1 Erinnerungen
Es kam mir vor, als wäre es nicht einmal eine Minute her, als ich in meinem Zimmer auf dem Bett lag und mein Lieblingsbuch las. Bestimmt schon zum zwanzigsten mal. Vom vielem Lesen taten meine Augen schon weh und schließlich gab ich nach und schlief ein. Vor meinem inneren Auge nahm ich Farben und Geräusche wahr. Sie kamen mir sehr vertraut vor und doch lagen sie in weiter ferne zurück. Ich sah den strahlend blauen Himmel, die Sonne schien und tauchte die Blätter der Bäume in ein leuchtendes Grün .Erst jetzt bemerkte ich, dass ich träumte. Ich sah die Rutsche mit der abgeblätterten roten Farbe und die Schaukeln, die einen förmlich dazu einluden sich zu setzten. Ich bemerkte die Wippe und das bunt zusammen gewürfelte Klettergerüst. Ich befand mich auf einem Spielplatz und diesen kannte ich nur zu gut! Es war der Spielplatz aus meiner Kindheit, den ich fast jeden Tag besuchte. Am liebsten zusammen mit meinem besten Freund, oder eher gesagt damaligen besten Freund. Sein Name war Matthew. Matthew Connor. Meistens spielten wir im Sandkasten und bauten Sandschlösser oder backten Sandkuchen. Wie automatisch suchte ich den Platz nach ihm ab. Und da war er. Zwei kleine Kinder spielten darin. Ein Mädchen und ein Junge. Ich spürte auf einmal, dass ich Schmetterlinge im Bauch hatte. Der Junge half dem Mädchen gerade aus dem Sandkasten. Erst dachte ich das Mädchen würde lachen, doch dann sah ich, dass es weinte. Er versuchte sie zu trösten, doch es half nicht. Dann zuckte es um seine Mundwinkel und er griff in seine Hosentasche. Er gab dem Mädchen ein Bonbon und sah sie lächelnd mit seinen unschuldigen braunen Augen an. Sie war sehr klein und zierlich, und mit ihren schulterlangen braunrotem Haar die in Locken an ihrem Rücken herab fielen sah sie aus wie ein kleiner Engel .Die blauen Augen unterstrichen den Eindruck noch zusätzlich. Als sie das Bonbon nahm, lächelte sie verlegen und gab dem Jungen einen kleinen Kuss auf die Wange. Er wurde rot und fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht. Irgendetwas an diesem Bild kam mir merkwürdig vertraut vor. Der Sandkasten, die braunen Augen des Jungen, das Bonbon und der Wangenkuss. Und dann wusste ich es! Das kleine Mädchen war ich und der Junge kein anderer als mein damaliger bester Freund Matthew. Ich habe in meiner Kindheit oft geweint, auch wenn es dafür nicht immer einen Grund gab. Doch jedes Mal tröstete Matthew mich, indem er mir eines seiner Bonbons gab, eine kleine doch mir sehr viel bedeutende Geste. Wir haben immer alles zusammen gemacht, wir waren einfach unzertrennlich. Aber das war von Anfang an so, seit ich ihn kannte. Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Tag im Kindergarten. Ich war ein sehr schüchternes und ruhiges Kind, deshalb hatte ich es schwer Freunde zu finden. An meinem ersten Tag dort ärgerte mich ein Junge. Er zog mir an den Haaren und wollte mir immer das Spielzeug wegnehmen. Da kam Matthew. „ Lass sie in Ruhe!“, hatte er damals gesagt. „Halt dich raus Connor!“, sagte der große Junge. Ohne ein weiteres Wort ging Matt auf ihn zu und schlug ihm direkt ins Gesicht. Natürlich hat die Erzieherin einen Aufstand gemacht, wie falsch es ist sich gegenseitig weh zu tun, aber für mich war er mein Held. Und von diesem Tag an waren wir die besten Freunde. Jedenfalls war es damals so. Ich merkte wie die Schmetterlinge in meinem Bauch verschwanden, und sich ein anderes Gefühl ausbreitete. Ein dumpfer Schmerz.
Ich schrak aus meinem Traum. Ich blickte mich in meinem Zimmer um, um mich zu beruhigen. Es war nicht aufgeräumt, wie immer, aber doch versteckte sich so etwas wie ein geordnetes Chaos dahinter. Was ich immer fand, waren meine Bücher. Ich bin einfach eine Leseratte. Das Buch was ich am Abend zuvor gelesen hatte, lag noch aufgeschlagen neben meinem Arm. Und meine Gitarre nicht zu vergessen, denn Musik war neben meiner Mom und meinen zwei besten Freundinnen, das wichtigste für mich. Langsam erinnerte ich mich an meinen Traum, wobei sich mein Bauch wieder gefährlich zusammen zog. Er war eine Erinnerung, eine der glücklichen aus meiner Kindheit. Ich war ungefähr acht Jahre alt, Matthew war schon neun. Er zog ungefähr ein Jahr darauf weg. Das schlimmste an der ganzen Sache war, das er sich nicht verabschiedet hatte und sich bis heute kein einziges Mal gemeldet hat, als hätte es ihn nie gegeben. Mir blieben nur noch Erinnerungen, Fotos, Videos und meine Träume .Ich hatte schon eine ganze Weile nicht mehr von Ihm geträumt warum ausgerechtet heute? Wer weiß, vielleicht erinnert er sich gar nicht mehr an mich und hat mich schon längst vergessen. Es wäre besser für mich wenn ich dies auch täte! Ich stand von meinem Bett auf und atmete einmal tief durch. Es war schon hell draußen, und die Schule würde bald anfangen. Ich gehe auf die County-High und bin in der zwölften Klasse .Ich heiße Evelyn. Evelyn Fey, meine Mom nennt mich Evie. Vom Aussehen her, bin ich der totale Durchschnitt. Mein Markenzeichen sind meine blaue Augen. Meine Mom sagt immer, das sie keine Ahnung hat wo die blauen Augen herkommen, da sie selbst braune Augen hat und mein Vater grüne hatte….Mein Vater ist vor ungefähr vier Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Es war damals eine sehr schwere Zeit für meine Mom und mich. Sie hatte immer versucht stark für uns beide zu sein…doch sie hatte keine Ahnung das ich sie nachts weinen hören konnte,…verständlich. Ca ein halbes Jahr nach Dads Unfall sind wir umgezogen, nach Hill-County und haben es geschafft einen halbwegs normalen Alltag auf die Beine zu stellen. Meine Mom arbeitet bei der Zeitung, sie schreibt für den Teil der Bücher- und Autorenkritiken. Darin geht sie total auf, denn sie ist genauso eine Leseratte wie ich. Naja von irgendwoher muss ich das ja haben. In der Schule bin ich sogar sehr gut, muss ich auch, sonst macht mir meine Mom die Hölle heiß. ,,Du musst dir immer jede Möglichkeit für die Zukunft offen halten“ hatte sie gesagt.
Dann wären da noch meine zwei besten Freundinnen. Jamie und Clara. Wir sind eine unzertrennliche Dreier-Clique… Wir kennen einander in und auswendig und haben auch immer was zu lachen. Wegen ihnen beiden gehe ich jeden Tag gerne zur Schule.
Ich hörte meine Mom von unten rufen. Es ist Zeit ich muss los. Ich packte noch schnell mein Zeug zusammen und ging die Treppe hinunter geradeaus in die Küche wo meine Mutter schon an der Theke stand um mir mein Frühstück für die Schule zu geben. ,,Mensch Mom das kann ich doch selbst.“ sagte ich und verdrehte die Augen. ,,Aber bekommst du dein Frühstück auch so hin wie ich ?, mit Liebe verpackt.“ Sie grinste mich schräg an. ,, Wohl eher nicht..“ antwortete ich mit einem leicht ironischen Unterton, nahm die Tüte und ging schnurstracks zur Hintertür hinaus. Ich müsste mir also auf dem Weg zur Schule noch eine Kleinigkeit zu essen besorgen.Ich liebe meine Mutter ja, aber Kochen ist eines der Dinge von denen sie sich lieber fern halten sollte. Da hilft auch keine Kochsendung und kein Kochbuch der Welt. Als ich aus dem Haus kam nahm ich gleich zwei Treppen auf einmal. Da wartete auch schon Clara auf mich. Sie wohnte direkt nebenan. Genauso wie Matthew damals. Nein! An so was will ich jetzt nicht mehr denken! Konzentrier dich!
Clara begrüßte mich wie üblich mit ihrem sorglosen breiten Lächeln. Es tat gut sie zu sehn. Besonders jetzt wo ich wirklich Ablenkung gebrauchen konnte. Ihre bernsteinfarbenen Augen strahlten mich nur so an. Clara war meistens glücklich, man konnte sie fast nie schlecht gelaunt antreffen. Sie hat ein herzförmiges Gesicht und sie ist so klein und zierlich, dass sie eher zerbrechlich wirkt. Ihre flammenroten lockigen Haare verliehen ihr einen frechen Touch. Ich weiß, wann immer ich ein Problem habe egal welches, kann ich zu ihr gehen, sie hat immer ein offenes Ohr „Clara!“, schrie ich und viel ihr in die Arme. „Na Große, hast du mich vermisst?“, sie grinste wieder ihr schräges Lächeln. „ Sicher, wie war es in Schottland?“. Sie verdrehte die Augen und sagte: „Regnerisch, aber wunderschön, oh Evie du hättest das Cottage sehen sollen in dem wir gewohnt haben, einfach umwerfend!“. „ Wann seid ihr denn Heim gekommen?“. „Gestern Abend. Es war schon ziemlich spät, deswegen bin ich noch ein wenig müde. Ihr Gähnen unterstrich diese Aussage. Wir gingen ein paar Straßen weiter und warteten vor Jamies Haus. Sie stieß pünktlich auf die Minute, wie immer, zu uns. Ihre Haare saßen perfekt, aber auch das ist nichts Neues mehr, sie ist es einfach. Clara und ich waren uns ziemlich sicher , dass sie mit ihren langen Beinen und ihrer schlanken Figur ein Topmodel werden könnte. Doch so wie ich Jamie kenne, interessierte sie so etwas überhaupt nicht, sie hatte höhere Ziele. Alles in allem würde ich sagen, sie ist die Vernünftigste von uns dreien und sorgt dafür, dass wir keine Dummheiten machen. Als ich ihre Augen sah verkrampfte sich unweigerlich mein Magen. Schokoladenbraune Augen .Sie ist nicht Matthew sondern deine beste Freundin also reiß dich zusammen! Auch Jamie umarmte ich und fragte sie nach ihren Ferien. Sie war im Gegensatz zu Clara nicht verreist, deshalb hatten wir uns auch öfter getroffen. Nun gingen wir geradewegs zur Schule. Wir bogen um die Ecke…und da war sie, unsere Schule. Zwei rote Backsteingebäude. Von außen sah es eigentlich gar nicht aus wie eine Schule, vielleicht machte es die ganze Schulsache damit noch einfacher. Doch irgendetwas an diesem Morgen erregte jedermanns Aufmerksamkeit. Überall wurde getuschelt und es schien so als würden alle Schüler auf etwas warten.
Es dauerte gar nicht lange den Grund dafür herauszufinden, Clara wusste immer über alles und jeden bescheid. Was in diesem Fall sogar sehr nützlich war. ,, En neuer Schüler wird heute kommen!...alle sind total aufgeregt, er soll aus Kanada kommen!“…Oh wie toll ein neuer Schüler, unter normalen Umständen wäre dies nicht einmal halbwegs so interessant, würde ich nicht in einer Kleinstadt wohnen…da ist es sogar schon aufregend wenn Nachbars Katze auf dem Baum hockt und nicht mehr runter kommt…,,Hasst du schon irgendwas über ihn gehört ?“ fragte ich Clara aus Höflichkeit.. Sie schüttelte den Kopf. ,, Unser Neuankömmling scheint sehr geheimnisvoll zu sein, niemand hat auch nur irgendwas von ihm gehört oder gesehen seit er her gezogen ist. Er wohnt bei Mrs Swan, ich hab gehört seine Eltern wären vor ungefähr fünf Jahren gestorben. Armer Kerl. Wenn du mich fragst finde ich das merkwürdig, dass er schon seit vier Tagen in Hill-County ist und sich noch kein einziges mal irgendwo hat blicken lassen. Also ich wär schon gern die erste die etwas aus ihm herauskitzelt.“ sagte sie mit einem schiefen verlegenen Grinsen im Gesicht. Ich konnte nicht anders und grinste zurück. Was die Neugierde angeht kann wohl keiner Clara übertreffen, das Lustige an der Sache ist, dass sie es doch immer wieder schafft das herauszufinden, was sie wissen will.
Die Aufregung würde sich wahrscheinlich den ganzen Tag über nicht legen. Doch ich muss zugeben , dass ich auch langsam neugierig wurde. Als Clara neben mir anfing nervös hin und her zu zappeln blickte ich auf. Oliver war gerade gekommen und begrüßte schon Kyle und Jamie. Kyle ist Jamies fester Freund. Fast jedes Mädchen der Highschool ist hinter ihm her. Kein wunder das die beiden sich gefunden hatten, zusammen sahen sie aus wie Fotomodels. Oliver war Kyles bester Freund. Clara ist total in ihn verliebt, doch sie traut sich nicht es ihm zu sagen, da sie sehr gute Freunde sind, genau wie er und ich. Meistens sind wir dann zu fünft unterwegs. Erst dann verstehe ich die richtige Bedeutung des Sprichwortes „das fünfte Rad am Wagen“ …denn das traf auf mich zu. Eigentlich wollte ich auch gar keinen festen Freund, mir gefällt es so wie es ist unkompliziert und einfach. Da dies der erste Tag nach den Ferien war und wir Oliver schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hatten , da er mit seinen Eltern im Urlaub war , war Clara sichtlich nervös.,, Hör auf so rumzuzappeln Clara , meinst du nicht, dass ihm das auffällt ?“.Sie warf mir einen Blick zu, der soviel heißen sollte wie ,,Ich versuch es ja…“.,, Oliver ! Wie war es in Hawaii ? “, fragte ich ihn als er mich umarmte. Kann mich nicht beklagen.“, gab er mir mit einem Lächeln zurück. Dann wendete er sich Clara zu und es schien so als würde irgend etwas in seinen Augen aufleuchten,…Erstaunen, Überraschung oder doch Verwunderung? Er umarmte sie und lächelte sie an. „ Hallo Clara, lange nicht gesehen“. Erst dachte ich meine Augen würden mir einen Streich spielen aber dann war ich mir sicher, das Oliver eben ein wenig rot wurde. Ich konnte es nicht deuten und da es außer mir keiner zu bemerken schien, beließ ich es erst einmal dabei. Als aller erstes mussten wir uns unsere Stundenpläne im Sekretariat abholen. Als ich meinem entgegennahm und ihn mir gründlich durchlas, entfuhr mir ein genervtes Stöhnen. ,, Na toll!...“. ,, Was denn ?“, fragte mich Jamie als sie meinen Gesichtsausdruck sah. ,, Ich hab als erstes zwei Stunden beim alten Peterson…Ob der wohl immer noch so schräg drauf ist ?“.Jamie schmunzelte. ,, Ich denke mal der wird noch eine ganze Weile so sein , er scheint sich ja beim Sommerfest heftig in deine Mom verguckt zu haben.“,, Es mag ja sein , aber warum muss er denn unbedingt so verdammt nett zu mir sein? Ich werde ihn ganz sicher nicht mit meiner Mom verkuppeln!“. Jamie zuckte mit den schultern. ,, Habt ihr eigentlich irgendwas über den Neuen gehört ?“ fragte Clara Oliver .Und da war es wieder, dieses Aufleuchten, ist mir da irgendetwas entgangen ?Nach einem unmerklichen Zögern antwortete er .,,Ich hab nur gehört das er Matt heißen soll…“. ,, Matt ?!“, ich schrak bei dem Namen hoch und meine Stimme sprang eine Oktave höher. Da war wieder dieses Gefühl in meinem Magen, doch ich wusste nicht ob es Schmetterlinge waren oder etwas anders. ,, Ja…“ antwortete er und musterte mich besorgt. ,, Aber seinen Nachnamen weiß ich leider nicht. Er ist sehr nett, als ich mich mit ihm unterhalten habe schien er mir ganz freundlich zu sein und…“. ,, Du hast ihn schon gesehen und dich mit ihm unterhalten ? „ warf Clara ein. „Ja, vor ein paar Tagen, als ich mit Jack Gassi gehen war. Er lud gerade seine Sachen aus dem Auto und brachte sie ins Haus. Ich bot ihm an zu helfen doch er sagte das wäre der letzte Karton. Dann hab ich mich noch ein bisschen mit ihm unterhalten und ihm gesagt, wenn er Hilfe in der Schule braucht das er mich fragen kann. Ich musste dann auch weiter weil Jack ungeduldig wurde.“ ,, Dann scheint er ja vielleicht doch nicht so schüchtern zu sein…“, bemerkte Clara. Oliver musterte sie von der Seite. Es läutete und damit war unsere Unterhaltung fürs erste beendet. Wir gingen in unseren Raum für die ersten zwei Stunden. Physik. Physik ist eines der Fächer in denen ich nicht so gut abschneide, da es mich einfach nicht interessiert. Kyle und Jamie saßen zusammen. Als Clara sich neben mich setzte und ich Oliver sah, hätte ich ihm am liebsten Platz gemacht. Nach seinem Gesicht zu urteilen, hätte er gerne neben ihr gesessen. Anscheinend ist über die Sommerferien einiges passiert. Stattdessen ging er an unserem Tisch vorbei und setzte sich hinter uns an die leere Bank. Ich drehte mich um und sah ihn entschuldigend an. Er formte mit den Lippen „ Macht nichts“ und lächelte mich an.
Der Neuankömmling
Bis es zur Stunde klingelte, unterhielten Clara und ich uns noch mit Oliver über die Ferien. Dann ging die Tür auf und Mr. Peterson kam herein. Er war der klassische Typ Lehrer. Brillen- und Anzugträger, Halbglatze und dieses „wir-lieben-Physik-Lächeln“ im Gesicht. Er war der Meinung, dass es nichts wichtigeres als die Physik gab und versuchte uns daher auch in jeder Stunde für dieses Fach zu begeistern,- Vergeblich. Genervt drehte ich mich nach Vorne und stellte mich auf zwei todlangweilige Stunden Physik ein. Doch dann ging die Tür schon wieder auf und die Schuldirektorin Mrs. Bang kam herein. Normalerweise ist es ja so, dass man die Schulrektoren am wenigsten von den ganzen Lehrern leiden konnte, aber ich muss sagen Mrs. Bang war hier auf jeden Fall eine Ausnahme. Sie war immer nett zu uns und im Gegensatz zu anderen Erwachsenen an dieser Schule, wollte sie uns im Leben weiterbringen. Ihre Schüler lagen ihr am Herzen und sie bewachte sie wie eine Hundemutter ihre Welpen. Ich lächelte bei diesem Vergleich.
Doch sie kam nicht allein. Alle Köpfe der Klasse drehten sich in Richtung Tür. Hinter ihr stand noch jemand. Der Neue? Clara zappelte unruhig auf ihrem Stuhl herum. Ich gab ihr einen kleinen Tritt und sie sah mich vorwurfsvoll an. „ Sorry aber ich kann nichts sehen! Vergessen ich bin die Kleinste hier!“, zischte sie mir genervt zu. „ Liebe Klasse, ich möchte euch gerne jemanden vorstellen, der ab heute die County-High mit euch zusammen besucht. Er wird Teil dieser Klasse werden und ich hoffe das ihr ihn freundlich und zuvorkommend behandelt. Sie blickte hinter sich und bedeutete dem Jungen einen Schritt nach vorn zu machen. „Das meine Lieben ist Matthew Connor,…“ Ach du… „ er ist erst vor kurzem hierher gezogen und kennt sich in unserer kleinen Stadt noch nicht sehr gut aus.“ Nein,…nein…oh bitte nein! „ Ich hoffe ihr werdet ihm weiterhelfen wenn er Fragen hat.“ Sie lächelte Matthew freundlich an und ging in Richtung Tür. „So damit ist meine Aufgabe erledigt. Ich wünsche euch noch viel Spaß bei Physik.“ Mit einem Lächeln verließ sie den Raum. Es war mucks Mäuschen still im Raum. Mr. Peterson unterbrach das Schweigen und sagte Matthew er könnte sich auf den leeren Platz neben Oliver setzen. Das ist ein Traum. Ganz klar ich träume noch! Verdammt Mum hatte Recht ich sollte vor dem Schlafen gehen keine Süßigkeiten mehr essen! Ok wie war das nochmal wenn man aufwachen wollte?! Sich kneifen, den Kopf unter einen Wasserhahn halten, eine Ohrfeige? Ich würde alles tun ich will einfach nur Aufwachen. Clara zupfte an meinem Ärmel. Als ich ihr ins Gesicht sah lag Besorgnis darin. „ Alles ok mit dir? Du bist total blass?“. Ich konnte nicht antworten ich nickte nur. „ Heißt das jetzt, ja, es geht dir gut? Oder nein, es geht dir schlecht?“. Ich antwortete nicht sondern schaute wieder zu Matthew. Wüsste ich nicht, dass er Matthew Connor heißt, hätte ich ihn womöglich gar nicht erkannt. Er war groß geworden. Unter seinem T-Shirt sah man die Konturen seiner Muskeln. Sein zerzaustes Haar stand in alle Richtungen und würde der Hälfte der Mädels in unserer Klasse schlaflose Nächte bescheren. Er trat sehr selbstbewusst auf. Wie gesagt ich hätte ihn kaum erkannt, wären da nicht diese Augen. Schokoladenbraun, wie ich es in der letzten Nacht geträumt hatte. Doch in ihnen sah ich nicht mehr diese Wärme und Geborgenheit die ich als Kind immer bewundert hatte, sie waren kalt und …leer? Ich schien die Einzige zu sein die das bemerkte. Wie zu erwarten himmelten ihn alle anderen Mädchen an. Vorsicht! Fangt nicht an zu sabbern, das wäre garantiert sehr unattraktiv. Als sein Blick auf mich viel, veränderte sich etwas. Da war etwas in seinen Augen. Ich musste auf einmal an das letzte Gewitter denken. Es war dunkel, der Strom war ausgefallen und da war dieser alles erhellender Blitz. Mir war klar, dass Matthew mich sofort erkannt hatte. Doch so schnell, wie ich etwas in seinen Augen gesehen hatte war es auch schon wieder verschwunden. Ohne einen weiteren Blick oder auch nur ein Wort, ging er an meinem Tisch vorbei und setzte sich neben Oliver. Ich war fassungslos. Als wäre ich vor eine Wand gelaufen. Jetzt kniff mich Clara in den Arm. Ich zuckte zurück und funkelte sie an. „Was ist mit dir!?“,fragte sie. Ich wusste es nicht. Ich fühlte mich, total leer. Ich wusste nur, dass ich hier raus musste, sonst würde ich einen Nervenzusammenbruch bekommen. Dies schien die sogenannte Ruhe vor dem Sturm zu sein. „Mr. Peterson?“. „ Ja, Clara?“ fragte er. „ Könnte ich Evie bitte zur Krankenschwester bringen, sie ist total blass, ihr scheint es nicht gut zu gehen.“. Mr. Peterson sah mich besorgt an. „ Ja, das wäre sehr nett von dir und gib doch bitte ihrer Mutter Bescheid, wenn es ihr nicht besser geht.“. „ Wird erledigt.“ Sagte Clara, packte meinen Kram zusammen und half mir hoch. Ich fühlte mich wie einen Roboter, dessen Software gerade abgestürzt war. Was für ein blöder Vergleich. Ich lächelte schonwieder. Jamie sah mich mit gerunzelter Stirn an. Wahrscheinlich dachte sie ich war nicht mehr ganz dicht. Bevor Clara und ich aus dem Klassenzimmer traten, warf ich noch einen letzten Blick in seine Richtung und ging dann hinaus. DAS hatte ich mir auf gar keinen Fall eingebildet. Er hatte mich ganz genau angeschaut. Und in seinem Blick lag Sorge.
Als Clara die Tür hinter uns schloss, blieb ich stehen und lehnte mich an die Wand. Ich starrte die kahle weiße Decke an und holte tief Luft. Matthew Connor. Ich konnte es immer noch nicht fassen. „ Ok, was war das eben? Und komm mir jetzt nicht mit irgendeiner scheinheiligen Ausrede, du weißt das ich der Lügendetektor in Person bin!“. Clara sah mich nun durchdringend an. Ich sah sie an. Ja, was war das eben?! Er hat so getan als würde er mich gar nicht kennen, obwohl es deutlich war, dass er mich erkannt hatte. „ Um ehrlich zu sein, ich hab keine Ahnung.“, antwortete ich und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. „ Ihr kanntet euch oder?“. „ Ja,…erinnerst du dich, wie ich dir und Jamie von meiner Sandkastenliebe erzählt habe?“. Ich blickte sie bedeutungsvoll an. „ Warte! Das war ER? Natürlich, Matt…so wie Matthew. Du hast erzählt das er eines Tages einfach umzog ohne dir irgendetwas darüber zu erzählen und...“. „ Ja,…Ohne mir Auf Wiedersehen zu sagen.“, vollendete ich ihren Satz. „ Was sollte denn dann das da drin?! Er hat ja so getan als wäret ihr euch noch nie begegnet! Wie kann er nur! So ein Macho! Und ich dachte er wäre nett.“ „Ist er ja eigentlich auch. Ich verstehe es ja selber nicht, aber das kommt mir sowieso alles ziemlich merkwürdig vor.“ „ Wie meinst du das?“. „Naja, irgendetwas fühlte sich falsch an.“ „ Kein Wunder wenn er einfach mal so an dir vorbeigeht ohne dir zu sagen: „ Hey Evie, das ist ja eine Überraschung wir gehen jetzt auf dieselbe Schule! Wie geht es dir denn? Was hast du in den letzten Jahren so getrieben…“ Blah blah blah!“, sagte sie bestimmt. „ Damit hast du schon Recht, aber das meine ich nicht. Es war etwas in seinen Augen. Ist dir da nichts aufgefallen?“. Sie starrte mich verdutzt an. „ Was war denn mit seinen Augen, ich fand sie wunderschön.“, sie wurde leicht rot. „Entschuldigung.“ Dachte ich mir, dass das keiner gemerkt hat. Ich winkte ab. „ Seine Augen, sie waren nicht dieselben von früher. Sie waren kalt und leer und irgendwie, so bescheuert das jetzt auch klingen mag, hoffnungslos.“ Ich sah es in Claras Augen. Sie versuchte mich zu verstehen, aber der „Klick-Moment“ blieb aus. „Es tut mir wirklich leid aber ich versteh nicht worauf du hinaus willst?“. „ Ich glaube in den letzten Jahren ist irgendetwas passiert. Etwas das ihn verändert hat.“ „ Evelyn meinst du nicht das ist normal, wenn Menschen erwachsen werden und sich verändern?“. „ So mein ich das doch aber gar nicht!“, antwortete ich genervt. Clara schaute mich mit großen Augen an. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Jamie kam heraus. „ Hey Leute, ich hab dem Peterson gesagt ich würde mal nach euch sehen. Evie ist alles in Ordnung?“. Ihr Blick wechselte zwischen Clara und mir. „ Ok was hab ich verpasst? Es hat irgendwas mit diesem Matthew zutun nicht wahr? Ich hatte eben schon den Verdacht es könnte der Matt aus deiner Kindheit sein aber…“, sie hielt inne und musterte mich. „ Er war es also wirklich, na das nenn ich mal einen interessanten Start ins neue Schuljahr!“. Wie zu erwarten hatte Jamie natürlich gleich alles durchschaut, kein Wunder das sie kein Model werden wollte, ihr IQ war dafür eindeutig zu hoch! „Wie geht es dir Evie?“. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und sah mich mit ihren weichen und besorgten Augen an. Meine Freunde! Solange ich sie hatte, würde sich alles schon irgendwie finden und wenn nicht, hatte ich ja sie an meiner Seite. „ Es geht schon.“, antwortete ich ihr also. „ Wie wäre es wenn wir einen kleinen Spaziergang machen? Du brauchst dringend wieder ein bisschen Farbe im Gesicht!“. Sie lächelte dabei und kniff mir in die Wange. Ich konnte gar nicht anders als zurück zu lächeln, obwohl ich es hasste wenn sie das tat. „Einverstanden“, murmelte ich. „ Ich muss nur kurz Mr Peterson Bescheid geben, dann können wir los.“ „ Jamie machte auf dem Absatz kehrt und Verschwand für ein paar Sekunden im Klassenraum. Als sie wiederkam zwinkerte sie uns zu. „Du hast echt glück das Peterson auf deine Mutter steht, der hätte jetzt wahrscheinlich auch nichts dagegen, wenn du dir den Tag frei nimmst“, sagte sie mit einem Lächeln und wir gingen in Richtung Ausgang. Ich seufzte ein letztes Mal. Mir war bewusst, dass sein Auftauchen, alles verändern würde und etwas sagte mir, dass dies nur der Anfang von etwas viel größerem war.
3
Der Spaziergang tat echt gut. Ich genoss es die frische Luft einzuatmen und hörte den Vögeln zu, wie sie sorglos ihr Lied zwitscherten. Hier draußen hatte sich nichts verändert. Die Sonne schien durch das Grün der Bäume und der Wind sprach seine eigene Sprache durch das Rauschen der Blätter. Ja, alles war friedlich hier draußen, aber in mir tobte es erneut auf. Wie konnte er nur? Kann es wirklich sein, dass ich Matthew Connor nach all diesen Jahren wieder sah? Clara strich mir mit ihrer Hand sanft über den Rücken. „ Komm schon Große, Kopf hoch das wird schon wieder! Wir sind ja auch noch da.“, sagte sie und lächelte mich an. Ich konnte gar nicht anders und lächelte zurück. Wir waren auf dem Weg zu unserer Eiche. Sie war wunderschön, groß und echt beeindruckend. Seit wir auf diese Schule gingen setzten wir uns immer unter ihre schützenden Äste. Hier haben wir über so ziemlich alles geredet. Über unsere Familien, Jungs und unsere tiefsten Geheimnisse. Nur wir wussten von alle dem und unsere Eiche. Als wir saßen, sagte keiner ein Wort. Ich hatte mir schon oft darüber Gedanken gemacht, wie es wohl sein würde, sollte ich Matt eines Tages wiedersehen. Doch SO hatte ich mir das auf gar keinen Fall vorgestellt. „ Warum hat er so getan als würde er mich nicht kennen? “ , brach ich das Schweigen. Jamie nahm meine Hand und ich sah sie an. „ Ich bin mir nicht sicher, aber ich hab das Gefühl er hat seine Gründe. Vielleicht lässt du ihm erst mal etwas Zeit, kann ja sein das er von selbst auf dich zukommt. An deiner Stelle würde ich nichts überstürzen.“, sie drückte meine Hand und ich drückte zurück. Das war Jamie. Erst mal alles ganz objektiv betrachten und einen kühlen Kopf bewahren. Sie hatte Recht. Ich musste mich wohl noch eine Weile gedulden, bis ich heraus finden konnte, was in der Zeit, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe passiert ist. Wir hörten die Schulglocke klingeln. Die erste Schulstunde war vorbei. Doch es lag noch eine Physikstunde vor uns. „ Was meinst du, möchtest du wieder mit reinkommen oder willst du nach Hause?“, fragte mich Clara. Ich wusste es nicht, sollte ich nach Hause gehen? Das kam mir irgendwie vor wie davonlaufen. „ Ich komme wieder mit rein.“, meine Stimme klang sicherer als ich mich dabei fühlte.
Als wir zurück ins Klassenzimmer gingen standen fast alle Mitschüler um Olivers und Matts Tisch um ihn kennenzulernen. Ich ging zu meinem Platz, holte meinen iPod aus meiner Tasche und stöpselte mir die Kopfhörer in meine Ohren. Ich scrollte bis ich gefunden hatte was ich suchte. Nun schloss ich die Augen und lies mich von Hans Zimmer berieseln. „Tennessee“ war eins meiner Lieblingsstücke. So gefühlvoll und beruhigend auf meine Nerven. Ich bemerkte erst, dass die Klingel zum Beginn der Stunde geklingelt hatte, als Clara mich an stupste. Ich zog die Kopfhörer aus meinen Ohren und packte den iPod schnell wieder in meine Tasche. Das Letzte was ich wollte war das Mr. Peterson ihn mir wegnahm. Clara schmunzelte. „Tennessee?“. Ich grinste zurück. „Aber sicher.“
Es kam mir so vor, als würden sich die Zeiger auf der Uhr über der Tür im Zeitlupen Takt bewegen. Ich kämpfte die gesamte Stunde dagegen an mich umzudrehen und Matt in die Augen zu sehen. Auf einmal bekam ich einen Zettel über die Schulter gereicht. Er war von Oliver. Ich faltete ihn auseinander und las.
Hey ist alles in Ordnung? Du warst total blass.
Ich nahm einen Stift und schrieb zurück.
Ja geht schon. Heute ist einfach nicht mein Tag.
Ich faltete den Zettel und gab ihn zurück. Clara schaute mich neugierig von der Seite an. Ich winkte ab.
Hat es was mit unserem neuen Mitschüler zu tun?
Ich hatte das Gefühl da wäre was gewesen, als er
dich gesehen hatte.
Mach dir keine Sorgen Oli, ich erklär dir das alles nachher. Aber sag mal, gibt es bei dir irgendetwas Neues?
Ich weiß nicht was du meinst.
Clara hat sich über die Ferien ganz schön verändert oder? ;)
Keine Ahnung was du meinst.
Clara sah abwechselnd mich und dann Oliver an. Ich hoffe das sie mir das mit dem Zettel schreiben nicht übel nahm.
Ach komm schon Oliver, ich sehe es dir doch an der Nasenspitze an!
Wir reden nachher!
Ok.
Ich drehte mich zu Oliver um, lächelte und sah ihn an. Er sah etwas nervös aus und seine Wangen waren leicht rötlich aber er nickte mir zu. Dann sah ich Matt an und unsere Blicke trafen sich. Ich drehte mich sofort wieder um. Ich wollte sie nicht sehen, diese kalten Augen. Den Rest der Stunde rang ich mit mir. Als es endlich zum Stundenende klingelte, packte ich meine Sachen zusammen und ging raus auf den Flur. Ich peilte gerade mein Schließfach an, als Oliver mich einholte. „ Du hast ihr nichts erzählt oder?“, fragte er mich eindringlich. „ Nein habe ich nicht aber sie scheint blind zu sein, wenn sie nicht sieht was ich sehe. Was hast du jetzt vor?“. „ Meinst du ich könnte sie nach einem Date fragen? Ich meine, ich möchte ja unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzten.“ Ich blinzelte. Achso! Er denkt Clara ist nur freundschaftlich an ihr interessiert und hat Angst vor einem Korb. „ Sag mal, bist du blind? Merkst du denn gar nicht, wie sie dich anhimmelt?“. Er stutzte. „ W…Was?“, er schien beeindruckt. „ Mensch Oli! Clara ist ungefähr seit dem Kindergarten in dich verliebt. Hast du nie etwas bemerkt?“. Er starrte mich an und sah so aus als wüsste er nicht, was er sagen sollte. Ich öffnete derweil meinen Spinnt. „ Ich glaube ich gehe sofort zu ihr.“ Er eilte davon und machte nach ein paar Schritten auf dem Absatz kehrt und sah mich an. „ Ich erzähl dir das mit Matt später!“, sagte ich. Er drehte sich wieder um und stolperte. Er wäre hingefallen hätte er sich nicht an der Wand abgestützt. Ich lachte in mich hinein. Wurde auch mal Zeit für die Beiden. Ich lächelte immer noch als ich meinen Spinnt schloss und direkt in Matt hinein lief. Ich stolperte, wie zuvor Oliver. Matt packte meinen Arm und zog mich an sich. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und ich hatte vergessen wie man atmet. „Vorsichtig!“, war alles was er sagte. Er stellte mich zurück auf meine Füße und trat einen Schritt zurück. „ Alles Ok?“. Ich nickte nur, sah ihn aber nicht an. „ Danke.“, flüsterte ich. „Immer noch genauso tollpatschig wie früher, huh?“, sagte er. Jetzt blickte ich ihn an und ich konnte es nicht fassen. Er lächelte! Und in seinen Augen lag der Schalk. Erst stand ich da wie angewurzelt, doch dann konnte ich nicht mehr an mich halten. „ Was heißt hier tollpatschig wie früher!? Was bildest du dir ein, nur weil ich das ein oder andere Mal hingefallen bin. Und außerdem kann ich ja nichts dafür, wenn du nicht aufpassen kannst, wo du hinläufst!“. Er lächelte immer noch. Jetzt explodierte ich fast. „ Hör auf zu lächeln, das ist überhaupt nicht komisch!“, funkelte ich ihn an. „ Doch, irgendwie schon.“, sagte er, kreuzte seine Arme übereinander und lehnte sich lässig an einen Spinnt. Jetzt war ich total verwirrt. Auf der einen Seite war ich total wütend, denn er stand hier, lachte mich aus obwohl er vorhin noch so getan hatte, als würde er mich überhaupt nicht kennen. Aber auf der anderen Seite stand er da, total lässig und gut aussehend mit seinem schiefen Grinsen. „ Ich weiß ja nicht was du für eine Art Humor hast, aber ich finde es gar nicht witzig, wenn der beste Freund aus deiner Kindheit, von dem du Jahre nichts gehört oder gesehen hast, auf einmal auftaucht und dich so behandelt, als kenne er dich gar nicht und dich dann im nächsten Moment auslacht und über die guten alten Zeiten quatscht!“, ich holte Luft. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich ihn angeschrien hatte. Auf dem Flur war es mucks Mäuschen still. Alle starrten uns an. Matts Lächeln war verschwunden. Ich sah in seine Augen und mein schlechtes Gewissen meldete sich. Seine Augen spiegelten ein Chaos von Gefühlen wieder. Schuld, Trauer und…Sehnsucht? Er machte einen Schritt auf mich zu, doch ich wich zurück. Na Klasse, jetzt hatte ich hier eine Szene hingelegt, von der wahrscheinlich alle bis zur nächsten Stunde Bescheid wussten. Ich merkte wie mir Tränen in die Augen schossen und stampfte davon, direkt ins Mädchenklo. Weg von IHM.
Als ich in der Mädchentoilette angekommen war, sprintete ich in die nächste Kabine, schloss die Tür und lehnte mich mit dem Rücken gegen sie. Nein, nein, nein! Nicht weinen, das bringt doch überhaupt nichts. Ich war so wütend und gleichzeitig total traurig. Ich hatte ihn so vermisst. Er war immerhin mein bester Freund gewesen, mein Held. Ich drängte die Tränen zurück. Es konnte doch nicht wahr sein das ICH mich wegen einem Kerl so fertig machte, dem ich anscheinend nicht einmal was bedeute oder sagen wir mal nicht viel bedeutete. Okay, Ich werde nie wieder eine Träne um Matthew Connor vergießen, das schwor ich mir. Ich raffte mich auf und ging aus der Kabine und warf noch einen letzten Blick in den Spiegel. „Du packst das.“, sprach ich mir zu. Auf einmal platze die Tür auf und Clara kam herein gerauscht. „ Evie, oh Evie du glaubst nicht was mir gerade passiert ist! Nie im Leben errätst du das!“, sie war total außer Atem und sie überschlug sich beim Reden. Ihre Wangen glühten und ihre Augen strahlten. „Oliver hat mich eben gerade mit mir verabredet! Wir wollen zusammen ins Kino gehen und dann noch eine Kleinigkeit essen, was sagst du dazu?“, während sie das sagte hüpfte sie auf und ab, wie ein kleiner Flummi. „ Das ist ja großartig, ich freu mich für dich Clara, wirklich es wurde Zeit“. Sie fiel mir um den Hals und wir beide kicherten um die Wette. „ Ich muss sofort zu Meredith, sehen wir uns dann gleich im Unterricht?“. „Ja bis gleich“.
Von da an schien die Zeit wieder mit Normalgeschwindigkeit zu vergehen. Ich sah Matt nur noch einmal und zwar in Englisch. Da es eins meiner Lieblingsfächer war ging die Zeit auch ziemlich schnell um. Und dann war endlich Schulschluss.
Als ich mich auf den Weg nach Hause machte dachte ich, dass Meredith und ich zu zweit gehen würden, da Clara mit Oli ging. Ich freute mich sehr, als ich sein strahlendes Gesicht sah. Ich zwinkerte ihm zu. Da wurde sein Lächeln nur noch breiter. Als Meredith dann endlich kam sagte sie mir, dass sie sich für das Jahrbuchkomitee angemeldet hatte und noch in der Schule bleiben musste. Also ging ich allein. Ich packte wieder meinen iPod, aus hörte Musik auf dem Heimweg und dachte nach. Ich war die ganze Zeit von meinem Gefühlschaos abgelenkt gewesen, dass ich etwas Wichtiges total vergessen hatte. Als ich noch nicht wusste, dass unser Neuankömmling Matt sein würde, wurde gesagt, dass er bei Mrs Swan wohnen würde, weil er seine Eltern verloren hatte. Die Erkenntnis traf mich wie Eiswasser ins Gesicht und ich blieb stehen. „Oh mein Gott! Das kann doch nicht sein“. Ich habe Mrs Connor immer sehr gern gehabt, sie kam mir wie die perfekte Hausfrau und Mutter vor. Annie Connor war eine liebevolle und lebenslustige Frau gewesen. Genau wie ihr Mann Charlie. Ich liebte seine witzige und lockere Art. In gewisser Weise waren die Connors Teil meiner Familie gewesen und auch meine Eltern hatten sie in ihr Herz geschlossen. Wie schwer das für Matt gewesen sein musste. Jetzt bekam ich wieder ein schlechtes Gewissen. Er hatte es zwar verdient, trotzdem tat es mir Leid, dass ich ihn in der Schule vor allen Leuten so angepflaumt hatte. Nur, was war mit seinen Eltern passiert? Das würde die Kälte in seinen Augen erklären. Wenn man seine Eltern verliert, trägt man das sein ganzes Leben mit sich herum. Dieses riesige Loch im Leben kann niemand füllen. Ich dachte an meinen Vater und vermisste ihn auf einmal schrecklich. Ich atmete noch einmal tief durch. Ich wollte so nicht nach Hause gehen. Meiner Mom würde es nicht ertragen mich so zu sehen.
Als ich zu Hause ankam roch es sehr merkwürdig. Ich rümpfte die Nase. Dann war da noch dieses Nerv tötende Piepen. „Mom?!...Bist du da?“. „ Ja Schatz, in der Küche!“, sie ächzte. Ich folgte ihrer Stimme, der Geruch wurde immer Schlimmer. Als ich in die Küche kam blieb ich im Türrahmen stehen. Da stand sie, meine Mutter. Sie wedelte mit einem Backblech den Dampf vom Rauchmelder weg. Ich musste fast lachen. „Was ist denn hier passiert, da bin ich mal für ein paar Stunden nicht da und du bist kurz davor die Feuerwehr anrücken zulassen?“, ich schmunzelte. „ Ich wollte dir Kartoffeln mit Schnitzel und Sauce Hola-dingsda machen. Doch dann sind die Schnitzel angebrannt, die Kartoffeln übergekocht und die Sauce ist, naja keine Sauce.“, sie rührte in einem Topf eine klumpige braune Masse um. Ich konnte nicht anders und fing an zu lachen. Als ich wieder Luft bekam nahm ich das Telefon. „Wie wäre es mit Pizza?“. „Pizza wäre super!“, sie lächelte mich an und fing an das Schlachtfeld sauber zu machen. „Ach, Evie weißt du wo ich die Autoschlüssel hingelegt habe?“. „ Sind sie den nicht auf der Kommode im Flur?“. Sie schüttelte den Kopf. „ Als du die Nacht nach Hause gekommen bist, was hast du da als erstes gemacht?“, fragte ich sie. „ Sie tippte mit ihrem Zeigefinger gegen ihr Kinn. „ Mal überlegen, ich hatte mir die Schuhe ausgezogen habe mir eine Kleinigkeit aus dem Kühlschrank genommen, bin…warte!“, sie ging zum Kühlschrank und machte ihn auf. „ Ah da ist er, danke Kleines.“ „ Kein Problem Mom, ruf mich doch bitte wenn die Pizza kommt.“ Auf dem Weg in mein Zimmer musste ich immer noch schmunzeln.
Als ich abends ins Bett ging, schwirrte mir ein Haufen an Fragen im Kopf herum. Den ganzen Nachmittag wurden es immer mehr. Was ist mit Matt passiert? Was mit seinen Eltern? Warum ist er jetzt hierhergekommen? Warum tat er in einem Moment so als kenne er mich nicht und dann machte er Witze? Was sollte dieser Ausdruck heute bedeuten als ich ihn deswegen angeschrien hatte? Diese Fragen hielten mich wach. Doch irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen. Ich träumte von Matt, um es genau zu sagen in meinem Traum versteckte sich der kleine Matt aus meiner Vergangenheit, sich hinter mir vor dem neuen anderen Matt. Und dieser andere Matt machte mir Angst.
Am nächsten Morgen traf ich mich wieder mit Meredith und Clara und wir gingen zusammen zur Schule. Meredith schaute mich besorgt an. „ Wie hast du geschlafen?“. Sie merkte aber auch alles. „ Naja nicht so gut, hatte einen merkwürdigen Traum aber es geht mir gut.“, um dies zu unterstreichen lächelte ich. „ Wenn du meinst.“, sie sah nicht überzeugt aus. Um vom Thema abzulenken fragte ich Clara wie denn ihre Verabredung mit Oliver gelaufen war. Und sie berichtete uns freudestrahlend, dass sie im Kino in einer Komödie waren und als sie ihre Hand auf die Armlehne legen wollte er anscheinend das gleiche im Sinn hatte und seine Hand auf ihre legte. Und das ist immer der wichtige Augenblick sagte sie. Entweder er zieht seine Hand weg oder er lässt sie wo sie ist. Und natürlich blieb Olis Hand wo sie war. „Ich kann euch sagen, es fühlte sich an, als würden die Schmetterlinge in meinem Bauch eine Party feiern.“ Meredith und ich sahen uns an und verkniffen uns zu lachen. Ich freute mich so für sie. Als wir an der Schule ankamen viel mein Blick natürlich sofort auf Matt der auf der Treppe zur Eingangstür stand. Ich sah auf den Boden und wir gingen an ihm vorbei. Ich drehte mich auch nicht um. Dann sagte Clara: „ Hey Matt hat dir eben hinterher gesehen.“ Ich sagte nichts und ging einfach geradeaus in unser Klassenzimmer. Als ich meine Sachen auspackte bemerkte ich einen Zettel der in einer der Seitentaschen meines Rucksacks steckte. Ich nahm ihn heraus und öffnete ihn. In einer kleinen aber sauberen Handschrift stand geschrieben:
Wir müssen reden.
Es tut mir Leid wie ich mich verhalten habe, aber ich habe meine Gründe. Ich warte nach der Schule bei der alten Eiche auf dem Schulhof auf dich. Ich hoffe du kommst.
M.C.
Mir pochte das Herz bis zum Hals. Das würde auf jeden Fall ein interessanter Tag werden.
Naja, interessant war vielleicht nicht das richtige Wort. Ich hatte den ganzen Schultag Probleme damit mich zu konzentrieren. Mr. Howard rief mich im Mathematikunterricht sogar nach vorn an die Tafel, nachdem er mich schon zweimal ermahnt hatte, ich solle doch bitte aufpassen und die Träume auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Da es nicht schon reichte, dass ich bei seiner Aufforderung knallrot wurde, stolperte ich auch noch auf dem Weg zur Tafel und erntete somit das Gelächter der gesamten Klasse. Dabei vermied ich es den Platz hinten ganz rechts auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Obwohl ich mich fragte ob ER auch lachte. Als ich in der Mittagspause Jamie und Clara von der kleinen Nachricht erzählte, war Clara natürlich sofort wieder Feuer und Flamme. „Wow!, ...was meinst du will er von dir? Ob er sich entschuldigt? Du musst mich heute Abend anrufen und mir alles bis ins kleinste Detail erzählen! Und lass ihn nicht mit irgendwelchen scheinheiligen Ausreden davon kommen…“, in ihren Augen blitzte die Aufregung auf. „Übertreib es aber nicht und geh die Sache ruhig an. Wenn du ihn mit zu vielen Fragen bombardierst, fühlt er sich vielleicht in die Ecke gedrängt und du erfährst gar nichts.“, sagte Jamie. „ Hum, ich denke ihr habt beide irgendwie Recht. Ich weiß nur nicht was das Ganze auf einmal soll? Ich meine er erkennt mich, tut aber so als hätten wir uns nie gesehen. Kurz darauf macht er sich über mich lustig und verhält sich fast so als würde ihm das leidtun. Und jetzt diese Nachricht. Ich befürchte ich muss echt aufpassen, was ich sage und was ich frage.“ Clara und Jamie warfen sich einen ernsten Blick zu und keiner sagte noch irgendetwas dazu.
Als es endlich zum Schulschluss klingelte, war ich total nervös. Ich hatte mir den ganzen Tag irgendwelche Geschichten zusammengereimt was wohl mit Matt passiert sein könnte. Drogenszene, Geheimdienst oder vielleicht auch Jugendknast? Ich würde es wohl erst herausfinden, wenn ich meinen Hintern in Richtung Eiche bewegte. Und das tat ich dann auch.
4
Als die Eiche in Sichtweite kam sah ich, dass er schon dastand. Er stand mit dem Rücken zu mir und merkte doch, dass ich da war. Er drehte sich um und sah mich an. Da waren sie wieder, diese zwei Augen in denen nichts als Kälte und Abwesenheit lag. Dachte ich jedenfalls als erstes, doch dann kehrte etwas darin zurück. Ich könnte es nur mit dem Ausdruck „nach Hause kommen“ vergleichen. Er lächelte und musterte mich. „Du hast dich verändert,…äußerlich meine ich.“,…was für eine Feststellung, dachte ich aber antwortete, „Ja, du aber auch.“. Ich wusste nicht was ich jetzt sagen sollte, da das Treffen ja seine Idee gewesen war. Deshalb sagte ich erst einmal gar nichts. Er starrte mich an, er hörte gar nicht mehr auf damit. Bis mir das Ganze dann zu viel wurde und ich förmlich platzte, „ Warum wolltest du dich hier mit mir treffen?“. Er sah mich wieder mit diesem belustigten Ausdruck an, „ Das ist doch dein Lieblingsplatz hier, oder etwa nicht?“. „ I-Ich meinte jetzt auch nicht den Ort, sondern den Grund, weshalb du mit mir reden wolltest.“. Das kleine Detail, dass er das mit meinem Lieblingsplatz wusste, blendete ich vorerst aus. Er seufzte und setzte sich vor die Eiche. Ich setzte mich ihm gegenüber, weil ich nicht wusste wohin diese Unterhaltung führen sollte. Matt sah sich um und er schien nachzudenken wo er anfangen sollte, also wartete ich. Es vergingen ein paar Sekunden, doch für mich fühlte es sich an wie eine Ewigkeit, so neugierig war ich darauf zu erfahren was mit ihm in den letzten Jahren geschehen war. Er sah mich wieder an. „ Es tut mir Leid wie ich dich vorhin behandelt habe, ich hatte einfach nicht damit gerechnet ausgerechnet dich hier wieder zusehen, geschweige denn dich je wieder zusehen. Ich war überrascht und wusste nicht wie ich reagieren sollte. Deshalb tat ich erst mal so als würden wir uns gar nicht kennen.“. Ich weiß nicht wieso, aber es klang so als würde er lügen, obwohl die Antwort schon plausibel war, und doch. Ich kniff die Augen zusammen und er hörte auf zu reden und sah mich etwas irritiert an. „ Stimmt etwas nicht?“, fragte er mit zusammengekniffenen Augenbrauen. „ So komisch das klingen mag, aber ich hab das Gefühl so logisch wie deine Erklärung auch ist, sie ist nicht die Wahrheit.“. Auf einmal mied er meinen Blick und sagte, „ Wie kommst du darauf ich meines ernst, das ist die Wahrheit. „ Glaub ich dir nicht, du kannst mir ja nicht mal in die Augen sehen.“. Ich konnte sehen dass er sich unwohl fühlte, was mich immer misstrauischer machte. Ich stand auf, was ihn anscheinend total aus dem Konzept zu bringen schien. Er stand ebenfalls auf und sah mich wieder an, doch mit bedauern musste ich feststellen, dass da wieder diese Kälte ins einen Augen war. Ich war mir ziemlich sicher, die Wahrheit würde ich wohl heute nicht hören.
Tag der Veröffentlichung: 26.10.2010
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