durchsucht, weil ich die Bretter am Fenster zerschlagen wollte, aber nix brauchbares gefunden. Ich werde jetzt wieder schlafen. Da hab ich wenigstens keine Angst.
Liebes Tagebuch.
Ich habe mit dem Jungen gesprochen. Er heißt Dennis und ist der Sohn meines Entführers. Er hat mir gesagt, dass vor etwa einem Jahr seine Schwester an Krebs gestorben ist und sein Vater das nie verkraftet hat. Deshalb bin ich hier. Als Ersatz für ein totes Mädchen. Er hat mir auch gesagt, dass ich, wenn ich mich gut benehme, nach oben ins Haus darf. Aber das will ich nicht, ich will die Tochter dieses Psychopaten nicht ersetzen. Ich will frei sein! Aber Dennis wollte mir nicht helfen. Er hat Angst vor seinem Vater, manchmal schlägt er ihn auch und einmal hat er ihn sogar schon missbraucht. Da hab ich noch mehr Angst bekommen. Ich will auf keinen Fall nach oben, ich will weit weg von ihm!
Liebes Tagebuch,
Dennis war wieder da. Ich weiß nicht, wie spät es war, ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Er hat mir was zu Essen gebracht und auch eine Decke. Ich war ihm sehr dankbar, habe aber nichts gesagt. Ich will nichts sagen, ich will nur noch hier raus!
Liebes Tagebuch.
Ich habe Dennis bestohlen. Er war wieder bei mir und wir haben gegessen. Ich habe mit ihm gesprochen, über meine Angst und wie kalt es hier unten ist. Am Ende haben wir uns umarmt und ich hab sein Handy aus seiner Hosentasche genommen. Ich weiß, es war nicht richtig, weil Dennis so nett zu mir ist, aber, habe ich eine Wahl? Was bleibt mir anderes übrig? Ich habe überall im Keller nach möglichst viel Netz gesucht, aber nicht mal Notrufnummern krieg ich. Aber ich habe einen Plan: ich habe eine SMS eingetippt:
Bin gefangen! Bitte helft mir!
Lola P.
Die SMS werde ich versenden, wenn Dennis wieder zu mir kommt. Ich werde hinter der Tür warten und sobald sie sich öffnet werde ich ihn überrumpeln und flüchten. Unterm Laufen werde ich die SMS an die Polizei verschicken und dann weiter laufen. Vielleicht gelingt mir ja die Flucht. Mittlerweile stinkt es ziemlich, ich habe ja keine Toilette. Aber das ist nicht mein Problem, mein Problem ist, dass ich hier drin langsam wahnsinnig werde. Nur Dennis und das Schreiben halten mich davon ab, durchzudrehen.
Liebes Tagebuch.
Ich habe meinen Plan in die Tat umgeführt. Aber ich bereue es. Dennis kam herein und ich hab mich auf ihn gestürzt und ihm einen Tritt in den Schritt verpasst, er ist kurz zusammengesackt und ich bin raus aus dem Keller. Das grelle Licht hat mich geblendet, da ich sonst ja in vollkommener Dunkelheit verharre. Aber ich habe die SMS versendet und hoffe, dass es der Polizei hilft mich zu finden und hier raus zu holen. Ich bin einfach auf irgendein Fenster zugelaufen und hab es mit dem Fuß zertreten, die unglaublichen Schmerzen waren mir egal, ich bin aus dem Fenster gesprungen und landete auf gepflegtem Rasen. Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass ich mich im zweiten Stock hätte befinden können und dann hätte ich den Sprung nicht überlebt. Aber ich befand mich ja im Erdgeschoss. Ich hab mich schnell wieder aufgerappelt und bin weiter gelaufen, doch dann stand auf einmal mein Entführer vor mir. Ich hab die Richtung gewechselt, doch er hatte mich schnell eingeholt und zu Boden geworfen und dann ins Haus gezerrt. Im Haus hat er mich dann geschlagen, grün und blau. So fest, dass mir an einigen Stellen die Haut aufgeplatzt ist und ich geblutet habe. Dann musste ich wieder in die Hölle, in den Keller zurück. Ich habe meine Wunden mit Tüchern versorgt und ausgiebig geweint. Dennis kam nicht mehr.
Liebes Tagebuch.
Dennis ist nicht gekommen. Ich blöde Kuh hab es versaut! Aber mein Entführer hat mir Essen gebracht. Ich hab den ganzen Tag in der Ecke sitzend und schluchzend verbracht. Dann ist mir aufgefallen, dass ich das Handy immer noch hab. Ich hab es herausgeholt.
Eine neue Nachricht von 110.
Die Polizei musste mir in der kurzen Zeit die ich oben war zurück geschrieben haben.
Wir tun alles um dich zu finden. Wo bist du?
Toll, wie sollte ich zurück schreiben? Ich habe ja auch keine Ahnung wo ich bin. Ich tippte alles was ich von dem Ort wusste ins Handy ein.
Großes, weißes Haus, großer Garten mit Hecke.
Mehr weiß ich nicht. Aber ich habe wieder einen Plan: ich muss das Vertrauen dieses Mannes gewinnen, dann lässt er mich nach oben und ich kann vielleicht fliehen. Ich muss mich nur gedulden.
Tag der Veröffentlichung: 12.10.2011
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