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Prolog




Was würdet ihr an meiner Stelle tun? Euch töten lassen? Eure Familie befindet sich in den Fängen des Königs, der nur darauf wartet, euch in die Finger zu kriegen weil ihr auf einen heiligen Baum gestiegen seid. Ihr wüsstet, dass er, selbst, wenn er euch hätte, eure Familie nicht freilassen würde. Was hätte es für einen Sinn, sich ihm dann zu stellen?



Allein




Ich sitze hier, die Augen geschlossen und die kühle Nachtluft einatmend, auf Basto, meinem Lieblingsplatz. Neben mir, keinen Meter entfernt brütet eine Amsel auf ihren Eiern. Hofft, dass all ihre Jungen das Licht der Welt erblicken. Lächelnd genieße ich die Stille. Ich blicke über ganz Taturo, unser kleines Bauerndorf. Einige wenige Lichter, Bauern mit Laternen, wandern umher, möglicherweise, um eine Nachricht zu überbringen. Doch sonst ist alles dunkel.Außer dem Zirpen derGrillen ist kein Laut zu hören. Obwohl es erst März ist, sind die Nächte schon sehr warm.
Langsam steige ich von meinem Ast. Wie oft sitze ich auf diesem Baum. Meinem Baum. Basto. Stundenlang sehe ich den Leuten unter mir auf dem Marktplatz zu, wie sie ihre Ware tauschen, Hufeisen schmieden oder einfach nur zur Musik der Spielleute tanzen. Dabei steht Basto, meine Linde im Mittelpunkt. Für sie ist dieser Baum heilig. Er ist über 700 Jahre alt und für niemanden zu bezwingen. Natürlich für alle außer mich. Zum Glück vermutet mich keiner auf diesem Baum, denn da er heilig ist, ist es verboten, auf ihm herumzuklettern. Der Ast biegt sich etwas unter meinem Gewicht, doch das gibt mir nicht weiter zu Bedenken. Ich bin ausgesprochen leicht für mein Alter. Obwohl ich 16 Jahre alt bin, bestehe ich im Gegensatz zu den anderen Mädchen praktisch nur aus Haut, Knochen und Muskeln. Fast alle Mädchen des Dorfes beneiden mich um meine Statur. Ich habe blau- grüne Augen und dunkelbraune lange Haare, die fast immer hochgesteckt sind, da sie beim Klettern nur im Weg wären. Nur auf dem Dorffest und in der Schule trage ich sie offen.
Vorsichtig klettere ich nach unten, darauf bedacht, keine unnötigen Geräusche zu machen. Obwohl fast das ganze Dorf schläft, kann man nie sicher sein, dass nicht irgendwo Wachen des Königs lungern.
Ich kenne meinen Kletterweg mittlerweile in- und auswendig. Es kann noch so dunkel sein, ich würde den Weg nach unten jederzeit finden.
Der letzte Ast wächst auf ungefähr zweieinhalb Metern Höhe, sodass ich das letzte Stück an der rauen Rinde entlangklettern muss. Noch ein Grund, warum mich niemand auf diesem Baum vermutet.
Unser kleines Haus ist keine hundert Meter vom Marktplatz entfernt und meine Mutter weiß, wo ich mich befinde. Sie ist eine der Wenigen, der ich erzählt habe, wo ich mich tagsüber aufhalte. Nur ein Freund und meine kleine Schwester Mia wissen noch davon.
Basto ist natürlich nicht der einzige Baum, auf den ich klettere. Es gibt in Taturo und rund herum so viele Bäume, dass ich sie garnicht zählen kann. Im Osten gibt es einen großen Wald, aus dem die Jäger des Dorfes Fleisch besorgen. Meine Mutter ist für Beeren und Moose zuständig. Sie arbeitet den ganzen Tag über in den Wäldern, auf den Feldern und Wiesen. Oft sammelt sie auch Kräuter, die sie dann unserer Heilerin bringt. Mia hilft ihr dabei. Die Beiden kommen nach Hause, wenn es dunkel wird, das sie dann den Unterschied zwischen giftigen und essbaren Pflanzen nicht mehr erkennen. Außerdem gibt es im Wald Bären und Wölfe, und keiner möchte so einem Tier begegnen, hilflos, ohne Waffe. Erst recht nicht in der Nacht.

Als ich die Haustür öffne, ist es ungewöhnlich still. Normaler- weise steht meine Mutter in der Küche und kocht Marmelade ein, doch es herrscht völlige Dunkelheit in unserem kleinen Häuschen.
Vorsichtig schließe ich die Tür hinter mir und suche im Dunkeln nach der Kerze und den Zündhölzern, die immer auf der Kommode im Flur liegen. Mit den Fingern taste ich nach dem Docht.
>>Aua!<< Überrascht schrecke ich zurück. Der Docht und das Wachs sind noch heiß. Es war also eben noch jemand hier! Angst steigt in mir auf. Wo sind Mia und meine Mutter? Sie waren hier, da bin ich sicher, aber wo sind sie jetzt? Ist ihnen etwas zugestoßen? Mit zittrigen Fingern zünde ich die Kerze an und schaue mich im Raum um. Auf dem Esstisch liegt ein kleiner Zettel. Vorsichtig trete ich näher. Wie es aussieht, wurde der Zettel schnell, wie in Eile geschrieben worden. Mit viel Fantasie kann man die Worte Myran, pass auf dich auf! entziffern. Langsam werde ich panisch. Hektisch sehe ich mich im Haus um, auf der Suche nach weiteren Hinweisen, doch außer dem Zettel sieht alles aus wie immer. Allerdings ist in der Küche noch Glut im Herd. Mutter war also doch schon am Einkochen von Marmelade gewesen! Es stehen auch einige Gläser herum.
Plötzlich werde ich festgehalten und eine Hand hält mir den Mund zu, sodass mein schriller Aufschrei nur dumpf durch die Küche hallt. Erst, als ich mich wieder etwas beruhigt habe, lässt die Hand mich los. Vorsichtig drehe ich mich um.

Schreckliche Nachrichten


Ich blicke in unverkennbar grün- braune Augen, die ich nur allzu gut kenne. Genau: seit ich drei Jahre alt bin. Vor mir steht Damon, mein bester Freund, seit ich laufen kann. Erleichtert lasse ich mich in seine ausgestreckten Arme fallen, doch die Umarmung hält nicht halb so lange, wie sonst. Danon lässt mich gleich wieder los. In seinen sonst so glänzenden Augen sehe ich einen Schleier von Angst und er hält meine Hände zärtlich fest. Ich schaue ihn fragend an, doch er schüttelt den Kopf und deutet nach draußen. Gerade sehe ich noch die glänzenden Rüstungen der Wachen, die einen ihrer nächtlichen Rundgänge vollenden.
Erst, nachdem er noch einige Minuten still und bewegungslos dagestanden hat, beginnt Danon zu sprechen.
>>Deine Mutter und Mia wurden verhaftet. Von ein paar Wachen.<< Seine leise Stimme ist rau und warm und man hört ihr gerne zu. Obwohl ich mit etwas Ähnlichem gerechnet habe, zucke ich zusammen, mein Magen verkrampft sich.
>>Es muss jemanden auf dem Marktplatz geben, der dich auf Basto gesehen hat. Jedenfalls weis der König davon. Sie suchen dich schon überall. Wenn sie dich haben, werden sie dich auspeitschen und dich auf den Scheiterhaufen werfen. Der Brauch sagt, dass du mit Bastos Holz verbrannt werden sollst.<<
Ich kann es nicht glauben. Jemand hat mich verraten.
Doch meine Wut schlägt fast sofort in panische Angst um. Jedoch keine Angst um mich, sondern um meine Familie. Wenn der König mich nicht findet, wird er, um das Volk zu beruhigen, Mia und meine Mutter so lange auspeitschen, bis ich mich freiwillig melde.
>>Was soll ich nur tun?<< frage ich Danon, den Tränen nah. >>Wenn ich mich ihnen nicht ausliefere, bringen sie Mutter und Mia um!<< Eine kleine Träne kullert meine Wange hinunter. Vorsichtig, darauf bedacht, keine hektische Bewegung zu machen, wischt er sie mit seinem kleinen Finger weg. Beruhigend streicht er mir übers Haar und drückt mir einen Kuss auf die Stirn.
>>Geh nicht zu ihnen!<< sagt er. >>Wir werden sie schon irgendwie retten, aber bitte bleib hier. Ich hab dich lieber hier im Arm als eine Schachtel mit deiner Asche auf dem Nachttisch. Außerdem reicht es, wenn zwei von euch gefangen sind!<<
Obwohl mir nicht danach ist, muss ich lächeln. Es tut so gut, in Damons Nähe zu sein!
>>Wir müssen hier weg!<< Seine Stimme ist zu einem Flüstern geworden, seine Lippen ruhen auf meinem Ohr. >>Wenn sie dich finden, ist alles vorbei!<<
Also löschen wir die Kerze und stellen sie wieder auf die Kommode. Den Zettel nehmen wir mit. Meine Mutter hatte ihn geschrieben, kurz bevor die Wachen herreinkamen. Danon hat es mir erzählt. Er war zufällig im Gerten hinterm Haus und hat alles gesehen.Doch da er nicht zur Familie gehört, wurde er garnicht beachtet.
Vorsichtig verlassen wir das Haus. Da mich das ganze Dorf kennt, entscheiden wir uns, die Nacht im Freien zu verbringen. Denn bei Damon würden sie zuerst nachsehen, wenn sie mich suchten.
Als wir beim Metzger vorbeilaufen, kommt Damon auf die Idee, etwas Fleisch zu stehlen, für die Nacht und die nächsten Tage.
Das Haus des Metzgers ist ein kleines Fachwerkhaus mit Fensterläden und Rietdach. Um das Haus herum befindet sich ein Plumsklo, in dessen Tür ein Herzloch eingelassen ist. Das Fleisch wird im Schuppen aufbewahrt.
Als wir den Schuppen betreten, kommt uns der unwiderstehliche Geruch von geräuchtem Speck entgegen. Hastig nehmen wir ein paar Würste von den Räucherstangen im Kamin und einen Speck mit. Außerdem gibt es noch getrocknete Schweinsohren. Auch diese lassen wir uns nicht entgehen.
Auf dem Weg nach draußen stolpere ich über etwas, das sich in der Dunkelheit nicht identifizieren lässt. Mein ganzes Diebesgut landet auf dem Boden. Hastig sammle ich alles wieder ein und erkenne, dass das, worüber ich gestolpert bin ein Sack ist, der mit Brot gefüllt ist. Ich kann mein Glück kaum fassen, lasse Fleisch und Würste in den Sack gleiten und schlüpfe nach draußen. Damon wartet schon ungeduldig hinter einem Baum versteckt.
>>Wo warst du denn so lange?<< fragt er, doch als er den Sack sieht, klärt sich diese Frage von selbst.
Wir setzen unseren Weg fort und finden schließlich eine gute Stelle für ein Nachtlager. Es ist mitten auf dem Feld in einer kleinen Baumgruppe. Wir entscheiden uns, nicht auf dem Baum zu schlafen, da ich ja mittlerweile fürs Klettern bekannt bin. Also suchen wür uns Stöcke und bauen einen kleinen Sichtschutz.Aus Moos und Blättern kreieren wir eine Matratze, die sogar relativ bequem ist. Plötzlich bin ich sehr müde und ich schmiege mich an Damons warme Brust. Obwohl wir mitten in der Wildnis sind, fühle ich mich sicher.
>>Wie geht es jetzt wohl Mutter und Mia?<< Plötzlich fallen sie mir wieder ein und ich fühle mich schuldig. Sie wurden gefangen. Wegen mir. Und ich kann ihnen nicht einmal helfen!

... Fortsetzung folgt

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.11.2011

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