Zwei Knirpse auf Abwegen
Diese Geschichte ereignete sich im Jahr 1963.
Wir zogen von Deggendorf in Niederbayern nach
München in den Stadtteil Neuhausen. Es war ein
Neubau, und die Wohnungen standen nur Mitarbeitern
der Post zur Verfügung. Mein Vater war bei der Post
im Verladedienst tätig. Ich war gerade einmal vier
Jahre alt. Hier hatte ich auf Anhieb eine Menge an
Spielkameraden und Kameradinnen, da fast nur Familien
mit Kindern hier einzogen. Ich hatte auch sehr schnell
eine Freundin die ein Jahr älter war als ich, und Vera
hieß. Vera wirkte vom Aussehen und Verhalten sehr
burschikos, und es kam auch schon mal vor, dass sie
einen Jungen im raufen bezwang. Angst kannte sie auf
jeden Fall nicht.
Irgendwie kamen wir auf die Idee,
Vater und Mutter zu spielen. Vera holte ihren
Puppenwagen und wir machten mit unserem Puppenkind
einen Ausflug. So zogen wir los als drei- und vier
jähriges Puppenelternpaar, und zeigten unserem Kind
die Umgebung. Wir entfernten uns aber so weit von
unserem Wohnhaus weg, dass wir uns nicht mehr
auskannten. Wir waren nun schon am Schuttberg der
heute Olympiaberg heißt. Wie ein altes Ehepaar fingen
wir sogar einmal kurz zu streiten an, weil Vera in
die eine Richtung zeigte, wo es angeblich nach Hause
ging, und ich in die andere. Der kleine Mann setzte
sich durch, und wir liefen natürlich in die falsche
Richtung. Nach gut zwei Stunden kamen wir in Schwabing
an. Komischerweise hatten wir aber keine große Angst.
Es gab auch soviel zum ansehen, was wir noch nicht
kannten. An fast jedem Schaufenster eines Geschäftes
blieben wir stehen und sprachen darüber was wir uns
hier kaufen würden. So ein junges Paar diskutiert
natürlich darüber was nützlich ist, und was eher
unnütz ist.
Als wir dann aber bei Ampelschaltung rot
die Straße überquerten, weil auf der anderen
Straßenseite ein Spielwarengeschäft war, fielen wir
einer Polizeistreife auf. Wir standen vor dem Geschäft
und drückten uns an der Scheibe die Nase platt. Ich
glaube hier waren wir uns sofort einig, dass fast
alles zu gebrauchen wäre. Plötzlich wurden wir von
hinten angesprochen. Da standen nun zwei Polizisten
vor uns, und fragten nach unseren Namen. Brav wie wir
waren antworteten wir wie wir hießen. Die zwei
Polizisten erzählten uns, dass wir seit drei Stunden
von unseren Eltern vermisst wurden und verfrachteten
uns in ihr Polizeiauto. Der Puppenwagen kam in den
Kofferraum. Nun wurden wir zum Polizeirevier in die
Dachauerstraße gefahren. Von hier hätte ich den Weg
nach Hause wieder gewusst. Dann dauerte es nicht lange
bis uns unsere Eltern abholten. In der Wohnung gab es
dannriesig Ärger, aber meine Eltern waren so froh, dass
mir nichts passiert war. Ich bekam auch keine Schläge,
obwohl ich diese verdient hätte. Bei Vera war es da
schlimmer. Die Eltern waren total streng und ich glaube
Vera konnte dann eine gewisse Zeit nicht mehr so
gut sitzen. Ausflüge unternahmen wir aber trotzdem noch,
aber wir blieben in einem Bereich, wo wir uns auskannten
und von unseren Eltern zu finden waren.
Tag der Veröffentlichung: 19.05.2012
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